Integration von Zugewanderten an beruflichen Schulen in Baden-Württemberg
Zahlen und Fakten zum Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen (VABO)
Die beruflichen Schulen in Baden-Württemberg leisten mit dem VABO einen wichtigen Beitrag in der Integration jugendlicher Migrantinnen und Migranten. Über den Erwerb von Deutschkenntnissen und weiterem Wissen zum gesellschaftlichen Zusammenleben wird den Schülerinnen und Schülern der Grundstein für den weiteren Bildungsweg und eine erfolgreiche Integration in den deutschen Arbeitsmarkt gelegt. Das VABO-Angebot stellt dabei eine besondere Herausforderung für die beruflichen Schulen dar, da die Nachfrage starken und unplanbaren Schwankungen unterworfen ist.
In Deutschland sind alle Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren schulpflichtig (siehe i-Punkt »Schulpflicht«). Jugendliche, die ihre allgemeine Schulpflicht erfüllt haben und keine weiterführende allgemeinbildende Schule besuchen, sind berufsschulpflichtig. Dies gilt auch für Jugendliche nichtdeutscher Herkunft und mit geringen Deutschkenntnissen. Das VABO ist in Baden-Württemberg eine mögliche Option ausreichende Deutschkenntnisse zu erlernen. In der Regel betrifft dies Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren. Schülerinnen und Schüler zwischen 18 und 19 Jahren ohne Ausbildungsplatz können dabei auf freiwilliger Basis eine Berufsschule besuchen.1
Das Vorbereitungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen hat im Rahmen der beruflichen Bildung in Baden-Württemberg eine Ausnahmerolle. Entgegen anderer Bildungsgänge schließen Schülerinnen und Schüler in VABO-Klassen nicht mit einem Schulabschluss ab. Mittelpunkt des VABO ist der Erwerb der deutschen Sprache und die Schaffung der Voraussetzungen für den Übergang in das reguläre Berufsbildungssystem. Schülerinnen und Schüler können nach Absolvierung des 1-jährigen VABO in ein Vorbereitungsjahr Arbeit/Beruf (VAB) in Regelform oder in die Ausbildungsvorbereitung (AV) dual wechseln, direkt eine Ausbildung beginnen oder das VABO wiederholen, sollten beispielsweise auch im Anschluss des 1-jährigen Unterrichts noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse vorhanden sein.
Öffentliche Aufmerksamkeit erlangt das VABO immer wieder, wenn die Nachfrage nach diesen Qualifizierungsmaßnahmen kurzfristig stark ansteigt. Dies ist vor allem durch externe Faktoren bedingt, wie kriegerische Auseinandersetzungen, die Menschen zur Flucht nach Deutschland verleiten. So hat der Krieg in der Ukraine zu einem starken Anstieg ukrainischer Jugendlicher in VABO-Klassen geführt. Ereignisse wie diese stellen die Schulen vor große organisatorische Herausforderungen, da externe Faktoren schwer in die Vorausberechnung der Schülerzahlen miteinbezogen werden können, die wiederum als Planungsgrundlage für die Bildungspolitik dienen soll.2
Unterrichtsinhalte
Zentrales Ziel des Unterrichts in VABO-Klassen ist der Erwerb von Deutschkenntnissen. Darüber hinaus werden den Schülerinnen und Schüler über verschiedene Fächer Kompetenzen in einer Vielzahl von Bereichen vermittelt, die eine Teilhabe an der deutschen Gesellschaft ermöglichen und einen späteren Einstieg in eine Berufsausbildung fördern. Der Fokus auf Berufsorientierung ist dabei auch der Hauptunterschied zu den Vorbereitungsklassen (VKL) der allgemeinbildenden Schulen. Neben Sprachkompetenzen in Deutsch werden hierzu Kenntnisse in Fächern wie »Lebensweltbezogene Kompetenz mit Gemeinschaftskunde« oder »Bildungssysteme und Berufsorientierung« erworben. Ebenso steht aber auch Unterricht in Mathematik und Englisch auf dem Lehrplan.3 Schülerinnen und Schüler sollen nach den Zielvorgaben des VABO nach Ende der Ausbildung Deutschkenntnisse mindestens auf der Niveaustufe A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) aufweisen. Die Berufsschulpflicht gilt mit dem Besuch des VABO nicht als erfüllt, vielmehr sollen die Schülerinnen und Schüler dazu befähigt werden, in einen Regelbildungsgang einer beruflichen Schule eintreten zu können.4
