Amtliche Einwohnerzahlen in Baden-Württemberg – weshalb dauert es so lange, bis diese vorliegen?
Der Abschluss der Bevölkerungsstatistiken für das Jahr 2014 hat sich erheblich verzögert. Ursache hierfür waren unter anderem Änderungen des Bevölkerungsstatistikgesetzes1, die aufwändige Neuprogrammierungen erforderlich gemacht haben. Statt im Juli bzw. August eines Jahres – wie sonst meistens der Fall – lagen die amtlichen Einwohnerzahlen mit Stichtag 31. Dezember 2014 erst Ende September 2015 vor.
Aber auch der übliche zeitliche Abstand von etwas mehr als einem halben Jahr2 stößt in der Öffentlichkeit oftmals auf Unverständnis. Aus diesem Grund soll im Folgenden der Ablauf der Bevölkerungsfortschreibung zur Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen skizziert werden, um den komplexen Bearbeitungsprozess zu verdeutlichen.
Die amtlichen Einwohnerzahlen dienen in vielen Bereichen als maßgebliche Bemessungsgrundlagen. So ist die Einwohnerzahl auf Bundesebene unter anderem für die Zahlungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs sowie für die Zahl der Länderstimmen im Bundesrat entscheidend. Auf Bundes- und Landesebene richtet sich die Wahlkreiseinteilung nach den amtlichen Einwohnerzahlen. Nicht zuletzt ist sie für die Schlüsselzuweisungen im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs sowie für die Besoldung der Landräte und der Bürgermeister im Land maßgeblich.3
Methodik zur Ermittlung amtlicher Einwohnerzahlen
Die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes wird in Deutschland bereits seit 1950 durchgeführt, um die Einwohnerzahl und die Zusammensetzung der Bevölkerung sowie ihre Veränderungen festzustellen. Die Bevölkerungsfortschreibung erfolgt hierbei monatlich auf der Basis der letzten Volkszählung bzw. des letzten Zensus und zwar auf Gemeindeebene. Die monatlichen Ergebnisse beinhalten allerdings nur Eckzahlen, also die Bevölkerung insgesamt sowie nach Geschlecht und differenziert nach deutschen und nichtdeutschen Staatsbürgern. Detailliertere Untergliederungen insbesondere nach dem Alter und dem Familienstand liegen jeweils nur als Jahresergebnis zum 31. Dezember bzw. als gerechneter Jahresdurchschnitt vor.
Die amtlichen Einwohnerzahlen werden seit 2011 auf Basis des letzten Zensus ermittelt, indem diese mit den Ergebnissen der Wanderungsstatistik (Zu- und Fortzüge) sowie mit Daten der Statistiken der natürlichen Bevölkerungsbewegung über die Geburten, Sterbefälle, Eheschließungen und Ehelösungen differenziert nach Geschlecht, Alter, Familienstand und Staatsangehörigkeit fortgeschrieben werden. Seit dem Zensus zum Stichtag 9. Mai 2011 fließen zusätzlich Daten über die Begründung und die Aufhebung von Lebenspartnerschaften in die Fortschreibung des Familienstandes ein.4
Die Fortschreibung der Bevölkerung zur Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen bedeutet nun konkret, dass zum Ausgangsbestand (zum Beispiel dem Anfangsbestand eines Jahres) die Geburten und Zuzüge eines Jahres hinzugefügt, die Sterbefälle und Fortzüge hingegen abgezogen werden.
Bei den genannten Statistiken handelt es sich hierbei nicht um Stichproben, sondern jeweils um Vollerhebungen. Das heißt, jede Geburt, jeder Sterbefall und jeder Zu- oder Fortzug (über die Gemeindegrenze) müssen erfasst werden.
Die Erhebungen für die Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung werden von den einzelnen statistischen Ämtern der Länder durchgeführt. Sie erhalten von den auskunftspflichtigen Standesämtern die registrierten Geburten und Sterbefälle überwiegend in elektronischer Form.
Was ist überhaupt ein »Wanderungsfall«?
Auch die Erhebungen zu den Zu- und Fortzügen sind Aufgabe der statistischen Ämter der Länder. Berichtspflichtig hierfür sind die kommunalen Meldebehörden. In Baden-Württemberg sind etwa 95 % der Meldebehörden an ein regionales Rechenzentrum angeschlossen, welches die Wanderungsdaten übermittelt. Die restlichen derzeit rund 5 % der Kommunen im Südwesten liefern die Daten direkt an das Statistische Landesamt Baden-Württemberg. Die Datenübermittlung erfolgt ausschließlich elektronisch.
