Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich: Einkommen der privaten Haushalte 1991 bis 2022
Obwohl die Arbeitnehmerverdienste in den neuen Ländern nach der Wiedervereinigung Deutschlands überproportional stark zugenommen haben, besteht bei den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer nach wie vor ein Rückstand gegenüber Westdeutschland. In verschiedenen Beiträgen dieser Schriftenreihe wurde dies beispielhaft in Vergleichen zwischen Baden-Württemberg und Thüringen näher untersucht, und zwar sowohl für die Gesamtwirtschaft als auch für einzelne Wirtschaftsbereiche.1
Die von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verdienten Löhne und Gehälter stellen einen erheblichen Beitrag zu den Gesamteinkommen der privaten Haushalte dar. Wie sieht jedoch die Situation aus, wenn man die anderen Einkommensarten miteinbezieht, etwa die Einkommen aus selbstständiger Arbeit oder aus Vermögen? Wird dadurch die Diskrepanz zwischen West und Ost bzw. Baden-Württemberg und Thüringen noch größer oder verringert sie sich? Und wie wirken sich die Belastungen durch Steuern und Abgaben bzw. die Vergünstigungen durch verschiedene Transferleistungen auf die Haushaltseinkommen in beiden Ländern aus? Diesen Fragen wird im vorliegenden Beitrag für den Zeitraum 1991 bis 2022 anhand von Daten des Arbeitskreises »Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder« nachgegangen.2
Lohn- und Gehaltslücke und Einkommensunterschiede der privaten Haushalte
Bruttolöhne und -gehälter sowie Arbeitnehmerentgelt
In Schaubild 1 ist nochmals die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter in Baden-Württemberg und in Thüringen wiedergegeben. Deutlich zum Ausdruck kommt ein besonders hoher Abstand Thüringens zu Baden-Württemberg in den ersten 3 Jahren nach der Wiedervereinigung – 1991 war die Differenz mit 11 581 Euro je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer (AN) sogar größer als die in Thüringen erzielten Löhne und Gehälter in Höhe von 10 891 Euro je AN, in Baden-Württemberg wurden demnach mit 22 472 Euro je AN mehr als doppelt so hohe Pro-Kopf-Löhne und -Gehälter gezahlt als in Thüringen. In den beiden nachfolgenden Jahren hat sich aufgrund überproportional hoher Steigerungsraten in Thüringen der Abstand um 1 631 und 1 532 Euro je AN erheblich verringert, für 1993 wurde eine deutlich kleinere Lücke in Höhe von 8 418 Euro je AN ermittelt. Sie ist zunächst weiter zurückgegangen und hat sich bis 1997 auf 7 452 Euro je AN vermindert, ist danach aber in der Tendenz eher angestiegen. 2021 mit 8 512 und 2022 mit 8 244 Euro je AN wurde ungefähr der Wert des Jahres 1993 wieder erreicht. Relativ betrachtet, also auf das jeweils höhere Niveau Baden-Württembergs bezogen, hat sich die Lohn- und Gehaltslücke zwischen 1991 und 2022 deutlich von 51,5 % auf 19,5 % verkleinert. Nicht zuletzt aufgrund der starken Verankerung im lohnintensiven Verarbeitenden Gewerbe hat das Lohn- und Gehaltsniveau Baden-Württembergs im gesamten Betrachtungszeitraum den westdeutschen Durchschnitt übertroffen, besonders deutlich ab 2000, wogegen Thüringen stets unter dem Durchschnitt der ostdeutschen Flächenländer geblieben ist, insbesondere in den 1990er-Jahren (Schaubild 1).
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich die hier beschriebenen Bruttolöhne und -gehälter auf den Arbeitsort der dort beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beziehen, insoweit im Terminus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) das Inlandsprinzip zur Anwendung kommt. Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil die nachfolgend analysierten Einkommensgrößen stets zum Wohnort der Einwohnerinnen bzw. Einwohner dargestellt werden, also dem Inländerprinzip der VGR folgen. Eine wichtige Säule der gesamten Erwerbs- und Vermögenseinkommen stellt das Arbeitnehmerentgelt dar. Es umfasst neben den Bruttolöhnen und -gehältern, also den Löhnen und Gehältern vor Abzug der Lohnsteuer und der Sozialbeiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch die tatsächlichen und unterstellten Sozialbeiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.
Das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer wird vom Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen« sowohl nach dem Inlands- als auch nach dem Inländerkonzept veröffentlicht. Abweichungen zwischen den Pro-Kopf-Entgelten beider Konzepte sind für ein Gebiet dann von Belang, wenn ein hoher Saldo an Ein- oder Auspendlern vorliegt und sich die durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelte der Berufseinpendler bzw. -auspendler deutlich vom Durchschnitt der Arbeitnehmerentgelte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unterscheiden, die in diesem Gebiet wohnen und arbeiten. Tatsächlich weist Baden-Württemberg traditionell einen hohen Überschuss an Einpendlern aus anderen Regionen auf – er belief sich 1991 auf 60 600 und 2022 auf sogar 88 700 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Umgekehrt lag bei Thüringen über die Jahre hinweg ein Überschuss an Auspendlern in andere Regionen vor – 1991, also unmittelbar nach der Wende, waren es 57 100 und 2022 immerhin noch 51 800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das sind beachtliche 4,7 % bzw. 5,3 % der jeweils dort wohnhaften Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Gleichzeitig waren die Pro-Kopf-Arbeitnehmerentgelte der Berufseinpendlerinnen und -einpendler in das Hochlohnland Baden-Württemberg im Durchschnitt höher als die in Baden-Württemberg erzielten durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelte, ebenso die Pro-Kopf-Arbeitnehmerentgelte der Berufsauspendlerinnen und -auspendler aus Thüringen verglichen mit den im Freistaat geringeren Verdienstmöglichkeiten. Dementsprechend hat das Arbeitnehmerentgelt der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Arbeitsort (Inlandskonzept) dasjenige am Wohnort (Inländerkonzept) in Baden-Württemberg stets leicht übertroffen, und zwar um bis zu 0,6 %, dagegen in Thüringen durchweg unterboten; besonders hoch waren die Abweichungen 1991 mit 2,2 % und 1992 mit 1,5 %, erst in den letzten 10 Jahren lagen sie unter 1 %.3
Zusammensetzung des Primäreinkommens der privaten Haushalte
Welchen Beitrag leisten die Arbeitnehmerentgelte zum Gesamteinkommen der privaten Haushalte in Baden-Württemberg und in Thüringen? Informationen hierfür finden sich in den Tabellen 1 und 2, wo in den ersten vier Zeilen die Bestandteile des Primäreinkommens der privaten Haushalte4 zusammengestellt sind, das ist die Summe aller Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Vermögen, die den inländischen privaten Haushalten zugeflossen sind.