Entwicklung der Zahl der Schülerinnen und Schüler
Die Migration nach Deutschland und Baden-Württemberg unterliegt starken Schwankungen, was sich deutlich auch in den Zahlen der Schülerinnen und Schüler in VABO-Klassen widerspiegelt. Die Hauptherkunftsländer von Schutzsuchenden in Baden-Württemberg lassen sich auch in den Nationalitäten der Schülerinnen und Schüler der VABO Klassen wiederfinden.5
Schaubild 1 zeigt die Entwicklung der Schülerzahlen in VABO-Klassen6 über die letzten Jahre. Deutlich zu erkennen ist dabei der Anstieg der Zahlen seit dem Schuljahr 2013/14 von etwas über 500 Personen auf den bisherigen Höchststand im Schuljahr 2016/17 mit knapp über 11.000 Schülerinnen und Schüler. Dieser Anstieg steht in deutlichem Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015. In kurzer Zeit nahm vor allem Deutschland eine große Anzahl an Geflüchteten auf, die zum Großteil über die sogenannte Balkanroute und teilweise über das Mittelmeer kamen. Fluchtursachen waren vor allem die sich stetig verschlechternde humanitäre Situation in den Ländern Syrien, Afghanistan und Irak. Auf die Entwicklung der Schülerzahlen aus diesen drei Ländern und möglichen Ursachen wird in den kommenden Abschnitten noch eingegangen.
Nach dem Höchststand im Schuljahr 2016/17 sanken die Zahlen bis zum Schuljahr 2020/21 auf knapp 3.300 Schülerinnen und Schüler wieder deutlich. Die Einflüsse der Coronapandemie und die damit verbundenen Grenzschließungen und Reisebeschränkungen trugen zu einem Tiefstand der Anzahl der Schülerinnen und Schüler in VABO-Klassen bei. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine im Frühjahr 2022 steigen die Zahlen wieder stark. So wurde zum Schuljahr 2023/24 mit knapp 10.000 Schülerinnen und Schüler der zweithöchste Stand seit Erfassung des Deutschunterrichts für Zugewanderte an beruflichen Schulen gezählt (siehe i-Punkt »Formen des Deutschunterrichts für Zugewanderte an beruflichen Schulen«).
Seit dem Schuljahr 2016/17 wird im Rahmen der Amtlichen Schulstatistik auch die Nationalität der Schülerinnen und Schüler in VABO-Klassen erfasst. Das Schaubild 2 zeigt hier die Verteilung der zehn schülerstärksten Staatsangehörigkeiten seit der Erfassung des entsprechenden Merkmals für drei ausgewählte Schuljahre.
Seit dem Schuljahr 2022/23 stellen Schülerinnen und Schüler mit ukrainischer Staatsangehörigkeit mit Abstand die größte Gruppe in VABO-Klassen der beruflichen Schulen in Baden-Württemberg. Dieser Trend zeigt sich auch in der aktuellsten Verteilung des Schuljahres 2023/24.
Neben der Zunahme an ukrainischen Schülerinnen und Schülern ist auch die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler mit afghanischer Staatsangehörigkeit deutlichen Schwankungen unterlegen. Lag die Zahl im Schuljahr 2016/17 noch bei gut 2.800, waren es im 2020/21 nur noch gut 100 Schüler. Nach Zahlen der aktuellsten Schulstatistik 2023/24, stieg die Anzahl wieder deutlich auf knapp 1.600 Schülerinnen und Schüler. Nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 verschlechterte sich die Situation und Zukunftsperspektive gerade junger Menschen in Afghanistan dramatisch, was als wesentliche Fluchtursache gesehen werden kann.
