Cutting Red Tape – vom Erfüllungsaufwand zur Transformation der Verwaltung
Der Bürokratieabbau in Baden-Württemberg wird neu ausgerichtet
Seit Anfang der 2000er-Jahre verfügt Baden-Württemberg auf Landesebene über Institutionen, Strukturen und Prozesse, die dazu beitragen, unnötige Bürokratie in der Rechtsetzung zu vermeiden bzw. soweit als möglich abzubauen und die Verwaltung zu modernisieren. Ab 2018 verbesserten sich die Rahmenbedingungen deutlich: Der Normenkontrollrat Baden-Württemberg (NKR BW), ein unabhängiges die Landesregierung beratendes Expertengremium wurde eingesetzt, die Pflicht zum Ermitteln des Erfüllungsaufwands von Regelungsvorhaben der Landesregierung wurde etabliert und eine Stabsstelle beim Statistischen Landesamt eingerichtet. Unter den deutschen Bundesländern übernimmt Baden-Württemberg damit gemeinsam mit Sachsen, Bayern, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die ebenfalls über eigene Normenkontrollräte oder verwaltungsexterne Clearingstellen zum Bürokratieabbau verfügen, eine Vorreiterrolle. Mit Ablauf der ersten Amtsperiode des NKR BW Ende 2022 wird das baden-württembergische Setting zum Bürokratieabbau nun neu ausgerichtet. Rollen, Arbeitsweisen und eingesetzte Instrumente sollen in Orientierung an bisherigen Erfahrungen und vorliegenden Evaluationsergebnissen geschärft und weiterentwickelt werden.1
Aufbauphase
Im 1. Jahrzehnt der 2000er-Jahre stand Bürokratieabbau in der öffentlichen Wahrnehmung national wie international hoch im Kurs.2 Der OECD-Report »From Red Tape to Smart Tape – Administrative Simplification in OECD Countries« erschien (siehe i-Punkt »Cutting Red Tape«). In Deutschland wurde 2006 der Nationale Normenkontrollrat als unabhängiges Beratungs- und Kontrollgremium der Bundesregierung zum Bürokratieabbau aus der Taufe gehoben und 2011 die Erfüllungsaufwandsberechnung nach dem Standardkostenmodell als Instrument zur Beurteilung der Folgekosten rechtlicher Regelungen für Wirtschaft, Bürgerschaft und Verwaltung etabliert. Baden-Württemberg zog 2018 mit einem eigenen Normenkontrollrat nach und verankerte die verpflichtende Erfüllungsaufwandsberechnung auf Landesebene. In den anschließenden Jahren bis etwa Ende 2021 war intensive Grundlagenarbeit zum Strukturaufbau erforderlich. Gleichzeitig war die öffentliche Aufmerksamkeit eher geringer. Erst ab Ende 2021 zeichnete sich in gewissem Umfang ein Wiederaufflammen des öffentlichen Interesses ab, das sich auch in einer intensivierten Medienberichterstattung und in Veröffentlichungen rund um den Bürokratieabbau wiederspiegelt. Offene Briefe und Appelle von Interessenverbänden an die Adresse der Bundes- und Landespolitik zeigen: Bürokratieabbau ist politisch weiterhin hoch relevant.
Konsolidierung und Neuausrichtung
Die Landesregierung Baden-Württembergs hat Anfang 2023 einen »Masterplan für die Transformation der Verwaltung« veröffentlicht, um im Land verstärkt Entwicklungen in den Bereichen Verwaltungsmodernisierung, Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung zu initiieren.3 Der Masterplan geht in seiner ersten Fassung von unsicheren Rahmenbedingungen und einer zunehmenden Komplexität gesellschaftlicher Problemlagen aus. Gleichzeitig steigt die Regelungsdichte in allen wirtschaftlich-technisch hoch entwickelten Gesellschaften. Das macht ein flexibles, effizientes, die Chancen der Digitalisierung aktiv nutzendes Verwaltungshandeln unerlässlich. Um handlungsfähig zu bleiben, muss die Verwaltung ihre Arbeitsweise strukturell so verändern, dass unnötige Bürokratiebelastungen gar nicht erst entstehen.
