Vier Jahrzehnte Tourismus Baden-Württemberg
Die Coronapandemie, die den baden-württembergischen Tourismus vor allem in den Jahren 2020 und 2021 spürbar traf, scheint mit einem neuen Rekord an Übernachtungen 2023 überwunden zu sein.
Dieser Artikel untersucht, wie sich der Tourismus im Südwesten in den Jahrzehnten vor der Pandemie entwickelt hat und welche Trends im Reiseverhalten zu erkennen sind. Die Daten der monatlichen Tourismusstatistik reichen bis ins Jahr 1950 zurück. Seit 1984 sind die Werte aufgrund der relativ gleichbleibenden Methodik miteinander vergleichbar.
2023 mit neuem Übernachtungshöchstwert
Nach dem starken Einbruch der Gäste- und Übernachtungszahlen infolge der Coronapandemie 2020 und 2021 setzte die Erholung im Jahr 2022 ein. Im Jahr 2023 knüpfte der Tourismus in Baden-Württemberg an seine positive Entwicklung an. Die Zahl der Übernachtungen stieg gegenüber dem Vorjahr um 10,1 % und übertraf damit sogar das ehemalige Rekordergebnis aus 2019. Insgesamt zählten die Beherbergungsbetriebe in Baden-Württemberg 2023 rund 57,5 Millionen (Mill.) Übernachtungen, das waren 330 000 Übernachtungen bzw. 0,6 % mehr als 2019, dem Jahr vor Beginn der Pandemie (Tabelle).
Der Anteil der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland lag 2023 bei 20,3 %, nahezu so hoch wie 2019. Damals waren 21,4 % der Übernachtungen auf ausländische Gäste entfallen. Im Laufe der Pandemie war dieser Wert auf 14,3 % im Jahr 2020 und anschließend auf 13,4 % im Jahr 2021 gesunken.
Die Zahl der Ankünfte verfehlte 2023 den Vorpandemiewert knapp. Während es 2019 23,3 Mill. Gäste gegeben hatte, waren es 2023 mit 22,9 Mill. noch 1,5 % weniger.
Der Anteil ausländischer Gäste holte auch bei den Ankünften auf und lag 2023 bei 22,5 %. In den Pandemiejahren war der Anteil auf 16,7 % (2020) und 15,9 % (2021) eingebrochen. Vor der Pandemie 2019 hatte der Wert bei einem Anteil von 23,3 % gelegen.
Tourismus gewinnt seit 4 Jahrzehnten an Bedeutung
Mit der positiven Entwicklung 2023 setzte sich ein bereits länger existierender Trend weiter fort: in den letzten 4 Jahrzehnten gewann der Tourismus in Baden-Württemberg zunehmend an Bedeutung. Sowohl die Zahl der Übernachtungen als auch die der Ankünfte stiegen seit 1984 in der Tendenz deutlich an (siehe Tabelle und Schaubild 1).1
Bei genauerem Hinsehen zeigen sich lediglich wenige kurze Zeiträume, in denen dieser Aufwärtstrend unterbrochen wurde. Rückläufige Übernachtungszahlen gab es – neben den coronabedingten Rückgängen – in den 1990er-Jahren sowie Anfang der 2000er-Jahre. Während die Rückgänge in den 1990er-Jahren unter anderem mit der Wiedervereinigung zusammenhängen könnten,2 dürften die nachlassenden Übernachtungszahlen in den 2000er-Jahren stärker auf wirtschaftliche Umstände wie das Platzen der New-Economy Blase und die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 zurückgehen.
Ab 2010 bis zum Beginn der Coronapandemie verzeichnete der baden-württembergische Tourismus konstant Zuwächse. Im ersten Pandemiejahr 2020 brach die Zahl der Übernachtungen um 40,2 % und die der Ankünfte um 48,9 % ein. Auch 2021 war geprägt von Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung, die sich spürbar auf das touristische Geschehen auswirkten. Im Jahr 2021 wurde ein leichtes Übernachtungsplus von 4,1 % gegenüber dem sehr schwachen Vorjahr verzeichnet. Im Jahr 2022, als zunehmend Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zurückgenommen wurden, zeigten sich deutliche Erholungseffekte: in diesem Jahr holte die Zahl der Übernachtungen um 46,7 % gegenüber dem Vorjahr auf. Hatte es 2021 noch 35,6 Mill. Übernachtungen gegeben, waren es 2022 bereits 52,3 Mill.
