Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich: Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit im Baugewerbe 1991 bis 2022
Die beiden traditionsreichen Industrieländer Baden-Württemberg und Thüringen haben über vier Jahrzehnte verschiedenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen angehört und deshalb unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung in zentralen demografischen und ökonomischen Bereichen unterschiedliche Entwicklungen genommen. Beispielhaft genannt seien die Abwanderungen vor allem junger Menschen von Ost- nach Westdeutschland, der Einbruch der ostdeutschen Industrie mit der Folge einer Halbierung der Erwerbstätigen im Verarbeitenden Gewerbe Thüringens innerhalb von 3 Jahren und ein in Ostdeutschland deutlich höheres Niveau an Arbeitslosigkeit. Die wesentlichen Entwicklungen der Länder Baden-Württemberg und Thüringen wurden in Monatsheft 4/2023 für Bevölkerung und Erwerbstätigkeit insgesamt und in Monatsheft 5/2023 für Wertschöpfung und Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe beschrieben.1
Die Untersuchungen haben aber auch ergeben, dass sich bei wichtigen Indikatoren für Baden-Württemberg und Thüringen nach zunächst starkem Auseinanderlaufen mit der Zeit eine Angleichung in der Entwicklung eingestellt hat, allerdings unter Beibehalten der Niveauunterschiede. So ist der Wanderungssaldo zwischen beiden Ländern seit 2017 im Wesentlichen ausgeglichen, haben sich die Arbeitslosenquoten schrittweise angenähert und wächst im Verarbeitenden Gewerbe die Bruttowertschöpfung seit 2004 sowie die Zahl der Erwerbstätigen seit 2010 in beiden Ländern ziemlich parallel. Es ist also eine Stabilisierung in Thüringen eingetreten, wenngleich auf niedrigerem Level. Dadurch hat Thüringen, auch im Vergleich zu Baden-Württemberg, als Wohn- und Wirtschaftsstandort an Attraktivität gewonnen.
Hierzu haben zahlreiche Maßnahmen beigetragen, die zum Teil unmittelbar nach der Wende in Angriff genommen wurden und mittel- oder langfristig Wirkung zeigen. Genannt seien der Bau neuer bzw. die Sanierung und Modernisierung bestehender Wohnungen, die Errichtung moderner Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude und nicht zuletzt umfangreiche Investitionen in die Verkehrs- und Wirtschaftsinfrastruktur. Die Folge war ein bemerkenswerter Bauboom in Thüringen vor allem in den beginnenden 1990er-Jahren, der im vorliegenden Beitrag mithilfe von Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) nachgezeichnet werden soll.2
Bruttowertschöpfung
Umfang und Entwicklung in jeweiligen Preisen
Schon unmittelbar nach der Wiedervereinigung hatte das Baugewerbe in Thüringen ein bemerkenswert hohes gesamtwirtschaftliches Gewicht. Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, hat 1991 das Baugewerbe 13,5 % zur gesamten Bruttowertschöpfung Thüringens beigetragen, in Baden-Württemberg waren es lediglich 5,9 %. Im Folgejahr belief sich der Anteilswert in Thüringen bereits auf 17,4 %, in Baden-Württemberg auf 6,3 %. Die höchste Quote in Thüringen wurde 1994 mit 18,1 % erzielt, ein fast dreimal so hoher Wert wie in Baden-Württemberg mit 6,2 %.
Eine weitere Vergleichsrechnung unterstreicht die Dimension des Baugewerbes in Thüringen Anfang/Mitte der 1990er-Jahre: 1992 war in Thüringen die Bruttowertschöpfung im Baugewerbe mit 3,61 Milliarden (Mrd.) Euro um fast die Hälfte (49,1 %) höher als im Verarbeitenden Gewerbe mit 2,42 Mrd. Euro, ebenso 1993 mit 4,47 Mrd. gegenüber 3 Mrd. Euro. In Baden-Württemberg erreichte die Bruttowertschöpfung des Baugewerbes 1992 mit 14,58 Mrd. Euro gerade einmal 17,7 % des Wertes vom Verarbeitenden Gewerbe in Höhe von 82,34 Mrd. Euro. Diese Gegenüberstellungen sind deshalb besonders interessant, weil die Wirtschaft Baden-Württembergs in dieser Zeit in weitgehend normalen Bahnen verlief, insbesondere von den Turbulenzen der Wiedervereinigung recht wenig berührt war, während in Thüringen, wie in allen neuen Ländern, ein dramatischer Zusammenbruch der in DDR-Zeiten noch dominierenden Industrie stattgefunden hat.3
Genauso beeindruckend sind die Zuwachsraten im Thüringer Baugewerbe in den ersten 1990er-Jahren, aufbauend auf einem wie ausgeführt schon recht hohen Niveau. Zwischen 1991 und 1992 ist die Bruttowertschöpfung nominal, also in jeweiligen Preisen, um 71 % gewachsen, in den beiden nächsten Jahren hat sie sich nochmals erhöht und 1994 mit 5,31 Mrd. Euro den Wert von 1991 (2,11 Mrd. Euro) um 151 % übertroffen. In Baden-Württemberg waren die Zuwachsraten deutlich geringer: 1992 gegenüber 1991 +12,1 %, 1994 gegenüber 1991 +12,9 %.
