Altersarmut als Folge geschlechtsspezifischer Ungleichheiten im Lebensverlauf
Einkommensarme ältere Menschen (ab 65 Jahren), die Lebensmittel über Tafeln beziehen und Pfandflaschen sammeln, um ihr geringes Einkommen etwas auszugleichen, sind schon jetzt in vielen Stadtbildern keine Seltenheit mehr. Die Daten des Mikrozensus 2021 verdeutlichen: Nach wie vor sind ältere Frauen häufiger armutsgefährdet als ältere Männer (21,6 % versus 16,3 %). Dieser Geschlechterunterschied lässt sich darauf zurückführen, dass Frauen häufiger familienbedingte Unterbrechungen in ihrer Erwerbsbiografie haben und öfter längere Zeit in Teilzeit arbeiten als Männer. Der Familienstand und die Lebensform sind dabei wichtige Faktoren für Altersarmut. Würden die baden-württembergischen Rentnerinnen ausschließlich von ihrem persönlichen Nettoeinkommen leben, wären 54 % armutsgefährdet. Bei Rentnern wären es nur 24 %. Besonders gefährdet sind auch ältere Migrantinnen und Migranten.
Im Jahr 2020 waren knapp 20 % der baden-württembergischen Bevölkerung 65 Jahre oder älter (rund 2,3 Millionen Personen). Bedingt durch den demografischen Wandel wird der Anteil älterer Menschen in Zukunft weiter ansteigen. Bereits im Jahr 2040 wird voraussichtlich gut ein Viertel der Bevölkerung (27 %) älter als 65 Jahre sein, was einem Zuwachs von 665 230 Menschen entspricht (vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2023). Schon allein deshalb wird die Lebenssituation älterer Menschen1 und das damit verbundene Thema Altersarmut an Relevanz gewinnen.
Armut im Alter kommt für die Betroffenen manchmal unerwartet. Dabei ist sie als Ergebnis des Lebens- und Erwerbsverlaufs bereits häufig frühzeitig absehbar. Denn Armut im Alter ist meist eine Fortführung einer auf sozialer Ungleichheit und Benachteiligung beruhenden »Armutskarriere« und trifft eine besonders vulnerable Personengruppe, die in der Regel keine Gelegenheit mehr hat, sich aus eigener Kraft aus ihrer prekären Lebenssituation zu befreien. Dabei ist davon auszugehen, dass Armut im Alter ohne entsprechende Gegenmaßnahmen in den nächsten beiden Jahrzehnten weiter zunehmen wird (vgl. Anacker 2020; Haan et al. 2017). Denn der Zuwachs prekärer Beschäftigungsverhältnisse und vor allem die Verbreitung des Niedriglohnbereichs in den letzten Jahrzehnten werden bei künftigen Rentnerkohorten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem verstärkten Anstieg von Altersarmut führen (vgl. Faik und Köhler-Rama 2013).
Trotzdem ist Altersarmut nach wie vor ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema. Persönliche Betroffenheit wird deshalb oft verheimlicht und staatliche Hilfeleistungen wie die Grundsicherung im Alter2 nicht in Anspruch genommen (»verschämte Armut«). Laut Schätzungen von Buslei et al. (2019) liegt der Anteil der Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung im Alter bei etwa 60 %. Somit ist davon auszugehen, dass unter den Älteren deutschlandweit nicht einmal jede zweite anspruchsberechtigte Person Sicherungsleistungen tatsächlich abruft, was die Situation zusätzlich verschärft. Ziel des vorliegenden Artikels ist es einen Überblick zu Armut im Alter in Baden-Württemberg zu geben, vor allem im Hinblick auf Geschlechterunterschiede (siehe auch i-Punkt »Modulare Armutsberichterstattung«).
Die Einkommenssituation Älterer in Baden-Württemberg
Das Einkommen älterer Menschen (über 65 Jahre) besteht zum Großteil aus ihrer Rente oder Pension.3 Im Jahr 2021 war die Rente bei 90 % der Befragten, die Quelle des überwiegenden Lebensunterhalts. Männer gaben zudem häufiger Erwerbstätigkeit als Quelle des überwiegenden Lebensunterhalts an (5,2 % versus 2,5 % bei Frauen), während Frauen öfter vom Einkommen Angehöriger (vermutlich vor allem des Ehepartners) lebten (siehe Tabelle 1).