Tabelle 1 beinhaltet die Daten für Baden-Württemberg im Zeitraum 1991 bis 2022. Demnach haben dort die Arbeitnehmerentgelte in den ersten Jahren mit rund 70 % zum Primäreinkommen der privaten Haushalte beigetragen, danach waren es deutlich mehr: 2020 und 2022 beispielsweise 77 % bzw. 76 %. Der Einkommensbestandteil Nettobetriebsüberschuss/Selbstständigeneinkommen umfasst die Vergütung der unternehmerischen Leistung in Einzelunternehmen und von Selbstständigen sowie das Entgelt für das eingesetzte eigene und fremde Sach- und Geldkapital. Bis Mitte der 1990er-Jahre hat diese Größe rund 14 % des Primäreinkommens der baden-württembergischen Haushalte ausgemacht, danach waren die Anteilswerte in der Tendenz rückläufig und sind 2020 bei 8,9 % bzw. 2022 bei 7,6 % gelandet, spiegelbildlich zum deutlichen Anteilsgewinn der Arbeitnehmerentgelte. Der stets positive Saldo der Vermögenseinkommen hat sich im Betrachtungszeitraum zumeist zwischen 15 % und 16 ½ % bewegt, eine Ausnahme bildete das finanzwirtschaftliche Boomjahr 2010 mit 19,2 %.
Im Vergleich zu Baden-Württemberg haben die Arbeitnehmerentgelte in Thüringen einen vor allem in den Anfangsjahren deutlich höheren Anteil am Primäreinkommen der privaten Haushalte erzielt, was natürlich mit den dort erst langsam in Tritt kommenden, beiden anderen Einkommenskomponenten zusammenhängt. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, erreichten die Arbeitnehmerentgelte 1991 eine Quote von 88,3 %, die dann bis 1993 auf 81,3 % zurückging und sich danach zumeist zwischen 80 % und gut 81 % eingependelt hat; nur im finanzwirtschaftlichen Ausnahmejahr 2010 waren es mit 77,7 % merklich weniger. Spiegelbildlich hat der Überschuss aus Vermögenseinkommen 1991 mit 6,5 % den geringsten Beitrag geleistet und 2010 mit 13 % den höchsten, in den meisten anderen Jahren waren es meist 9 % bis 11 %, 2022 dann 11,7 %. Allein schon wegen des in den neuen Ländern verzögerten Vermögensaufbaus blieben die Quoten in Thüringen in allen Jahren hinter denjenigen in Baden-Württemberg zurück, wenngleich sich der Abstand von 9,5 Prozentpunkten im Jahr 1991 auf 4,6 Prozentpunkte im Jahr 2022 mehr als halbiert hat. Deutlich rascher ist die Ost-West-Angleichung beim Nettobetriebsüberschuss und Selbstständigeneinkommen erfolgt: 1991 war die Diskrepanz mit einem Anteil von 5,2 % am Primäreinkommen in Thüringen verglichen mit 14,2 % in Baden-Württemberg noch sehr groß. Ab 1992 mit Anteilswerten in Thüringen von 7,3 % bzw. 1993 von 8,3 %, 1994 von 9,1 % und 1995 von 9,6 % hat sich der Rückstand gegenüber weiterhin rund 14 % in Baden-Württemberg ziemlich rasch verringert. Nach weiteren Angleichungen in den Folgejahren waren es beispielsweise 2000 nur noch 10,1 % im Vergleich zu 12 % und 2020 nur 8,6 % im Vergleich zu 8,9 %. 2022 wurde für Thüringen mit 8 % erstmals sogar eine höhere Quote als für Baden-Württemberg mit 7,6 % gemessen.
Einkommensbestandteile je Kopf der Bevölkerung
Interessante Einblicke gibt die Darstellung der Einkommenskomponenten je Kopf der Bevölkerung. Sie erlaubt auch Untersuchungen im Zeitverlauf, was bei Absolutbeträgen wegen der stark abweichenden Bevölkerungsentwicklung beider Länder nur eingeschränkt Sinn macht. Dabei ist grundsätzlich zu beachten: Ein Bezug einzelner Einkommensarten auf die Anzahl der Einwohnerinnen und Einwohner bedeutet, dass die jeweiligen Einkommen nicht auf die Gruppe der relevanten Einkommensbezieher bezogen wird, sondern auf die gesamte Bevölkerung, also unter Einschluss der nicht betroffenen Menschen – so beim Arbeitnehmerentgelt aller nicht erwerbstätigen Personen und nicht abhängig Beschäftigten oder bei den Empfängern von Sozialleistungen aller nicht berechtigten Menschen. Aus diesem Grund sind beispielsweise Nettobetriebsüberschuss und Selbstständigeneinkommen je Einwohnerin bzw. Einwohner erheblich niedriger als das Arbeitnehmerentgelt je Einwohnerin bzw. Einwohner, obwohl die Einkommensart Nettobetriebsüberschuss und Selbstständigeneinkommen je begünstigtem Personenkreis in einzelnen Jahren durchaus höher sein dürfte als das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer (Tabellen 1 und 2).
Das Arbeitnehmerentgelt je Einwohnerin bzw. Einwohner unterscheidet sich von den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer zum einen durch die zusätzlich einbezogenen Sozialbeiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, zum anderen durch die mit der Gesamtbevölkerung umfangreichere Bezugszahl. Beide Aspekte bewirken eine Ausweitung des Abstands von Baden-Württemberg zu Thüringen, weil die Sozialbeiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in Baden-Württemberg stärker durchschlagen und der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen an der Bevölkerung demografie- und arbeitsmarktbedingt in Thüringen nach 1991 stets höher ausgefallen ist. Abgesehen vom Ausnahmejahr 1991 ist bei der Gegenüberstellung von Baden-Württemberg und Thüringen der prozentuale Abstand beim Arbeitnehmerentgelt je Kopf der Bevölkerung tatsächlich immer umfangreicher gewesen als bei der Lohn- und Gehaltslücke auf Basis der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: 1992 waren es beispielsweise 49,2 % gegenüber 41,6 %, 2000 dann 33,5 % im Vergleich zu 28,1 % und 2022 schließlich 27,3 % verglichen mit 19,5 %. Wie aus diesen Zahlen weiter hervorgeht, haben sich die beiden Verhältniszahlen im Zeitablauf weiter auseinanderentwickelt. Aber, und das ist ebenso wichtig, beide Indikatoren haben ein ähnliches Verlaufsbild.
1991 war das Arbeitnehmerentgelt in Baden-Württemberg mit 12 663 Euro je Einwohnerin bzw. Einwohner (EW) mehr als doppelt so hoch wie in Thüringen mit 6 167 Euro je EW (Tabellen 1 und 2, dritter Block), der Abstand betrug 6 496 Euro je EW. Bis 2000 ist der Unterschied auf gut 5 212 Euro je EW zurückgegangen – 15 549 Euro je EW standen 10 337 Euro je EW gegenüber. 2022 waren es dann 26 513 Euro je EW in Baden-Württemberg und 19 277 Euro je EW in Thüringen, die absolute Lücke ist wieder auf stattliche 7 236 Euro je EW angestiegen. Der Rückstand von Thüringen zu Baden-Württemberg hat sich also beim Arbeitnehmergelt je Kopf der Bevölkerung zwischen 1991 und 2022 absolut betrachtet vergrößert, obwohl in diesem Zeitraum die Zuwachsraten in Thüringen mit +212,6 % fast doppelt so hoch ausgefallen sind wie in Baden-Württemberg mit +109,4 %. Allerdings hat sich auch bei diesem Indikator die relative Lücke bei Bezug auf die baden-württembergischen Werte deutlich verringert: Nach 51,3 % im Jahr 1991 waren es 2000 nur noch 33,5 % und 2022 schließlich 27,3 %.