Nach 1994 ist die Bruttowertschöpfung im Thüringer Baugewerbe jedoch stetig zurückgegangen, der Tiefpunkt wurde 2005 mit 2,3 Mrd. Euro erreicht, das waren nur noch 9,1 % mehr als 1991. Anschließend ging es nahezu kontinuierlich wieder nach oben, 2022 hat die Wertschöpfung des Baugewerbes in Thüringen mit 4,83 Mrd. Euro den Wert von 1991 um 129 % übertroffen. In Baden-Württemberg wurde für den Zeitraum 1991 bis 2022 interessanterweise eine nahezu gleich hohe Steigerung gemessen (+4133 %), allerdings verlief die Entwicklung dort sehr viel kontinuierlicher.
Dies wird durch die Darstellung im Schaubild, Teil a) mit Entwicklungslinien in der Dimension 2015 = 100 % eindrucksvoll unterstrichen. Aufsetzend auf einem gar nicht so weit auseinanderliegenden Niveau im Ausgangsjahr 1991 (Baden-Württemberg 70,6 %, Thüringen 62,7 % bei 2015 = 100 %) ging es in Thüringen innerhalb von 3 Jahren rasant aufwärts (1994: Indexwert 157,7 %), danach innerhalb von 11 Jahren bis 2005 (68,4 %) zwar langsamer, aber doch stetig wieder nach unten. Im Jahr 2005 wurde interessanterweise das Niveau von Baden-Württemberg (65,3 %) mit dem dort ebenfalls niedrigsten Wert ungefähr erreicht. Im Gegensatz zu Thüringen verlief die Entwicklung im Südwesten in sehr engen Bahnen und war tendenziell leicht rückläufig. In den folgenden, durch Wachstum gekennzeichneten Jahren haben sich die leichten Niveauunterschiede zugunsten Thüringens zunächst fortgesetzt. Auch nach 2015 ist die Bruttowertschöpfung des Baugewerbes in Thüringen weiter gewachsen, aber nicht mehr so kräftig wie in Baden-Württemberg; die Indexwerte bei 2015 = 100 % betrugen 2022 in Thüringen 143,5 %, in Baden-Württemberg 164,4 %.
Schaubild Teil a) lässt auch erkennen, dass die Entwicklungslinien in Baden-Württemberg und in Westdeutschland (ohne Berlin) über die Jahre hinweg nahezu deckungsgleich waren, im gesamten Betrachtungszeitraum 1991 bis 2022 lag der Zuwachs in Baden-Württemberg mit + 133 % nur knapp unter demjenigen in Westdeutschland ohne Berlin mit + 141 %. In Thüringen war das Wachstum des Baugewerbes in den ersten Jahren etwas stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland (ohne Berlin), wo der Höhepunkt 1995 erreicht wurde, jedoch ab 2017 merklich schwächer. Dadurch ist die Bruttowertschöpfung des Baugewerbes in Thüringen zwischen 1991 und 2022 mit + 129 % geringer angestiegen als im Durchschnitt der ostdeutschen Flächenländer mit + 168 %. Tatsächlich erreichte der Anteil Thüringens an der Bruttowertschöpfung des Baugewerbes in Ostdeutschland 1992 mit 19,8 % seinen Höhe- und 2022 mit 14,9 % seinen Tiefpunkt.
