Verdienste in Baden-Württemberg im April 2023 – Teil 2
Insgesamt geringer Anteil an Niedriglöhnen, aber weiterhin starke Lohnspreizung
Nachdem im ersten Teil dieses Beitrags anhand der neuen Verdiensterhebung – welche mit Erhebungsumstellung zum Jahresbeginn 2022 die früheren Verdiensterhebungen ablöste – die allgemeine Entwicklung von Verdiensten und Arbeitszeit der Arbeitnehmenden in Baden-Württemberg betrachtet wurde, soll im nachfolgenden zweiten Teil nun der Fokus auf die Beschäftigung und Verdienste im Niedriglohnsektor und Mindestlohnbereich gelegt werden. Denn gerade auch Beschäftigte mit niedrigen Verdiensten und geringfügig Beschäftigte sind in der Regel weniger resilient gegenüber negativen ökonomischen Entwicklungen wie beispielsweise den wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie und dem damals massiven Anstieg von Kurzarbeit, welche auch aktuell wieder eine zunehmende Rolle als Instrument zur Abfederung konjunktureller Schwächen bei den Unternehmen spielt.1
Hinsichtlich der Angemessenheit der Mindestlohnhöhe gibt es eine immer wiederkehrende kontroverse öffentliche Debatte. Die Anpassungen des Mindestlohns stehen im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Partei-/Wahlkampfpolitik und unterliegen unterschiedlichen Einflüssen und Interessenslagen, wie etwa den steigenden Lebenshaltungskosten einerseits und den wirtschaftlichen Belastungen der Unternehmen – unter anderem durch hohe Energiepreise und allgemein schwächelnde Konjunktur – auf der anderen Seite (vgl. i-Punkt »Mindestlohn und Mindestlohnentwicklung in Deutschland«).
Auch im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025 standen Forderungen nach einer Anhebung des Mindestlohns per Regierungsbeschluss statt über Aushandlungen der Mindestlohnkommission im Raum,2 was wiederum auf Kritik bei Arbeitgeberverbänden wie zum Beispiel dem Deutschen Hotel und Gaststättengewerbe führt.3
In Baden-Württemberg war die Betroffenheit von Arbeitnehmenden durch den Mindestlohn und der Anteil am Niedriglohnsektor im April 2023 im Bundesvergleich verhältnismäßig gering. Mit 5,5 % der Beschäftigungsverhältnisse mit Mindestlohn und 2,7 % unter Mindestlohn sowie einem Anteil von ca. 15 % aller Jobs im Niedriglohnbereich lagen die Werte für den Südwesten unter oder etwa im Bundesdurchschnitt (6,2 %, 2,6 % und 16,3 %). Je nach Wirtschaftsbereich und Region, in denen eine Person in Baden-Württemberg beschäftigt war, zeigten sich jedoch zum Teil deutliche Unterschiede. Der mittlere Bruttostundenverdienst war beispielsweise in der Region Stuttgart und im Bodenseekreis mit 25,50 Euro um einiges höher als etwa in der Region Calw (20 Euro), sodass die Beschäftigungsverhältnisse in Calw entsprechend potenziell stärker vom Mindestlohn betroffen sind.
