:: 7/2018

Statistisches Monatsheft Juni/Juli 2018

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

»Europa und der Südwesten vor 100 Jahren« haben wir unsere Sonderausgabe des Monatsheftes genannt. Baden‑Württemberg liegt zwar im Herzen von Europa, aber geplant war dieser Beitrag weder in diesem Umfang noch in der detaillierten Tiefe. Wir waren jedoch so angetan von den umfangreichen amtlichen Originaldokumenten aus dieser Zeit, dass wir uns entschlossen haben, diese hier vorzustellen. Dabei war das Archiv des Statistischen Landesamtes eine Fundgrube, weitere Quellen haben wir »zurecherchiert«. Darunter Statistiken aus Frankreich, England und den USA. Wer es nicht mehr weiß: Dies waren unsere Kriegsgegner vor 100 Jahren.

Ein Schwerpunkt betrifft den Vergleich des Südwestens mit dem Deutschen Reich sowie anderen Staaten bei der Einwerbung von Kriegsanleihen. Hier gab es regelrechten Wettbewerb, bis in die Schulen hinein. Ein anderer Schwerpunkt ist die Auswertung amtlicher Zahlen aus dem »Kriegsbüchlein für Württemberg« oder dem »Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten«. Hier werden die Lebensumstände der Menschen, der Hungerwinter oder der Einsatz von Arbeiterinnen an der »Heimatfront« festgehalten. Die Preisentwicklung mit der beginnenden Inflation liegt regional für das Königreich Württemberg vor. Der schrille Nationalismus führte bis in die Küche, um »…die Wehrkraft unseres Vaterlandes zu stärken.«

Wir danken den Archiven in Baden‑Württemberg wie auch in Frankreich, England und den USA für die Unterstützung und die Genehmigung zum Nachdruck der Originalquellen.

Dr. Carmina Brenner, Präsidentin – Martin Ratering, Pressesprecher

Europa und der Südwesten vor 100 Jahren: Württemberg und Baden verlieren anteilig mehr Soldaten als Preußen

»Der Krieg hat in den regelmäßigen Lauf der natürlichen Bevölkerungsbewegung eine große Störung gebracht … Der Verlust, den die deutsche Bevölkerung durch den Geburtenausfall während des Krieges erlitten hat, ist auf etwa 3,3 Millionen Seelen zu schätzen …« Dieser Auszug aus dem Sonderband zur Bevölkerungsentwicklung im Ersten Weltkrieg, herausgegeben vom Statistischen Reichsamt, zeigt detailliert die Folgen des Weltkrieges für das Deutsche Reich in Bezug auf »Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle«. Zugleich sind dort die rund 2 Mill. gestorbenen Soldaten für die »Länder und Landesteile« des Deutschen Reiches ausgewertet. Die Bevölkerungsentwicklung gehört bis heute zu den grundlegenden Kennzahlen einer Stadt, einer Region oder eines Staates. Daher sind diese Angaben dem Sonderheft »Europa und der Südwesten vor 100 Jahren« vorangestellt.

Europa und der Südwesten vor 100 Jahren: »Drum leihe Dein ganzes Geld …dem Vaterland …«

Wer hätte im Sommer 1914 daran gedacht, dass schon wenige Monate später in jedem Haushalt ein entscheidender Beitrag dazu geleistet werden konnte, um »Deutschlands Vernichtung« entgegenzutreten. Das Badische Kriegskochbüchlein informierte 1915 die Frauen im Deutschen Reich über diesen »volkswirtschaftlichen Kampf« in der Küche und stellte fest: »Jeder Bissen, der gespart wird, trägt dazu bei, die Wehrkraft unseres Vaterlandes zu stärken.«.

Vertrauliche Handreichung 1917: Das »Kriegswirtschaftsbüchlein« für Württemberg

Am 1. Februar 1917 wurde das »Kriegswirtschaftsbüchlein« als vertrauliche Handreichung an Behörden übergeben, die mit besonderen Kriegsaufgaben, vorzugsweise Ernährungsfragen, zu tun hatten. Es handelte sich um »eine kurze Zusammenstellung zur Gewinnung eines Überblicks zusammengestellt in der Landespreisstelle«. So ist im Vorwort schon eine Begründung enthalten, die das Ziel des Büchleins treffend beschreibt: »Daß die Dinge sich schnell ändern, spricht wohl nicht gegen den Versuch; es kann leichter nachgetragen, als gesammelt werden.«

Verregneter Sommer und Hungerwinter 1916/1917 im Südwesten

In vielen Dokumentationen zum Verlauf des ersten Weltkriegs wird erwähnt, dass ein verregneter Sommer 1916 zu Missernten führte. In Verbindung mit der britischen Seeblockade in der Nordsee, denn Deutschland importierte etwa ein Drittel seiner Lebensmittel bis zum Beginn des Krieges aus dem Ausland, schloss sich der berüchtigte »Steckrübenwinter« zur Jahreswende 1916/17 an. Jetzt wurden als Hauptnahrungsmittel überwiegend Steckrüben angeboten.

Arbeiterinnen in der Kriegswirtschaft – Die Gewerbeaufsichtsbeamten berichten 1919

1919 erschienen in Stuttgart, gedruckt von der Stuttgarter Vereins-Buchdruckerei, die Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten des Staates Württemberg für 1914–1918. Diese Zusammenfassung anstelle von jährlichen Berichten wurde auch erklärt: »Während des Kriegs standen einer ordnungsmäßigen Berichterstattung durch die Gewerbeaufsichtsbeamten derartige Schwierigkeiten entgegen, daß nach Bundesratsbeschluß die Erstattung der Jahresberichte für die Jahre 1914–1918 von Jahr zu Jahr bis zu Beginn des Jahres 1919 verschoben werden mußte …«

Starkes Auf und Ab: Der Arbeitsmarkt für Frauen im Ersten Weltkrieg

Aus den Mitteilungen des Königlichen Statistischen Landesamtes in den Jahren 1916 und 1917: In den monatlichen Mitteilungen des Statistischen Landesamtes war immer eine Rubrik zur Arbeitsvermittlung des jeweiligen Monats enthalten. Dargestellt wurden die Arbeits-angebote und Arbeitsgesuche jeweils für den »männlichen« und den »weiblichen« Arbeitsmarkt. Hier zeigte sich im Verlauf der Kriegsjahre deutlich, welche Branchen an Bedeutung gewannen und welche an Bedeutung verloren, meist aufgrund Mangels an dem entsprechenden Rohmaterial wie in der Textilindustrie. Entsprechend änderten sich die gesuchten Berufsgruppen.

Vor 100 Jahren: Was brauchen die Menschen zum Leben?

In den Mitteilungen des Königlich Statistischen Landesamtes wird im Jahrgang 1916, Nr. 5 vom 31. Mai 1916 der Lebensbedarf definiert, weil dieser sich in den Verordnungen über die Preise, die in diesem Jahr erlassen wurden, an verschiedenen Stellen findet. Einzelne Güter des täglichen Bedarfs werden vorgestellt mit Verweis darauf, dass in den Jahren zuvor der tägliche Bedarf durchaus anders bewertet wurde als nun mitten in Kriegszeiten mit deutlichen Zeichen des Mangels.