Miete hoch, Wohnungen leer – Ein Paradoxon?
Der Wohnungsmarkt ist ein zentrales Thema der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Baden-Württemberg. Besonders die Mietpreise und der Leerstand spielen eine entscheidende Rolle für Mieterinnen und Mieter, Eigentümerinnen und Eigentümer und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger. Während steigende Mietpreise in Ballungsräumen zu sozialer Ungleichheit beitragen, stellt eine hohe Leerstandsquote in ländlichen Regionen eine Herausforderung für die Infrastruktur und Raumplanung dar. Dieser Beitrag beleuchtet die aktuelle Situation (Datengrundlage Zensus 2022) zu Mietpreisen und Leerstand bis auf Ebene der Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg.
Der Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg ist von erheblichen regionalen Unterschieden geprägt. Während in den Ballungsräumen rund um die Großstädte Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Freiburg im Breisgau, Tübingen und Ulm steigende Mietpreise die Wohnkosten in die Höhe treiben, stehen in ländlichen Regionen vermehrt Wohnungen leer. Dies belegen auch die Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 (siehe i-Punkt »Datengrundlage Gebäude- und Wohnungszählung«).
Mietpreise
Die Mietpreise in Deutschland sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Besonders in Großstädten und wirtschaftsstarken Regionen wie München, Frankfurt am Main und Hamburg sind Mieten überdurchschnittlich hoch. Wie genau sich die Mietsituation jedoch in den jeweiligen Gebieten in Deutschland darstellt, konnte bisher nicht flächendeckend aufgezeigt werden (i-Punkt »Mietspiegel und Mietpreise im Datenmaterial des Zensus 2022«).
Erstmalig wurden durch die amtliche Statistik im Rahmen des Zensus 2022 flächendeckend Daten zu Nettokaltmieten für ganz Deutschland erhoben. Die durchschnittliche Nettokaltmiete in Deutschland betrug dabei zum Stichtag 15. Mai 2022 rund 7,30 Euro pro Quadratmeter (m²). Der Mietpreis in Baden-Württemberg belief sich im Mittel auf gute 8,10 Euro pro m², wobei regional deutliche Preisunterschiede erkennbar waren.
So lagen die Mietpreise in den Landkreisen Neckar-Odenwald-Kreis und Main-Tauber-Kreis bei durchschnittlich 6 Euro pro m², während in den Stadtkreisen und hier explizit in Stuttgart, Heidelberg und Freiburg im Breisgau mit durchschnittlich rund 10 Euro pro m² die Mieten am höchsten ausfielen.
Die meisten Kreise des Bundeslandes lagen mit ihren Durchschnittspreisen unter diesem Wert. Bemerkenswert sind dabei die Städte Baden-Baden (7,80 Euro) und Pforzheim (7,40 Euro) in denen ein niedrigerer durchschnittlicher Mietpreis festgestellt wurde als beispielsweise im eher ländlich geprägten Bodenseekreis (8,50 Euro).
Die Ursachen für unterschiedliche Mietpreise sind vielfältig. Eine hohe Wohnungsnachfrage in wachsenden Städten, begrenzte Neubautätigkeit und steigende Baukosten sind entscheidende Einflussfaktoren. Zudem verstärken Spekulationen mit Wohnraum den Druck auf die Preise. Wie eingangs erwähnt und in Schaubild 1 auch deutlich erkennbar, zeigen sich die höchsten Quadratmetermieten in den größeren Städten in Baden-Württemberg. Eine direkte Kausalität zwischen Einwohnerzahl und Mietpreis ist jedoch nicht zwangsweise gegeben. Neben infrastrukturellen Gegebenheiten wie Verkehrsanbindung, Arbeitsmarkt sowie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen (harte Standortfaktoren) spielen auch subjektive Faktoren wie das kulturelle Angebot, das soziale Umfeld und die Lebensqualität (weiche Standortfaktoren) eine wichtige Rolle. Insbesondere durch zunehmende Mobilität und Homeoffice gewinnen weiche Faktoren an Bedeutung, was möglicherweise die hohen Mieten in manchen eher ländlich geprägten Kreisen erklärt.
