Haushaltsnahe Dienstleistungen
Bedarfe, Entwicklungen und Nachfragepotenzial in Baden-Württemberg
Der Bedarf an haushaltsnahen Dienstleistungen (i-Punkt »haushaltsnahe Dienstleistungen«) ist hoch. Er wird angesichts sich wandelnder Haushalts- und Familienstrukturen, der Veränderungen im Berufsleben und auf dem Arbeitsmarkt sowie der demografischen Entwicklung voraussichtlich weiter ansteigen. In Folge zunehmender Erwerbstätigkeit von Frauen, veränderter Geschlechterrollen und einer wachsenden Anzahl an Alleinerziehenden und Single-Haushalten nimmt die Bedeutung von Personengruppen, die Bedarf an Entlastung im Alltag haben, zu. In der Diskussion um (potenzielle) Nutzergruppen stehen deshalb insbesondere Personen im Fokus, die zeitliche Entlastung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie benötigen. Ebenso sind es ältere Menschen, die alters- oder pflegebedingt nicht mehr alle Tätigkeiten im Haushalt selbst erledigen und nicht oder nur in geringem Maß auf Unterstützung im engen Familienkreis zurückgreifen können. Das von der FamilienForschung im Auftrag des Sozialministeriums Baden-Württemberg erstellte Informationsportal »Haushaltsnahe Dienste Baden-Württemberg« setzt an dieser Entwicklung an und bietet Informationen über das aktuelle Entlastungsangebot in Baden-Württemberg.
Ergebnisse der aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 zeigen, dass 11,5 % der befragten Haushalte in Baden-Württemberg Ausgaben für »Haushaltshilfen und andere häusliche Dienstleistungen« hatten (i-Punkt »Einkommens- und Verbrauchsstichprobe«). Dieser Wert ist gegenüber der letzten Erhebung 2008 geringfügig gestiegen (11 %).1 Im Jahr 2013 gaben die Haushalte, die Haushaltshilfen und andere häusliche Dienstleistungen nutzten, dafür durchschnittlich 57 Euro im Monat aus.
Die Betrachtung nach der Haushaltsgröße verdeutlicht, dass Haushalte mit ein bis zwei Personen am häufigsten Haushaltshilfen in Anspruch nahmen. Von allen Haushalten, die Ausgaben für Hilfen im Haushalt hatten, waren jeweils gut 34 % Ein- oder Zweipersonenhaushalte. Auch die Unterscheidung nach dem Haushaltstyp zeigt, dass die größten Nutzergruppen von haushaltsnahen Dienstleistungen Alleinlebende2 und Paare ohne Kind (32 %) waren, gefolgt von Paaren mit Kind(ern) (19 %).
Zeitliche Entlastung für Familien in der Rush-Hour des Lebens
Betrachtet man den Bedarf an Unterstützung bei Familien, so wird deutlich, dass »Zeithaben« das wichtigste Motiv für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen ist. Eine deutschlandweite Studie des Delta-Instituts aus dem Jahr 2011 zeigt, dass über zwei Drittel (67 %) der befragten Frauen und Männer, die derzeit bereits haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen, diese nutzen, um mehr Zeit für die Familie zu haben.3 Vor allem in der sogenannten »Rushhour des Lebens« sehen sich die Menschen mit vielfältigen Anforderungen konfrontiert: Erwerbstätigkeit, Partnerschaft, Familiengründung und die Versorgung und Erziehung von Kindern. Oft kommt noch die Pflege von älteren Angehörigen hinzu.
