Wahlrecht und Wahlerfolge von Frauen im internationalen und nationalen Vergleich
Im World Wide Web fanden sich am 1. Dezember 2008 je nach Recherchetechnik zwischen 82 000 und 103 000 Treffer für »Frauenwahlrecht«. Das politische Frauenwahlrecht beschäftigt die Gesellschaften offensichtlich weltweit. Was haben die Engagierten erreicht, wo sind Defizite zu vermuten? Wählen Frauen nur oder werden sie auch gewählt? Die Geschichte des Frauenwahlrechts auf internationaler und nationaler Ebene offenbart Uneinheitliches.
Das politische Wahlrecht der Frauen war und ist weltweit gesehen keine Selbstverständlichkeit, weder zeitlich noch räumlich. Ein spezielles und wohl auch das älteste Wahlrecht für und von Frauen finden wir in christlichen Frauenklöstern. Dort wurden und werden seit 1 500 Jahren die Leiterinnen und Funktionsträgerinnen meist nach den Regeln des heiligen Benedikt1 von den Angehörigen des Klosters während eines Konvents gewählt. Für den weltlichen Bereich galt das so nicht.
Ständische Wahlen wie die von Zunftmeistern oder Kaisern waren Sache von Männern, weibliche Meister und Kurfürsten gab es nicht oder nur mittelbar über den Status der Ehegatten. Das aktive Recht zur Wahl von politischen Repräsentanten erreichten Frauen erst, nachdem das Allgemeine Wahlrecht für Männer im Rahmen der Revolutionen, nach den Weltkriegen und der Auflösung der Kolonien eingeführt wurde, dann allerdings vergleichsweise schnell. Dabei wurden verschiedene, ja sogar tragische Wege beschritten. So wurde Olympe de Gouges 1793 während der französischen Revolution als vermeintliche Royalistin guillotiniert, weil sie in einem Flugblatt eine Erklärung über die »Rechte der Frau und Bürgerin« verfasste.
Den Schwedinnen wurde bereits 1718 das aktive Wahlrecht zuerkannt und 1771 wieder storniert. 1863 erhielten die Frauen in Australiens »separater britischen Kolonie« Victoria (Hauptstadt Melbourne) das Recht, an der Wahl zum Parlament teilzunehmen, ein Jahr später wurde dies vom Parlament wieder rückgängig gemacht. In den USA dauerte es eineinhalb Jahrhunderte von 1776 bis 1920, bis wenigstens die weißen Frauen das Wahlrecht erhielten. Wobei die Frühstarter in New Jersey ihr 1776 verabschiedetes Gesetz bereits 1807 wieder für ungültig erklärten2.
Auf den 12. November 1918 datiert die Geburtsurkunde des Frauenwahlrechts in Deutschland. Zwei Monate später, am 19. Januar 1919, konnten Frauen in Deutschland bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung erstmals das aktive und passive Wahlrecht ausüben. Französinnen, Belgierinnen und Italienerinnen erhielten das volle Wahlrecht erst nach dem Zweiten Weltkrieg (1946). In der Schweiz musste der Kanton Appenzell-Innerrhoden vom Bundesgericht gezwungen werden, das Frauenwahlrecht einzuführen; das geschah dann 1990, gegen den Willen der männlichen Stimmbevölkerung. Die Taliban schafften das 1963 in Afghanistan eingeführte Frauenwahlrecht 1996 wieder ab. Heute werden im dortigen Unterhaus wieder 27 % der Sitze von Frauen eingenommen – zum Vergleich in Deutschland sind es 32 % und in den USA 16 %.
In 188 von 194 Staaten dürfen Frauen wählen
Bis Ende 2007 hatten 188 der 194 im Human Development Report 2007/2008<aFt> erwähnten Staaten ein Wahlrecht für Frauen eingerichtet – zum Teil in mehreren Etappen. Die größte weltweite Bewegung in die Wahlrechtsgesetzgebung brachten die Jahre nach den Weltkriegen und die Auflösung der Kolonien. Nach dem Ersten Weltkrieg vor allem in Europa, nach dem Zweiten Weltkrieg dann in Subsahara-Afrika, Mittel- und Südamerika. In der überwiegend islamisch geprägten Region von Marokko bis Pakistan war die Entwicklung um Jahre bis Jahrzehnte verschoben.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für das Frauenwahlrecht sind aber nicht nur von der Existenz eines Wahlrechts sondern vor allem von der Qualität des Rechtes abhängig. In 34 der oben berücksichtigten Staaten wurden Gesetze im Laufe der Jahre so novelliert, dass es dem Wahlrecht der Männer gleich- oder nahekam. Würden auch einzelne Bundesstaaten der USA oder Australiens berücksichtigt, läge die Anzahl der Novellierungen wesentlich höher. Insofern geben die Einführungsjahre nur sehr bedingt Auskunft über die politische Stellung der Frauen in den Ländern. In Europa erkämpften sich die Frauen bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges in 32 der heute 49 Staaten ihr Wahlrecht. Auf den anderen Kontinenten bewegte sich bis dahin wenig. Im Wesentlichen lag das an der Kolonialpolitik der Europäer, denn es gab kaum Parlamente westlicher Prägung. Das heißt weder Männer noch Frauen hatten ein demokratisches Wahlrecht. Demokratisch gewählte Parlamente westlicher Prägung waren und sind vielen Gesellschaften auch heute noch fremd. Stattdessen gab und gibt es andere Formen kollektiver, allerdings fast ausschließlich maskuliner Meinungsbildung wie Stammestreffen, Clan Meetings, Ältestenräte, Konvente, Beiräte, Konzilien.
