:: 7/2018

Verregneter Sommer und Hungerwinter 1916/1917 im Südwesten

In vielen Dokumentationen zum Verlauf des ersten Weltkriegs wird erwähnt, dass ein verregneter Sommer 1916 zu Missernten führte. In Verbindung mit der britischen Seeblockade in der Nordsee, denn Deutschland importierte etwa ein Drittel seiner Lebensmittel bis zum Beginn des Krieges aus dem Ausland, schloss sich der berüchtigte »Steckrübenwinter« zur Jahreswende 1916/17 an. Jetzt wurden als Hauptnahrungsmittel überwiegend Steckrüben angeboten.

Was zeigen die amtlichen Wetterdaten? In den Mitteilungen des Königlich Statistischen Landesamts der Jahrgänge 1916 und 1917 findet sich unter anderem die »Witterungs-übersicht« für jeden Monat, in der für ausgewählte Gemeinden Barometerstände, Lufttemperaturen, Frosttage, Wintertage, Himmelsbedeckung und die Tage mit Gewitter, Reif, Nebel und Sturm aufgeführt sind. Zum Ende des Jahres verfasste das Königliche Statistische Landesamt jeweils eine »Jahreswitterungsübersicht«. Die Jahreswitterungsübersicht des Jahres 1915 beschreibt einen milden Winter mit wenig Schnee und Kälte, einen kühlen Vorfrühling und kühles regenreiches Wetter bis Mitte April. Der Frühsommer war trocken und heiß, der Nachsommer und der Herbst dagegen kühl und regnerisch. Die Ausgangslage aus dem Jahr 1915 war einigermaßen normal und entsprach langfristigen Durchschnittswerten. Eine Ausnahme gab es aber schon 1915: an 55 Tagen Hagel, wobei an 49 Hagel-Tagen Schaden »an landwirtschaftlichen Gewächsen« festgestellt wurde. Betroffen von Hagelschäden waren 57 von 67 Oberamtsbezirken in Württemberg, wobei sich die Schäden hauptsächlich im Getreideanbau fanden. Die Wintermonate Dezember sowie Januar und Februar 1916 waren sehr mild. Der Winter hatte »in bezug auf Milde seit 120 Jahren nur im Winter 1875/76 seinesgleichen…« Mitte Februar gab es schon leichte Gewitter und an zwei Tagen Sturm, der Schäden in den Wäldern anrichtete.

Der Kampf um die Kartoffel

Nasskaltes Wetter begünstigt die Ausbreitung der Kartoffelfäule, einer Pilzkrankheit bei Nachtschattengewächsen. Außerdem ist diese Wetterlage gleichermaßen ungünstig für den Getreideaufwuchs. Dünger gab es keinen, da das künstlich erzeugte Nitrat in die Munitionsfabrikation ging, und der Salpeterimport durch die Seeblockade der englischen Flotte zum Erliegen kam. Die Arbeitslosenstatistik in diesen Monaten zeigte auch, dass dringend Arbeitskräfte in der Landwirtschaft gesucht wurden. So wird in den Mitteilungen des Königlich Statistischen Landesamtes 1916 in Nr. 7, über die Arbeitsmarktlage im Juni 1916 folgendes berichtet: »Der Landwirtschaft mangelt es trotz ausgedehnter Beurlaubung von Heeresangehörigen und umfangreicher Verwendung von Kriegsgefangenen noch vielfach an Arbeitskräften, zumal an jüngeren Knechten und an Schweizern.« Zum Arbeitsmarkt für Frauen wurde festgestellt: »An weiblichen Arbeitskräften herrscht fast durchweg Überschuß. Nur für die Landwirtschaft und für den Bedarf der Gast- und Schankwirtschaft in Küche und Herd reichten die angemeldeten Frauen und Mädchen nicht aus.« Das Arbeitsamt Ulm schrieb: »Wie schon in den Vormonaten, so waren auch im Berichtsmonat fast keine landwirtschaftlichen Dienstmägde zu bekommen…« Das Arbeitsamt Göppingen meldete: »In der Landwirtschaft konnte die Nachfrage nach Knechten, wenn der Arbeitgeber keine zu hohen Ansprüche machte, befriedigt werden, dagegen herrschte starker Mangel an tüchtigen Landmädchen.« In den »Königlichen Mitteilungen« 1916, Nr. 10 findet sich auch folgende Analyse: »Wir dürfen annehmen, daß 1/4 bis 1/3 der deutschen Fleischproduktion, vor allem wegen des Schweines, auf ausländischen unmittelbaren oder mittelbaren Futtermitteln aufgebaut war… Es war daher vorauszusehen, daß der Kampf zwischen Schwein und Mensch um die Kartoffel, aber nicht nur um sie, einsetzen werde, und wenn das Jahr 1915 keine so starke Kartoffelernte bei gleichzeitig genügender Gras- und Kleeernte gebracht hätte, wäre die Reichsbevölkerung in schwere Nöte gekommen.«

Gründung der Landeskartoffelstelle

Mit Verfügung des Königlichen Ministeriums des Innern vom 25. Juli 1916 wurde die württembergische Landeskartoffelstelle mit Sitz in Stuttgart gegründet. Ihre Aufgabe war es, aus »Überschußkommunalverbänden«, deren Kartoffelerzeugung über den Bedarf der eigenen Bevölkerung hinausging, entsprechende Mengen für den Bedarf anderer Kommunalverbände zu sichern »…namentlich auch in Beziehung auf die Anwendung der gesetzlichen Zwangsmittel, insbesondere die Durchführung der Enteignung, soweit eine solche notwendig ist.« Da die Kartoffeln nicht mehr reichten, weil viele Haushalte auch mehr als üblich eingelagert hatten, erhielt die Landes-kartoffelstelle noch eine Aufgabe: »Neuerdings ist der Landeskartoffelstelle, Verwaltungsabteilung, auch die Aufbringung und Verteilung der zur menschlichen Ernährung erforderlichen Bodenkohlraben übertragen worden.«