Displaying Ehe
Rezension von »Die Ehe in Deutschland. Eine soziologische Analyse über Wandel, Kontinuität und Zukunft« von Rosemarie Nave-Herz
Die jüngste Veröffentlichung der renommierten Familiensoziologin Rosemarie Nave-Herz zur Ehe in Deutschland ist satt an Themen und Statistiken. Sie dürfte vor allem wegen der klaren Gliederung und Verständlichkeit auch für einen breiten Leserkreis außerhalb der Wissenschaft interessant sein. Aber erzeugt sie tatsächlich einen wissenschaftlichen Mehrwert, der entstehen kann, wenn man die Welt nicht mehr bloß alltäglich sieht, sondern mithilfe einer soziologischen Theorie und ihrer abstrakten Begriffe?
Wer sich im Alltag mit der Ehe in Deutschland, und zwar mit der zivilrechtlich begründeten Lebensgemeinschaft von zwei Personen befasst, kann scheinbar gegenläufige Entwicklungen beobachten. Gewiss ist, dass heute der Ehe nicht mehr die hohe Bedeutung zukommt wie noch in den 1950ern und 1960ern. Der Trend beispielsweise seit 1991 ist eindeutig: Damals waren über 90 % der 50- und 60-jährigen Personen verheiratet, verwitwet oder geschieden. Seitdem sind immer weniger Personen im jeweiligen Alter verheiratet oder nicht mehr verheiratet und immer mehr von ihnen ledig geblieben. 30 Jahre später ist fast jede vierte der 50-jährigen und jede siebte der 60-jährigen Personen ledig.1 Ungeachtet dessen scheint ein Interesse an der Ehe ungebrochen zu sein. Jede zweite volljährige Person war 2021 verheiratet. Die Zahl der Eheschließungen nahm seit den Tiefstständen um 2007 bis vor dem Ausbruch der Pandemie 2019 zu. Fast drei Viertel aller Ehen werden in Deutschland durch den Tod eines Ehepartners gelöst. Zwar hat sich seit den 1960er-Jahren die Scheidungshäufigkeit mehr als verdoppelt, aber seit den 1990er-Jahren scheint sie sich stabilisiert zu haben, und in den letzten Jahren sind sogar geringere Häufigkeiten zu beobachten.2 In keiner Zeit lebten Ehepartner solange zusammen wie heute. Nicht nur die durchschnittliche Ehedauer bis zur Verwitwung ist – auch infolge einer längeren Lebenserwartung – gestiegen, sondern ebenso die bis zur Scheidung. Für eine eher gleichbleibende Bedeutung der Ehe spricht beispielsweise, dass zwischen 1981 und 2018 stets fast die Hälfte der 18- bis 29-jährigen Personen der Ansicht zustimmten, dass man heiraten sollte, wenn man dauerhaft mit einem Partner zusammenlebt. Überzeugend zeigt sich die Bedeutung der Ehe in dem jahrzehntelangen Kampf der Lesben und Schwulen, heiraten zu dürfen. Seit 2017 ist die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare möglich. Außerdem boomt der Hochzeitsmarkt, und der Aufwand für Hochzeiten wird immer größer. Der Trend geht zur Eventhochzeit mit ausgefallenem Motto, an einem exotischen Ort mit Kosten im fünfstelligen Eurobereich.
Die Ehe aus einer soziologischen Perspektive
Rosemarie Nave-Herz hat jüngst die soziologische Abhandlung »Die Ehe in Deutschland« veröffentlicht, die, das sei jetzt schon gesagt, gleichsam schlank in der Form und prall im Inhalt ist. Aber erzeugt sie tatsächlich einen wissenschaftlichen Mehrwert, der entstehen kann, wenn man die Welt nicht mehr bloß alltäglich sieht, sondern mithilfe einer soziologischen Theorie und ihrer abstrakten Begriffe? Doch der Reihe nach.