Der Anteil Thüringens an der Wertschöpfung des Baugewerbes von Deutschland insgesamt war 1994 mit 4,5 % am höchsten und 2022 mit 2,3 % – und damit etwa halb so groß – am niedrigsten. Baden-Württemberg hat 2006 mit 15,3 % den größten Anteil an der Bruttowertschöpfung des bundesdeutschen Baugewerbes erzielt, 1994 mit 12,5 % den geringsten, auch wegen der damals mit 29,9 % sehr umfangreichen Quote Ostdeutschlands einschließlich Berlin. Beim Anteil Baden-Württembergs an Westdeutschland ohne Berlin wurden über die Jahre hinweg Anteilswerte zwischen 18,8 % (2000) und 17,7 % (2022) realisiert.
Preisbereinigte Entwicklung
Die bisherigen Ausführungen haben sich auf die Bruttowertschöpfung in jeweiligen Preisen und damit in nominaler Rechnung bezogen, da nur in dieser Darstellung absolute Werte vorliegen und Anteile errechnet werden können. Die Entwicklung der Bruttowertschöpfung kann außerdem preisbereinigt in Form von Veränderungsraten bzw. Indizes, also in realer Rechnung analysiert werden.
Auch preisbereinigt waren die Wachstumsraten des Baugewerbes in Thüringen in den ersten Jahren beachtlich: Die reale Bruttowertschöpfung hat, jeweils gegenüber dem Vorjahr, in Thüringen 1992 um 43,1 %, 1993 um 15,3 % und 1994 um 13,4 % stets zweistellig zugenommen, im Durchschnitt der 3 Jahre waren dies bemerkenswerte 23,9 %. In Baden-Württemberg haben die Veränderungsraten +2,3 %, –4,8 % und –1,3 % und damit pro Jahr –1,3 % betragen.
Im Anschluss an diese Boomphase war die reale Wertschöpfung des Baugewerbes in Thüringen bis 2005 Jahr für Jahr rückläufig, teilweise sogar mit zweistelligen Schrumpfungsraten; innerhalb von 9 Jahren, nämlich 2005 gegenüber 1994, hat mehr als eine Halbierung stattgefunden (–54,5 %), und auch das Niveau von 1991 wurde um 15 % unterschritten. Demgegenüber war die jährliche Entwicklung des baden-württembergischen Baugewerbes überwiegend von konjunkturbestimmten Zu- und Abnahmen der Wertschöpfung geprägt, der Rückgang 2005 gegenüber 1994 mit –21,2 % deutlich kleiner als in Thüringen. Danach folgte die jährliche Entwicklung in beiden Ländern einem recht ähnlichen konjunkturellen Muster, allerdings in Thüringen mit zumeist stärkeren Ausschlägen nach oben und unten. Im Ergebnis hat die reale Bruttowertschöpfung des Baugewerbes zwischen 2005 und 2022 in Baden-Württemberg stagniert (–0,4 %), aber in Thüringen um 16,4 % oder um 1,1 % pro Jahr abgenommen.
Dagegen haben sich im Zeitraum 2005 bis 2022 bei der Bruttowertschöpfung in nominaler Rechnung für beide Länder doch beachtliche Wachstumsraten ergeben, vor allem in den letzten fünf Jahren, wie Schaubild Teil a) zeigt. In Baden-Württemberg lag die Zunahme zwischen 2005 und 2022 bei +152 %, in Thüringen bei +110 %, das sind pro Jahr +5,6 % bzw. +4,5 %. Dies bedeutet, dass das nominale Wachstum des Baugewerbes im Durchschnitt der letzten 17 Jahren ausschließlich durch sehr hohe Preissteigerungen bewirkt wurde, und zwar in beiden Ländern in Höhe von jeweils 5,6 % pro Jahr. In der Boomphase 1991 bis 1994 erreichten die Preissteigerungen in Baden-Württemberg mit jährlich 5,5 % einen ähnlich hohen Umfang, in Thüringen betrugen sie sogar jährlich 8,5 %.