Ergebnisse der aktuellen Zeitverwendungserhebung 2012/2013 für Deutschland (i-Punkt »Zeitverwendungserhebung«) verdeutlichen, dass Frauen und Männer heute insgesamt häufiger erwerbstätig sind und weniger Zeit für die unbezahlten Tätigkeiten wie Haushaltsführung, Betreuung und Pflege von Kindern und anderen Haushaltsmitgliedern sowie freiwilliges Engagement verwenden. Ein Grund dafür wird darin gesehen, dass Bereiche der unbezahlten Arbeit, wie hauswirtschaftliche Tätigkeiten, stärker ausgelagert oder reduziert werden. Der Blick auf die Zeitverwendung von Eltern zeigt, dass diese heute im Durchschnitt nicht weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen als früher. Väter und Mütter verwenden durchschnittlich 1 Stunde 20 Minuten pro Tag mit der Betreuung von Kindern unter 18 Jahren als Hauptaktivität und damit 10 Minuten mehr als Eltern 2001/2002, dem Zeitpunkt der letzten Erhebung. Mütter bringen dabei mit 1 Stunde 45 Minuten doppelt so viel Zeit für die Kinderbetreuung auf wie Väter. Eltern investieren insgesamt am meisten Zeit in die Körperpflege und die Beaufsichtigung der Kinder sowie Fahrten zur Schule und in das Begleiten zu Freizeitaktivitäten. Im Vergleich zu Personen, die in Haushalten ohne Kinder leben, leisten sie durch ihre zusätzlichen Aufgaben wie Kinderbetreuung und Haushaltsführung insgesamt rund 10 Stunden mehr bezahlte und unbezahlte Arbeit pro Woche.4
Die Zeitverwendungserhebung fragt auch die subjektive Zufriedenheit mit der eigenen Situation ab. Jeder dritte Vater und nahezu jede fünfte Mutter wünschen sich mehr Zeit für ihre Kinder. Bei der Erwerbstätigkeit ergibt sich ein anderes Bild. Hier wünschen sich 7 % der Väter und 28 % der Mütter mehr Zeit für Erwerbsarbeit.5
Ergebnisse des Monitors Familienleben aus dem Jahr 2012 zeigen, dass Eltern in Zeitnot am häufigsten Abstriche bei der »Zeit für sich selbst« machen. Weiterhin werden zeitliche Einschnitte oftmals im Bereich der Hausarbeit gemacht. Dies gaben 46 % der befragten Eltern an. Aber auch soziale Beziehungen (Freunde: 38 %; Partner: 19 % und Kinder: 11 %) leiden den befragten Eltern zufolge, wenn Zeitnot auftritt. Mit Abstand am seltensten wirken sich mangelnde Zeitressourcen auf die Arbeit und den Beruf (3 %) aus.6
Unterstützung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben für beide Geschlechter
Wünsche und Vorstellungen, wie Frauen und Männer ihr Familien- und Berufsleben gestalten wollen, haben sich in den letzten Jahren geändert. Mehr als 90 % der heute 20- bis 39-Jährigen sind der Meinung, dass sich beide Partner um die Kinder kümmern sollten. Drei von vier Befragten finden, dass auch beide für das Einkommen verantwortlich sein sollten.7
Ein Blick auf die Lebenswirklichkeiten von Müttern und Vätern zeigt, dass von allen Paaren in Baden-Württemberg, in denen beide Partner 2014 erwerbstätig waren, bei rund 20 % beide Partner in Vollzeit arbeiten. Das häufigste Modell (76 %) ist jedoch nach wie vor, dass der Mann Vollzeit und die Frau Teilzeit erwerbstätig ist. Auch die Ergebnisse der Zeitverwendungserhebung 2012/2013 bestätigen dies. Während Mütter im Durchschnitt 30 % ihrer Zeit auf Erwerbsarbeit und 70 % auf unbezahlte Arbeit verwenden, verhält es sich für die Väter fast umgekehrt. Sie bringen 62 % der Zeit für bezahlte und 38 % für unbezahlte Tätigkeiten auf.
Die Geburt eines Kindes ist oft die Weichenstellung für die weitere Zeitaufteilung auf Erwerbsarbeit und Haus- und Sorgearbeit bei beiden Geschlechtern, die sich dann im weiteren Lebensverlauf häufig verstetigt und zu Nachteilen für die berufliche Entwicklung von Müttern und ihrer Alterssicherung führen kann.8 Gerade vor dem Hintergrund flexiblerer Arbeitsmärkte und der Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen hat die Erwerbstätigkeit von Frauen jedoch zunehmend eine wichtige Funktion zur Sicherung der materiellen Existenz von Familien. Gründe dafür, dass Mütter heute nicht im gewünschten Maße erwerbstätig sein können, werden unter anderem in der nicht ausreichenden Unterstützung bei der Kinderbetreuung und der Haushaltsführung gesehen. Mütter schieben nach einer familienbedingten Erwerbspause den Wiedereinstieg in den Beruf auch aufgrund fehlender Unterstützung im Alltag auf.9 Neben dem bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuungsangebote und der Flexibilisierung von Elternzeitmodellen sind weitere zeitliche Entlastungsmöglichkeiten gefragt, die es möglich machen, neben der Erwerbsarbeit auch Haus- und Sorgearbeit für beide Geschlechter zu ermöglichen. Haushaltsnahe Dienstleistungen können Familien Unterstützung bieten, um bestimmte Tätigkeiten aus dem Familienalltag auszulagern und somit zeitliche Entlastung für beide Geschlechter zu schaffen.