Baujahr und Wohnfläche haben Einfluss auf den Mietpreis
Den hohen Mietpreisen, die unter anderem aus einem verknappten Angebot an Wohnraum resultieren, kann auf unterschiedliche Weise entgegengewirkt werden. Neben politischen oder regulatorischen Maßnahmen wie beispielsweise der Mietpreisbremse ist der klassische Wohnungsneubau eine effektive Maßnahme zur Regulierung von Angebot und Nachfrage. Die Bevölkerungsentwicklung verzeichnete in Baden-Württemberg von 2011 bis 2022 eine Zunahme von knapp 7 %1. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Wohnungen um gut 8 %. Zwischen dem Zensus 2011 und dem Zensus 2022 stieg die Zahl der Gebäude mit Wohnraum in Baden-Württemberg von 2.425.700 um mehr als 141.000. In diesen Gebäuden entstanden rund 411.000 zusätzliche Wohnungen. Bezogen auf die Mietpreise zeigt sich, dass gerade die relativ neu entstandenen Wohnungen höhere Mietpreise aufrufen als Wohnungen in Gebäuden mit Baujahren aus den 1960er- und 1970er-Jahren (Schaubild 2).
Der Blick in die Stadt- und Landkreise (siehe Schaubild 3) zeigt die Spannbreite an Mietpreisen, wenn der Fokus auf die in den letzten 10 Jahren neu entstandenen Wohnungen gelegt wird. Der Mietpreis unterscheidet sich bei dieser Betrachtung regional noch stärker als der durchschnittliche Mietpreis über alle Gebäudebaujahre. Heidelberg und Stuttgart stechen mit Mietpreisen von über 13 Euro pro m² im Schnitt am deutlichsten heraus (siehe Schaubild 3). Es folgen weitere Stadtkreise wie Heilbronn, Freiburg im Breisgau und Mannheim wobei im Einzugsgebiet Stuttgart die hohen Mietpreise wohl auch Ausstrahlkraft auf die Landkreise Böblingen, Ludwigsburg und Esslingen haben. Der Neubau erzielt bei den Mieten demnach deutlich höhere Preise in den besonders wirtschaftsstarken Regionen Baden-Württembergs.
Daraus ließe sich die These ableiten, dass wohnungsbaupolitisch gerade in den von stark steigenden Mietpreisen betroffenen Regionen, der Trend eher hin zu kleinen Wohnungen gehen sollte, wenn Mietpreise tendenziell als zu teuer angesehen werden. Die im Zensus 2022 erhobenen Daten für Wohnungen mit einem Baujahr ab 2010 bestätigen diese Annahme jedoch nicht. Zumindest zeigt der Vergleich zwischen Stadt- und Landkreisen keine eindeutige Tendenz hinsichtlich der durchschnittlichen Wohnfläche der Wohnungen mit einem Baujahr 2010 oder neuer. Auffällig ist allerdings der Rhein-Neckar-Kreis. Im stark verdichteten Wirtschaftsraum der Metropolregion Rhein-Neckar scheinen in den letzten Jahren im Vergleich zu den anderen Landkreisen doch deutlich größere Wohnungen für den Mietermarkt gebaut worden zu sein. Neu aber vergleichsweiße günstig lässt es sich bei einer Durchschnittswohnfläche von 86 m² hingegen im Main-Tauber-Kreis wohnen. Hier liegt der Mietpreis im Schnitt bei 7,60 Euro pro m². Ebenfalls günstige Quadratmeterpreise werden im Landkreis Sigmaringen aufgerufen. Bei einer durchschnittlichen Wohnfläche von 87 m² und einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 7,70 Euro liegt der Kreis nur knapp über dem Angebot des Main-Tauber-Kreises.