Erwerbstätige
Die Entwicklung der im Baugewerbe Erwerbstätigen folgte bis Mitte der 2000er-Jahre in Baden-Württemberg und in Thüringen recht gut dem Verlauf der nominalen Bruttowertschöpfung, wie ein Vergleich von Teil b) mit Teil a) im Schaubild zeigt. Beeindruckend in Thüringen und in Ostdeutschland ist insbesondere der steile Anstieg von 1991 bis 1995 (+38,5 bzw. +49 %), ebenso der anschließende deutliche Rückgang bis 2006 (–51,4 bzw. –54,6 %). In Baden-Württemberg und in Westdeutschland hat der Erwerbstätigenstand bis 2000 mehr oder weniger stagniert (–2,8 bzw. –0,9 %), in den folgenden Jahren hat sich dann, wie in Thüringen und Ostdeutschland, ein Rückgang mit dem Tiefpunkt des gesamten Betrachtungszeitraums im Jahr 2005 ergeben (–13,5 bzw. –15,5 %). Nach 2005 ging es dann in Baden-Württemberg und in Westdeutschland kontinuierlich wieder aufwärts (+18,3 bzw. +21,8 %), die ostdeutschen Flächenländer und vor allem Thüringen mussten dagegen auch zwischen 2006 und 2022 noch rückläufige Erwerbstätigenzahlen verbuchen, wenngleich weit weniger stark wie zwischen 1995 und 2006. Dabei war die Verringerung der Erwerbstätigkeit im Baugewerbe in Thüringen (–16,3 %) deutlich ausgeprägter als in Ostdeutschland ohne Berlin (–4,8 %).
Wie Tabelle 2 zeigt, hat sich im gesamten Zeitraum 1991 bis 2022 die Anzahl der Erwerbstätigen im Thüringer Baugewerbe von 126 100 auf 71 100 Personen und damit um stattliche 43,6 % verringert, in Baden-Württemberg blieb der Erwerbstätigenbestand mit 351 700 und 349 700 Personen nahezu unverändert (–0,6 %). Der Anteil Thüringens an Deutschland hat sich innerhalb dieser 31 Jahre von 4,4 % auf 2,7 % reduziert, der höchste Anteilswert wurde 1995 mit 5,3 % erreicht. Auffallend ist weiterhin der vor allem in den jüngsten Jahren gesunkene Beitrag Thüringens zur Erwerbstätigkeit des ostdeutschen Baugewerbes, zwischen 1991 und 2022 ist die Quote von 17,9 % auf 15,7 % zurückgegangen; 1992 hatte sie mit 18,1 % ihren höchsten Wert erreicht. Für Baden-Württemberg wurde zunächst ein kontinuierlicher Rückgang des Bundesanteils von 12,2 % im Jahr 1991 auf 10,8 % in den Jahren 1995 und 1996 ermittelt, in den Folgejahren ist diese Quote tendenziell wieder gestiegen und hat 2021 und 2022 mit 13,3 % ihren Höhepunkt erreicht. Der Anteil Westdeutschlands an Deutschland insgesamt hat einen ähnlichen Verlauf genommen, was nicht zuletzt auf die sehr bewegte Entwicklung im ostdeutschen Baugewerbe zurückzuführen ist. Der Beitrag Baden-Württembergs zur Erwerbstätigkeit des Baugewerbes in Westdeutschland hat sich recht unterschiedlich entwickelt und ist 2022 mit 16,8 % unter dem Wert von 1991 mit 17,2 % geblieben.
Trotz des skizzierten Verlaufs der Erwerbstätigenzahlen ist das Thüringer Baugewerbe auch weiterhin ein gewichtiger Wirtschaftsbereich dieses Landes. Zwar hat der Anteil des Baugewerbes an der gesamten Erwerbstätigkeit 2022 mit 6,9 % den niedrigsten Wert im Betrachtungszeitraum erreicht und damit deutlich unter der Quote von 1991 (10,3 %) gelegen bzw. gerade einmal zwei Fünftel des Anteils von 1995 (16,4 %) erzielt. Allerdings hat selbst dieser 2022 geringe Wert in Thüringen den gesamtwirtschaftlichen Beitrag des Baugewerbes in Baden-Württemberg (5,5 %) übertroffen; im Südwesten hat sich diese Quote in deutlich engeren Bandbreiten bewegt und im allgemeinen Boomjahr 1994 mit 7,1 % den größten und in verschieden Jahren im Zeitraum 2008 bis 2015 mit 5,1 % den kleinsten Wert erreicht.
