Weniger Geburten, schwächere Zuwanderung und »neue« Einwohnerzahlen
Ausgewählte Ergebnisse zur aktuellen Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg
Im Juni 2024 wurden die ersten Ergebnisse des Zensus 2022 veröffentlicht1, die die neue Basis für die so genannte Bevölkerungsfortschreibung zur Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen bilden. In welchem Umfang diese Umbasierung zu geänderten Einwohnerzahlen geführt hat, ist eines der Themen dieses Beitrags. Den Schwerpunkt bilden allerdings die aktuellen Trends bei der Entwicklung der Geborenen- und Gestorbenenzahlen sowie beim Wanderungsgeschehen. Außerdem werden die regionalen Unterschiede innerhalb des Landes näher beleuchtet.
In Baden-Württemberg wurden im Jahr 2023 ca. 98 400 Kinder lebend geboren. Das waren rund 6 100 weniger als 2022. Damit lag die Zahl der Neugeborenen erstmals seit dem Jahr 2014 wieder unter 100 000. Gegenüber dem Jahr 2021 ist die Geburtenzahl sogar um 15 100 gesunken.
Geburtenrate ging deutlich zurück …
Die im Jahr 2023 relativ niedrigere Geburtenzahl ist vor allem auf eine gesunkene Geburtenrate zurückzuführen: Während die durchschnittliche Kinderzahl je Frau im Jahr 2021 im Südwesten noch bei 1,63 lag, waren es im Jahr 2022 nur noch 1,50 und 2023 sogar noch lediglich 1,44.
Die Gründe für diesen Rückgang sind wohl vielfältig und auch vor dem Hintergrund, dass die Geburtenrate bis zum Jahr 2021 auf das höchste Niveau der vergangenen 50 Jahre gestiegen ist, zu bewerten. Für diesen zwischenzeitlichen Anstieg dürfte insbesondere die deutlich verbesserte Kinderbetreuung im Land ursächlich gewesen sein. Zuletzt hatte sich aber die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wieder verschlechtert, weil der zunehmende Personalmangel bei Erzieherinnen und Erziehern zu Einschränkungen bei der Betreuung von Kindern in Kitas geführt hat. Auch finanzielle Aspekte wie die in den letzten Jahren stark gestiegenen Wohn- und Lebenshaltungskosten könnten zu einem Rückgang beigetragen haben. Schließlich dürften die zunehmenden gesellschaftlichen Krisensituationen dazu geführt haben, dass Paare ihren Kinderwunsch seltener realisiert haben.
… ebenso die Sterblichkeit
Im Jahr 2023 starben ca. 120 200 Personen, 4 500 weniger als im Vorjahreszeitraum. Seit der Gründung Baden-Württembergs im Jahr 1952 ist dies die zweithöchste Sterbefallzahl, nachdem 2022 der bisher höchste Stand markiert wurde.
Die Sterblichkeit, das heißt die Zahl der Sterbefälle je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner, sank im Vergleich zu 2022 ebenfalls deutlich (−6,3 %). Mit 920 Sterbefällen je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner lag damit die altersstandardisierte Sterblichkeit 2023 erstmals geringfügig unter dem Durchschnitt der Vor-Corona-Jahre 2016 bis 2019; damals gab es 924 Sterbefälle je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner.2
Größtes Geburtendefizit seit Bestehen des Landes
Zwar ist die Zahl der Gestorbenen im Jahr 2023 gegenüber 2022 auf etwa 120 200 zurückgegangen. Dennoch stieg das Geburtendefizit, also die Differenz zwischen der Zahl der Geborenen und der der Gestorbenen, nochmals von 20 100 im Jahr 2022 auf zuletzt 21 800 (Schaubild 1). Das war das höchste Minus seit Bestehen des Landes.
Lediglich in drei der 44 Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs – nämlich in den Stadtkreisen Freiburg im Breisgau und Ulm sowie im Landkreis Tübingen – konnte noch ein Geburtenplus verzeichnet werden; alle anderen wiesen ein mehr oder weniger großes Geburtendefizit auf (Tabelle 1). Dagegen wurden beispielsweise im Jahr 2000 noch in drei Stadt- und Landkreisen mehr Kinder geboren als Menschen gestorben sind. Die größten Geburtendefizite waren im Jahr 2023 im Rhein-Neckar- und im Ortenaukreis sowie im Landkreis Karlsruhe zu beobachten.