In 176 von 194 Staaten wurden Frauen gewählt
»Wählen dürfen« und »gewählt werden« sind zwei Dinge. Im Wesentlichen schafften Frauen es erst nach dem Zweiten Weltkrieg sich zur Wahl zu stellen oder in die Parlamente entsandt zu werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Frauen in Parlamenten absolute Seltenheiten. Heute streuen die Anteile zwischen 0 (unter anderem Saudi Arabien, Katar und fast allen pazifischen Inselstaaten) und 49 % (Ruanda). Weltweit wurde im Jahr 2007 ein Viertel aller Parlamentssitze durch Frauen besetzt, das heißt von einer Gleichstellung kann derzeit noch keine Rede sein. Insgesamt haben Frauen es aber geschafft, in 152 der 194 Parlamente gewählt oder entsandt zu werden. Darunter sind 9 Staaten, die zusätzliche Frauen ohne Wahl in ihr Parlament beriefen, 24 weitere Parlamente kennen nur die Ernennung. In 18 Parlamenten sind allerdings überhaupt keine Frauen vertreten (oder dies ist der UN unbekannt).
Eines lässt sich aus der Rangliste des Human Development Index3 der UN (HDI-Index) und der weiblichen Repräsentanz in den Parlamenten feststellen: Das passive Wahlrecht von Frauen hat nur wenig mit dem von der UN errechneten Entwicklungsstand eines Landes zu tun, sondern vor allem mit dem emanzipatorischen Niveau, welches die Frauen in ihren Gesellschaften erreicht haben. So lassen sich hohe Entwicklungsstände und gleichzeitig hohe Frauenanteile vor allem in Nordeuropa finden. Ebenfalls hohe Entwicklungsstände und geringe bis gar keine Repräsentanz von Frauen finden wir in islamischen Staaten; so dürfen im streng konservativen wahhabitischen Saudi-Arabien Frauen weder wählen noch gewählt werden. Eine allgemeine politische Ausgrenzung muslimischer Frauen lässt sich daraus aber nicht ableiten, denn in Afghanistan, dem Irak, in Tunesien, in den Vereinigten Emiraten sowie in Pakistan nehmen Frauen über ein Fünftel der Parlamentssitze ein.
Schränkt man den Blick auf jene 25 ersten und letzten Ränge des HDI-Index ein, in denen Frauen wählen dürfen, dann fällt die geringe parlamentarische Repräsentanz von Frauen bei manchen »Fackelträgern« der westlichen Demokratieform auf (USA 16,3 %, Großbritannien 19,7 %). Weltweit führt Ruanda die Rangliste an (48,8 %). Deutschland nahm 2007 mit seinen 32 % weiblichen Bundestagsabgeordneten einen vergleichsweise guten Platz ein.
Deutschlands Bürgerliche nach dem Ersten Weltkrieg: »Die Frau gehört nicht in die Öffentlichkeit«
Das 1849 in Preußen erlassene Dreiklassenwahlrecht gewährte nur Männern ein aktives und passives Wahlrecht, wobei deren Stimmgewicht von der individuellen Steuerkraft4 abhing. Für Frauen galt in vielen deutschen Ländern zwischen 1850 und 1918 ein Vereinsgesetz, das »Frauenspersonen, Geisteskranken, Schülern und Lehrlingen« die Mitgliedschaft in politischen Vereinen untersagte. Dem Frauenwahlrecht in der Weimarer Republik war ein langwieriger Kampf für das Frauenstimmrecht vorausgegangen. Vor 130 Jahren (1873 der Verfasser) verlangte die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm als erste Frau in Deutschland öffentlich das Frauenwahlrecht. 1891 hatte die SPD ein Forderungsprogramm für die Frauen verabschiedet, das als ersten Punkt das aktive und passive Wahlrecht für alle Frauen ab 20 Jahren enthielt.