Insgesamt bezogen nach Daten der Deutschen Rentenversicherung (DRV) 2021 etwa 2,4 Millionen (Mill.). Ältere in Baden-Württemberg eine gesetzliche Rente (vgl. DRV 2022). Da sich die Rente aus der Erwerbsbiografie ergibt – also über im Erwerbsleben angesammelte Entgeltpunkte – ist der Rentenanspruch für Menschen mit unterdurchschnittlichen Erwerbseinkommen, einem geringen Arbeitsvolumen oder einer geringen Zahl von Versicherungsjahren (zum Beispiel wegen unterbrochener Erwerbsbiografien aufgrund von Kindererziehungszeiten oder bei einem frühem Ausscheiden aus dem Berufsleben) entsprechend gering.
Diese Idee einer kontinuierlichen Erwerbsbiografie im Normalarbeitsverhältnis (unbefristete, abhängige, sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung), welche dem deutschen Rentenversicherungssystem zugrunde liegt, trifft dabei auf viele Frauen nicht zu. Deren Erwerbsbiografie ist oft durch familienbedingte Unterbrechungen und typischerweise den Wiedereinstieg in eine Teilzeitbeschäftigung geprägt. Entsprechend niedriger fällt die Zahl der Versicherungsjahre (Beitragszeiten und beitragsfreie Zeiten) aus. Im Jahr 2021 hatten Männer in Deutschland im Durchschnitt 40,7 Versicherungsjahre, Frauen dagegen nur 28,6 Versicherungsjahre. Der Geschlechterunterschied hat sich seit 2000 von 14,2 Jahren auf 12,1 Jahre (2021) reduziert (vgl. IAQb 2023).
Betrachtet man die Entwicklung der durchschnittlichen Versicherungsjahre der Rentenneuzugänge in Baden-Württemberg für beide Geschlechter, so zeigt sich eine noch deutlichere Verringerung von Geschlechterunterschieden. Zwischen 2010 und 2022 haben sich bei den Frauen die durchschnittlichen Versicherungsjahre von 30,6 auf 37 Jahre erhöht. Bei den Männern gab es einen leichten Anstieg von durchschnittlich 40,8 Jahre (2010) auf 41,9 Jahre. Der Geschlechterunterschied hat sich bei den Rentenneuzugängen in Baden-Württemberg von 10,2 Jahren (2010) auf 4,9 Jahre (2022) somit deutlich reduziert.
Allerdings sind in Baden-Württemberg nach wie vor die durchschnittlichen Zahlbeträge der Rente wegen Alters sowie der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit4 von Rentnern höher als die von Rentnerinnen. Die Zahlbeträge für Männer bei der Rente wegen Alters und bei der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lagen 2021 etwas über dem Bundesdurchschnitt (Bund, Altersrente: 1 237 Euro; Erwerbsminderungsrente: 964 Euro; siehe Schaubild 1). Bei den Frauen zeigt sich für beide Rentenarten ein anderes Bild mit etwas geringeren Beträgen in Baden-Württemberg im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (Bund, Altersrente: 876 Euro; Erwerbsminderungsrente: 885 Euro). Anders verhält es sich mit Blick auf die abgeleiteten Ansprüche aus Witwen- bzw. Witwerrenten. Hier erhielten Witwen in Baden-Württemberg 2021 einen durchschnittlichen monatlichen Zahlbetrag von 760 Euro (Bund: 746 Euro), Witwer dagegen einen Betrag von 336 Euro (Bund: 365 Euro). Die geschlechtsspezifischen Unterschiede sind unter anderem durch die höhere Lebenserwartung von Frauen und die genannten Unterschiede in der Erwerbsbiografie zu erklären. Quantitativ erhielten in Baden-Württemberg 8 595 Männer eine Witwerrente, wogegen 30 070 Frauen eine Witwenrente bezogen (vgl. DRV 2021).
Diese Zahlbeträge verdeutlichen, wie schwierig es gerade für Frauen ist, ein eigenes existenzsicherndes Einkommen im Alter zu erreichen. Die Zahlungen der Rentenversicherung können hier noch durch zusätzliches Einkommen ergänzt werden – wie Erwerbstätigkeit, öffentliche Transferleistungen, Einkommen aus Zusatzversorgungssystemen (zum Beispiel die öffentliche Zusatzversorgungskasse oder Betriebsrenten)5 oder auch Einnahmen aus vermieteten Immobilien.
