:: 8/2007

Kann man Erdbeben vorhersagen?

Die Erdbebengefahr in Deutschland ist im weltweiten Vergleich als relativ niedrig einzuschätzen, wobei Baden-Württemberg das seismisch aktivste Bundesland ist. Im Südwesten bebt es nahezu jeden Tag, allerdings meist in einer so geringen Stärke, dass es für den Landeserdbebendienst messbar, für die Bewohner aber nicht wahrzunehmen ist. Geologisch gesehen wird jedoch deutlich, dass die Erdkruste im Südwesten ständig in Bewegung ist. Aber, sind Erdbeben vorhersagbar?

Der Landeserdbebendienst am LGRB betreibt ein Netz von ca. 40 Messstationen in Baden-Württemberg und Umgebung. Manche davon sind so empfindlich, dass auch Mikrobeben einer Stärke der Magnitude 1 auf der Richterskala, also weit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle von Menschen und Tieren, registriert werden können – und dies ist fast jeden Tag der Fall. Etwa ab Magnitude 2,0 werden alle Beben in Baden-Württemberg vollständig erfasst und lokalisiert. Etwa ab dieser Stärke sind Erdstöße unter bestimmten Umständen lokal auch von einzelnen Personen spürbar. Das Messsystem des Erdbebendienstes versendet eine vollautomatisch generierte Nachricht innerhalb weniger Minuten an das Lagezentrum des Innenministeriums in Stuttgart, falls zu erwarten ist, dass die Erschütterungen eines Bebens in Baden-Württemberg wahrgenommen werden. Von dort wird die Meldung an die Rundfunk- und Fernsehanstalten weitergeleitet. Gleichermaßen werden alle betroffenen Dienststellen und Einsatzzentralen der Feuerwehr und der Polizei auf Landkreisebene informiert (siehe LGRB-Nachricht 06/2004). Aber kann der Erdbebendienst nicht auch schon vorher warnen? Kann man denn Erdbeben nicht vorhersagen?

Erdbebenvorhersage im engeren Sinne bedeutet die Angabe von Ort, Zeit und Stärke eines zukünftigen Erdbebens – so präzise, zuverlässig und rechtzeitig, dass eine Warnung erfolgen kann. Die naturwissenschaftlichen Lösungsansätze benutzen rein statistische Verfahren (Periodizitäten, Häufungen, Lücken von Beben) bzw. Korrelationen mit physikalischem Hintergrund (zum Beispiel mit Gezeiten, Niederschlag, geodätischen Verschiebungen), Erkennung von Vorläuferphänomenen (zum Beispiel Vorbeben, Grundwasserpegelschwankungen, elektromagnetische Signale, Radongasemissionen) und möglicherweise auch direkte Messungen von Gesteinsspannungen und Deformationen in der Tiefe. Alle Methoden waren bisher erfolglos – oder zu teuer. Neben ein paar Zufallstreffern waren weltweit nur Fehlschläge zu verzeichnen. Warum ist die Vorhersage von Erdbeben soviel schwieriger als die des Wetters?

Ab Anfang Dezember 2006 gab es in Basel bei der Geothermieanlage Deep-Heat-Mining eine Reihe »induzierter« Erdbeben. Diese Beben wurden durch das Einpressen von Wasser in der Tiefe von 5 000 m im Verlauf des Hot-Dry-Rock-Verfahrens zur Gewinnung von Erdwärme ausgelöst. Mikrobeben waren bei der »Stimulation« des Gebirges zu erwarten gewesen und sind zur Öffnung des Gesteins als Wärmetauscher sogar beabsichtigt. Das stärkste Beben am 8. Dezember 2006 erreichte jedoch den unerwartet hohen Wert von 3,5 auf der Richterskala (Abbildung) und überschritt damit deutlich den vorab prognostizierten Verlauf. Entsprechende Untersuchungen sind noch im Gange. Immerhin eröffnet die Messung geophysikalischer und hydraulischer Parameter in Bohrlöchern, also sozusagen »vor Ort«, neue Erfolg versprechende Möglichkeiten zur Erdbebenvorhersage-Forschung, vergleichbar mit meteorologischen Messungen in der Atmosphäre bei der Wettervorhersage.

Der Landeserdbebendienst erhält zuweilen Erdbebenvorhersagen für Baden-Württemberg und wird gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Selbst wenn deren Glaubwürdigkeit nicht ohne Weiteres infrage gestellt werden kann, sind Vorhersagen mit großen Unsicherheitsbereichen in den Angaben von Ort, Zeit oder Stärke sowie Vorhersagen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit des zufälligen Eintreffens nur von geringem oder völlig ohne praktischen Wert. Aktuell wurde aus der Analyse der langjährigen Verschiebungsmessungen an der Rheingrabenrand-Verwerfung bei Freiburg ein Erdbeben der Magnitude 5,4 oder größer am südlichen Oberrhein prognostiziert. Die Zufallstrefferwahrscheinlichkeit betrug etwa 1 %. Die Begründung der Vorhersage erschien spekulativ, ein physikalischer Zusammenhang fraglich. Die Vorhersage konnte als unglaubwürdig eingestuft werden.

Sollte es doch Vorläuferphänomene vor Erdbeben geben, dann verstehen wir sie noch nicht zu deuten. Und was ist vom »siebten Sinn« der Tiere zu halten? Immerhin hört man, dass Schlangen, Vögel und Katzen sich vor Erdbeben anomal verhalten können. Und auch in Baden-Württemberg wird dem Erdbebendienst immer wieder von Haustieren berichtet, die Erdbeben vorher »spüren«. Allerdings kommen die Berichte meist erst hinterher.

Präzise Angaben von Epizentrum, Herdzeit und Magnitude zukünftiger Erdbeben sind weltweit noch nicht möglich. Machbar dagegen sind Prognosen im Sinne langfristiger Wahrscheinlichkeitsaussagen über Häufigkeit und Intensität der Bodenbewegung bei Erdbeben. Die Gebiete erhöhter Erdbebengefährdung sind also bekannt. Eine entsprechende Karte der Erdbebenzonen für Baden-Württemberg1 ist Grundlage der Anwendung von Regeln für eine erdbebensichere Bauweise nach DIN4149 (siehe LGRB-Nachricht 09/2005).

1 Innenministerium Baden-Württemberg (Hrsg.): Karte der Erdbebenzonen und geologischen Untergrundklassen für Baden-Württemberg, 2005.