Verdienstverteilung: 50 % verdienten 20,62 Euro pro Stunde oder mehr
Der »Mittlere Verdienst« aller Vollzeit-, Teilzeit- und geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse insgesamt in Baden-Württemberg (ohne Auszubildende) lag in den Wirtschaftsbereichen Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Produzierendes Gewerbe und dem Dienstleistungsbereich im April 2023 bei 20,62 Euro pro Stunde (April 2022: 19,96 Euro/Stunde, 2018: 17,86 Euro/Stunde). Das Mittel des Verdiensts, der sogenannte Median, gibt an, dass 50 % aller Beschäftigungsverhältnisse (ohne Auszubildende) einen Bruttostundenverdienst größer oder gleich 20,62 Euro erhielten, die anderen 50 % lagen darunter. Das arithmetische Mittel, also die Summe aller Bruttostundenverdienste geteilt durch die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse, lag hingegen bei 25,93 Euro pro Stunde und damit 25,8 % über dem Medianverdienst (April 2022: 25,20 Euro/Stunde, 26,3 % höher; 2018: 20,68 Euro/Stunde, 15,8 % höher als der Median). Diese beiden Maße der zentralen Tendenz haben beide ihre Berechtigung. Während das arithmetische Mittel den Durchschnitt angibt, handelt es sich beim Median um den mittleren Wert, der also eine Verteilung halbiert, sodass 50 % der Werte über beziehungsweise unter dem Median liegen. Dabei wird das arithmetische Mittel im Vergleich zum Median grundsätzlich stärker von Ausreißerwerten, wie etwa sehr hohen oder sehr niedrigen Verdiensten, beeinflusst. Folglich deutet die deutliche Differenz zwischen Median und arithmetischem Mittel darauf hin, dass es einige Ausreißer- bzw. Extremwerte in der Verdienststruktur in Baden-Württemberg gibt.
Verdienstabstand zwischen hohen und niedrigen Verdiensten leicht rückläufig
War zwischen April 2018 und April 2022 noch keine Veränderung auszumachen, hat sich der Abstand zwischen hohen und niedrigen Verdiensten – die sogenannte Lohnspreizung – in Baden-Württemberg zwischen April 2022 und April 2023 leicht verringert. So verdienten 2018 die 10 % der Beschäftigungsverhältnisse am unteren Ende der Lohnskala noch 10 Euro oder weniger in der Stunde, während die Grenze der unteren 10 % der Lohnskala in 2022 bei 11,25 Euro und 2023 bei 12,45 Euro lag. Am oberen Ende der Lohnskala erhöhten sich die Stundenlöhne für die 10 % der Jobs mit Spitzenverdiensten von 34,27 Euro in 2018, auf 38,55 Euro im Jahr 2022 und lagen 2023 dann bei 38,31 Euro pro Stunde. Über die vergangenen Jahre haben sich also beide Werte erhöht, was am unteren Ende der Lohnskala nicht zuletzt auf die Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro in Deutschland am 1. Januar 2015 und dessen Erhöhungen in den Folgejahren zurückzuführen ist. Damit erhielten Beschäftigte am oberen Ende der Lohnskala im April 2018 ebenso wie im April 2022 noch das 3,43-Fache des Bruttostundenverdienstes von Geringverdienenden. Im April 2023 war deren Bruttoverdienst pro Stunde noch 3,08-mal so hoch wie derjenige der unteren 10 % (vgl. Tabelle 1 und i-Punkt »Lohnspreizung und Dezilverhältnisse sowie Niedriglohnbereich«).
Aufgrund höherer Mindestlöhne stärkerer Anstieg des Stundenlohns bei Geringverdienenden
Die beschriebene leichte Annäherung bei der Lohnspreizung dürfte vor allem von den zwischenzeitlich erfolgten gesetzlichen Mindestlohnerhöhungen herrühren. Allerdings stieg der gesetzliche Mindestlohn zwischen April 2018 und April 2022 weniger stark an als dies zwischen April 2022 und April 2023 der Fall war. Lag der Mindestlohn im April 2018 noch bei 8,84 Euro/Stunde und im April 2022 bei 9,82 Euro/Stunde, betrug er im April 2023 dann 12 Euro brutto pro Stunde.
Entsprechend stiegen die Verdienste des 1. Dezils (Geringverdienende) in dem Zeitraum von April 2022 bis April 2023 um 10,7 % an und damit deutlich stärker als die Verdienste in der Mitte der Lohnskala (5. Dezil) mit +3,3 %. Die Verdienste des 9. Dezils (obere 10 % der Lohnskala) nahmen mit einem Minus von 0,6 % gegenüber dem Vorjahreswert sogar leicht ab.