Das Ziel des Buches ist, die Lebensform »Ehe« aus einer soziologischen Perspektive zu beschreiben und zu analysieren. Dabei soll die Ehe weder vornehmlich im Hinblick auf die Familie noch auf Einzelprobleme von Ehebeziehungen untersucht werden. Vielmehr soll zum ersten Mal ein »Überblick über die vielfältigsten Aspekte der Lebensform Ehe als eigenständige Lebensform mit ihrer eigenen Sinnschrift« (S. 9) gegeben werden. In 14 Kapiteln auf 158 Seiten und neun Seiten amtlicher Statistik spannt sich der Bogen von historischen Rückblenden mit ihren Verweisen auf gegenwärtige Besonderheiten der Ehe über Themen zu: Ehe und Nichteheliche Lebensgemeinschaft, Partnerwahl, Eheschließung, Ehephasen, Liebesheirat, Sexualität in und außerhalb der Ehe, eheliches Gespräch, Gewalt in der Ehe, Ehe als Arbeitsgemeinschaft bis Ehescheidung. Eine Einführung zu den »essenziellen Kriterien der Lebensform ‚Ehe‘« und zum Schluss die Frage nach der Zukunft der Ehe bilden die Klammer dieser thematischen Vielfalt.
Rosemarie Nave-Herz legt mit dieser Abhandlung eine Quintessenz ihrer familiensoziologischen Beschäftigung mit »Ehe und Familie« vor, die laut Literaturverzeichnis bis in die 1970er-Jahre reicht. Die Studie, satt an Themen und Statistiken, besticht durch ihre historischen wie auch zeitnahen Bezüge etwa zur Mitmutterschaft und dem Aufzeigen besonders rechtlicher Veränderungen. Aufgrund dieser zahlreichen theoretischen und empirischen Erkenntnisse, doch vor allem wegen der klaren Gliederung und Verständlichkeit dürfte sie auch für einen breiten Leserkreis außerhalb der Wissenschaft interessant sein. Aber wie weit reicht ihre »konstruktivistische und systemtheoretische Sichtweise«, die Ehe als »sozial-kulturelles Phänomen« begreift und gleichzeitig »die anthropologische Grundannahme der Ehe« (S. 10) einschließt? Schon diese Gleichzeitigkeit löst eher Probleme der Grenzziehung und Zuschreibung aus, als dass sie Antworten auf die Fragen liefert: Was ist Ehe? Wie ist Ehe möglich? Banal ist die Erkenntnis, dass Ehe ohne Menschen nicht möglich ist, aber ist diese, wie auch immer vollzogene Abhängigkeit tatsächlich von soziologischem Interesse? An drei weiteren Erkenntnissen der Studie sollen diese Probleme kurz begründet werden.
»Universalien« der Ehe: kulturell konstruiert und historisch wandelbar
Erstens: Was Ehe ist, kann an ihrer Struktur und ihren »Bedeutungszuschreibungen an die Ehe« beobachtet werden. Obwohl Nave-Herz die Ehe als soziales Phänomen begreift, das durch Kontinuität und Wandel gekennzeichnet sei, listet sie sechs »essenzielle Kriterien der Lebensform Ehe« (S. 12) auf. Zu den stets rechtlichen, oft auch religiös konnotierten »Universalien« oder »Grundmuster« quer zu allen historischen Epochen und Kulturen zählen: die Anerkennung der Ehe als soziale Institution, die öffentlichen Schutz bietet und Regulierungen unterworfen ist, eine zumeist lebenslänglich beabsichtigte Solidargemeinschaft mit Rechten und Pflichten zwischen den Eheleuten, die öffentliche Bekundung und der zeremonielle Beginn der Ehe, die rechtliche Einbindung der Herkunftsfamilien der Eheleute durch Zuschreibung neuer Rollen wie Schwiegermutter oder Schwiegervater, der Ehevertrag und die Trauungszeremonie zwischen nur zwei, überwiegend gegengeschlechtlichen Personen, selbst in Kulturen mit mehreren Ehefrauen (Polygynie) oder Ehemännern (Polyandrie) und schließlich der Verweis der Ehe auf Elternschaft und Familie.
So weit, so richtig. Aber ebenso »essenziell« ist, dass stets die Möglichkeit der Ehe mit ihrer Unmöglichkeit einherging und einhergeht. Eheverbote beziehen sich nicht nur auf Lebensjahr und Mündigkeit, Inzest und Polygamie, und einst auf Besitz, Religion und Stand, sondern auch, und dadurch ist die Kontingenz der strukturellen »Universalien« sichtbarer als die Studie nahelegt, auf Anzahl und Geschlecht jener, die heiraten wollen.