Die regional unterschiedliche Bilanz aus der Zahl der Geborenen und der der Gestorbenen wird wesentlich durch die Altersstruktur der Bevölkerung beeinflusst. Aber auch die Lebenserwartung der Bevölkerung sowie die Geburtenhäufigkeit – also die durchschnittliche Kinderzahl je Frau – in den Stadt- und Landkreisen bestimmen das Verhältnis von Geburten zu Sterbefällen.
Letzteres war aber sicherlich nicht maßgeblich dafür, dass in Freiburg im Breisgau der Geburtenüberschuss im Jahr 2023 landesweit am höchsten war. Die Geburtenrate, also die durchschnittliche Kinderzahl je Frau, zählt nämlich in der südbadischen Universitätsstadt weiterhin zu den landesweit niedrigsten.3 Vielmehr dürfte dieses Ergebnis in erster Linie auf die in den letzten Jahrzehnten enorme Zuwanderung jüngerer Menschen zurückführen sein, die auch zu einem Anstieg der Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter und zu einer gewissen »Verjüngung« der dortigen Bevölkerung geführt hat.
Weiterhin hohe Wanderungsgewinne gegenüber dem Ausland, aber …
Der zuwanderungsbedingte Bevölkerungszuwachs (+83 600) fiel im Jahr 2023 zwar deutlich geringer aus als im Rekordjahr 2022 (+178 200), lag aber dennoch über den Ergebnissen der vorangegangenen Jahre 2016 bis 2021; damals lag der jährliche Wanderungsgewinn zwischen +13 500 und +76 100 (Schaubild 2).
Die Wanderungsgewinne im Jahr 2023 resultierten – wie auch bereits in den Jahren zuvor – ausschließlich gegenüber dem Ausland. Das Plus von 88 100 Personen bedeutete den vierthöchsten Wanderungsgewinn über die Bundesgrenze in den vergangenen 30 Jahren.4
Im Fokus des Migrationsgeschehens war auch im Jahr 2023 die Ukraine. Aus dem osteuropäischen Staat zogen per Saldo 22 000 Menschen zu – das waren zwar deutlich weniger als im Jahr 2022 (+130 100), aber mehr als aus allen anderen Herkunftsstaaten. Dahinter folgen die Türkei (+16 300), Syrien (+9 300), Afghanistan (+6 200), Indien (+4 900) und Kosovo (+4 700). Deutlich negative Wanderungsbilanzen waren hingegen mit der Schweiz (–6 300) und mit Österreich (–1 100) zu verzeichnen (Schaubild 3).
… Wanderungsverluste an das übrige Bundesgebiet
Der Wanderungssaldo Baden-Württembergs gegenüber dem übrigen Bundesgebiet war zwar auch im Jahr 2023 negativ (–4 500); das Minus war aber deutlich geringer als in den Jahren zuvor. Wanderungsverluste waren im Jahr 2023 besonders gegenüber Bayern (–2 500), Rheinland-Pfalz (–1 200), Hamburg (–800) und Berlin (–600) zu verzeichnen, während es vor allem gegenüber Niedersachsen mehr Zu- als Fortzüge gab (+1 200)5. Während aus dem übrigen Bundesgebiet insgesamt etwas mehr Ausländerinnen und Ausländer (+2 100) zuzogen als fortgingen, ergab sich bei den deutschen Staatsangehörigen ein deutlicheres Minus von 6 600.