Leerstand und die Verfügbarkeit des Wohnraums
Während bezahlbarer Wohnraum immer knapper wird, stehen vielerorts Wohnungen leer – ein scheinbares Paradoxon. Doch warum bleibt Wohnraum ungenutzt, während die Mieten steigen? Dieser Widerspruch wirft Fragen über Spekulation, Stadtplanung und mögliche Lösungsansätze für den Wohnungsmarkt auf.
Die Ergebnisse des Zensus 2022 liefern hierzu keine Lösungen, jedoch erlauben sie, wie bei den Mietpreisen, eine regional tiefgehende Analyse des aktuellen Sachverhalts. Bundesweit standen am 15. Mai 2022 rund 1,9 Millionen (Mio.) Wohnungen leer, was einer Leerstandsquote von 4,3 % entspricht. Mehr als die Hälfte dieser Wohnungen stand bereits seit über einem Jahr leer. Etwa 38 % der leerstehenden Wohnungen wären innerhalb von 3 Monaten bezugsfertig und gehörten damit zur sogenannten Fluktuationsreserve (auch marktaktiver Leerstand). Diese besagt, dass ein gewisser Leerstand notwendig ist, um eine flexible Wohnraumversorgung zu gewährleisten und Umzüge ohne Verzögerungen zu ermöglichen. Zwar lässt sich nicht exakt angeben, wie hoch die Fluktuationsreserve sein sollte, aber eine Quote von etwa 2 % bis 3 % gilt als gesund und notwendig für einen funktionierenden Wohnungsmarkt. Bei der deutschlandweiten Gesamtbetrachtung – ohne auf regionale Besonderheiten zu achten – fällt diese notwendige Fluktuationsreserve mit 1,7 % gering aus bzw. befindet sich am unteren Ende des für einen funktionierenden Wohnungsmarkt notwendigen kurzfristigen Leerstands.
Baden-Württemberg liegt mit den Ergebnissen der Gebäude- und Wohnungszählung zum Leerstand auf gleichem Niveau wie der Bund. Die Leerstandsquote in Baden-Württemberg liegt ebenso bei 4,3 %. Diese vermeintlich große Anzahl an leerstehenden Wohnungen (236.000 Wohnungen in Gebäuden mit Wohnraum) vermag zunächst den Eindruck erwecken, dass genügend verfügbarer Wohnraum zur Verfügung stünde.
Ein Blick auf die absoluten Zahlen in Baden-Württemberg zeigt, dass mit knapp 130.000 Wohnungen mehr als die Hälfte der Leerstände seit über einem Jahr bestehen. Auf den marktaktiven Leerstand entfallen im Südwesten gut 67.000 Wohneinheiten. Die marktaktive Leerstandsquote2 beträgt demnach 1,3 % und liegt damit deutlich unter der bundesweiten.
Regionale Unterschiede beim marktaktiven Leerstand zeigen sich, wenn auch weniger stark als sich durch das Stadt-Land-Gefälle der Mietpreise vielleicht vermuten lassen würde (siehe Schaubild 3). Besonders hohe marktaktive Leerstände wurden beim Zensus 2022 in den Stadtkreisen verzeichnet. Die marktaktive Leerstandsquote fiel mit 1,9 % in Baden-Baden gefolgt von der Landeshauptstadt Stuttgart und Mannheim mit 1,7 % regional am höchsten aus, wohingegen in den Landkreisen Emmendingen, Ravensburg und Konstanz nur 1,0 % dem Markt direkt zur Verfügung standen (siehe Schaubild 1).
Ursachen für Leerstand
Die Gründe für den Leerstand von Wohnungen sind vielfältig.
- Struktureller Leerstand geht in der Regel zurück auf einen Bevölkerungsrückgang und wirtschaftliche Schwäche des betrachteten Gebietes.
- Spekulativer Leerstand ist hingegen eher in Großstädten zu beobachten. Hier lassen Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer in Teilen absichtlich Wohnraum leerstehend, um auf höhere Mietpreise zu spekulieren.