Eine Ursache für die dennoch nach wie vor hohe Verdienstdifferenz zwischen Gering- und Besserverdienenden in Baden-Württemberg sind die weiterhin sehr hohen Stundenlöhne, die von den Spitzenverdienenden erzielt wurden. So erhielten weiterhin 1,5 % der Beschäftigungsverhältnisse Bruttostundenlöhne von 65 Euro und mehr.
Fast jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis im Land unter 15 Euro pro Stunde
Betrachtet man die ganze Bandbreite der prozentualen Verteilung der Beschäftigungsverhältnisse für den April 2023 nach Bruttostundenlöhnen, so zeigt sich, dass nicht einmal 1 % der Vollzeit-, Teilzeit- und geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse insgesamt nur Bruttostundenlöhne bis unter 9 Euro erzielten (2018: rund 3 %). Während fast ein Fünftel (19,9 %) der Jobs 2023 mit 12 bis 15 Euro pro Stunde vergütet wurden (2018: fast 14 %), waren es 2018 noch 18,7 %, die sich bei einem Bruttostundenlohn zwischen 9 bis 12 Euro einordneten (2023: 2,8 %). In Schaubild 1 wird die rechtsseitige Verschiebung der Verteilung aufgrund der Erhöhung des Mindestlohns von 8,84 Euro/Stunde in 2018 auf 12 Euro/Stunde in 2023 (Erhöhung erfolgte ab Oktober 2022) und dem damit verbundenen Einfluss auf die unmittelbar benachbarten Lohngruppen (Spill-Over-Effekt) sehr gut deutlich, da sich besonders viele Beschäftigungsverhältnisse mit einer Vergütung knapp über dem jeweils gültigen gesetzlichen Mindestlohn wiederfinden. In den Entgeltbereichen von 12 bis 30 Euro pro Stunde sind fast 75 % aller Arbeitsverhältnisse zu verorten. Bemerkenswert ist, dass in Baden-Württemberg bei knapp 2 % aller Jobs Bruttostundenlöhne von 60 Euro und mehr erzielt werden konnten (2018: ca. 1 %). Diese Extremwerte am oberen Ende der Verdienstverteilung dürften wiederum die Diskrepanz zwischen arithmetischem Mittel und Median erklären (vgl. Schaubild 1).
Mehr Frauen als Männer im Niedriglohnsektor tätig
Neben der Lohnspreizung ist eine weitere gängige Unterteilung zur Beschreibung der Verdienstverteilung die Abgrenzung in einen Hoch- und Niedriglohnsektor. Gemäß internationaler Definitionen (unter anderem OECD4) spricht man von Niedriglohn, wenn der Bruttostundenverdienst weniger als zwei Drittel des Medianverdienstes beträgt. Umgekehrt wird zum Hochlohnbereich gezählt, wer mehr als ein Drittel über dem Medianverdienst angesiedelt ist. Die bundeseinheitliche Niedriglohnschwelle lag dabei im April 2023 bei 13,04 Euro und im April 2022 bei 12,50 Euro brutto je Stunde (April 2018 noch bei 11,05 Euro brutto je Stunde). Auszubildende werden bei dieser Analyse ausgeschlossen. Damit hat sich die Niedriglohnschwelle in den letzten Jahren etwas nach oben verschoben und der Anteil der Jobs im Niedriglohnbereich5 verringerte sich sowohl für Baden-Württemberg als auch in Gesamtdeutschland, ebenso wie die absolute Zahl der Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnbereich.