Die Wanderungsstatistik registriert aufgrund der Meldepflicht die Zu- und Fortzüge der Bevölkerung in Deutschland. Hierbei werden die Wanderungsfälle gezählt, das heißt, eine Person, die in einem Jahr zweimal umzieht, wird zweimal erfasst. Als Wanderungsfall gilt dabei jedes Beziehen einer Wohnung als alleinige oder Hauptwohnung und jeder Auszug aus einer alleinigen oder Hauptwohnung (Wohnungswechsel). Auch die Umwandlung eines Nebenwohnsitzes in einen Hauptwohnsitz, also die Änderung des Wohnungsstatus, wird in der Wanderungsstatistik verbucht. Schließlich: Als Wanderungsfall zählt jeder Umzug in eine andere Gemeinde. Umzüge innerhalb einer Gemeinde werden dementsprechend nicht berücksichtigt.
Wenn innerhalb von Deutschland umgezogen wird, ist nach den melderechtlichen Vorschriften nur eine Anmeldung in der neuen Gemeinde, nicht aber eine Abmeldung in der Wegzugsgemeinde erforderlich. Dagegen besteht bei einem Fortzug in das Ausland eine Pflicht zur Abmeldung mit Angabe des Zielstaates. Die von den Umziehenden auszufüllenden An- bzw. Abmeldescheine werden genutzt, um die Zu- und Fortzüge für die Wanderungsstatistik zu erfassen. Es handelt sich somit – wie auch bei den Statistiken der natürlichen Bevölkerungsbewegung – um eine so genannte Sekundärstatistik.
Rund 1,2 Mill. Vorgänge sind jährlich korrekt zu verbuchen
In Baden-Württemberg gab es in den vergangenen Jahren jeweils etwa 90 000 Geburten, ca. 100 000 Sterbefälle sowie rund 1 Mill. Zu- und Fortzüge über Gemeindegrenzen. Damit sind für die Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen relevante Vorgänge von ca. 1,2 Mill. pro Jahr zu verarbeiten.
Trotz dieser beachtlichen Größenordnung könnte vermutet werden, dass eine schnelle Verarbeitung dieser Daten angesichts der heutigen elektronischen Möglichkeiten kurzfristig möglich ist und die Ergebnisse innerhalb weniger Wochen vorliegen. Aber, wie so oft, klaffen Theorie und Praxis auch in der Statistik erheblich auseinander. In der Praxis ist es leider so, dass nicht alle für die Bevölkerungsfortschreibung zu berücksichtigenden Vorgänge zeitnah, vollzählig und fehlerfrei an die amtliche Statistik geliefert werden.
Vollzähligkeit und Vollständigkeit der gelieferten Daten sind oftmals nicht gegeben …
Zunächst: Wie sehen überhaupt die terminlichen Vorgaben für die Berichtspflichtigen in den Bevölkerungsstatistiken aus? § 2 und § 4 des Bevölkerungsstatistikgesetzes schreiben (lediglich) vor, dass die nach dem Landesrecht für die Führung der Personenstandsregister bzw. die für das Melderecht zuständigen Stellen den statistischen Ämtern der Länder »mindestens monatlich« die Daten für die Bevölkerungsstatistiken übermitteln.
Wenn nun beispielsweise die Lieferung aller Standesämter im Land erfolgt ist und damit Vollzähligkeit gegeben ist, bedeutet das aber noch nicht, dass auch jede dieser Lieferungen vollzählig war. Um dies prüfen zu können, wird von den derzeit 1 139 Standesämtern die »letzte Buchnummer« angefordert, anhand derer die Zahl der Geburten und Sterbefälle in einem Berichtsmonat ermittelt werden kann. Ein Abgleich mit der tatsächlichen Lieferung zeigt dann, dass oftmals noch Geburten und/oder Sterbefälle fehlen. Die dann erforderlichen Rückfragen führen zu zeitlichen Verzögerungen.
Hinzu kommt Folgendes: Insbesondere bei den Angaben zu den Geburten und Sterbefällen ist es von Bedeutung, dass alle Fälle dem jeweiligen Berichtsjahr zugeordnet werden, da nur so wichtige Indikatoren wie die Geburtenrate oder die Lebenserwartung der Bevölkerung exakt berechnet werden können. Um den aufgezeigten Verzögerungen in der Datenlieferung Rechnung zu tragen, werden die Monatslieferungen für Januar und Februar eines Jahres abgewartet und diejenigen – nicht wenigen – Fälle, die das Vorjahr betrafen, in dieses »eingespielt«.
… und die Daten sind auch nicht immer korrekt
Eine vollzählige Lieferung bedeutet aber nicht in jedem Fall auch eine korrekte Datenbereitstellung. Deshalb müssen die gelieferten Daten nicht nur auf Vollständigkeit der anzugebenden Merkmale, sondern auch eingehend auf Plausibilität geprüft werden. Beispielsweise ist bei einer Geburt sicherzustellen, dass der Wohnort der Mutter korrekt ist oder dass eine Geburt nicht doppelt verbucht wird.5 Dieser Abgleich erfolgt überwiegend maschinell, zum Teil muss er aber auch manuell erfolgen.