- Daneben lässt sich noch der sanierungsbedingte Leerstand abgrenzen. Hier werden Wohnungen lediglich zeitweise nicht genutzt, weil sie renoviert oder modernisiert werden.
Ein direkter Zusammenhang zwischen den durchschnittlichen Mietpreisen pro m² und den marktaktiven Leerstandsquoten auf Ebene der Kreise in Baden-Württemberg sind zunächst nicht erkennbar (siehe Schaubild 1). Werden jedoch alle leerstehenden Wohnungen in den Vergleich miteinbezogen, zeigt sich ein direkter Zusammenhang im Ranking der Kreise (siehe Schaubild 4).
Folgende Muster lassen sich nach Betrachtung der Kennzahlen erkennen:
- Hohe Mieten – geringer Leerstand: In begehrten Metropolen sind die Mieten hoch, und Wohnungen werden sofort vermietet.
- Günstige Mieten – hoher Leerstand: In ländlichen Regionen gibt es wenig Nachfrage, was zu höheren Leerständen führt.
Ein Ungleichgewicht entsteht insbesondere in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt, wo trotz hoher Nachfrage nicht genügend neue Wohnungen gebaut werden. Weiter zeigt sich, dass selbst in den Kreisen Baden-Württembergs mit vergleichsweise hohen Leerständen und geringeren Mietpreisen, der Wohnungsmarkt dem Bedarf nicht ausreichend gerecht wird. Neben den Wohnungen die innerhalb von 3 Monaten für den Bezug und damit dem Wohnungsmarkt aus dem Leerstand heraus zugeführt werden (marktaktiver Leerstand), besteht ein gewisses Potenzial bei leerstehenden Wohnungen, die aktuell renoviert, umgeplant oder umgebaut werden. Im Rahmen der Gebäude-Wohnungszählung haben die Eigentümerinnen und Eigentümer von Wohnraum etwa ein Viertel (knapp 57.000) der Wohnungen in Baden-Württemberg leerstehend gemeldet mit der Begründung einer laufenden bzw. geplanten Baumaßnahme. Weitere gut 12.000 Wohnungen erwartet der Abriss, mehr als 23.000 sollen künftig selbst genutzt werden und rund 20.000 befinden sich im Verkauf. Ungewiss ist die Verwendung von gut 51.000 leerstehenden Wohnungen bei denen ein sonstiger Grund für den Leerstand bei der Befragung angegeben wurde.
Schlussendlich lässt sich festhalten, dass Mietpreis und Leerstand in Baden-Württemberg kein Paradoxon darstellen, da schlicht zu wenig marktaktive Wohnungen verfügbar sind. Dieser Umstand könnte dazu führen, dass sich die soziale Ungleichheit weiter verschärft. So belasten steigende Mieten insbesondere einkommensschwache Haushalte, während leerstehende Wohnungen unter Umständen aufgrund von Spekulation ungenutzt bleiben. Hinzu kommt der Verfall oder zumindest der erhöhte Renovierungsbedarf von Immobilien, mit einer Leerstandsdauer von 12 Monaten und mehr. Im Sinne einer nachhaltigen Baupolitik sollte ein schonender Umgang mit Naturressourcen gefunden werden. Der soziale Wohnungsbau erfordert möglichst preiswerte Immobilien, entsprechend stehen auch die Baukosten im Fokus. Der Spagat kosteneffizient und gleichzeitig umweltverträglich zu bauen wird eine Herausforderung der kommenden Jahre sein. Potenzialanalysen auf Basis kleinräumiger Daten können hier eine Hilfestellung bei der Planung sein. Die Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung im Zensus 2022 sind bezogen auf ihre Repräsentativität, regionale Vergleichbarkeit und Gliederungstiefe das umfangreichste Datenmaterial der amtlichen Statistik. Der Mietpreis oder Leerstand sind dabei lediglich zwei von vielen weiteren Merkmalen welche im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 erhoben wurden (siehe https://ergebnisse.zensus2022.de/datenbank/online/).