In Deutschland begann der offen ausgetragene Parteienkampf um das Frauenwahlrecht »mit Clara Zetkin … einer der vehementesten Vorkämpferinnen für die politische Gleichstellung der Frauen in Deutschland … Die lange Zeit in Stuttgart wohnende Clara Zetkin (geboren 1857 in Wiederau in Sachsen, gestorben 1933 in Archangelskoje bei Moskau) organisierte vom 18. bis 24. August 1907 die erste Internationale Frauenkonferenz in der Liederhalle. Daraus ging das Internationale Frauensekretariat hervor, dessen Sekretärin sie wurde. Auf ihre Initiative hin beschloss die Internationale Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910 die Durchführung des Internationalen Frauentags am 8. März als Kampftag für Gleichberechtigung, Demokratie, Frieden und Sozialismus5«. Ein wichtiges Ziel war das Wahlrecht für Frauen. Clara Zetkin sah darin ein Kampfmittel gegen die kapitalistische Gesellschaft6.
Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches erklärte die damalige November-Revolutions-Regierung am 12. November 1918: »Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht aufgrund des proportionalen Wahlsystem für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.« 18 Tage später wurde – von Männern – das aktive und passive Wahlrecht gesetzlich festgeschrieben. Bürgerliche Parteien im Reichstag lehnten das Wahlrecht für Frauen allerdings ab.
Am 19. Januar 1919, bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung machten 82,3 % der Frauen und 82,4 % der Männer von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Dabei wurden 37 Frauen, darunter 19 Sozialdemokratinnen in die Nationalversammlung gewählt. Nach dem schwedischen Wahlforscher Tingsten bevorzugten die Frauen bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag von 1924 bis 1930 aber gerade jene Parteien, die ihnen das Wahlrecht vorenthalten hatten. 7,8
Bei den Reichstagswahlen von 1924 bis 1930 abgegebene Frauenstimmen je 100 Männerstimmen für
1924/1 | 1924/II | 1928 | 1930 | |
Sozialistische Parteien | 83 | 83 | 88 | 89 |
Bürgerliche Parteien | 112 | 116 | 113 | 127 |
Das passive Wahlrecht verloren die Frauen in der Zeit des Nationalsozialismus wieder. Darüber hinaus wurden sie auch aus dem öffentlichen Dienst herausgedrängt, ihr Zugang zu Universitäten wurde auf ein Zehntel der Neuimmatrikulationen beschränkt, Anwalts- oder Richtertätigkeiten wurden ihnen verwehrt, in den Krankenhäusern durften sie keine leitenden Stellungen bekleiden und zu Habilitationen wurden sie nicht zugelassen9.
Baden, Württemberg und Hohenzollern
Die wohl frühesten Ansätze eines Frauenwahlrechts in Baden-Württemberg finden sich in der Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen vom 11. Juli 1833. Dort hatten Witwen das Gemeindebürgerrecht zur Wahl der Kammer, die aus zwei fürstlichen Standesherren, einem Geistlichen und 14 Delegierten der 7 gemeindlichen Wahlbezirke bestand. Das Stimmrecht musste allerdings durch die Söhne wahrgenommen werden10. Im Großherzogtum Baden engagierten sich bei der Märzrevolution 1848 zwar »republikanische Weiber« aus dem demokratischen Milieu in »Frauen und Jungfrauenvereinen«11. Ein allgemeines, auch sie einschließendes Wahlrecht war aber noch kein dringliches Thema. Und im Königreich Württemberg fand die Revolution nicht statt, was damals Spötter so sahen: »In Baden wird man Revolutionär und in (Alt)Württemberg Erweckungsprediger«.
Nach der Märzrevolution dauerte es dann 70 Jahre bis man auch in den Ländern Baden, Württemberg und Hohenzollern die zuvor grundsätzlich ausgeschlossenen Frauen, Nichtchristen, Unvermögenden, Landlosen, Arbeiter und Arme einband12. Nach Ina Hochreuther13 errangen 40 Frauen aus dem Südwesten in der Weimarer Republik (1919 bis 1933) Parlamentssitze und zwar
Deutscher Reichstag | 5 |
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Landtag von Baden | 17 |
Württembergischer Landtag | 18 |
In den südwestdeutschen Nachkriegsländern (1946 bis 1952) wurden nach Hochreuther 25 Frauen in die verfassungsgebenden Versammlungen und in die Landtage gewählt, und zwar in
Württemberg-Baden | 15 |
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Baden | 6 |
Württemberg-Hohenzollern | 4 |
Sozialdemokraten nehmen für sich in Anspruch, das Frauenwahlrecht durchgesetzt zu haben. Doch die Frauen bevorzugten bürgerliche Parteien und wählten Männer. Letzteres auch, da kaum Frauen für die Wahlen kandierten, auch bei den Sozialdemokraten nicht. Das sollte sich erst in den 90er-Jahren ändern.