Deutlich dramatischer ist die Entwicklung der Pro-Kopf-Zahlen bei den beiden anderen Einkommenskomponenten verlaufen: Bei Nettobetriebsüberschuss und Selbstständigeneinkommen hat Baden-Württemberg 1991 mit 2 571 Euro je EW einen siebenmal so hohen Wert wie Thüringen mit 366 Euro je EW erreicht bzw. um 2 205 Euro je EW übertroffen. Bis 2000 hat sich der Abstand bei 2 549 gegenüber 1 294 Euro je EW auf 1 255 Euro je EW reduziert, und 2022 betrug die absolute Lücke bei 2 649 gegenüber 1 924 Euro je EW sogar nur noch 725 Euro je EW. Entsprechend rasant hat sich die relative Lücke von 85,8 % (1991) über 49,2 % (2000) auf 27,4 % (2022) vermindert; sie war damit 2022 genauso groß wie beim Arbeitnehmerentgelt je Einwohnerin bzw. Einwohner. Beim Überschuss der Vermögenseinkommen war die Situation 1991 verblüffend ähnlich wie bei Nettobetriebsüberschuss/Selbstständigeneinkommen: Der Betrag hat 1991 in Baden-Württemberg mit 2 900 Euro je EW den knapp 6 ½-fachen Wert von Thüringen in Höhe von 453 Euro je EW erreicht, die absolute Lücke betrug demnach 2 447 Euro je EW, die relative 84,4 %. Danach hat sich jedoch keine wirkliche Entspannung eingestellt: Zwar ist der Abstand bis 2000 leicht auf 2 312 Euro je EW (bei 3 485 gegenüber 1 173 Euro je EW) zurückgegangen, 2022 lag er aber mit 2 876 Euro je EW (5 681 gegenüber 2 805 Euro je EW) sogar über dem Niveau von 1991. Die relative Lücke blieb deshalb nach den genannten 84,4 % im Jahr 1991 auch 2000 mit 66,3 % und 2022 mit 50,6 % noch sehr hoch. Dabei hat sich das Vermögenseinkommen je Kopf der Bevölkerung zwischen 1991 und 2022 in Thüringen mehr als versechsfacht (+519 %), in Baden-Württemberg gerade mal knapp verdoppelt (+95,9 %). Bei der Einkommensart Nettobetriebsüberschuss/Selbstständigeneinkommen ist die Steigerung in Thüringen mit +426 % etwas bescheidener ausgefallen, allerdings konnte Baden-Württemberg mit +3 % keine namhafte Verbesserung verbuchen.
Festzuhalten bleibt: Trotz erheblich stärkerer Zunahmen nach 1991 in Thüringen bleibt der Freistaat beim Nettobetriebsüberschuss und Selbstständigeneinkommen sowie beim Überschuss der Vermögenseinkommen je Kopf der Bevölkerung weiter deutlich hinter Baden-Württemberg zurück.
Arbeitnehmerentgelt und Primäreinkommen der privaten Haushalte je Kopf der Bevölkerung
Um damit auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Unter Einbeziehung des Nettobetriebsüberschusses und der Selbstständigeneinkommen sowie des Saldos der Vermögenseinkommen, also bei Bezugnahme auf das Primäreinkommen, wird die Diskrepanz zwischen Baden-Württemberg und Thüringen noch größer als bei Betrachtung des Arbeitnehmerentgelts (bzw. der Bruttolöhne und -gehälter, wie in Schaubild 1 wiedergegeben), aber sie nimmt im Zeitablauf ab. Dies wird aus zwei Vergleichsrechnungen deutlich:
Bezogen auf die jeweilige Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner hat 1991 in Baden-Württemberg das Primäreinkommen der privaten Haushalte mit 18 134 Euro je EW das Arbeitnehmerentgelt (Wohnortkonzept) in Höhe von 12 663 Euro je EW um 43,2 % übertroffen, in Thüringen waren es 6 985 Euro je EW gegenüber 6 167 Euro je EW und damit nur 13,3 % mehr. Bis 2022 hat jedoch eine beachtliche Annäherung dieser Relationen stattgefunden: In Baden-Württemberg hat das Primäreinkommen (34 844 Euro je EW) das Arbeitnehmerentgelt (26 513 Euro je EW) nur noch um 31,4 % überragt, das sind 11,8 Prozentpunkte weniger als 1991. In Thüringen hat sich dagegen der Abstand zwischen Primäreinkommen (24 006 Euro je EW) und Arbeitnehmerentgelt (19 277 Euro je EW) auf 24,5 % und damit um 11,2 Prozentpunkte gegenüber 1991 vergrößert. Je Kopf der Bevölkerung bestehen also nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen Arbeitnehmerentgelt und Primäreinkommen in beiden Ländern, sie haben sich aber in den 32 Jahren merklich angeglichen.
Oder aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: 1991 hat Baden-Württemberg beim Arbeitnehmerentgelt je Einwohnerin bzw. Einwohner Thüringen um 105,3 % übertroffen (12 663 gegenüber 6 167 Euro je EW), beim Primäreinkommen je Einwohnerin bzw. Einwohner mit 159,6 % (18 134 gegenüber 6 985 Euro je EW) jedoch erheblich stärker, das ist ein Unterschied von 54,2 Prozentpunkten. 2022 betrug der Abstand beim Arbeitnehmerentgelt je EW 37,5 % (26 513 im Vergleich zu 19 277 Euro je EW) und beim Primäreinkommen je EW 45,1 % (34 844 im Vergleich zu 24 006 Euro je EW), er hat sich also auf 7,4 Prozentpunkte spürbar verringert.
Primäreinkommen der privaten Haushalte
Entwicklungslinien
Trotz des beachtlichen Aufholprozesses Thüringens bei den Unternehmer-, Gewinn- und Vermögenseinkommen bleibt also beim Primäreinkommen der privaten Haushalte auch aktuell noch eine beachtliche Lücke zu Baden-Württemberg. Dies wird zunächst durch Schaubild 2 verdeutlicht, in dem die Entwicklung des Primäreinkommens der privaten Haushalte je Einwohnerin bzw. Einwohner in Baden-Württemberg und in Thüringen von 1991 bis 2022 dargestellt ist. Die Lücke war in den ersten Jahren besonders hoch, hat sich aber zwischen 1991 und 1996 von Jahr zu Jahr verringert. Im Anschluss hat jedoch wieder eine ziemlich kontinuierliche Vergrößerung des Abstands eingesetzt mit der Folge, dass in den Jahren ab 2014 der Rückstand Thüringens zu Baden-Württemberg wieder so groß war wie 1991 oder 1992. Im gesamten Betrachtungszeitraum lagen – wenig überraschend – die Pro-Kopf-Werte in Baden-Württemberg über und in Thüringen unter dem Bundesdurchschnitt. Außerdem hat Baden-Württemberg das westdeutsche Niveau (ohne Berlin) stets deutlich übertroffen, und zwar zwischen 821 Euro je EW im Jahr 1995 und 2 573 Euro je EW im Jahr 2018. Dagegen hat Thüringen den Durchschnitt der ostdeutschen Flächenländer in den meisten Jahren verfehlt, am ausgeprägtesten 2020 um 599 Euro je EW; lediglich zwischen 1999 und 2008 konnte Thüringen auf ein insoweit höheres Primäreinkommen zurückblicken, 2006 waren es immerhin 124 Euro je EW mehr.