Im April 2023 waren rund 15 % aller Beschäftigungsverhältnisse in Baden-Württemberg Jobs im Niedriglohnsektor. Das heißt, es wurden ca. 846.000 Jobs im Südwesten unterhalb der Niedriglohnschwelle von 13,04 Euro brutto je Stunde entlohnt. Damit sank die Anzahl niedrig entlohnter Jobs um rund 94.000 Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich zum Vorjahr, als die deutschlandweite Niedriglohnschwelle noch 12,50 Euro/Stunde betrug. So waren im April 2022 ca. 0,94 Millionen (Mio.) Jobs unterhalb der Niedriglohnschwelle bezahlt und noch etwa 0,99 Mio. Niedriglohn-Jobs im April 2018. Der Anteil der niedrig entlohnten Jobs an allen ca. 5,6 Mio. Beschäftigungsverhältnissen im Land (ohne Auszubildende) reduzierte sich damit von 16,6 % in 2022 auf 15 % in 2023 (2018: etwas über 17 %) und lag somit niedriger als auf Bundesebene (16,3 %).
Dabei waren auch weiterhin mehr Frauen als Männer im Niedriglohnbereich tätig (18,9 % gegenüber 11,4 %). Bei den unter 25-Jährigen (40,3 %) sowie Personen mit 65 Jahren und älter (34,1 %) erhielt mehr als jeder dritte Job eine Vergütung im Niedriglohnbereich, während die Altersgruppen dazwischen deutlich weniger häufig davon betroffen waren (im Schnitt ca. 11,6 %).
Über die Hälfte der Jobs im Gastgewerbe und ein Fünftel der Jobs im Handel im Niedriglohnsektor
Bei näherer Betrachtung der Wirtschaftsbereiche zeigt sich, dass der Anteil der Niedriglohnjobs im Dienstleistungsbereich mit ca. 18 % (ca. 0,71 Mio. Jobs) deutlich höher liegt als im Produzierenden Gewerbe (etwa 7 % bzw. 0,12 Mio. Jobs).
Beim Blick auf die Ergebnisse für die einzelnen Branchen wird zudem deutlich, dass besonders im Gastgewerbe der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten, trotz leichten Rückgangs zum Vorjahr, weiterhin sehr hoch bleibt. So wurde dort im April 2023 mehr als jedes zweite Beschäftigungsverhältnis (etwas über 52 %) im Niedriglohnbereich, also mit einem Stundenlohn von 13,04 Euro brutto pro Stunde oder weniger, vergütet. Mit rund 155.000 gab es zwar die größte absolute Anzahl an abhängigen Beschäftigungsverhältnissen im Niedriglohnsektor im Wirtschaftsabschnitt Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz. Diese machten aber nur etwa ein Fünftel aller Beschäftigten im Handel aus. Auch bei der Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (unter anderem Reisebüros, Kfz-Vermietung, Wachdienste, Gebäudereinigung, Call-Center) sowie der Erbringung von sonstigen Dienstleistungen (unter anderem Reparaturarbeiten, Bestattungsunternehmen, Solarien, Friseursalons) gab es überdurchschnittlich viele Beschäftigte im Niedriglohnsektor (ca. 31 % und gut 25 %). Wohingegen der Niedriglohnanteil in der Öffentlichen Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung (ca. 4 %), im Verarbeitenden Gewerbe (etwa 6 %), bei Erziehung und Unterricht (ca. 8 %) sowie im Gesundheits- und Sozialwesen (knapp 10 %) im April 2023 besonders niedrig war (vgl. Tabelle 2).
5,5 % der Beschäftigungsverhältnisse 2023 im Mindestlohnbereich
Vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Bemühungen um eine angemessene Vergütung, von der sich der Lebensunterhalt ohne zusätzliche staatliche Hilfen bestreiten lässt, ist in Deutschland vor allem auch der Mindestlohn von besonderer Bedeutung. Der per Regierungsbeschluss festgelegte gesetzliche Mindestlohn von 12 Euro/Stunde, welcher im April 2023 galt, liegt dabei unter der Niedriglohnschwelle von 13,04 Euro.