Welch immenses Gewicht das Baugewerbe kurz nach der Wiedervereinigung in Thüringen erzielt hat, geht aus einer Vergleichsrechnung hervor: 1995 waren im Baugewerbe dieses Landes 174 600 Menschen beschäftigt, im Verarbeitenden Gewerbe waren es mit 179 000 Personen nur geringfügig mehr. Im gleichen, durch bundesweiten Bauboom geprägten Jahr beliefen sich in Baden-Württemberg die Erwerbstätigenzahlen im Baugewerbe auf 360 100, im Verarbeitenden Gewerbe dagegen auf 1,447 Millionen Personen, also auf mehr als das 4-Fache. Die damit zum Ausdruck kommende Besonderheit Thüringens bzw. aller ostdeutschen Länder bedeutet, dass unmittelbar nach der Wende viele zuvor in der Industrie der ehemaligen DDR beschäftigte und im Zuge der radikalen Umstrukturierung entlassene Menschen wenigstens im damals aufstrebenden Baugewerbe unterkommen konnten.5
Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen
Umfang und Entwicklung in jeweiligen Preisen
Mit der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen wird allgemein die Arbeitsproduktivität bzw. die Leistungskraft einer Volkswirtschaft oder eines Wirtschaftsbereichs gemessen. Dabei wird die Wertschöpfung auf den Wirtschaftsfaktor Arbeit bezogen, obwohl auch andere Faktoren wie vor allem Kapital, also Maschinen und Gebäude, sowie Boden zur Leistungserbringung beitragen. Gerade in hochentwickelten Volkswirtschaften erfährt die Nutzung technischen Fortschritts in Form von Maschinen, Computern und Robotern eine große und wachsende Bedeutung.
Außerdem besteht im teilweise recht arbeitsintensiven Baugewerbe ein beträchtlicher Teil der Bruttowertschöpfung aus Löhnen und Gehältern – nach den neuesten Zahlen betrug der entsprechende Anteil des Arbeitnehmerentgelts beim Baugewerbe bundesweit 58,1 %, zusammen mit dem Nettobetriebsüberschuss einschließlich Selbstständigeneinkommen waren es 79,3 %; der Beitrag der Abschreibungen und damit der Wertminderung des Anlagevermögens umfasste gerade einmal 4,3 %.6 Der Einfluss von Löhnen und Gehältern ist deshalb sowohl bei der Entwicklung der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen als auch bei interregionalen Vergleichen, wie hier für Ost- und Westdeutschland, zu beachten.
Die Daten in Tabelle 3 bestätigen diese Argumentation. Im Jahr 1991, also unmittelbar nach der Wende, belief sich die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen (ET) des Baugewerbes in Baden-Württemberg mit 36 986 Euro je ET auf das 2,2-Fache dieses Indikators in Thüringen in Höhe von 16 739 Euro je ET. Im Anschluss ist diese Größe in Thüringen jedoch überproportional angestiegen, schon 1992 betrug der Wert Baden-Württembergs mit 40 376 Euro je ET nur noch das 1,6-Fache des Wertes von Thüringen mit 25 347 Euro je ET, im nächsten Jahr 1993 (40 268 gegenüber 28 670 Euro je ET) das 1,4-Fache und schließlich 1994 (40 412 gegenüber 31 490 Euro je ET) knapp das 1,3-Fache. Das heißt Thüringen hat wohl nicht nur beim Kapitaleinsatz, sondern auch bei der Entlohnung aufgeholt. Tatsächlich haben sich die im Baugewerbe bezahlten Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer (AN) von 1991 bis 1994 in Thüringen um 41,9 % erhöht und damit dreimal so stark wie in Baden-Württemberg mit 14 %.7
In den folgenden knapp 3 Jahrzehnten wurde dieser prozentuale Abstand mehr oder weniger beibehalten, 2022 erreichte die auf die Zahl der Erwerbstätigen bezogene Bruttowertschöpfung in Baden-Württemberg (86 602 Euro je ET) – wie schon 1994 – den knapp 1,3-fachen Wert im Vergleich zu Thüringen (67 926 Euro je ET).