Für die Abwanderung der deutschen Bevölkerung in den letzten Jahren in das übrige Bundesgebiet dürften vor allem zwei Entwicklungen ursächlich sein: Zum einen war die wirtschaftliche Entwicklung bis etwa zum Jahr 2019 auch im übrigen Bundesgebiet überwiegend positiv und zum Teil sogar dynamischer als in Baden-Württemberg. Zum anderen waren und sind weiterhin die Lebenshaltungskosten im Südwesten insbesondere aufgrund der Wohnungskosten überdurchschnittlich. Das bedeutet, dass vor dem Hintergrund überdurchschnittlicher Lebenshaltungskosten in Baden-Württemberg einerseits und einer graduellen Angleichung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb Deutschlands andererseits, der Anreiz, in den Südwesten zu ziehen, zuletzt sicherlich geringer als noch in früheren Jahren war.6
Von der Reurbanisierung (erneut) zur Suburbanisierung
Innerhalb des Landes war seit der Jahrtausendwende eine merkliche Veränderung im regionalen Wanderungsgeschehen zu beobachten: Die (Groß-)Städte und insbesondere die verdichteten Gebiete im Land hatten für Zuziehende in den 2000er- und bis Mitte der 2010er-Jahre im Vergleich zu den 1990er-Jahren zunächst deutlich an Attraktivität gewonnen, während die Dynamik in den eher ländlich strukturierten Kreisen tendenziell geringer geworden war. In den letzten Jahren hat sich diese Entwicklung erneut gedreht, und die ländlichen Gebiete und Kreise im Umfeld der Großstädte verzeichnen Wanderungsgewinne gegenüber den urbanen Zentren.
Die aktuellen Suburbanisierungstendenzen werden allerdings nur dann deutlich, wenn auf die deutsche und nicht auf die Gesamtbevölkerung abgestellt wird, da das regionale Migrationsgeschehen insbesondere bei Geflüchteten und Asylsuchenden auch administrativ gesteuert wird und damit nicht nur persönlich motiviert ist. Es zeigt sich dann einerseits, dass im Jahr 2023 keiner der Stadtkreise Wanderungsgewinne bei der deutschen Bevölkerung erzielen konnte und dass andererseits lediglich stärker ländlich geprägte Kreise oder Landkreise, die an Großstädte grenzen, per Saldo noch Zuzüge verzeichnen.
Am klarsten zeigt sich die Suburbanisierung in den acht größten Städten Baden-Württembergs (Tabelle 2): Diese Großstädte haben jeweils in deutlichem Umfang deutsche Staatsangehörige an ihre angrenzenden Kreise verloren. Neben dem Problem des oft teuren und knappen Wohnraums in den Großstädten gibt es weitere Aspekte, die das Umland im Vergleich zu den Zentren der Großstädte attraktiver machen. Für viele Berufstätige reduziert die Möglichkeit, ganz oder zumindest teilweise im Homeoffice zu arbeiten, den zeitlichen Aufwand für das Pendeln zum Arbeitsplatz in der Stadt, sodass ein weiter entfernter Wohnort eher in Kauf genommen wird. Und durch die Einführung des Deutschlandtickets als Einheitstarif wurden im öffentlichen Nahverkehr die vorher meist üblichen Preisunterschiede – je weiter der Arbeitsweg in die Stadt, desto teurer die Monatskarte – nivelliert.
Am größten waren die Wanderungsverluste aus der Stadt in das Umland in Stuttgart, in Freiburg und in Ulm. So hat beispielsweise Stuttgart allein im Jahr 2023 per Saldo gut 2 900 deutsche Einwohnerinnen und Einwohner an die umliegenden Kreise verloren – das entspricht immerhin 6,3 Personen je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner.
Während die Landeshauptstadt nicht nur in ihrem Nahbereich, sondern auch darüber hinaus viele deutsche Einwohnerinnen und Einwohner per Fortzug verliert, sind die Wanderungsverluste in anderen Großstädten teils noch stärker auf das direkte Umland konzentriert. In Ulm entfielen rund 80 % des Wanderungsdefizits der deutschen Bevölkerung auf Abwanderungen in das Umland, in Karlsruhe waren es sogar annähernd 90 %. Eine besondere Situation zeigt sich in Freiburg im Breisgau: An die benachbarten Kreise Breisgau-Hochschwarzwald und Emmendingen verlor die Universitätsstadt im Jahr 2023 per Saldo gut 1 100 deutsche Staatsangehörige. Insgesamt zogen aus Freiburg per Saldo aber weniger als 100 Deutsche fort; das bedeutet, dass die Verluste an das Umland durch überregionale Zuzüge – insbesondere von jungen Erwachsenen – annähernd kompensiert wurden.
