Vergnügungssteuer als Einnahmequelle und Lenkungsinstrument der Gemeinden in Baden-Württemberg
Aufkommen 2022 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt
In Baden-Württemberg beliefen sich im Jahr 2022 die Einnahmen der Städte und Gemeinden aus der Vergnügungssteuer auf 226,1 Millionen (Mill.) Euro. Das waren 122,6 Mill. Euro mehr als 2021 (+ 118,5 %). Nach einer Abnahme von 50,7 % im Jahr 2021 gegenüber 2020 konnten die Einnahmen aus der Vergnügungssteuer jedoch weiterhin noch nicht das Niveau aus den Jahren vor der Covid-19-Pandemie erreichen. Dies ergeben Daten aus der Jahresrechnungsstatistik der Jahre 2013 bis 2021. Für das Jahr 2022 wurden zudem die vorläufigen Ergebnisse aus der vierteljährlichen Kassenstatistik herangezogen. Beide Statistiken werden vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg erhoben und veröffentlicht (siehe i-Punkt »Jahresrechnungsstatistik und vierteljährliche kommunale Kassenstatistik«).
Zum rechtlichen Hintergrund der Vergnügungssteuer
Die Vergnügungssteuer ist eine kommunale Steuer, die von Städten oder Gemeinden erhoben werden kann. Im Jahr 2022 machten 593 von 1 101 Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg von dieser Möglichkeit der Erhebung einer Vergnügungssteuer Gebrauch. Wie in der Mehrheit der Bundesländer Deutschlands bildet in Baden-Württemberg das Kommunalabgabengesetz (KAG) sowie die entsprechenden Ortssatzungen die Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Vergnügungssteuer. Die Gemeinden und Städte im Land sind somit befugt, die zu entrichtenden Vergnügungssteuersätze, sowie die unter die Steuerpflicht fallenden Einrichtungen selbst durch die jeweiligen örtlichen Satzungen der Kommunen rechtlich festzulegen.
Als Steuerschuldner bzw. Steuerschuldnerin steuerpflichtig kann hierbei der Betreibende, der Eigentümer bzw. die Eigentümerin, der Besitzer bzw. die Besitzerin oder sonstige Inhabende der unter die Vergnügungssteuerpflicht fallenden Räumlichkeiten, Veranstaltungen oder Einrichtungen, sein. So können beispielsweise die gewerbliche Haltung von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit, Wettbüros oder der sexuellen Vergnügung gezielt dienende Einrichtungen unter die Steuerpflicht fallen. Die Höhe der Vergnügungssteuer, sowie die unter die Steuerpflicht fallenden Vergnügungen im Einzelnen dürfen hierbei von den Kommunen durch deren Orts- oder Gemeindesatzung eigenständig festgelegt werden. Somit kann beispielsweise die Anzahl der, unter die Vergnügungssteuerpflicht fallenden Einrichtungen innerhalb einer Kommune nicht durch die Einnahmen aus der Vergnügungssteuer abgeleitet werden.
Aus welchen Gründen wird die Vergnügungssteuer erhoben?
Mit der Vergnügungssteuer kann eine Gemeinde zusätzliche Einnahmen erzielen. Die Bezeichnung als Bagatellsteuer (siehe i-Punkt »Bagatellsteuern«) deutet allerdings darauf hin, dass die Höhe dieser Einnahmen vergleichsweise gering ist. Im Jahr 2022 lag der Anteil des Vergnügungssteueraufkommens am gesamten Steueraufkommen der Gemeinden in Baden-Württemberg bei 0,1 %.
Neben den zusätzlichen Einnahmen für die Kommunen liegt ein weiterer Grund für die Erhebung einer Vergnügungssteuer in ihrer potenziellen Lenkungswirkung zur Vermeidung unerwünschter Folgen für die Kommunen und deren Einwohnerinnen und Einwohner, zum Beispiel Spielsucht, Ansiedlung von Wettbüros, Spielhallen, Erotik-Shops oder Rotlichtetablissements. Diese Lenkungsfunktion dient primär dem Zweck des Schutzes der Allgemeinheit. Allerdings ist nicht jedes besteuerte Vergnügen rein negativ einzuschätzen, vielmehr kann durch »Vergnügungsangebote« in manchen Fällen auch die Lebensqualität in den Kommunen beziehungsweise einzelnen Wohngebieten gesteigert werden.