Tabelle 3 untermauert diesen ersten Befund mit konkreten Zahlen für den Zeitraum 1991 bis 2022, dabei für die besonders ereignisreichen ersten 5 Jahre und die aktuellen 3 Jahre in jährlicher Darstellung. Zwischen 1991 und 2022 ist das Primäreinkommen der privaten Haushalte in Baden-Württemberg von 18 134 auf 34 844 Euro je EW angestiegen und hat sich damit knapp verdoppelt (+92,2 %). In Thüringen hat sich das Einkommensniveau von 6 985 auf 24 006 Euro je EW erhöht, also auf einen fast dreieinhalbmal so hohen Wert (+243,7 %). Besonders ausgeprägt waren die Entwicklungsunterschiede in den ersten Jahren: Jeweils gegenüber dem Vorjahr wurden für Baden-Württemberg folgende Veränderungsraten errechnet: 1992 +6,5 %, 1993 –1,5 %, 1994 +1,6 % und 1995 +2 %. Dem standen in Thüringen überwiegend zweistellige Zuwachsraten gegenüber: 1992 +18,8 %, 1993 +12,3, %, 1994 +11,3 % und 1995 +5,8 %. Diese Unterschiede haben sich zunächst fortgesetzt, wenngleich in abgeschwächter Form. Für den Zeitraum 1991 bis 2000 hat sich dadurch in Thüringen mit +83,3 % eine fast viereinhalbmal so hohe Steigerung ergeben wie für Baden-Württemberg mit +19,3 %. Von 2000 bis 2022 war der Anstieg in Thüringen mit +87,5 % zwar immer noch stärker als in Baden-Württemberg mit +61,1 %, die Wachstumsunterschiede sind jedoch erheblich geschrumpft. Insbesondere zwischen 2010 und 2014 gab es sogar einige Jahre mit höheren Veränderungsraten in Baden-Württemberg.
Die insoweit differenzierten Entwicklungslinien spiegeln sich auch im Indikator »Deutschland = 100« wider: Für Baden-Württemberg ist er von 121,5 % im Jahr 1991 kontinuierlich auf 112 % im Jahr 1995 gefallen und anschließend wieder bis auf 116,9 % im Jahr 2007 angestiegen. In den Folgejahren hat er sich zunächst zwischen 113 % und 116 ½ % bewegt, um dann bis 2022 auf den tiefsten Wert von 110,7 % zurückzugehen. Im Falle von Thüringen hat sich dieser Indikator nahezu ungebremst nach oben orientiert, besonders kräftig natürlich in den Jahren 1991 (46,8 %) bis 1995 (63,5 %). Im aktuellen Jahr 2022 wurde mit 76,3 % der höchste Wert erreicht, gleichwohl beträgt der Abstand zu Baden-Württemberg immer noch beachtliche 34,4 Prozentpunkte.
Einkommenslücke
Wie ausgeführt haben die privaten Haushalte 1991 in Baden-Württemberg ein Primäreinkommen in Höhe von 18 134 Euro je EW erzielt, das um 11 149 Euro je EW umfangreicher war als dasjenige der Thüringer Haushalte mit 6 985 Euro je EW. Die 10 000er-Marke wurde auch 1992 noch übersprungen, und zwar mit 18 940 Euro je EW in Baden-Württemberg gegenüber 8 299 Euro je EW in Thüringen und damit einem Abstand von 10 641 Euro je EW. Wie aus Tabelle 3 hervorgeht, hat sich diese Einkommenslücke zunächst weiter verringert, der geringste Abstand wurde 1996 mit 8 282 Euro je EW erreicht. In den Folgejahren hat sich der Vorsprung Baden-Württembergs jedoch langsam, aber stetig vergrößert, ab 2012 hat er die 10 000er-Grenze wieder überschritten, 2017 und 2018 mit 11 222 bzw. 11 218 Euro je EW sogar den Wert von 1991 übertroffen. 2022 belief sich die Einkommenslücke zwischen beiden Ländern auf 10 838 Euro je EW und damit mehr als 1992.
Relativ betrachtet, in diesem Fall bezogen auf das Primäreinkommen Baden-Württembergs, hat sich eine nahezu ungebrochene Verringerung der Einkommenslücke ergeben. Die so definierte relative Einkommenslücke belief sich 1991 noch auf über drei Fünftel (61,5 %) und hat in den 4 Folgejahren rasant um jährlich rund 5 Prozentpunkte abgenommen, so 1992 auf 56,2 %, 1993 auf 50,1 % und 1994 auf 45,3 %. Danach hat sich die Verringerung fortgesetzt, allerdings in deutlich gemäßigterem Tempo. Ab 2019 hat die relative Einkommenslücke nur noch rund ein Drittel oder weniger betragen, 2022 waren es 31,1 % (Tabelle 3). Aber auch dies ist noch ein beachtlicher Abstand. Wie hoch der Nachholbedarf Thüringens bzw. Ostdeutschlands ist, lässt sich aus folgender Gegenüberstellung erkennen: Das in Baden-Württemberg 1991 erzielte Primäreinkommen der privaten Haushalte (18 134 Euro je EW) wurde in Thüringen erst 2013 (18 163 Euro je EW) erreicht, und das für Thüringen 2022 mit 24 006 Euro je EW ermittelte Primäreinkommensniveau entspricht ungefähr dem in Baden-Württemberg für 2006 errechneten Wert in Höhe von 24 278 Euro je EW.
Wie sehr und nachhaltig sich die in Baden-Württemberg gewichtigeren Unternehmer-, Gewinn- und Vermögenseinkommen auswirken, wird durch Vergleiche zwischen den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer (Schaubild 1) und dem Primäreinkommen je Einwohnerin bzw. Einwohner (Schaubild 2) unterstrichen. Danach war die relative Lohn- und Gehaltslücke zwischen Baden-Württemberg und Thüringen bereits 1991 mit 51,5 % geringer als der relative Einkommensabstand mit 61,5 % (Tabelle 3), und auch die Abstandsverringerung bis 2022 ging bei den Bruttolöhnen und Gehältern (Rückgang auf 19,5 % und damit um 32 Prozentpunkte) schneller vonstatten als bei den Primäreinkommen (Rückgang auf 31,1 % bzw. um 30,4 Prozentpunkte). Und während die in Baden-Württemberg 1991 bezahlten Pro-Kopf-Löhne und -Gehälter in Höhe von 22 472 Euro je AN bereits 2009 auch in Thüringen mit 22 404 Euro je AN erreicht wurden, dauerte der Aufholprozess bei den Primäreinkommen je Einwohnerin bzw. Einwohner wie ausgeführt bis 2013.
Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte
Übergang vom Primäreinkommen der privaten Haushalte
Aus Sicht der betroffenen Menschen besonders interessant ist die Frage, wie die Unterschiede bei den Einkommen aussehen, die ihnen letztlich zur Verfügung stehen und damit für Konsum- bzw. Sparzwecke verwendet werden können. In der Definition der VGR ist dies das Verfügbare Einkommen nach dem Ausgabenkonzept. Es errechnet sich aus dem Primäreinkommen durch Hinzufügen der monetären Sozialleistungen und sonstigen laufenden Transfers, die von den privaten Haushalten überwiegend seitens des Staates empfangen werden, sowie durch Abzug der Einkommen- und Vermögensteuern, der Sozialbeiträge und der sonstigen laufenden Transfers, die von den privaten Haushalten zu leisten sind. In Tabelle 1 ist der Übergang vom Primäreinkommen zum Verfügbaren Einkommen für die privaten Haushalte in Baden-Württemberg, in Tabelle 2 für die privaten Haushalte in Thüringen dargelegt. Mit Blick auf die Bedeutung der einzelnen Komponenten im Vergleich zum jeweiligen Primäreinkommen der privaten Haushalte zeigen sich bei einem Vergleich beider Länder beachtliche Unterschiede (Tabellen 1 und 2, zweiter Block):
Im gesamten Betrachtungszeitraum weisen die Einkommen- und Vermögensteuern in Baden-Württemberg deutlich höhere Anteilswerte auf als in Thüringen. Bei den Einkommensteuern ist dies auf das in Deutschland progressiv angelegte Einkommensteuersystem zurückzuführen, bei dem der Steuersatz mit zunehmendem Einkommen prinzipiell ansteigt. Bei den Vermögensteuern ist die Ursache darin zu sehen, dass in den ostdeutschen Ländern ein namhafter Vermögensaufbau erst nach der Wende und dann auch in erheblich geringerem Umfang als in Westdeutschland stattfinden konnte bzw. – damit zusammenhängend – in Ostdeutschland nach wie vor geringere Beträge vererbt und entsprechend weniger versteuert werden. Im Einzelnen erreichten die Einkommen- und Vermögensteuern in den 1990er-Jahren in Baden-Württemberg einen Anteil von 13 ½ % bis 14 % am Primäreinkommen, der danach tendenziell leicht zugenommen hat und 2022 bei 15,3 % lag (Tabelle 1). Für den recht moderaten Anstieg der Steuerquote in diesen 32 Jahren zeichnen diverse steuerentlastende Maßnahmen verantwortlich, der Einbruch 2010 dürfte auf die Einkommensrückgänge in den Finanzkrisenjahren 2008 und 2009 zurückzuzuführen sein. Thüringen ist 1991 mit einem Einkommen- und Vermögensteueranteil von nur 5,9 % gestartet, ganz überwiegend gespeist von der Lohnsteuer auf noch niedrige Bruttolöhne und -gehälter (Tabelle 2). Bereits 1992 betrug der Anteil 9,4 % – eine Quote, die auch in den nachfolgenden Jahren mit einer Bandbreite von knapp 9 % bis gut 10 % zu beobachten war. Erst ab 2021 und 2022 war der Anteil der Einkommen- und Vermögensteuern in Thüringen mit 12,6 % (2020) und 12,7 % (2022) dann merklich höher, aber immer noch unter dem Niveau von Baden-Württemberg mit 14,5 % bzw. 15,3 %.
Ein Bezug auf die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner unterstreicht die Unterschiede im Niveau sowie im Prozess der Angleichung in beiden Ländern: In Baden-Württemberg sind die Einkommen- und Vermögensteuern je Kopf der Bevölkerung von 2 508 Euro je EW im Jahr 1991 über 3 052 Euro je EW im Jahr 2000 auf 5 322 Euro je EW im Jahr 2022 angestiegen, haben sich innerhalb des Betrachtungszeitraums mehr als verdoppelt (+112,2 %). In Thüringen waren es 414 Euro je EW im Jahr 1991, dann 1 168 Euro je EW im Jahr 2000 und 3 054 Euro je EW im Jahr 2022 und damit +637,7 %. Oder bei anderer Betrachtung: 1991 waren die Einkommen- und Vermögensteuern je Einwohnerin bzw. Einwohner in Baden-Württemberg mehr als sechsmal so hoch wie in Thüringen, 2022 betrugen sie nur noch das 1 ¾-Fache.
Quantitativ weit gewichtiger als die Einkommen- und Vermögensteuern sind die Nettosozialbeiträge als zweite Abzugskomponente – das sind im Wesentlichen die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber, der Selbstständigen und der Nichterwerbstätigen in die Systeme der Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung. In Baden-Württemberg belief sich der Anteil der Nettosozialbeiträge am Primäreinkommen der privaten Haushalte Anfang der 1990er-Jahren auf etwa ein Viertel mit steigender Tendenz (1991: 23,1 %; 1994: 25,3 %) und hat in den nachfolgenden Jahren bis auf rund drei Zehntel zugenommen (2020: 30,4 %; 2022: 29,4 %) – Tabelle 1. In Thüringen waren die Anteilswerte vor allem in den ersten Jahren des Betrachtungszeitraums höher, und sie bewegten sich über die Jahre hinweg innerhalb einer recht engen Bandbreite von über drei Zehntel bis gut ein Drittel (Tabelle 2). In Thüringen blieb die Quote der Nettosozialbeiträge im Zeitablauf also ziemlich konstant, in Baden-Württemberg hat sie ab 2000 nur leicht zugenommen. Dies ist letztlich darauf zurückzuführen, dass die Sozialbeiträge keiner Progression unterworfen sind, allenfalls durch Beitragsanpassungen in bestimmten Jahren verändert werden, und außerdem weitgehend durch die Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte bestimmt werden. Betrachtet man den Zeitraum 2000 bis 2022, lässt also die recht turbulenten 1990er-Jahre außer Betracht, zeigt sich tatsächlich eine erstaunliche Parallelität zwischen beiden Größen: In Baden-Württemberg haben die Arbeitnehmerentgelte in der Summe um 84,4 % und die Nettosozialbeiträge um 90,5 % zugenommen, in Thüringen waren es +63,1 % und +56,8 %.
Bei einer Betrachtung je Kopf der Bevölkerung erreichten die Nettosozialbeiträge in Baden-Württemberg in allen Jahren höhere Werte als in Thüringen, gleichwohl ist auch bei dieser Abzugsgröße eine Angleichung im Zeitablauf nicht zu übersehen: In Baden-Württemberg sind die Nettosozialbeiträge je Kopf der Bevölkerung von 4 198 Euro je EW im Jahr 1991 über 5 815 Euro je EW im Jahr 2000 auf 10 243 Euro je EW im Jahr 2022 angestiegen, sind also innerhalb von 32 Jahren um 144 % gewachsen. In Thüringen waren es 2 174 Euro je EW im Jahr 1991, 4 335 Euro im Jahr 2000 und 7 773 Euro je EW im Jahr 2022, das entspricht einer Zunahme um 257,5 %. Damit waren die Nettosozialbeiträge je Einwohnerin bzw. Einwohner 1991 in Baden-Württemberg fast doppelt so groß wie in Thüringen, 2022 nur noch um knapp ein Drittel höher.