Das persönliche Nettoeinkommen auf Basis des Mikrozensus 2021 zeigt, dass Rentnerinnen ein Median-Einkommen von 1 200 Euro und Rentner eines von 1 700 Euro zur Verfügung hatten (siehe Tabelle 2). Zum Vergleich: Die Armutsgefährdungsschwelle für einen Einpersonenhaushalt lag in Baden-Württemberg im Jahr 2021 bei 1 220 Euro. Da nicht alle älteren Frauen alleinstehend sind, sind sie oft nicht ausschließlich auf das eigene Nettoeinkommen angewiesen, sondern leben in einem Haushalt, dessen Haushaltseinkommen sich durch das Einkommen weiterer Personen speist.
Würden sie alleine leben und müssten ihren Lebensunterhalt ausschließlich von ihrem persönlichen Nettoeinkommen bestreiten, wären 2021 in Baden-Württemberg 53 % der Rentnerinnen armutsgefährdet gewesen, von den Männern dagegen nur 24 %. Migrantinnen und Migranten im Rentenbezug hatten ein deutlich geringeres monatliches persönliches Nettoeinkommen als Personen ohne Migrationshintergrund (siehe Tabelle 2).
Altersarmut in Baden-Württemberg: Geschlechtsspezifische Unterschiede
Unter Verwendung des Landesmedians waren 2021 in Baden-Württemberg 16,4 % der Bevölkerung armutsgefährdet – ältere Menschen ab 65 Jahren waren es zu 19,2 % (das entspricht ungefähr 427 900 Personen). Ältere Frauen waren dabei deutlich häufiger armutsgefährdet als ältere Männer (21,6 % versus 16,3 %) (siehe auch i-Punkt »Die Armutsgefährdungsquote«).
Die Entwicklung der Armutsgefährdungsquote der Älteren seit 2009 zeigt für ältere Frauen durchgehend ein im Vergleich zur Bevölkerung überdurchschnittlich hohes Armutsrisiko. Ältere Männer hingegen waren nicht überdurchschnittlich armutsgefährdet. Der Abstand zwischen Männern und Frauen lag dabei relativ konstant zwischen ungefähr 4 und 5 Prozentpunkten (siehe Schaubild 2). Die Quoten sind insgesamt (sowohl für Männer als auch für Frauen und ebenso für die Gesamtbevölkerung) seit 2009 angestiegen.
Die Armutsgefährdung älterer Frauen lag 2021 in allen Altersklassen ab 65 Jahren über dem der Männer und nahm mit steigendem Alter zu. Besonders hoch war die Armutsgefährdung in der Gruppe der über 80-jährigen Frauen (25,7 %) (siehe Tabelle 3). Im Gegensatz dazu lag die Armutsgefährdungsquote von Männern in allen Altersklassen über 65 Jahren relativ konstant etwa im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Die höhere Armutsgefährdung der älteren Bevölkerung insgesamt ist demnach auf die höhere Armutsgefährdung von Frauen zurückzuführen und hier insbesondere auf das stark erhöhte Armutsrisiko hochaltriger Frauen. Eine Differenzierung nach Lebensform zeigt, dass sowohl für Frauen als auch für Männer das Leben als Alleinstehende mit einem erhöhten Armutsrisiko einhergeht. Im Gegensatz dazu fällt die Armutsgefährdung für Personen, die in einer Ehe oder ohne Partnerin bzw. Partner aber mit einem oder mehreren eigenen Kindern zusammenleben, unterdurchschnittlich aus. Bezieht man den Familienstand mit ein, dann zeigt sich, dass insbesondere geschiedene Frauen ab 65 Jahren von einem hohen Armutsrisiko betroffen sind (36,9 %).
Über 65-Jährige mit Migrationshintergrund waren mehr als doppelt so häufig von Einkommensarmut im Alter betroffen wie Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund (33,2 % versus 15,5 %). Der geschlechtsspezifische Unterschied fiel bei den Älteren mit Migrationshintergrund geringer aus (3,5 Prozentpunkte) als bei jenen ohne Migrationshintergrund (5,7 Prozentpunkte) (siehe Tabelle 3).