Alterung der Bevölkerung verläuft in den Großstädten langsamer
Auch wenn das regionale Wanderungsgeschehen in den letzten Jahren von Suburbanisierungstendenzen geprägt war, so hat die seit der Jahrtausendwende bis etwa zum Jahr 2017 zu beobachtende Entwicklung – vor allem junge Erwachsene zogen zur Ausbildung und zum Studium verstärkt in die Groß- und Universitätsstädte – dennoch dazu geführt, dass dort die Alterung der Bevölkerung langsamer als in den meisten kleineren Gemeinden bzw. in den meisten eher ländlich geprägten Landkreisen verlaufen ist.
Am jüngsten war am Ende des Jahres 2023 die Bevölkerung in den Universitätsstädten Heidelberg und Freiburg im Breisgau. Das höchste Durchschnittsalter wiesen dagegen die Kur- und Bäderstadt Baden-Baden und der Bodenseekreis auf – wohl vor allem auch deshalb, weil diese als »Altersruhesitz« besonders attraktiv sind.7 Hinzu kam allerdings, dass aus beiden Kreisen zuletzt auch relativ viele junge deutsche Staatsangehörige abgewandert sind. Ebenfalls sehr hoch liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung im Main-Tauber-Kreis (Schaubild 4).8
Amtliche Einwohnerzahlen auf neuer Basis
Die Einwohnerzahlen des Landes, der Kreise und der Kommunen haben sich im Jahr 2023 aber nicht nur aufgrund der Geburten und der Sterbefälle sowie der Zu- und Fortzüge verändert. Zum Teil deutliche Änderungen gab es auch deshalb, weil die Bevölkerungsfortschreibung zur Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen9, die bislang auf Basis des Zensus 2011 durchgeführt wurde, mit den Ergebnissen des Zensus 202210 nun eine neue Grundlage erhielt. Dadurch wurden die Einwohnerzahlen in annähernd 900 Gemeinden des Landes nach unten und in etwas mehr als 200 Kommunen nach oben korrigiert. Landesweit ergab sich eine Korrektur der Einwohnerzahl nach unten um 1,2 %. Am stärksten war dieser Einwohnerverlust absolut gesehen für die Landeshauptstadt Stuttgart, die dennoch weiterhin nicht nur die mit Abstand einwohnerstärkste Großstadt ist, sondern auch unangefochten derjenige Kreis mit den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern im Land bleibt (Schaubild 5).
Fazit
Das Berichtsjahr 2023 war in demografischer Hinsicht in Baden-Württemberg geprägt von gesunkenen Geburten- und Sterbefallzahlen sowie einer zwar ebenfalls geringeren Zuwanderung, die aber im langfristigen Vergleich weiterhin relativ hoch war. Innerhalb des Landes hat sich das seit einigen Jahren feststellbare regionale Wanderungsmuster weiter verfestigt: Insbesondere die deutsche Bevölkerung zieht nicht zuletzt aufgrund hoher Wohnungskosten in den Zentren wieder verstärkt in das Umland.
Darüber hinaus gab es durchaus weitere bemerkenswerte demografische Entwicklungen: So wurden beispielsweise in Baden-Württemberg im Jahr 2023 insgesamt 22 745 Ausländerinnen und Ausländer eingebürgert – immerhin 8,5 % mehr als im Jahr 2022. Dagegen lag die Zahl der Eheschließungen sogar niedriger als in den Jahren der Coronapandemie. Nur 47 849 Paare in Baden-Württemberg gaben sich das »Ja-Wort«. Noch weniger Hochzeiten als im Jahr 2023 gab es seit Bestehen des Landes lediglich in den Jahren 1978 und 2007. Erfreulich war dagegen, dass sich – entgegen vielfach geäußerter Bedenken – die Coronapandemie nicht in höheren Scheidungshäufigkeiten niedergeschlagen hat.11 Aus heutiger Sicht zeichnet sich nicht ab, dass sich an dieser positiven Entwicklung Grundlegendes ändern könnte.