Bedeutung haushaltsnaher Dienstleistungen für ältere Menschen nimmt zu
Die Alterung der Gesellschaft in Baden-Württemberg hat in den letzten Jahrzehnten merklich zugenommen. Gegenüber 1970 ist das Durchschnittsalter der baden-württembergischen Bevölkerung um über 8 Jahre gestiegen und lag zum Jahresende 2014 bei 43,3 Jahren. Schon heute gibt es mehr ältere als jüngere Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger. Im Jahr 2014 waren 19,8 % der Bevölkerung 65 Jahre und älter und lediglich 17 % unter 18 Jahre alt. Insbesondere hat auch die Zahl der Hochbetagten, das heißt der Personen, die 85 Jahre und älter sind, deutlich zugenommen. Im Vergleich zu 1970 hat sich ihre Zahl im Land annähernd versechsfacht und lag 2014 bei rund 273 400 Personen. Nach den Ergebnissen der Bevölkerungsvorausrechnung wird deren Zahl in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen und könnte sich bis zum Jahr 2060 gegenüber heute sogar nahezu verdreifachen.
Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Entwicklung ist weitgehend unstrittig, dass der bereits hohe Bedarf nach haushaltsnahen Dienstleistungen zukünftig weiter zunehmen wird.10 Demnach wird die Bevölkerungsgruppe größer, die alters- oder pflegebedingt in höherem Maße auf Alltagsentlastungen angewiesen ist.11 Darüber hinaus haben auch freizeitaktive Seniorinnen und Senioren einen Bedarf an haushaltsnahen Dienstleistungen.12
Die Betrachtung der EVS-Ergebnisse 2013 für Baden-Württemberg, differenziert nach der Erwerbssituation, zeigt eine deutlich überdurchschnittliche Nutzung bei den Rentner- und Pensionärshaushalten. Knapp ein Drittel (ca. 31 %) der befragten Haushalte insgesamt hatte eine/n Rentner/in bzw. Pensionär/in als Haushaltsvorstand. Unter den Nutzern von Haushaltshilfen waren die Haushalte mit einer/m Rentner/in bzw. Pensionär/in als Haushaltsvorstand mit nahezu 42 % überdurchschnittlich stark vertreten.
Mehrheit der Älteren bleibt in vertrauter Häuslichkeit
Ältere Menschen wünschen sich in aller Regel, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Um ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben in gewohnter Umgebung zu erhalten, kommt haushaltsnahen Betreuungs- und Unterstützungsleistungen eine große Bedeutung zu. Alter bedeutet jedoch nicht zwangsläufig auch Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit. Die Mehrheit der älteren Bevölkerung ist nicht pflegebedürftig und kann den Alltag selbstständig meistern. Erwartungsgemäß nimmt die Pflegebedürftigkeit aber mit fortschreitendem Alter zu.13 Dies verdeutlichen auch die Ergebnisse der Pflegestatistik 2013. So waren von den 70- bis 75-Jährigen in Baden-Württemberg zum Jahresende 2013 lediglich gut 4 % pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes, bei den über 90-Jährigen hingegen mit gut 61 % der überwiegende Teil.
Laut Pflegestatistik waren 2013 insgesamt 298 769 Personen in Baden-Württemberg pflegebedürftig. Dies waren 7,4 % mehr im Vergleich zur letzten Erhebung im Dezember 2011. Über zwei Drittel (70 %) bzw. 207 924 aller Pflegebedürftigen im Land wurden in der privaten Häuslichkeit versorgt. Die Mehrheit (70 % bzw. 144 593) davon wurde ausschließlich durch Angehörige gepflegt, bei knapp einem Drittel (30 % bzw. 90 845) erfolgte die Pflege zusammen oder vollständig durch einen ambulanten Pflegedienst.14 Demnach lag der Schwerpunkt bei der Versorgung und Unterstützung von Pflegebedürftigen zu Hause und bei der Familie.