Wer den Geltungsbereich nur weit genug spannt, mag auf »Universalien« stoßen. Aber über welchen Informationswert verfügen sie dann noch, außer, dass sie ideologisch ausgenutzt werden können, so mithin durch diese Studie, wenn sie behauptet, dass »durch die Ausweitung des Ehebegriffs auf gleichgeschlechtliche Paare auch der Zusammenhang zwischen Ehe und Familie – wie er aus Artikel 6 Abs. 1 GG gedeutet wurde – rechtlich obsolet geworden« (S. 50) sei? Die Sozialstrukturen sind doch nur durch ihre Interdependenzen mit einer historisch wie regional variierenden Semantik angemessen zu verstehen.3
Im Gegensatz zu ihren Strukturen haben sich die Bedeutungszuschreibungen an die Ehe mehrfach verändert, wie die Studie für Deutschland auch ausführlich darstellt. Gemeint sind die »Funktionen« und der »Sinn« der Ehe »aus Sicht der verschiedenen gesellschaftlich relevanten Gruppen« (S. 15). Schon die etymologische Herkunft des Wortes Ehe verweist in unserem Kulturkreis auf Recht, Gesetz und Vertrag, der bis zu Beginn der Neuzeit zwischen zwei Familien und erst seitdem zwischen zwei Personen geschlossen wird. Der Einfluss der Familienverbände nahm im Laufe der Zeit ab, der der christlichen Kirchen und schließlich des Staates zu. Die Kontingenz der »Universalien« wird auch dort sichtbar, wo – wie die Autorin hervorhebt – die eheliche Lebensgemeinschaft sich heute als »eigenständige Lebensform« vollzieht und sich nicht dem Sozialsystem Familie unterordnet, wo sie heute unter dem »Prinzip der Liebesheirat« eher als »Solidargemeinschaft« fungiert und einst – was die Autorin nicht herausarbeitet – eher als Zweckgemeinschaft entlang politischer und rechtlicher, ökonomischer und religiöser Sachverhalte vollzogen wurde, wo persönliche Zuneigung nicht dasselbe bedeutete wie Liebe und selbst die Ehe allenfalls nachrangig hinter Hausgenossenschaft und Familie bedeutsam war.4
Spätestens in dem Augenblick aber, wo die Studie betont, dass »durch die Eheschließung eine emotionale Beziehung in ein zivilrechtliches Vertragsverhältnis überführt« (S. 97) werde, wo sie Liebe definiert als »Emotion«, die »durch das Zusammenwirken von biologischen, psychologischen, sozialen und kulturellen Faktoren« entstehe, die »keine anthropologische Konstante« sei, sondern »kulturell konstruiert und historisch wandelbar« (S. 117), wo sie gleichzeitig erstaunlich konventionelle und alltagssprachliche »idealtypische Kennzeichen« der romantischen Liebe oder Eigenschaften der Ehepaarbeziehung wie »emotionale Zuneigung«, »Vertrautheit«, »Gefühl der Geborgenheit« (S. 118), »emotionales Band«, »Gefühl (…) des Wohlergehens«, »Zusammensein« (S. 120) distanzlos aufzählt, wo sie auch bei den Gründen der Ehescheidung Unterbrechungen von sozialen und psychischen Interdependenzen unterläuft (S. 154 ff.), wird die Erkenntnis unklar, auf welches System sich die Aussagen beziehen: auf die Ehe, auf eine persönliche Beziehung der Partnerschaft oder auf das Individuum als psychisches System. Diese Unterscheidungen sind zumindest aus einer systemtheoretischen Perspektive notwendig. Denn gewandelt hat sich nicht nur, was die Ehe ist, sondern auch, wie sie möglich ist.