Die Abstände zwischen beiden Ländern waren damit vor allem in den ersten Jahren nach der Wende beim Baugewerbe deutlich geringer als beim Verarbeitenden Gewerbe, wo der Wert für Baden-Württemberg gegenüber Thüringen 1991 das 7,7-Fache und 1992 das 4,4-Fache betragen hat.8 Für die großen Abweichungen zwischen Verarbeitendem und Baugewerbe in den Anfangsjahren dürften neben technologisch bedingten Unterschieden im Kapitaleinsatz auch Unterschiede in der Entlohnung eine Rolle gespielt haben, die beim damals prosperierenden ostdeutschen Baugewerbe deutlich höher war als beim noch ziemlich am Boden liegenden Verarbeitenden Gewerbe. So beliefen sich die Bruttolöhne und -gehälter 1991 in Thüringen beim Baugewerbe auf 12 228, beim Verarbeitenden Gewerbe auf 9 513 Euro je Arbeitnehmer (AN), 1992 waren es 14 919 zu 13 420 Euro je AN und 1993 noch 16 368 zu 14 935 Euro je AN. Die gleiche Höhe bei der Entlohnung von Bau- und Verarbeitendem Gewerbe wurde erst 1994 mit 17 345 zu 17 147 Euro je AN erreicht, und auch 2022 lagen die Werte mit 36 448 und 36 629 Euro je AN sehr nahe beieinander – anders als in Baden-Württemberg, wo 2022 im Baugewerbe mit 43 078 Euro je AN deutlich niedrigere Bruttolöhne und -gehälter gezahlt wurden als im Verarbeitenden Gewerbe mit 53 247 Euro je AN.
Schaubild Teil c) und Tabelle 3 unterstreichen, dass beim Baugewerbe die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen in Thüringen in den beginnenden 1990er-Jahren besonders kräftig aufgeholt hat: Zwischen 1991 und 1992 erreichte der Zuwachs 51,4 %, zwischen 1992 und 1993 weitere 13,1 % und zwischen 1993 und 1994 nochmals 9,8 %. In Baden-Württemberg blieb die Entwicklung mit +9,2 %, –0,3 % und +0,4 % erheblich darunter.
Im Anschluss an 1994 (mit 31 490 Euro je ET) hat das Baugewerbe bei der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen in Thüringen eine teils kräftige Abnahmephase erlebt, der Tiefpunkt wurde 2000 mit 23 163 Euro je ET erreicht, das sind immerhin 8,6 % weniger als 1992; im Jahr 2005 hat die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen im Thüringer Baugewerbe wieder 27 098 Euro je ET betragen. In Baden-Württemberg hat sich die so gemessene Arbeitsproduktivität im Zeitraum 1992 bis 2005 dagegen in sehr engen Bandbreiten zwischen 39 985 Euro je ET (2003) und 41 669 Euro je ET (1999) bewegt. Wie Schaubild Teil c) zeigt, ist dann zwischen 2005 und 2022 die Produktivität in Baden-Württemberg und in Thüringen nahezu parallel angewachsen, mit ab 2019 jeweils zunehmender Intensität. Im gesamten Zeitraum 1991 bis 2022 war die Zunahme in Thüringen aufgrund der größeren Dynamik in den Anfangsjahren mit +306 % deutlich größer als in Baden-Württemberg mit +134 % (Tabelle 3).
Nach den obigen Ausführungen ist es wenig überraschend, dass im Vergleich zur Arbeitsproduktivität in Deutschland insgesamt Baden-Württemberg über die Jahre hinweg durchweg höhere, Thüringen dagegen stets geringere Werte erzielt hat. Besonders groß waren die Abstände zum Bundesdurchschnitt im Anfangsjahr 1991 mit einer Abweichung in Baden-Württemberg um 22,8 % nach oben und in Thüringen um 44,4 % nach unten (Tabelle 3). Schon im nächsten Jahr 1992 bewegten sich die Abweichungen mit +17,2 % bzw. –26,4 % ungefähr in den Größenordnungen, die auch in den Folgejahren gemessen wurden. Erwähnenswert ist weiterhin, dass im gesamten Zeitraum die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen in Baden-Württemberg über dem westdeutschen Durchschnitt gelegen ist, während Thüringen den ostdeutschen Durchschnitt meist leicht verfehlt hat (Tabelle 3).
Preisbereinigte Entwicklung
In der realen, also preisbereinigten Arbeitsproduktivität kommt der technologische Fortschritt besser zum Ausdruck. Entsprechende Daten sind jedoch wieder nur in Form von Veränderungsraten bzw. Indizes verfügbar. Gemessen über die preisbereinigte Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen ist die reale Arbeitsproduktivität im Baugewerbe Thüringens kurz nach der Wende fast explosionsartig angewachsen, die Steigerungsraten beliefen sich, jeweils zum Vorjahr, 1992 auf 26,8 %, 1993 auf 5,1 % und 1994 auf 5 %, das sind insgesamt +40 % oder pro Jahr +11,9 %. Ein nicht unerheblicher Teil dürfte auf die kapitalintensiven Teilbereiche Tiefbau einschließlich Straßenbau und Hochbau einschließlich Fertigteilbau zurückzuführen sein, die in den ersten Jahren nach der Wende in Ostdeutschland verstärkt zum Zuge gekommen sind.9 In Baden-Württemberg wurden in diesen Jahren Verringerungen um 0,4 %, 5,2 % und 1,5 % gemessen, insgesamt also ein Rückgang um insgesamt 7 % oder jahresdurchschnittlich 2,4 %.
