Drei Stolperfallen bei der Interpretation von Statistiken
In der Tageszeitung »Die Welt« erschien im September letzten Jahres ein Artikel mit der Schlagzeile »Smartphones machen Senioren acht Jahre jünger.« Eine Untersuchung habe ergeben, dass ältere Menschen heute intellektuell leistungsfähiger seien als vor einem Jahrzehnt, was auf die Nutzung von Smartphones zurückzuführen sei. Der Beleg: Senioren, die sich mit Kommunikationstechnik beschäftigen, seien geistig fitter als diejenigen, die davon die Finger lassen.
Dieser Artikel hat einen Ehrenplatz in den sozialwissenschaftlichen Lehrbüchern verdient, denn er vereint gleich zwei der drei häufigsten Interpretationsfehler, die dazu führen, dass statistische Information aus Markt- und Sozialforschung missverstanden werden.
Zum einen ist der Redakteur auf eine sogenannte »Scheinkorrelation« hereingefallen: Wenn zwei Dinge statistisch miteinander zusammenhängen, neigt man dazu, sie als Ursache und Wirkung zu interpretieren. Doch das kann ein Irrtum sein: Im letzten Jahrzehnt hat die Zahl der Menschen zugenommen, die ein Smartphone besitzen, und gleichzeitig ist die geistige Fitness der älteren Menschen angestiegen. Flugs wird daraus die Interpretation, dass Smartphones schlau machen. Doch ebensogut könnte man sagen, dass Spülmaschinen die geistige Fitness fördern. Deren Nutzung hat nämlich ebenfalls zugenommen. Tatsächlich ist die wachsende Leistungsfähigkeit Älterer Fortschritten in der Medizin zu verdanken. Mit Smartphones hat sie nichts zu tun.
Aber bleibt da nicht der Befund, dass ältere Menschen, die moderne Mobiltelefone benutzen, geistig fitter sind als diejenigen, die das nicht tun? Hier liegt der zweite Fehler: Die Verwechslung von Ursache und Wirkung. Man muss nur beides in Gedanken einmal probehalber vertauschen, dann verwandelt sich die vermeintliche Sensation in die banale Meldung, dass intellektuell rege Menschen auch eher bereit sind, sich auf neue Technik einzulassen. Der Pionier der Umfrageforschung Elmo Roper hätte gesagt: »Sie meinen also, weil die Grillen zirpen, geht die Sonne unter?«
Bei dem dritten häufigen Fehler schließlich handelt sich um die Methode, den Betrachter mit korrekten Zahlen in die Irre zu führen, indem man für sie den falschen Maßstab wählt. Auch hierfür gibt es ein Beispiel aus der Zeitung »Die Welt«. Sie veröffentlichte im vergangenen Jahr einen Artikel mit der Überschrift »Grafik des Untergangs prophezeit Börsen-Crash.« Die dazugehörige Grafik zeigte die Entwicklungen des Dow-Jones-Indexes in den Jahren 1928 bis 1930 und 2012 bis 2014 im Vergleich. Die Übereinstimmung war faszinierend: Die Linie, die die Entwicklung der Jahre 2012 bis 2014 zeigte, lag praktisch deckungsgleich auf der Linie, die die Daten von 1928 bis 1929 bis kurz vor dem »schwarzen Freitag« zeigte. Demnach müsste, so suggerierte die Grafik, in den kommenden Tagen ein gewaltiger Börsenzusammenbruch folgen.
Praktisch niemand merkte, dass die Linien nur deswegen deckungsgleich waren, weil für sie verschiedene Maßstäbe gewählt worden waren. Tatsächlich hatte sich der Index ab 1928 in knapp zwei Jahren verdoppelt, während er sich ab 2012 nur um etwa ein Fünftel erhöht hatte. Investoren, die Grafiken zu lesen verstanden, konnten sich also die Panik sparen.
Wer einmal die Logik durchschaut hat, wird staunen, wie verbreitet solche Fehlinterpretationen sind, nicht zuletzt bei Marktforschung und Werbung. Mit etwas Übung kann man die Warnzeichen aber leicht erkennen, etwa, wenn von beeindruckenden Wachstumsraten berichtet wird, nicht aber über das Ausgangsniveau des Wachstums, oder aber wenn ein Hersteller von Sportnahrung mit der Gesundheit seiner Kunden wirbt. Man erkennt, dass es sich lohnt, sich wenigstens mit einigen Grundregeln statistischer Logik auseinanderzusetzen, besonders dann, wenn unternehmerische Entscheidungen auch auf statistische Daten gegründet werden sollen. Das Vorurteil stimmt nämlich: Man kann mit Statistik tatsächlich fast alles beweisen – aber nur dem naiven Betrachter.
Lebenslauf Thomas Petersen
Geboren 1968 in Hamburg. Studierte 1987 bis 1992 an der Universität Mainz Publizistik, Alte Geschichte und Vor- und Frühgeschichte. 1993 Magister. 2001 Promotion. 2010 Habilitation. 1990 bis 1992 Journalist beim Südwestfunk in Mainz. Seit 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demoskopie Allensbach, seit 1999 Projektleiter. Seit 1995/1996 Lehraufträge an verschiedenen Universitäten, darunter Universität Mainz, TU Dresden, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. 2007/2008 Vertretung der Professur für methodische und historische Grundlagen der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Past Präsident der World Association for Public Opinion Research (WAPOR).
Forschungsschwerpunkte: Methoden der Demoskopie, Feldexperimente, Visuelle Kommunikation, Politische Kommunikation, Wahlforschung, Markt- und Sozialforschung, Theorie der öffentlichen Meinung.