Diesen Abzugsposten stehen diverse Zuwendungen gegenüber. Die umfangreichsten, von den privaten Haushalten empfangenen laufenden Transfers sind die monetären Sozialleistungen. Die hierin quantitativ größte Position stellen die Geldleistungen der Sozialversicherung dar, wozu vor allem die Renten, das Arbeitslosengeld und die Geldleistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen gehören; bundesweit repräsentierten sie 2022 über 61 % der gesamten monetären Sozialleistungen. Knapp 15 % trugen die Sozialleistungen der Gebietskörperschaften bei, also beispielsweise Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Kriegsopferfürsorge. Beamtenpensionen, Leistungen der Unterstützungskassen, Beihilfen und Vorruhestandsgeld verbuchten genau 13 % und die Sozialleistungen aus privaten Sicherungssystemen knapp 11 %. Bezogen auf das Primäreinkommen der privaten Haushalte erreichten die monetären Sozialleistungen in Thüringen durchweg erheblich höhere Werte als in Baden-Württemberg, wie eine Gegenüberstellung der Tabellen 1 und 2 zeigt: In den ersten 10 Jahren des Untersuchungszeitraums war die Relation in Thüringen mehr als doppelt so hoch wie in Baden-Württemberg, in den Folgejahren belief sich der Abstand auf mindestens 18 Prozentpunkte. Dies bedeutet denn auch, dass der Beitrag der monetären Sozialleistungen zum Verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in Thüringen erheblich gewichtiger war und ist als in Baden-Württemberg. Betrachtet man das Verhältnis der monetären Sozialleistungen zum Primäreinkommen im Zeitablauf, dann fällt für Baden-Württemberg eine leichte, aber stetige Zunahme ins Auge (Tabelle 1). Besonders stark war der Anstieg in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre von 16,7 % im Jahr 1991 auf 19,9 % im Jahr 1995. In den letzten Jahren betrug die Verhältniszahl mehr als ein Fünftel, 2020 waren es 23,3 % und 2022 immerhin 21,4 %. Demgegenüber tendierte die Relation in Thüringen auf hohem Niveau zuletzt eher nach unten (Tabelle 2): 1992 mit 45,2 % und 1993 mit 45,5 % war die Verhältniszahl besonders hoch, 2022 waren es nur noch 39,7 %.
Interessant ist wiederum eine Gegenüberstellung der empfangenen monetären Sozialleistungen je Kopf der Bevölkerung. Danach ist dieser Indikator nur 1991 in Baden-Württemberg mit 3 030 Euro je EW größer ausgefallen als in Thüringen mit 2 828 Euro je EW, möglicherweise weil den dort Berechtigten noch nicht alle Ansprüche an das Sozialsystem bekannt waren oder umgesetzt werden konnten. Schon 1992 hat sich das Blatt gewendet: 3 262 Euro je EW in Baden-Württemberg standen 3 753 Euro je EW in Thüringen gegenüber. 1993 waren es 3 542 im Vergleich zu 4 242 Euro je EW, 1994 dann 3 704 zu 4 265 Euro je EW und 1995 sogar 3 842 zu 4 533 Euro je EW. Im Jahr 2000 wurde mit 4 245 Euro je EW gegenüber 5 469 Euro je EW eine Differenz in Höhe von 1 224 Euro je EW gemessen. Die Zunahme dieser Pro-Kopf-Größe im Zeitraum 1991 bis 2000 ist dementsprechend in Baden-Württemberg mit +40,1 % erheblich geringer ausgefallen als in Thüringen mit +93,4 %. Danach, nämlich 2000 bis 2022, wurden dagegen mit +75,8 % in Baden-Württemberg und +74,2 % in Thüringen praktisch gleich hohe Zuwächse realisiert. Dennoch ist der absolute Abstand weiter angewachsen: 2022 betrugen die empfangenen monetären Sozialleistungen in Baden-Württemberg 7 464 Euro je EW und in Thüringen 9 527 Euro je EW, das ist ein Abstand in Höhe von 2 063 Euro je EW. Diese Zahlen spiegeln die in Thüringen vielfach schwierigere Demografie-, Wirtschafts- und Einkommenssituation, also beispielsweise den größeren Anteil an älteren bzw. geringeren Anteil an jüngeren und erwerbsfähigen Personen, den Rückstand bei Löhnen und Gehältern sowie anderen Einkommensarten oder die höhere Arbeitslosigkeit. Ein wesentlicher Faktor ist auch die inzwischen erfolgte Angleichung der Renten in Ostdeutschland in Verbindung mit einem dort größeren Anteil an Rentenempfängerinnen und -empfängern.
Dies ist auch eine wesentliche Ursache für Umfang und Entwicklung der in den Tabellen 1 und 2 nachrichtlich ausgewiesenen Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Je Kopf der Bevölkerung waren diese Transfers nur in den ersten 1990er-Jahren in Baden-Württemberg höher als in Thüringen – besonders stark 1992, als Baden-Württemberg mit 1 952 Euro je EW den Freistaat Thüringen mit 1 541 Euro je EW um 411 Euro je EW übertroffen hat. Schon 1995 hat sich die Situation gedreht: 2 358 Euro je EW in Baden-Württemberg standen 2 538 Euro je EW in Thüringen und damit 180 Euro je EW weniger gegenüber. 2000 hat sich der Abstand bei 2 837 Euro je EW in Baden-Württemberg und 3 255 Euro je EW in Thüringen auf 418 Euro je EW erhöht. Noch größer war der Rückstand 2022 mit 4 664 gegenüber 6 341 Euro je EW und damit stattlichen 1 677 Euro je EW. Bemerkenswerterweise ist die Relation Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu Primäreinkommen in allen Jahren in Thüringen ungefähr doppelt so hoch ausgefallen wie in Baden-Württemberg.
Weit weniger zu Buche schlägt in beiden Ländern der Saldo der sonstigen laufenden Transfers, wo hauptsächlich gezahlte und empfangene Nichtlebensversicherungsleistungen abgebildet sind. Wie die Tabellen 1 und 2 zeigen, haben die entsprechenden Beträge im Verhältnis zum Primäreinkommen der privaten Haushalte erst in den letzten Jahren überhaupt mehr als 1 % betragen. In Baden-Württemberg haben in den 1990er-Jahren die geleisteten die empfangenen Transfers sogar überboten.
Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte
Gegenüberstellung zum Primäreinkommen der privaten Haushalte
Umfang und Entwicklung der Abzugsposten Einkommen- und Vermögensteuern sowie Nettosozialbeiträge einerseits und der empfangenen Transfers wie vor allem monetäre Sozialleistungen andererseits bewirken, dass Thüringen im Vergleich zu Baden-Württemberg beim Verfügbaren Einkommen erheblich besser dasteht als beim Primäreinkommen der privaten Haushalte. Während wie ausgeführt beim Primäreinkommen die Lücke zwischen beiden Ländern von 1991 bis 1996 zunächst deutlich von 11 149 auf 8 282 Euro je EW zurückgegangen ist, aufgrund anschließender Abstandsvergrößerungen bis 2022 mit 10 838 Euro je EW aber letztlich nicht geschlossen werden konnte (Tabelle 3, Schaubild 2), stellt sich die Situation beim Verfügbaren Einkommen ganz anders dar (Tabelle 4, Schaubild 3). Zwar ist auch bei diesem Einkommensindikator die Verringerung der Lücke zwischen 1991 bis 2000 von 7 175 auf 4 156 Euro je EW zunächst gestoppt worden, die anschließende tendenzielle Ausweitung fiel jedoch deutlich bescheidener aus. Nach dem zwischenzeitlichen Höhepunkt im Jahr 2014 mit 5 337 Euro je EW ging der Rückstand Thüringens bis 2022 auf den bis dahin niedrigsten Wert von 4 042 Euro je EW zurück. Gleichwohl hat das Land Baden-Württemberg den Freistaat Thüringen beim Verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte im gesamten Betrachtungszeitraum hinter sich gelassen. Dementsprechend blieb Baden-Württemberg in allen Jahren über und Thüringen unter dem Bundesdurchschnitt dieser Pro-Kopf-Einkommen. Schließlich hat Baden-Württemberg auch beim Verfügbaren Einkommen den Durchschnitt Westdeutschlands (ohne Berlin) in allen Jahren deutlich übertroffen, und zwar in einer Bandbreite zwischen 312 Euro je EW (1995) und 1 541 Euro je EW (2017); dagegen hat Thüringen das Niveau der ostdeutschen Flächenländer ab 1992 stets leicht verfehlt, besonders ausgeprägt 2020 mit 433 Euro je EW.
Aus diesen Gegenüberstellungen wird deutlich, dass beim Übergang vom Primär- zum Verfügbaren Einkommen keine Umkehr der Einkommensverhältnisse zwischen beiden Ländern stattgefunden hat. Allerdings haben die genannten Unterschiede bei den Abzügen von Steuern und Beiträgen bzw. bei den empfangenen Sozialtransfers erhebliche Umverteilungswirkungen entfaltet: In Baden-Württemberg ist das Verfügbare Einkommen im gesamten Betrachtungszeitraum deutlich niedriger ausgefallen als das Primäreinkommen, der entsprechende Anteil verharrte über die Jahre hinweg stets bei etwa vier Fünftel (Tabelle 1, zweiter Block). Dagegen ist in Thüringen das Verfügbare Einkommen in diesen Jahren ungefähr auf dem Niveau des Primäreinkommens verblieben, die entsprechende Relation war allerdings tendenziell leicht rückläufig mit 103 ¼ % bis 104 ½ % in den Jahren 1991 bis 1993, rund 100 % im Zeitraum 1994 bis 2000 und danach etwas niedrigeren Werten mit zuletzt knapp 97 % im Jahr 2022 (Tabelle 2, zweiter Block).
Entwicklungslinien
Nach den in Tabelle 4 zusammengestellten Daten ist das Verfügbare Einkommen der privaten Haushalte zwischen 1991 und 2022 in Baden-Württemberg von 14 432 auf 27 271 Euro je EW angestiegen, hat sich damit knapp verdoppelt; konkret waren es +89 % und damit fast gleich viel wie beim Primäreinkommen mit +92,2 %. In Thüringen hat sich das Verfügbare Einkommen von 7 257 auf 23 229 Euro je EW erhöht und damit mehr als verdreifacht, gleichwohl blieb der entsprechende Zuwachs von exakt +220,1 % hinter der Ausweitung des Primäreinkommens um 243,4 % zurück. Und wie beim Primäreinkommen waren auch beim Verfügbaren Einkommen die Wachstumsunterschiede beider Länder in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre besonders ausgeprägt. Jeweils gegenüber dem Vorjahr hat Baden-Württemberg folgende Zuwachsraten ausgewiesen: 1992 +4,3 %, 1993 +0,3 %, 1994 +1,1 %, 1995 +1,1 % und 1996 +2 %. Dem standen in Thüringen in jedem Jahr erheblich höhere Steigerungen gegenüber: 1992 +18,2 %, 1993 +13,2 %, 1994 +6,9 %, 1995 +4,9 % und 1996 +4 %. Der Wachstumsvorsprung Thüringens hat in den Folgejahren weitgehend angehalten, allerdings in merklich verringertem Ausmaß. Immerhin war im Zeitraum 1991 bis 2000 die Ausweitung des Verfügbaren Einkommens in Thüringen mit +77,1 % fast viereinhalbmal so groß wie in Baden-Württemberg mit +17,8 % – die Parallele zum Wachstum des Primareinkommens mit +83,3 % in Thüringen gegenüber +19,3 % in Baden-Württemberg ist unverkennbar. Gleiches gilt für die Jahre 2000 bis 2022, in denen das Verfügbare Einkommen in Thüringen um 80,8 % und in Baden-Württemberg um 60,3 % angestiegen ist – beim Primäreinkommen waren es +87,5 % gegenüber +61,1 %. Der Wachstumsvorsprung Thüringens ist also nach 2000 deutlich zurückgegangen. Und wiederum parallel zum Primäreinkommen wurden auch beim Verfügbaren Einkommen zwischen 2010 und 2014 in Baden-Württemberg teilweise höhere Steigerungsraten realisiert als in Thüringen.
Infolge der genannten Wachstumsunterschiede hat Thüringen gegenüber dem bundesdurchschnittlichen Verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen vor allem in den ersten 20 Jahren kräftig aufgeholt: Beim Indikator »Deutschland = 100« wurden 1991 noch 57,8 %, aber 2000 schon 81,9 % gemessen, und bis 2022 hat ein weiterer Anstieg auf 89,5 % stattgefunden. Letztlich bedingt durch den Aufholprozess der ostdeutschen Länder hat sich in Baden-Württemberg – wie in allen westdeutschen Flächenländern – ein ziemlich kontinuierlicher Rückgang von 114,8 % auf 105,6 % eingestellt (Tabelle 4).
Einkommenslücke
Bei der Beschreibung von Schaubild 3 wurde bereits auf den Abstand Baden-Württembergs zu Thüringen beim Verfügbaren Einkommen eingegangen. Wie ausgeführt konnten die privaten Haushalte 1991 in Baden-Württemberg mit 14 432 Euro je EW über ein fast doppelt so hohes Einkommen verfügen wie diejenigen in Thüringen mit 7 257 Euro je EW, die Lücke betrug 1991 konkret 7 175 Euro je EW. Sie ist in den anschließenden Jahren bis 1996 mit 4 382 Euro je EW rasch kleiner geworden und hat 2000 nur noch 4 156 Euro je EW betragen. Anschließend hat sich allerdings eine fast kontinuierliche Vergrößerung bis auf 5 337 Euro je EW im Jahr 2014 eingestellt, mit der das Niveau des Jahres 1993 (5 364 Euro je EW) fast wieder erreicht wurde. Genauso bemerkenswert ist der nachfolgende Rückgang bis auf 4 042 Euro je EW im aktuellen Jahr 2022. Diese Daten sind in Tabelle 4 wiedergegeben, außerdem noch die Entwicklung der relativen Lücke mit Bezug auf das Verfügbare Pro-Kopf-Einkommen Baden-Württembergs. Sie hat im Beobachtungszeitraum nahezu ungebremst abgenommen, sich zwischen 1991 mit 49,7 % und 2000 mit 24,4 % halbiert und 2022 mit 14,8 % nur noch knapp drei Zehntel des Wertes im Ausgangsjahr betragen. Die Verringerung der relativen Einkommenslücke beim Verfügbaren Einkommen war damit noch spektakulärer als beim Primäreinkommen, wo zwischen 1991 und 2022 eine Halbierung von 61,5 % auf 31,1 % stattgefunden hat (Tabelle 3).