Entlastung für pflegende Angehörige
Damit haben haushaltsnahe Dienstleistungen auch für pflegende Angehörige eine hohe Relevanz. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nehmen Hauswirtschafts- und andere Versorgungsleistungen mehr Zeit in Anspruch als die direkt auf Pflege bezogenen Tätigkeiten, sodass die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen für eine erhebliche Entlastung im Alltag der pflegenden Angehörigen sorgt und eine bessere Vereinbarung von Pflege und Beruf ermöglicht.15
Die Verbindung zwischen Pflege und haushaltsnahen Unterstützungsleistungen erhält vor dem Hintergrund des Pflegestärkungsgesetzes I aktuelle Bedeutung. Danach haben Pflegebedürftige seit 1. Januar 2015 die Möglichkeit, neben den existierenden Pflegegeldleistungen für Angehörige monatlich 104 Euro für niederschwellige Betreuungsleistungen zu erhalten, zu denen auch haushaltsnahe Dienstleistungen zählen.16
Den fließenden Übergang zwischen haushaltsnahen und pflegerischen Tätigkeiten zeigt auch eine Erhebung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu haushaltsnahen Dienstleistungen durch Migrantinnen in Familien mit Pflegebedürftigkeit. Dabei ging es um die Leistungsbereiche, die eine Haushaltshilfe in einer Familie übernimmt. Den Kernbereich der Aufgaben bilden haushaltsnahe Dienstleistungen, unter anderem die Zubereitung von Mahlzeiten, die eigentliche Haushaltsführung oder Besorgungen außer Haus.17
Neues Portal »Haushaltsnahe Dienste Baden-Württemberg«
Es wird deutlich, dass aufgrund der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit, der Mehrfachbelastungen vieler Personen im mittleren Alter durch parallele Berufstätigkeit, Versorgung von Kindern und älteren Familienangehörigen und dem wachsenden Anteil älterer Menschen der Bedarf an externer Unterstützung in der häuslichen Versorgung und Betreuung zukünftig steigen wird. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung neue Zugangschancen für den Markt haushaltsnaher Dienstleistungen eröffnet. Die Anzahl an Online-Plattformen für diese Dienstleistungen ist seit Anfang 2014 rasant gewachsen. Diese Entwicklung wird in der Öffentlichkeit stark wahrgenommen und diskutiert.
Um Informationen zum Thema zur Verfügung zu stellen und zur Transparenz und Qualitätsentwicklung in Baden-Württemberg beizutragen, hat die FamilienForschung Baden-Württemberg im Statistischen Landesamt im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg das Online-Portal »Haushaltsnahe Dienste Baden-Württemberg« erstellt. Im Februar 2016 geht das Portal unter www.haushaltsnahedienste-bw.de online (Übersicht). Das Portal bietet vielfältige Informationen für alle, die Entlastung anbieten oder in Anspruch nehmen möchten, wie Hinweise zur Qualitätsentwicklung oder Veröffentlichungen rund um das Thema haushaltsnahe Dienstleistungen. Zudem beinhaltet das Online-Portal eine Datenbank mit Anbieterinnen und Anbietern von Dienstleistungen für Haushalt und Garten sowie Kinder- und Seniorenbetreuung18 in Baden-Württemberg.
Ausblick
Die Aktivitäten in Baden-Württemberg schließen an die bundesweite Diskussion um die Entwicklung und die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen an. Insbesondere Fragen nach wachsenden Bedarfen, Beschäftigungspotenzialen sowie Vernetzung von Anbieter/-innen und Markttransparenz stehen schon seit einigen Jahren im Blickpunkt von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft.
Mit zunehmender Bedeutung des Online-Bereichs für den Markt haushaltsnaher Dienstleistungen steht aktuell die Diskussion um die Förderung der Transparenz der Angebote und die Sicherung von Qualität durch Standards und Qualifizierung im Vordergrund. Denn irreguläre Beschäftigungsverhältnisse im »schwarz-grau« melierten Arbeitsmarkt Privathaushalt sind häufig durch mangelnde soziale Absicherung, ungeregelte Arbeitszeiten und Niedriglöhne gekennzeichnet.19
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, wurde 2013 das Kompetenzzentrum »Professionalisierung und Qualifizierung haushaltsnaher Dienstleistungen« an der Justus-Liebig-Universität Gießen eingerichtet.20 Eine bundesweite Arbeitsgruppe, an der auch die FamilienForschung Baden-Württemberg beteiligt war, erarbeitete zudem Handlungsempfehlungen für Anbieter/-innen haushaltsnaher Dienstleistungen (DIN SPEC 77003 für die Qualitätssicherung von Information, Beratung und Vermittlung im Zusammenhang mit haushaltsnahen Dienstleistungen), die im Juni 2015 publiziert wurden.21 Des Weiteren ist für das 1. Quartal 2016 ein »Informationsportal Haushaltsnahe Dienstleistungen« auf Bundesebene geplant.22