Im Anschluss hat die reale Arbeitsproduktivität im Baugewerbe beider Länder abgenommen, in Thüringen zwischen 1994 und 2005 um 9,7 % und zwischen 2005 und 2022 um 0,2 %, im gesamten Zeitraum um 9,9 %. In Baden-Württemberg belief sich der Rückgang in den beiden Zeitabschnitten auf 3,9 % bzw. 15,9 % und damit insgesamt auf 19,2 %. Dies bedeutet, dass die Erwerbstätigenentwicklung dem teils drastischen Abbau der realen Bruttowertschöpfung nicht im gleichen Ausmaß gefolgt ist: Die preisbereinigte Wertschöpfung hat wie ausgeführt in Thüringen im Zeitraum 1994 bis 2022 um nicht weniger als 62 % abgenommen, in Baden-Württemberg um 22,2 %. Der Verlust an Erwerbstätigen war zwar vor allem in Thüringen mit –57,8 %, aber auch in Baden-Württemberg mit – 3,8 % durchaus nennenswert, ist damit aber niedriger ausgefallen als der genannte reale Wertschöpfungsrückgang. Es hat also im Baugewerbe unter dem Strich kein Arbeitskräfte einsparender technischer Fortschritt stattgefunden, was gerade in Thüringen mit einer gewissen Verlagerung der Bautätigkeit auf die Sanierung und Modernisierung von Wohnungen und damit auf das arbeitsintensivere Ausbaugewerbe zu erklären sein dürfte.10
Im Verarbeitenden Gewerbe hat sich die Situation dagegen ganz anders dargestellt. Während zwischen 1994 und 2022 die reale Arbeitsproduktivität im Baugewerbe in Baden-Württemberg um 19,2 % und in Thüringen um 9,9 % abgenommen hat, hat sie sich im Verarbeitenden Gewerbe in Baden-Württemberg um 58,5 % und in Thüringen sogar um 171,2 % erhöht. In beiden Ländern ging somit der Erwerbstätigenaufbau im Verarbeitenden Gewerbe zwischen 1994 und 2022 um 0,7 % in Baden-Württemberg und 15 % in Thüringen einher mit einer verstärkten Nutzung technologischer Neuerungen in den Produktions- und Verwaltungsprozessen und wurde, anders als im Baugewerbe, durch erhebliche Produktionsausweitungen (real +58,5 % in Baden-Württemberg bzw. +171 % in Thüringen) bewirkt.
Zusammenfassende Bewertungen
Die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands waren in Thüringen, wie in ganz Ostdeutschland, durch spürbare wirtschaftliche Einschnitte und erhebliche Umwälzungen geprägt. Während in Thüringen die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 1991 und 1995 im Baugewerbe um 38,5 % zugenommen hat, hat sie sich im Verarbeitenden Gewerbe mehr als halbiert und um 51,5 % abgenommen, in den beiden folgenden Jahren um weitere 2,1 %. Im von den Turbulenzen der Nachwendezeit deutlich weniger tangierten Baden-Württemberg ist die Erwerbstätigkeit im Baugewerbe lediglich um 2,4 % gewachsen, im Verarbeitende Gewerbe nur um 14,5 % geschrumpft.
Besonders deutlich kommen die Verschiebungen in Thüringen durch folgende Gegenüberstellungen zum Ausdruck: 1995 waren im dortigen Baugewerbe 174 600 Menschen erwerbstätig, im Verarbeitenden Gewerbe waren es mit 179 000 Personen nur geringfügig mehr; in Baden-Württemberg war dagegen die Erwerbstätigenzahl im Verarbeitenden Gewerbe 1995 mit 1,447 Millionen Personen viermal so hoch wie im Baugewerbe mit 360 100 Personen. In diesem Jahr 1995 war in Thüringen jeder sechste Erwerbstätige (16,4 %) im Baugewerbe beschäftigt, in Baden-Württemberg war es jeder 14. (7 %).