Ehe gründet auf Recht und nicht auf Liebe
Zweitens: Der Irrtum beginnt mit der Erkenntnis, dass in der Moderne »beide, die Ehe und die Nichteheliche Lebensgemeinschaft (…) auf dem Sinnkriterium der romantischen Liebe« (S. 52) beruhten und dass die Nichteheliche Lebensgemeinschaft gegen die Ehe »eingetauscht« (S. 119) werde. Denn es findet kein Tausch statt, sondern eine Ergänzung, weil die Ehe eben nicht durch Liebe möglich wird. Eine Intimbeziehung, die den beteiligten Personen Höchstrelevanz zuschreibt, wird ergänzt durch einen rechtlichen Sachverhalt, der tatsächlich nur im Konflikt und dann vor Gericht relevant wird. Die Intimbeziehung des Paares gründet auf einem selbstbestimmten sozialen Eigensinn der Liebe, selbstreferenziell auf der Inklusion des Individuums als ganze Person durch das Sozialsystem Intimbeziehung, also auch auf der Selbstverpflichtung, umfassende Verantwortung füreinander zu tragen. Die eheliche Lebensgemeinschaft entsteht durch rechtliche Zuschreibung von Verantwortung füreinander, die programmatisch Teilansichten der zwei Personen umfasst und nicht die ganze Person. So thematisiert und reguliert – mal mehr, mal weniger differenziert – das Bürgerliche Gesetzbuch in den §§ 1297 bis 1588: unter anderem Ehenamen, Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit, Geschäfte zur Deckung des Lebensbedarfs, Sorgfalt, Unterhalt der Familie und bei Getrenntleben, Vermögen und Zugewinn, Erbschaft. Das Gesetz fasst besonders ausführlich ökonomische Sachverhalte in die normative Form von Rechten und Pflichten. Aus Sicht des Rechts hat die Ehe eine einzige Funktion, die darin besteht, die Kontingenz normativen Erwartens auszuschalten und auf diese Weise Rechtssicherheit zu ermöglichen. Der Eigensinn der Ehe ist damit ein rechtlicher, also ausschließlich ein sozialer Sinn. Weder Liebe noch gar Gefühle kommen im Eherecht vor, auch weder der Mensch noch das Individuum, sondern im gegenwärtigen Recht nur zwei Personen als Ehegatten und nichtoperative Anknüpfungspunkte rechtlicher Zuschreibungen.
Die Themen, die Nave-Herz anspricht, etwa Vereinbarkeit von Haushalt und Erwerbstätigkeit, Sexualität, eheliches Gespräch und sogar Gewalt, beziehen sich nicht auf die Ehe, sondern auf die Intimbeziehung und ihren semantisch spezifizierten Umgang mit diesen oft ökonomischen und rechtlichen Sachverhalten, aber vor allem mit den sozialen Phänomenen der Psyche und Physis der beteiligten Personen. Anders formuliert: Erst, wenn bei diesen Themen dem Widerspruch widersprochen wird, wenn statt Einvernehmen ein Konflikt vorliegt und dieser als Missbrauch von Rechten ausgelegt werden kann, kann die Ehe der Lebensgemeinschaft neben anderen rechtlichen Normen bedeutsam werden. Die rechtlichen Zuschreibungen können dann für verheiratete Personen andere sein als für nichtverheiratete Personen. Darin unterscheiden sich eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften, gemeinsam ist ihnen jedoch ihr selbstbestimmter Umgang mit rechtlichen Sachverhalten, also ein paradoxer und nicht trivialer Umgang, der gleichsam operativ unabhängig und strukturell abhängig von externen Sachverhalten ist.
Romantik mag vergehen, aber die Liebe nicht
Drittens: Die Autorin stellt sich die Frage, ob »das Prinzip der Liebesheirat: Chance oder Gefahr für die Ehestabilität« (S. 117) sei? In dieser Frage kumulieren die Probleme der Grenzziehung und Zuschreibungen. Die Ehe kann nur rechtlich begründet und aufgelöst werden, ungeachtet einer Stabilität der Intimbeziehung. In der Moderne ist auch die Liebe beides. Sie ist die semantische Bedingung für die Intimbeziehung und der Auslöser für ihre Auflösung. Denn ein weiterer Irrtum dieser Studie liegt in der Gleichsetzung von »Romantischer Liebe« und einer gegenwartsbezogenen Liebe.5 Diese ist trivial, weil sie für jeden zugänglich ist, aber nicht einfach in ihren sozialen Regeln, die das Handeln und Erleben führen, wie aus einer intimen Beziehung eine Intimbeziehung werden kann. Sie mag in einigen Phasen der intimen Kommunikation Elemente der romantischen Liebe vollziehen, aber primär ist sie problem- und lösungsorientiert, die Inklusion der beteiligten Individuen als Vollpersonen zu ermöglichen. Die Liebe steuert sich selbst. Sie schafft ihre eigenen sozialen Vorgaben. Alles ist möglich, nichts notwendig, solange der Andere mitmacht. Sie ist mit Blick auf die strukturelle Zweisamkeit Risiko, da man sich für das gewagte Spiel entschieden hat, und Gefahr, da einer von den beiden allein es beenden kann.