In der Wanderungsstatistik sind die durchzuführenden Vollständigkeits-, Vollzähligkeits- und Plausibilitätsprüfungen aufgrund der sehr hohen Fallzahlen noch umfangreicher. Hinzu kommt, dass nicht alle Wanderungsfälle bei der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl berücksichtigt werden dürfen. So werden beispielsweise die Anmeldungen einer Nebenwohnung in einer Gemeinde oder die Abmeldungen innerhalb des Bundesgebiets nicht verarbeitet.6 Vorteilhaft ist in der Wanderungsstatistik, dass in Baden-Württemberg Korrekturen der Meldebehörden zu bereits gelieferten Wanderungsfällen weitgehend über ein automatisiertes Berichtigungsverfahren übermittelt werden.
Bundesweiter Datenaustausch erforderlich
Wenn nun sichergestellt ist, dass die Geburten und Sterbefälle sowie die Zu- und Fortzüge aller Standes- und Meldeämter im Land vollzählig, vollständig und korrekt erfasst wurden, können die Statistiken immer noch nicht abgeschlossen werden. Vielmehr ist zuvor noch ein sogenannter Länderaustausch durchzuführen, weil sich die für die Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen erforderlichen Vorgänge auch außerhalb Baden-Württembergs ereignen können. Beispiel: Eine Frau mit Hauptwohnung in Freiburg im Breisgau bringt ihr Kind in München zur Welt; diese Geburt wird dann in München beurkundet und über den Länderaustausch in der Geburtenstatistik der Stadt Freiburg zugerechnet. Denn die regionale Zuordnung der Geburten – wie auch der Sterbefälle – richtet sich nach dem Ort der Hauptwohnung. Damit liegen endgültige Einwohnerzahlen erst dann vor, wenn jedes der statistischen Ämter der Länder in Deutschland den Länderaustausch durchgeführt hat. Erst dann können die Ergebnisse für ein Land an das Statistische Bundesamt, das aus den Länderergebnissen die Ergebnisse für Deutschland zusammenstellt, übermittelt werden.
Die beigefügte Tabelle zeigt, dass Austauschfälle bei weitem keine Einzelfälle darstellen. So waren allein im Zeitraum März bis Mai 2014 bei der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl Baden-Württembergs über 30 000 Fälle – ganz überwiegend aus der Wanderungsstatistik – zu berücksichtigen.
Fazit und Perspektiven
Mit den gemachten Ausführungen soll verdeutlicht werden, dass die Arbeiten zur Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen aufwändig und komplex sind und dass eine schnellere Bereitstellung amtlicher Einwohnerzahlen in der benötigten Qualität nicht allein in den Händen der Statistischen Landesämter liegt. Vielmehr ist dies nicht zuletzt von der Einhaltung der melderechtlichen Vorschriften seitens der Bürger sowie von der Erfüllung der gesetzlichen Lieferpflicht der Standes- und Meldeämter abhängig. Der zeitliche Abstand ist aber auch deshalb relativ groß, weil die amtliche Statistik – angesichts der großen Bedeutung dieser Ergebnisse nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht – enorme Anstrengungen unternimmt, um eine hohe Qualität der Bevölkerungsstatistiken zu gewährleisten.
Künftig könnte aufgrund der sich ändernden Rahmenbedingungen eine zumindest etwas schnellere Bereitstellung der amtlichen Einwohnerzahlen realisierbar sein. Im neuen Bevölkerungsstatistikgesetz wurden hierfür Regelungen geschaffen, die möglicherweise zu einem Rückgang des fehlerbehafteten Datenmaterials und damit zu einem beschleunigten Arbeitsablauf in der Bevölkerungsfortschreibung führen könnten. Zu nennen ist hier insbesondere, dass Meldungen von Wanderungsfällen an die Statistik erst nach Abschluss des Rückmeldeverfahrens zwischen den betroffenen Gemeinden erfolgen.7
Darüber hinaus ist am 1. Mai 2015 auch das neue Bundesmeldegesetz in Kraft getreten, das unter anderem die verpflichtende Nutzung des vorausgefüllten Meldescheins bei der Anmeldung vorschreibt. Der Vorteil des vorausgefüllten Meldescheins liegt darin, dass die bereits bei der Wegzugsmeldebehörde vorhandenen Daten zur Anmeldung genutzt werden können und nicht von der Zuzugsmeldebehörde erneut erhoben werden müssen.8 Das Verfahren trägt dazu bei, die Fehlerhäufigkeit zu verringern.
Abschließend ist noch zu erwähnen, dass sich bundesweit die programmtechnische Aufbereitung der Bevölkerungsfortschreibung im Umbruch befindet. So wird das bisherige Großrechnerverfahren durch ein modernes PC-gestütztes Client-Server-Verfahren abgelöst. Des Weiteren könnten sich Vorteile auch daraus ergeben, dass künftig der Meldeweg sowie das Meldeformat der Berichtspflichtigen bundesweit harmonisiert werden. In welchem Umfang hieraus eine Beschleunigung der Statistikerstellung ohne Qualitätsverluste möglich sein wird, ist derzeit aber noch nicht absehbar.