Der im Jahr 2015 eingeführte gesetzliche Mindestlohn stieg zwischen April 2018 und April 2022 von 8,84 Euro auf 9,82 Euro sowie zwischen April 2022 und April 2023 von 9,82 Euro auf 12 Euro pro Stunde. Dadurch ergibt sich für April 2023 bei einer durchschnittlich angenommenen Wochenarbeitszeit von 39,9 Stunden ein monatlicher Mindestlohn von etwa 2.080 Euro für Vollzeitkräfte, während dieser im April 2022 noch bei 1.702 Euro rangierte (2018: 1.532 Euro/Monat). Der gesetzliche Mindestlohn betrug damit etwas weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Bruttomonatsverdiensts Vollzeitbeschäftigter in Baden-Württemberg, der im April 2023 bei 4.568 Euro (ohne Sonderzahlungen) lag (2018: 4.076 Euro/Monat).
Die Auswertungen der Verdiensterhebung für April 2023 zeigen weiterhin, dass in rund 306.000 bzw. 5,5 % der ca. 5,6 Mio. abhängigen Beschäftigungsverhältnisse in Baden-Württemberg Verdienste erzielt wurden, die im Mindestlohnbereich lagen, das heißt sie erhielten Stundenlöhne zwischen 11,95 und 12,04 Euro (2018: 1,3 % im Bereich zwischen 8,79 Euro und 8,88 Euro). Auf Bundesebene waren es 6,2 % der Arbeitsverhältnisse, die sich innerhalb dieses Verdienstkorridors bewegten. Von diesen 306.000 Jobs im Südwesten entfielen rund 60 % (183.000) auf Frauen und 40 % (123.000) auf Männer. Einen rechnerischen Stundenverdienst unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns erhielten 2,7 % (149.000) aller mindestlohnberechtigten Beschäftigungsverhältnisse im Bundesland, geringfügig mehr als im Bundesdurchschnitt (2,6 %) (vgl. Tabelle 3 und Tabelle 4). Im April 2018 lagen im Südwesten 1 % der Beschäftigungsverhältnisse (76.000) unter dem damaligen Mindestlohnbereich. Allerdings war der damalige Mindestlohn (8,84 Euro/Stunde) noch um einiges niedriger als in 2023 und galt bereits seit Anfang 2017 (längerer Anpassungszeitraum).
Mindestlöhne bzw. Bezahlung unter dem Mindestlohn vor allem für Auszubildende, Minijobberinnen und Minijobber
Sowohl bei den Jobs im Mindestlohnbereich als auch bei Beschäftigungsverhältnissen mit Verdiensten unterhalb des Mindestlohnbereichs wird weiterhin deutlich, dass es sich neben Auszubildendenverhältnissen, für die nicht der gleiche Mindestlohn gilt wie für die anderen Arbeitskräfte, vor allem mehrheitlich um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse (sogenannte Minijobs) handelt. So waren in Baden-Württemberg im April 2023 von den ca. 455.000 Beschäftigungsverhältnissen im und unter Mindestlohn etwa 27.000 Vollzeitkräfte mit Mindestlohnbezahlung, ca. 46.000 Teilzeitkräfte und rund 233.000 geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse, die den Mindestlohn erhielten, während ungefähr 149.000 Beschäftigungsverhältnisse niedriger vergütet wurden. Hinzu kommen etwas unter 225.000 Auszubildende in Baden-Württemberg, von denen damit fast alle unter Mindestlohn vergütet werden, da für sie zwar eine monatliche Mindestausbildungsvergütung je Lehrjahr, nicht aber der gesetzliche Mindestlohn greift.6
Insgesamt zeigt sich außerdem ein positiver Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Tarifbindung, wobei der Rückgang der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse mit der Vergrößerung des Niedriglohnsektors einhergeht.7 War Anfang der 1990er-Jahre noch der Großteil der Beschäftigungsverhältnisse tarifgebunden, so hatten 2014 bereits 56,9 %, 2018 schon 59,3 % und 2023 ca. 50 % der Beschäftigten (und 80 % der Betriebe) keine Tarifbindung mehr. Dabei verdienten tarifgebundene Vollzeittätige im April 2023 monatlich 15,9 % und pro Stunde 16,9 % mehr brutto als solche ohne Tarifbindung (April 2018 monatlich +12,4 % und stündlich +16,2 %).8
Geringe Mindestlohnbetroffenheit Baden-Württembergs im Bundesvergleich
Wie stark eine Region durch ihre Verdienststruktur von Mindestlohn(änderungen) betroffen ist, zeigt der sogenannte Kaitz-Index auf, der den Lohnabstand zwischen dem gesetzlichen Mindestlohn und dem mittleren Bruttostundenverdienst von Vollzeitkräften angibt und daher als Maß der potenziellen Betroffenheit vom Mindestlohn herangezogen werden kann.9 Je höher der Kaitz-Index in einer Region ist, desto stärker könnten die Auswirkungen einer Veränderung des Mindestlohns dort sein. Denn je höher der Kaitz-Index, desto geringer sind die durchschnittlichen (Stunden-)Verdienste in einer Region. Läge er bei 100 %, würde in dem betroffenen Gebiet im Mittel genau der Mindestlohn verdient werden.