Der Masterplan versteht sich als agiles Projekt mit Laborcharakter: Er gibt sechs zentrale Visionen vor, die künftig dem Verwaltungshandeln allgemein ebenso wie Bürokratieabbau- und Verwaltungsmodernisierungsprojekten der Landesverwaltung eine gemeinsame Richtung geben.4 Modernisierungsvorhaben der Landesverwaltung sollen in Zukunft zunächst in Form kompakter etwa 3-monatiger Pilotprojekte (»Transformationspiloten«) auf Tragfähigkeit geprüft werden. Für bewährte Kandidaten kann dann eine landesweite Umsetzung in Betracht gezogen werden. Es geht also darum, die Arbeitsweise der Verwaltung strukturell so zu verändern, dass bessere Ergebnisse erzielt werden können.5
Die Koordination der Vorhaben der Landesregierung zu Verwaltungsmodernisierung, Bürokratieabbau und besserer Rechtsetzung liegt in Baden-Württemberg weiterhin beim Chef der Staatskanzlei.6 Ein Amtschefausschuss stellt sicher, dass die Themen in allen Häusern Chefsache sind. Neu ist die 2022 eingerichtete Koordinierungsstelle Verwaltungsmodernisierung im Staatsministerium, die gemeinsam mit den Landesministerien den »Masterplan für die Transformation der Verwaltung« entwickelt und den Prozess zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und der Verwaltung von unnötiger Bürokratie steuert. Die Koordinierungsstelle arbeitet eng mit weiteren Innovationseinheiten der Landesregierung zusammen: mit dem InnoLab_bw, dem Normenkontrollrat BW (NKR BW) und der Stabsstelle beim Statistischen Landesamt Baden-Württemberg (siehe i-Punkt »Stabsstelle beim Statistischen Landesamt«).
Die Landesregierung setzt weiterhin auf die bewährten Institutionen NKR BW und Stabsstelle beim Statistischen Landesamt, richtet diese aber neu aus:7 Beide Einrichtungen werden in ihrer Beratungs- und Servicefunktion gestärkt und sollen die Ressorts künftig noch aktiver dabei unterstützen, in Sachen Bürokratieentlastung und bessere Rechtsetzung voranzukommen. Gleichzeitig soll das Bewusstsein für bürokratische Entlastungen gestärkt werden. Dies, im Sinn des Masterplans, gegebenenfalls auch mithilfe neu zugeschnittener Serviceangebote, die sich zuvor in Pilotprojekten als zielführend und praxistauglich erwiesen haben.
Der Normenkontrollrat BW soll künftig im Rechtsetzungsprozess frühzeitiger beteiligt werden und eine aktivere Rolle spielen. Die bereits eingesetzten Instrumente sollen reflektiert, an landesspezifische Besonderheiten angepasst und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Dabei darf das Ermitteln des Erfüllungsaufwands laut Staatsministerium kein Selbstzweck sein: »Entsprechend sollen die Belastungen der Ressorts durch die Ermittlung des Erfüllungsaufwands reduziert werden. Durch eine fokussierte Anwendung des Verfahrens, insbesondere im Vergleich von Vollzugsalternativen, soll sein Nutzen deutlich erhöht und seine Berücksichtigung im Verfahren gestärkt werden.«8
Der Stabsstelle weisen die jüngsten Initiativen ein erweitertes Aufgabenfeld und eine gestärkte Rolle zu. Insgesamt betrachtet soll das Ex-ante-Verfahren – also das Prüfen von Regelungsvorhaben vor ihrer Verabschiedung auf unnötige Bürokratie und unnötige Folgekosten und das Entwickeln von Vorschlägen zu deren Vermeidung – in Zukunft mehr Entlastungswirkung entfalten.
Fazit und Perspektiven
Die baden-württembergischen Strukturen zu Verwaltungsmodernisierung, Bürokratieabbau und besserer Rechtsetzung stehen nach Abschluss intensiver Aufbauarbeit mit hoher fachlicher Expertise und inhaltlicher Produktivität in der ersten Amtsperiode des Normenkontrollrats BW an der Schwelle zur Konsolidierung und Neuausrichtung, die mit der anstehenden Neubesetzung des Expertengremiums weiter an Kontur gewinnen soll. Zentral dürfte dabei die – zugegeben knifflige – Frage sein, wie sich künftig noch mehr dringend benötigte Entlastungsdynamik erzeugen lässt, die spürbar bei Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und auch bei der Verwaltung selbst ankommt.