Da die Erhebung einer Vergnügungssteuer verschiedene juristisch garantierte Freiheiten und Rechte tangiert, war die Rechtmäßigkeit der Erhebung einer Vergnügungssteuer zu diesem Zweck in der Vergangenheit bereits mehrfach Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen.1 Allerdings gilt die Vergnügungssteuer im Allgemeinen aufgrund der Schutzwirkung und der Lenkungswirkung als rechtlich verhältnismäßig. Die Grenze muss hierbei allerdings an dem Punkt gezogen werden, an dem durch die Höhe einer Vergnügungssteuer ein allgemeines wirtschaftliches Betreiben von unter die Steuerpflicht fallenden Gerätschaften beziehungsweise Einrichtungen noch möglich ist. Demnach wäre die Höhe der Vergnügungssteuer dann unzulässig, wenn dadurch eine erdrosselnde Wirkung feststellbar wäre, beispielsweise wenn durch die Steuer die gesamte vergnügungssteuerpflichtige Branche wirtschaftlich bedroht wäre.
Anzahl der Gemeinden mit Vergnügungssteuer seit 1990 nahezu verdoppelt
Im Jahr 1990 erhoben 308 der damals 1 111 Städte und Gemeinden Baden-Württembergs eine Vergnügungssteuer (Schaubild 1). Bis 1995 wuchs diese Zahl stetig auf 504 Kommunen an. Trotz einer Verringerung der Anzahl der Kommunen in Baden-Württemberg von 1 111 im Jahr 2005 auf 1 102 im Jahr 2010, blieb die Anzahl der Vergnügungssteuer erhebenden Gemeinden in dieser Periode relativ konstant, wuchs dann aber bis zum Jahr 2020 auf 606 an. Nach den vorläufigen Daten der aktuellen Kassenstatistik aus dem Jahr 2022, erhoben 593 der inzwischen 1 101 Städte und Gemeinden Baden-Württembergs eine Vergnügungssteuer. Die Betrachtung des Vergnügungssteueraufkommens pro Gemeinde lässt zudem darauf schließen, dass der Anstieg des Gesamtaufkommens bis 2015 nicht allein auf den Anstieg der Gemeinden, die eine Vergnügungssteuer erheben zurückzuführen ist. Während von 2010 bis 2015 nur 47 Kommunen eine Vergnügungssteuer eingeführt haben (+8,9 %), haben die Gemeinden, die in dieser Zeit eine Vergnügungssteuer erhoben haben, durchschnittlich mehr als die doppelte Summe an Vergnügungssteuern eingenommen (+182,3 %).
Vergnügungssteuereinbruch in den Corona-Jahren
Bei Betrachtung der Entwicklung des Vergnügungssteueraufkommens während der vergangenen 10 Jahre (Schaubild 2), lässt sich eine kontinuierliche, sich allerdings abschwächende Steigerung bis in das Jahr 2018 beobachten. Im Jahr 2018 erreichte das Vergnügungssteueraufkommen seinen Höchstwert mit 292,8 Mill. Euro. Danach nahm das Vergnügungssteueraufkommen im Jahr 2019 um 8,6 % ab. Die Gründe hierfür sind dem Statistischen Landesamt nicht abschließend bekannt. Möglicherweise verringerte sich durch juristische Beschlüsse die Anzahl an Spielautomaten beziehungsweise Spielhallen, wodurch das Vergnügungssteueraufkommen sank.
Dieser Negativtrend verstärkte sich während der Covid-19-Pandemie, vermutlich primär durch die pandemiebedingten Schließungen vergnügungssteuerpflichtiger Einrichtungen, weiter. Im Jahr 2020 sank das Vergnügungssteueraufkommen um 21,6 %. 2021 folgte dann mit –50,7 % die stärkste Abnahme innerhalb der vergangenen 10-Jahres-Periode. Das Vergnügungssteueraufkommen erreichte in diesem Jahr ein Rekordtief von 103,5 Mill. Euro, oder 9,3 Euro pro Kopf. Im Vergleich zum Rekordjahr 2018 sanken die Einnahmen aus der Vergnügungssteuer folglich um 64,7 %. Im Jahr 2022 erreichte dann das Vergnügungssteueraufkommen wieder 226,1 Mill Euro. Dies sind knapp 32 % mehr als noch vor 10 Jahren (2013: 171,3 Mill. Euro). Dennoch wurde auch 2022 noch nicht der Stand vom Jahr vor Beginn der Pandemie erreicht (2019: 267,6 Mill. Euro).
Durchschnittlich 20 Euro Vergnügungssteuer pro Kopf
Auf jede Einwohnerin bzw. auf jeden Einwohner in Baden-Württemberg entfielen im vergangenen Jahr rein rechnerisch 20,1 Euro an Vergnügungssteuer. Durch die starke Steigerung des Vergnügungssteueraufkommens im Vergleich zum Vorjahr, hat sich auch das Pro-Kopf-Aufkommen im Vergleich zu 2021 mehr als verdoppelt (Jahr 2021: 9,3 Euro).