Mit anderen Worten: Die moderne Zweisamkeit mit ihrer Orientierung an Personen »lebt von Voraussetzungen, die« sie »selbst nicht garantieren kann«. »Das ist das große Wagnis« der Liebe, das sie »um der Freiheit willen, eingegangen ist«.6 Die beiden Individuen, herausgelöst aus traditionellen gesellschaftlichen Vorgaben, wählen ihre Beziehungen frei, bedingen gemeinsam ihren Bestand, jedoch allein der Einzelne kann schon ihre Auflösung bedingen.
Displaying Ehe mit Anspruch auf Anerkennung
Das grundsätzliche Problem der Studie ist, dass sie zwar kulturelle Veränderungen der Ehe beschreibt, aber – außer einer nahezu arbiträren Aufzählung von Entwicklungen (S. 42) – theoretisch nicht weitreichend, wie es zu den Veränderungen gekommen ist. Wenn sich die primäre Differenzierung einer Gesellschaft verändert, von einer stratifikatorischen zu einer funktionalen, dann ändert sich nicht nur die Struktur, sondern auch die Semantik, dann ändert sich das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft.7 Mit Blick auf Partnerschaft und Ehe sind zumindest zwei Veränderungen hervorzuheben: Eine gesteigerte selbstbestimmte Innenorientierung der Intimbeziehung an Personen infolge ihrer Herauslösung aus einer segmentär und stratifikatorisch begründeten Tradition. Damit geht einher ein dialektischer Anspruch auf Besonderheit infolge gesteigerter individueller Ansprüche und intimer Varietät. Das Verstehen der Einzigartigkeit des jeweils anderen, seine Besonderheit, seine individuellen Ansprüche setzen allgemein anerkannte kulturelle Ideen der Liebe und modernen Partnerschaft voraus. Aus einem Überschuss an Möglichkeiten dessen, was als Partnerschaft zählen kann, muss nun jede Lebensgemeinschaft für sich selbst wählen, was sie aktualisiert. In ihrer Selbstgestaltung erzeugt sie stets Besonderes. Kurzum: die soziale Vielfalt ermöglicht individuelle Vielfalt und umgekehrt. Während dieser Co-Evolution von Individuum und Gesellschaft kann es für die Lebensgemeinschaft wichtig sein, dass sie nicht nur für sich selbst, sondern ebenso für andere als Lebensgemeinschaft sichtbar handelt. Die rechtliche, aber auch religiöse Heirat können dann als ein »Sich-Zeigen«, als ein »Displaying« Ehe begriffen werden, ungeachtet der – für viele Lebensgemeinschaften offensichtlich weitgehend unbekannten – rechtlichen und ökonomischen Referenzen (S. 96), aber mit dem Anspruch auf Anerkennung und nicht nur Toleranz der Besonderheit der eigenen Lebensform durch die Allgemeinheit.8
Rosemarie Nave-Herz greift zwar systemtheoretische Aussagen auf, etwa zur Inklusion der ganzen Person (S. 118) oder zur »Komplexitätsreduktion durch Systemdifferenzierung« (S. 167), aber sie zieht keine theoretisch angemessenen Schlüsse aus diesen Bezügen. Wer dennoch mehr wissen will über das Verhältnis von Liebe und Recht, über Intimbeziehung und Ehe, auch über ihre Zukunft, muss genauer hinsehen, muss schärfer trennen und präziser begreifen.