Wichtige Auslöser dieses Thüringer Baubooms in der 1. Hälfte der 1990er-Jahre waren Förder- und Modernisierungspakete von Bund, Ländern, Bahn und Telekom zur Modernisierung und Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur sowie großzügige Zuschüsse, Zulagen und Steuervergünstigungen in Ostdeutschland. Die dadurch bewirkten Bauinvestitionen waren wesentliche Garanten zur Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze in Industrie, Gewerbe und Dienstleitungsbereichen. Experten bemängeln allerdings, dass durch die enormen Fördermaßnahmen in kurzer Zeit Überkapazitäten in der ostdeutschen Bauwirtschaft geschaffen wurden, wodurch ab Mitte der 1990er-Jahre bei Wirtschafts- wie Wohnbauten das Angebot die Nachfrage deutlich übertroffen hat mit der Folge, dass trotz teilweiser Fortführung von Fördermaßnahmen die Bauinvestitionen in Ostdeutschland drastisch zurückgegangen sind.11
Tatsächlich hat sich der Erwerbstätigenstand des Thüringer Baugewerbes nach 1995 deutlich verringert, besonders kräftig bis 2006 mit 84 900 Erwerbstätigen oder 51,4 % weniger als 1995. Nach einer gewissen Stabilisierung erfolgte dann ab 2010 ein weiterer, zwar flacherer, aber recht kontinuierlicher Rückgang bis 2022 um 15 % auf dann nur noch 71 100 Erwerbstätige. In Baden-Württemberg hat der Erwerbstätigenstand 1995 bis 2006 tendenziell ebenfalls nachgegeben, die Abnahme ist mit 17,9 % jedoch deutlich geringer ausgefallen als in Thüringen. Vor allem aber hat im Südwesten bis 2022 wieder eine Erholung stattgefunden, mit 349 700 Erwerbstätigen wurde das Niveau von 1991 mit 351 700 Erwerbstätige fast wieder erreicht. Dagegen musste das Thüringer Baugewerbe in diesem umfassenden Zeitraum einen Erwerbstätigenverlust um 43,6 % hinnehmen. Dennoch ist der Anteil des Baugewerbes an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen 2022 in Thüringen mit 6,9 % merklich höher ausgefallen als in Baden-Württemberg mit 5,5 %, beim Verarbeitenden Gewerbe lagen die Quoten der beiden traditionellen Industrieländer mit 20,5 % und 23,9 % vergleichsweise näher beieinander.
Die nominale, also nicht preisbereinigte Bruttowertschöpfung hat sich bis Mitte der 2000er-Jahre weitgehend parallel zum Erwerbstätigenstand entwickelt. Dabei hat sich die auf die Zahl der Erwerbstätigen bezogene Bruttowertschöpfung in jeweiligen Preisen zwischen 1991 und 2005 in Baden-Württemberg tendenziell nur leicht erhöht. Für Thüringen wurden in den Jahren unmittelbar nach der Wende kräftige Zunahmen und danach zeitweise merkliche Verringerungen ermittelt. Nach 2005 und insbesondere nach 2020 ist die so gemessene Arbeitsproduktivität in Thüringen dann deutlich angestiegen, die Erwerbstätigenentwicklung konnte mit dem Wachstum der Wertschöpfung nicht mithalten. Demgegenüber konnte die Erwerbstätigkeit in Baden-Württemberg nach 2005 kontinuierlich ausgebaut werden.
Vor allem während der beiden Baubooms unmittelbar nach der Wende und in der jüngsten Vergangenheit wurde das nominale Wertschöpfungswachstum in erheblichem Maße durch Preissteigerungen bewirkt. Damit haben sich in realer, preisbereinigter Rechnung sowohl die Bruttowertschöpfung als auch die Arbeitsproduktivität deutlich schwächer entwickelt. Insbesondere hat die reale Bruttowertschöpfung des Baugewerbes nach 2015 in beiden Ländern abgenommen, bis 2022 in Baden-Württemberg um 5,1 %, in Thüringen sogar um 16,4 %; nominal wurden in diesem Zeitabschnitt dagegen beachtliche Wachstumsraten in Höhe von 64,4 % bzw. 43,5 % erzielt.