Lottstetten ist Spitzenreiter bei Vergnügungssteueraufkommen pro Kopf
Bei Betrachtung des Vergnügungssteueraufkommens in Relation zur Einwohnerzahl lassen sich vergleichsweise große Unterschiede auf Gemeindeebene feststellen. Dies lässt sich potenziell durch verschiedene Faktoren erklären. Wichtig scheinen Standortfaktoren zu sein. So befinden sich zahlreiche Kommunen mit relativ hohem Vergnügungssteueraufkommen an Verkehrsknotenpunkten (größere Autohöfe, Autobahnanbindung), sind von touristischer Bedeutung, oder sind Grenzstädte zu Frankreich oder der Schweiz. Gerade in Gemeinden mit geringeren Einwohnerzahlen, kann hier durch den Durchgangsverkehr das Pro-Kopf-Vergnügungssteueraufkommen stark steigen.
Sechs Städte und Gemeinden haben im Jahr 2022 ein Pro-Kopf-Aufkommen von über 100 Euro zu verzeichnen (Tabelle). Das mit 340,4 Euro höchste Pro-Kopf Aufkommen verzeichnet hierbei die Gemeinde Lottstetten (Landkreis Waldshut). 98,6 % der Einnahmen durch die sogenannten sonstigen Gemeindesteuern (Vergnügungssteuer, Hundesteuer, Zweitwohnungssteuer, Jagdsteuer und sonstige örtliche Steuern) entfallen in Lottstetten auf die Vergnügungssteuer. Auf dem zweiten Platz folgt die Gemeinde Vöhringen (Landkreis Rottweil) mit 241,6 Euro. Den dritten Platz nimmt im Jahr 2022 die Stadt Mahlberg (Ortenaukreis) mit einem Vergnügungssteueraufkommen von 187,2 Euro pro Person ein.
Wie zu erwarten nehmen im Jahr 2022 sechs der neun Stadtkreise des Landes die vorderen Plätze beim absoluten Vergnügungssteueraufkommen ein. Hinter den sechs Stadtkreisen folgt die Stadt Kehl (Ortenaukreis) mit 3,6 Mill. Euro. Auch die Städte Böblingen (3,1 Mill. Euro) und Göppingen (2,7 Mill. Euro) nahmen im Jahr 2022 eine vergleichsweise hohe Summe an Vergnügungssteuer ein.
Jeder Vierte Euro entfällt auf die Stadtkreise
Die neun Stadtkreise Baden-Württembergs erzielten im Jahr 2022 56,5 Mill. Euro durch die Vergnügungssteuer (Schaubild 3). Somit ist etwa jeder vierte Euro des Vergnügungssteueraufkommens auf die Stadtkreise zurückzuführen. Dieser Anteil der Stadtkreise am Gesamtaufkommen blieb in den letzten 10 Jahren nahezu unverändert und auch die Entwicklung der Vergnügungssteuer in den Stadtkreisen folgte in den vergangenen 10 Jahren den Trends auf der Landesebene. Auffällig ist, dass sich im Jahr 2021 der in den sonstigen Jahren recht große Abstand zwischen der Landeshauptstadt und den anderen Stadtkreisen in Baden-Württemberg deutlich verringerte.
Baden-Württemberg im Bundesvergleich 2021
Das Statistische Bundesamt veröffentlicht regelmäßige Daten zu den Steuerhaushalten der Bundesländer.2 Aus diesen Veröffentlichungen gehen auch die Vergnügungssteuereinnahmen aller Bundesländer hervor, wodurch das Vergnügungssteueraufkommen in Baden-Württemberg im bundesweiten Kontext betrachtet werden kann (Schaubild 4).
Mit Ausnahme von Bayern, erheben alle Bundesländer eine Vergnügungssteuer. Die Ausgestaltung dieser Steuer unterscheidet sich hierbei und obliegt je nach Bundesland den Ländern, beziehungsweise den Kommunen. Das einwohnerstärkste Bundesland Nordrhein-Westfalen nahm hierbei absolut im Jahr 2021 auch die größte Summe an Vergnügungssteuer ein. Am geringsten war das Vergnügungssteueraufkommen in Mecklenburg-Vorpommern. Baden-Württemberg erreichte im Bundesvergleich den zweiten Platz. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind zudem die einzigen Bundesländer, die im Jahr 2021 mehr als 100 Mill. Euro an Vergnügungssteuer einnahmen. Mehr als jeder zweiter durch die Vergnügungssteuer eingenommene Euro stammt demnach aus einem der beiden Bundesländer. Bezogen auf die Einwohnerzahl3, steht Bremen an erster Stelle mit einem Pro-Kopf Aufkommen an Vergnügungssteuer von 13 Euro. Baden-Württemberg liegt wie auch beim absoluten Aufkommen auf dem zweiten Platz. Mit 6,8 Euro pro Kopf steht Rheinland-Pfalz an dritter Stelle. Besonders Brandenburg (1,5 Euro) und Sachsen (1,9 Euro) nehmen wenig Vergnügungssteuer relativ zur Einwohnerzahl im bundesweiten Vergleich ein.