Trend zu kürzeren Aufenthalten im Südwesten
Die Zahl der Ankünfte hat sich zwischen 1984 und 2023 mehr als verdoppelt, von 9 Mill. auf 22,9 Mill. Ankünfte, während die Zahl der Übernachtungen von 33,2 Mill. auf 57,5 Mill. lediglich um 73,4 % wuchs. Die aus Übernachtungen und Ankünften errechnete durchschnittliche Aufenthaltsdauer nahm dadurch während der letzten 4 Jahrzehnte um mehr als einen ganzen Tag ab. Hatte sie 1984 bei 3,7 Tagen gelegen, waren es im Jahr 2023 noch 2,5 Tage. Der Trend geht also zu kürzeren touristischen Aufenthalten in Baden-Württemberg.
Ein deutlicher Sondereffekt durch die Coronapandemie lässt sich dabei beobachten. In den beiden am stärksten von der Pandemie betroffenen Jahren 2020 und 2021 verlängerte sich die Aufenthaltsdauer merklich, von 2,5 Tagen 2019 auf 2,9 (2020) bzw. auf 3 Tage (2021). Dies mag damit zusammenhängen, dass Geschäftsreisen, die sich unter anderem durch eine kürzere Dauer auszeichnen, während der Pandemie in noch stärkerem Ausmaß zurückgingen als private Reisen.3
Mit dem Ansteigen der Ankunfts- und Übernachtungszahlen ab 2022 scheint sich der Trend zu kürzeren Aufenthalten im Südwesten wieder fortzusetzen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer reduzierte sich bereits 2022 auf 2,6 Tage und 2023 auf 2,5 Tage, so viele wie im Vorpandemiejahr 2019.
Angebot an Beherbergungsbetrieben rückläufig
Bei der Zahl der geöffneten Beherbergungsbetriebe lässt sich über die letzten Jahrzehnte mit einigen Ausnahmen ein abnehmender Trend beobachten. 1984 hatte die Zahl der Beherbergungsbetriebe im Land 7 450 betragen. 2023 waren es noch 6 189 Betriebe, was einem Rückgang von 16,9 % entspricht. Im ersten Pandemiejahr 2020 gab es zudem einen verstärkten Rückgang an Betrieben von 5,8 % im Vergleich zum Vorjahr.
Analysiert man die Anzahl der geöffneten Betriebe pro Betriebsart über die letzten 20 Jahre,4 wird deutlich, dass vor allem die Hotellerie Betriebe eingebüßt hat (Schaubild 2). Sowohl Hotels, Hotels garnis, wie auch Gasthöfe und Pensionen zeigten in der Anzahl der geöffneten Betriebe rückläufige Tendenzen. Am stärksten waren diese bei den Gasthöfen ausgeprägt. Die Zahl der geöffneten Gasthöfe nahm seit 2004 um 46 % ab, von 1 961 Betrieben 2004 auf 1 059 Betriebe im Jahr 2023. Die Hotel garnis verzeichneten einen Rückgang an Betrieben von 9,2 % gegenüber 2004, bei Pensionen nahmen die Betriebe um 6,2 % ab und bei Hotels um 4 %.
Während die klassische Hotellerie an Betrieben eingebüßt hat, scheinen andere Betriebsarten hinzuzugewinnen: die Zahl der geöffneten Ferienhäuser, -wohnungen und Ferienzentren stieg im gleichen Zeitraum um 62,4 % von 540 Betrieben auf 877 Betriebe. Auch Campingplätze scheinen an Popularität zu gewinnen. 2023 gab es 387 Campingplätze mit mindestens zehn Stellplätzen in Baden-Württemberg, eine spürbare Steigerung von 47,4 % im Vergleich zu 2004.5 Entwickelt sich der Tourismus im Südwesten weg von der Hotellerie?