Für Gesamtdeutschland lag der Kaitz-Index im April 2023 bei 54,9 %, wobei sich auch hier eine weiterhin große Diskrepanz zwischen den durchschnittlichen Bruttoverdiensten in Ost und West, mit einer deutlich stärkeren potenziellen Betroffenheit vom Mindestlohn der Beschäftigten in den neuen Ländern, zeigt. Insgesamt liegt der Südwesten dagegen mit 51,3 % unter dem Kaitz-Wert des Bundesgebiets und weist damit im Ländervergleich nach Hamburg mit 49,1 % und Hessen mit 50,6 % den drittniedrigsten Kaitz-Index auf. Der geringste Lohnabstand zwischen stündlichem Mindest- und Medianlohn und damit die potenziell höchste Betroffenheit vom Mindestlohn findet sich dagegen in Thüringen (65,6 %), Sachsen-Anhalt (65,5 %) und Mecklenburg-Vorpommern (65,1 %) (vgl. Schaubild 2 und Tabelle 4).
Kaitz-Index – Wie stark sind die Regionen potenziell vom Mindestlohn betroffen?
Im Bundesvergleich ist Baden-Württemberg eines der Länder mit den höchsten Bruttolöhnen. Entsprechend ist die potenzielle Betroffenheit vom Mindestlohn gesamtwirtschaftlich und überregional gesehen eher gering. Beim Blick auf die regionale Ebene, zeigen sich aber Unterschiede zwischen den verschiedenen Arbeitsmarktregionen im Südwesten. So verzeichnet die Region Stuttgart mit ihren ca. 1,22 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und damit der mit Abstand größten Beschäftigtenzahl aller baden-württembergischen Arbeitsmarktregionen, gemeinsam mit dem Bodenseekreis den höchsten durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von Vollzeittätigen mit im Mittel 25,50 Euro Bruttostundenverdienst. Mit dem entsprechend niedrigsten Kaitz-Index von 47 % sind diese Regionen folglich potenziell am wenigsten vom Mindestlohn betroffen. Allein sieben Arbeitsmarktregionen im Land10 hatten im April 2023 einen Medianverdienst ihrer Vollzeitkräfte von 22,50 Euro brutto pro Stunde und reihen sich so mit einem Kaitz-Index von 53 % im Mittelfeld ein, was die potenzielle Mindestlohnbetroffenheit in den Regionen angeht. Dagegen weisen die Regionen Rottweil (20,50 Euro/Stunde), Waldshut (20,50 Euro/Stunde) und Calw (20 Euro/Stunde) die geringsten mittleren Stundenlöhne auf und entsprechend höher ist auch der Kaitz-Index, der mit 59 % bzw. 60 % den höchsten Wert im Südwesten annimmt. Hierzu passt auch der Umstand, dass der stündliche und monatliche mittlere Bruttoverdienst von Vollzeittätigen in städtischen Regionen gut 8 % bzw. 9,5 % höher liegt als in weniger dicht besiedelten Gegenden (sogenannte Regionen mit Verdichtungsansatz). Trotz insgesamt hoher Verdienste zeigen sich also auch in Baden-Württemberg durchaus regionale Differenzen in der Verdienstverteilung und -struktur (vgl. Schaubild 3).