Insgesamt ist Altersarmut stark abhängig vom Familienstand und von der Lebensform. Im Alter in einer Ehe oder nicht ehelichen Lebensgemeinschaft zu leben wirkt armutsvermeidend. Verwitwet, geschieden oder ledig zu sein hingegen erhöht das Armutsrisiko. Diese Situation verschärft sich gerade für Frauen dadurch, dass mehr Frauen als Männer im Alter geschieden, verwitwet oder alleinlebend sind. Etwas mehr als 75 % der älteren Männer in Baden-Württemberg waren 2021 verheiratet, von den älteren Frauen war es nur ungefähr die Hälfte (vgl. Faden Kuhne et al. 2024).
Eingeschränkte Erwerbsbeteiligung von Frauen als Risikofaktor für Altersarmut
Wie beschrieben sind Geschlechterunterschiede bei der Rente unter anderem auf den geringeren Erwerbsumfang von Frauen zurückzuführen. Zwar ist die Erwerbstätigenquote von Frauen in Baden-Württemberg zwischen 1972 von ca. 50 % bis 60 % (wenn man die Altersspanne zwischen 20 und 60 Jahren betrachtet) auf eine Quote von ca. 70 % bis 85 % im Jahr 2019 gestiegen. Allerdings beruht dieser Anstieg vor allem auf einer Zunahme der Teilzeitbeschäftigung. Denn seit 1995 hat der Anteil teilzeitbeschäftigter Frauen um gut 12 Prozentpunkte zugenommen. Dieser Zuwachs ist sowohl bei Frauen, die ihre Kinder betreuen, als auch bei kinderlosen Frauen zu beobachten. Aktuell sind 73 % der erwerbstätigen Mütter und 38 % der erwerbstätigen Frauen ohne Kinder teilzeitbeschäftigt. Im gleichen Zeitraum ist dagegen der Anteil vollzeitbeschäftigter Frauen um fast 10 Prozentpunkte gesunken (siehe Schaubild 3).
Der geringere Erwerbsumfang von Frauen steht nach wie vor in enger Verbindung mit den vorhandenen und genutzten Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Zwar hat sich das Angebot für die Kinderbetreuung in den letzten Jahrzehnten verbessert, etwa durch den Ausbau der Ganztagsbetreuung und der Einführung des Rechtsanspruchs auf Betreuung eines Kindes ab dem 1. Lebensjahr (vgl. Kayed et. al 2023). Dennoch lag 2021 bundesweit die Differenz zwischen Betreuungsquote und Betreuungsbedarf von Eltern von U3-Kindern noch immer bei 12,4 Prozentpunkten (vgl. Kayed et. al 2023). In Baden-Württemberg hatten 2021 bei den 1- und 2-jährigen Kindern 18 % der Eltern einen ungedeckten Bedarf. Bei weiteren 5 % überstieg der Bedarfsumfang den genutzten Betreuungsumfang6 (vgl. Kayed et. al 2023). Besonders betroffen sind davon Alleinerziehende, die nach wie vor meist Frauen sind. Von den 332 200 Alleinerziehenden in Baden-Württemberg im Jahr 2021 waren 267 300 Frauen (80,5 %). Neben der Kinderbetreuung ist auch die Pflege von Angehörigen, die häufig mit Lohneinbußen einhergeht, ein weiterer Risikofaktor für Altersarmut. Dabei wird ein Großteil der familiären Pflege von Frauen übernommen mit entsprechenden Auswirkungen auf Rentenansprüche (vgl. Ehrlich et al. 2020).
In den nächsten Jahrzenten wird aufgrund der demografischen Entwicklung der Anteil älterer Menschen in Baden-Württemberg zunehmen. Gleichzeitig ist durch den Zuwachs prekärer Beschäftigungsverhältnisse in den vergangenen Jahrzehnten und vor allem die Verbreitung des Niedriglohnbereichs in Deutschland für künftige Rentnerkohorten mit einem Anstieg von Altersarmut zu rechnen, wenn keine entsprechenden Gegenmaßnahmen getroffen werden (vgl. Anacker 2020). Schon jetzt liegt die Armutsgefährdung Älterer in Baden-Württemberg mit 16,1 % um 2 Prozentpunkte über dem Wert für die Gesamtbevölkerung.