Die meisten Übernachtungen entfallen auf Hotels
Ungeachtet dieser Entwicklung entfielen im Jahr 2023 noch immer mit Abstand die meisten Übernachtungen auf die Betriebsart »Hotel« (Schaubild 3). Nimmt man die Hotels garnis noch hinzu, also die Hotels, die als Mahlzeit höchstens ein Frühstück anbieten, kam mehr als die Hälfte (55,9 %) der Übernachtungen auf diese beiden Betriebsarten. Beide Betriebsarten verzeichnen deutlich steigende Übernachtungszahlen: die Zahl der Übernachtungen in Hotels stieg binnen der letzten 20 Jahre um 42,2 %, die Zahl der Übernachtungen in Hotels garnis hat sich mehr als verdoppelt (+158,7 %).
Bei Gasthöfen und Pensionen waren die Übernachtungszahlen im Betrachtungszeitraum 2003 bis 2024 dagegen um 7,1 % bzw. 20,5 % rückläufig. Bei diesen beiden Betriebsarten handelt es sich jedoch tendenziell um deutlich kleinere Betriebe. Auf 1 059 Gasthöfe kamen im Jahr 2023 rund 2,8 Mill. Übernachtungen. Rein rechnerisch waren das 2 635 Übernachtungen pro Gasthof. Bei Pensionen waren es 3 342 Übernachtungen pro Pension im Jahr 2023. Im Vergleich: in Hotels waren es 2023 im Durchschnitt 13 207 Übernachtungen pro Betrieb.
Die Anzahl der geöffneten Betriebe in der Hotellerie nimmt ab, die Zahl der Übernachtungen in Hotels und Hotels garnis nimmt zu, was eine Entwicklung hin zu größeren Betrieben nahelegt.6 Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass große Betriebe konkurrenzfähiger sind.
Neben Hotels und Hotels garnis haben auch Campingplätze sowie Ferienhäuser, -wohnungen und Ferienzentren an Übernachtungen hinzugewonnen: Bei Campingplätzen verdoppelte sich die Anzahl der Übernachtungen, von 2,7 Mill. Übernachtungen im Jahr 2004 auf 5,4 Mill. 2023. Die Übernachtungszahl in der Betriebsart Ferienhäuser, -wohnungen und Ferienzentren hat sich sogar mehr als verdreifacht: von 1,5 Mill. Übernachtungen 2004 auf 4,7 Mill. Übernachtungen im Jahr 2023.
Fazit
Die Daten der Monatsstatistik im Tourismus ermöglichen es, langfristige Entwicklungen im Tourismus zu analysieren. Mit wenigen Ausnahmen stiegen Ankünfte und Übernachtungen in baden-württembergischen Beherbergungsbetrieben seit 1984, bis die Coronapandemie 2020 zu einem nie dagewesenen Einbruch führte. Mit Rücknahme der Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung erholte sich der Tourismus rasch und die Zahl der Übernachtungen verzeichnete 2023 einen neuen Höchstwert.
Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer zeigt über die letzten 4 Jahrzehnte einen Trend zu kürzeren touristischen Aufenthalten in Baden-Württemberg. Während der am stärksten von der Pandemie betroffenen Jahre war die durchschnittliche Aufenthaltsdauer kurzfristig gestiegen, 2023 sank sie jedoch wieder auf das Niveau von 2019.
Hohe prozentuale Zuwachsraten bei den Übernachtungen verzeichneten Hotels garnis, Ferienhäuser, -wohnungen und Ferienzentren sowie Campingplätze. Die meisten Übernachtungen entfielen 2023 jedoch weiterhin auf Hotels. Auch bei den Hotels stieg die Zahl der Übernachtungen im Betrachtungszeitraum deutlich an. Aufgrund des bereits hohen Niveaus fielen die Zuwachsraten hier jedoch nicht ganz so dynamisch aus.
Aus der gegenläufigen Entwicklung von steigenden Übernachtungszahlen und sinken Betriebszahlen lässt sich in der Hotellerie zudem ein Trend zu größeren Betrieben ableiten.