Wie werden sich die Verdienste angesichts künftiger nationaler und globaler Herausforderungen entwickeln?
Der Blick auf den Niedrig- und Mindestlohnbereich verdeutlicht, dass Baden-Württemberg hinsichtlich der Verdienste der Beschäftigten wie schon in den Jahren zuvor insgesamt gesehen bundesweit eine gute Position einnimmt und auch im April 2023 mit 2,7 % unter und 5,5 % aller Jobs im Mindestlohnbereich nur verhältnismäßig gering vom Mindestlohn betroffen war. Auch der Niedriglohnbereich im Südwesten ist im Ländervergleich zwar prozentual relativ klein, dessen Anteil vor allem in Wirtschaftsbereichen wie dem Handel und dem Gastgewerbe war 2023 jedoch hoch. Wie sich die Verdienste und Beschäftigungsverhältnisse, vor allem auch im Niedriglohnsektor vor dem Hintergrund der kommenden gesetzlichen Erhöhungen des Mindestlohns entwickeln werden, bleibt abzuwarten. Diese sind über das Jahr 2025 hinaus noch nicht bekannt, werden aber in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft immer wieder kontrovers diskutiert und waren bereits wieder ein prominentes Thema im aktuellen Bundestagswahlkampf und den Wahlprogrammen der Parteien.11 Daneben gibt es viele weitere Entwicklungen, die künftig Einfluss auf die Wirtschaft und damit letztlich auch die Verdienste haben können. Neben bereits bekannten konkreten Maßnahmen wie dem Auslaufen von steuerfreien Unterstützungsmaßnahmen wie der Inflationsausgleichsprämie Ende 2024, sind hier vor allem auch Faktoren wie die aktuellen geopolitischen Unsicherheiten, Krisen und Konflikte wie zum Beispiel die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, Handelskonflikte mit China, kürzlich erfolgte oder bevorstehende Regierungswechsel in verschiedenen westlichen Volkswirtschaften und vieles mehr, ebenso wie auch nationale Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Baden-Württemberg, wie etwa notwendige Infrastruktursanierungen, digitale Transformation, Fachkräftemangel unter anderem, zu nennen, deren komplexere und zum Teil noch nicht bekannte Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen auch die Verdienste beeinflussen dürften. Gerade auch Baden-Württemberg als Industriestandort mit der Schlüsselbranche »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« befindet sich, unter anderem vor dem Hintergrund des Klimawandels, der Dekarbonisierung und des technologischen Fortschritts sowie der starken internationalen Konkurrenz, bereits seit einigen Jahren in einem massiven Strukturwandel, dessen Chancen und Risiken sich auch auf Beschäftigung und Verdienste niederschlagen werden.12
Ob sich womöglich künftig eine stärkere Betroffenheit vom Mindestlohn vor allem in ohnehin eher niedrig vergüteten Wirtschaftsbereichen wie dem Gastgewerbe oder auch weiteren Wirtschaftsbereichen abzeichnen wird, falls die Tariflöhne durch die aktuell schwache Konjunktur in verschiedenen Branchen künftig weniger stark steigen als der Mindestlohn, gilt es zu beobachten. In Zeiten von weltweit vernetzten Wirtschaftsmärkten, globalen Abhängigkeiten und immer wieder auftretenden weitreichenden Krisensituationen bleiben folglich ökonomische Kennzahlen wie die Verdienste und deren Entwicklung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin von hohem Interesse. Die monatliche Verdiensterhebung wird hierzu auch in Zukunft umfassende Informationen über die künftigen konjunkturellen und strukturellen Verdienstentwicklungen bereitstellen.