Wieder gestiegen ist zuletzt auch die Zahl der Schülerinnen und Schüler aus Syrien. Seit den ersten Protesten gegen das Assad-Regime im Rahmen des Arabischen Frühlings im Jahr 2011, befand sich das Land in einem Bürgerkrieg, der erst im Dezember 2024 sein Ende gefunden hat. Mit erstmaliger Erfassung der Staatsangehörigkeit im Schuljahr 2016/17 waren Syrerinnen und Syrer mit knapp 3.000 Schülerinnen und Schülern die größte Fraktion im VABO. Auch hier sank die Zahl bis zum Schuljahr 2020/21 wieder ab, um dann wieder auf zuletzt gut 1.200 Schülerinnen und Schüler 2023/24 anzusteigen. Dabei stellten Syrerinnen und Syrer bis zum Schuljahr 2021/22 die größte Fraktion in VABO-Klassen.
Kontinuierlich zurückgegangen ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler aus dem Irak. Waren hier 2016/17 noch knapp 1.000 Schülerinnen und Schüler in VABO-Klassen in Baden-Württemberg, waren es 2020/21 noch gut 300 und im aktuellsten Schuljahr der Statistik 2023/24 nur noch etwas weniger als 200 Schülerinnen und Schüler. Mit dem erfolgreichen Kampf gegen die Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) und der Rückeroberung der letzten Gebiete des IS Ende 2017, ging auch die Zahl der Irakerinnen und Iraker in VABO-Klassen zurück.
Als einziges EU-Land ist Rumänien in den Darstellungen über alle drei exemplarischen Schuljahre in den Top 10 der Nationalitäten vertreten. Die Schülerzahl bewegt sich hier über die Jahre hinweg meist im niedrigen dreistelligen Bereich. Rumänien gehört dabei zu den traditionell stark vertretenen Herkunftsländern für Einwanderung nach Baden-Württemberg.7 Ähnlich verhält es sich hier mit Rumäniens südlichem Nachbarn Bulgarien. Da es sich um die beiden ärmsten Mitgliedsländer der EU handeln, liegen hier meist ökonomische Motive für eine Migration nach Deutschland bzw. Baden-Württemberg zugrunde.
Schaubild 3 zeigt zur Verdeutlichung die Entwicklung der Zahl der Schülerinnen und Schüler aus ausgewählten Nationen. Die Übersicht zeigt noch einmal die starke Auswirkung von externen Faktoren, wie die Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 oder der Krieg Russlands in der Ukraine, auf die Zahl der Schülerinnen und Schüler einzelner Nationalitäten in VABO-Klassen.
All dies verdeutlicht die Herausforderungen vor denen das berufliche Schulsystem und insbesondere die einzelnen Schulen und Lehrkräfte bei der Bewältigung schwer vorhersehbarer Schülerzahlen stehen. Dabei nimmt die Vermittlung von Sprachkompetenzen und die damit verbundene Berufsorientierung von jungen Menschen im Kontext der demografischen Herausforderungen eine wichtige Rolle für den deutschen Arbeitsmarkt ein. Die Bevölkerung in Deutschland wird, wie in den meisten anderen europäischen Ländern auch, immer älter. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter steht einer immer größer werdenden Zahl an Empfängerinnen und Empfänger von Rentenleistungen entgegen. Dieser Trend wird mit dem Ausscheiden der Babyboomer-Generation bis zum Jahr 2030 noch einmal stärker werden.8 Die Integration von jungen zugewanderten Menschen nimmt so auch zukünftig eine entscheidende Rolle ein, um die negativen Auswirkungen dieses Alterungsprozesses abzumildern. Hierzu leisten die beruflichen Schulen einen wichtigen Beitrag.