Obwohl also Thüringen auch beim Verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen nach wie vor hinter Baden-Württemberg zurückgeblieben ist, kann von einem beeindruckenden Aufholprozess gesprochen werden. Dies wird durch zwei Vergleichsrechnungen deutlich: Während das in Baden-Württemberg 1991 von den privaten Haushalten verdiente Primäreinkommen in Thüringen erst 2013 erreicht wurde, konnten die Thüringer Haushalte beim Verfügbaren Einkommen deutlich früher Vollzug melden: Das in Baden-Württemberg 1991 zur Verfügung stehende Einkommen in Höhe von 14 432 Euro je EW wurde in Thüringen bereits 2005 mit 14 340 Euro je EW in gleicher Höhe erzielt. Und das 2022 für Thüringen mit 23 229 Euro je EW ermittelte Verfügbare Einkommen entspricht demjenigen von Baden-Württemberg im Jahr 2015 mit 23 206 Euro je EW, das ist ein Abstand von 7 Jahren. Beim Primäreinkommen hat der Aufholprozess 16 Jahre gedauert, denn Thüringen konnte mit seinem 2022 verdienten Primäreinkommen gerade einmal mit dem in Baden-Württemberg schon 2006 erreichten Niveau gleichziehen.
Einkommenslücken: Zusammenfassung
Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eine Kernaufgabe im wiedervereinigten Deutschland. Ein wesentlicher Baustein ist die Verringerung des Rückstands der neuen Länder bei den Einkommen. Im Rahmen der Reihe »Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich« wurden hierzu verschiedene Einkommensarten untersucht. Die Ergebnisse werden nachfolgend für 3 Eckjahre zusammengefasst, und zwar für 1991 als erstes Jahr im vereinten Deutschland, für 2000 als Jahr mit weitgehendem Abschluss des ersten großen Aufholprozesses und für 2022 als Jahr mit den neuesten verfügbaren Daten.
Im Zusammenhang mit der Arbeitssituation ist die je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer am Arbeitsort gezahlte Bruttolohn- und -gehaltsumme die zentrale Größe. Im Verhältnis Thüringens zu Baden-Württemberg betrug die entsprechende Lohn- und Gehaltslücke 1991 stattliche 11 581 Euro je AN oder relativ betrachtet (hier bezogen auf den Wert von Baden-Württemberg) 51,5 %. Bis 2000 hat sich die Lücke auf 7 539 Euro je AN verringert, ist aber anschließend wieder angestiegen und hat 2022 den Betrag von 8 244 Euro je AN erreicht. In Relation zu Baden-Württemberg hat sich ein Rückgang über 28,1 % (2000) auf 19,5 % (2022) eingestellt.
Für die Beurteilung der Einkommenssituation der privaten Haushalte ist der Bezug auf die Wohnortbevölkerung relevant. Die wichtigste Einkommensquelle ist das Arbeitnehmergelt, das neben den Bruttolöhnen und -gehältern auch die Sozialbeiträge der Arbeitgeber umfasst. Bezogen auf die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner belief sich der Abstand Thüringens zu Baden-Württemberg 1991 auf 6 496 Euro je EW, 2000 auf 5 212 Euro je EW und 2022 auf 7 236 Euro je EW; anders als bei der Lohn- und Gehaltslücke je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer hat sich der auf die Bevölkerung bezogene Rückstand beim Arbeitnehmergelt 2022 gegenüber 1991 also ausgeweitet. Dies hängt überwiegend mit der aus Demografie- und Arbeitsmarktgründen in Thüringen ungünstigeren Entwicklung der Relation von erwerbstätigen Personen zur Gesamtbevölkerung zusammen. Entsprechend ist auch der relative Abstand deutlich schwächer zurückgegangen als bei Betrachtung der Bruttolohn- und -gehaltsumme je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer: Von 51,3 % im Jahr 1991 über 33,5 % im Jahr 2000 auf 27,3 % im Jahr 2022.
Nimmt man die Einkommen aus Vermögen und Selbstständigkeit sowie die Nettobetriebsüberschüsse hinzu, betrachtet also das Primäreinkommen als die Summe aller Erwerbs- und Vermögenseinkommen der privaten Haushalte, geht die Schere noch weiter auseinander, weil diese drei Einkommensarten von Anfang an in Thüringen weit weniger gewichtig waren als in Baden-Württemberg. Entsprechend sind bei diesem umfassenderen Indikator die Pro-Kopf-Werte durchweg höher als beim Arbeitnehmerentgelt. In der Entwicklung hat sich ebenfalls zunächst ein Rückgang von 11 149 Euro je EW in 1991 auf 8 825 Euro je EW in 2000 und dann wieder ein Anstieg auf 10 838 Euro je EW in 2022 eingestellt. Besonders hervorzuheben ist die verhältnismäßig schwach ausgeprägte Verringerung der relativen Lücke von 1991 schon stattlichen 61,5 % über 2000 noch 40,8 % auf 2022 schließlich 31,1 %.
Wie sieht die Situation beim Verfügbaren Einkommen aus, also dem Einkommen, das den privaten Haushalten nach Abzug von Einkommen- und Vermögensteuern sowie Sozialbeiträgen einerseits und Bezug von diversen Sozialleistungen andererseits für Konsum- und Sparzwecke zur Verfügung steht? Im Vergleich beider Länder überproportional hohe Abzüge im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg und überproportional hohe Bezüge im deutlich schwächeren Thüringen bewirkten eine erhebliche Einkommensangleichung. Das Ergebnis ist eine von Anfang an schon merklich niedrigere Einkommenslücke von 7 175 Euro je EW im Jahr 1991, die in den Folgejahren – mit gewissen Unterbrechungen – kontinuierlich geschrumpft ist, und zwar über 4 156 Euro je EW im Jahr 2000 auf 4 042 Euro je EW im Jahr 2022. Besonders beeindruckend ist die ungebremste Verringerung der relativen Lücke beim Verfügbaren Einkommen von 49,7 % über 24,4 % auf nur noch 14,8 %. Wie wirksam der im deutschen Sozialsystem angelegte Umverteilungsprozess ausgestaltet ist, lässt sich auch daran erkennen, dass die Relation Verfügbares Einkommen zu Primäreinkommen im gesamten Betrachtungszeitraum in Baden-Württemberg bei rund 80 % lag, in Thüringen jedoch bei etwa 100 % – mit allerdings leicht abnehmender Tendenz. Das heißt mit anderen Worten: Unter dem Strich musste der Thüringer Durchschnittshaushalt durch das Steuer- und Sozialsystem keine Einkommensverluste erleiden, der baden-württembergische Durchschnittshaushalt hat aber ein Fünftel seines Primäreinkommens eingebüßt. Die Hervorhebung des »Durchschnittshaushalts« ist deshalb wichtig, weil bei dieser Gegenüberstellung natürlich keine Aussagen über die Verteilung innerhalb des jeweiligen Landes getroffen werden können.