Zensus 2022 und die Ermittlung der Einwohnerzahlen
Die Ergebnisse des Zensus liefern in allen europäischen Mitgliedsstaaten eine Fülle an wichtigen Daten, die für eine effektive Steuerung und Entwicklung einer Gesellschaft unerlässlich sind.1 Die Volks- und Wohnungszählungen in der Europäischen Union (EU) beruhen dabei auf europäischen Rechtsvorschriften, in denen die wichtigsten Definitionen im Feld der Statistik und die von den EU-Ländern zu erstellenden Daten und Metadaten festgelegt sind. Ein wichtiger Bestandteil sind dabei die Bevölkerungsdaten. Die Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl stellt hierbei zusammen mit weiteren demografischen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Geburtsort und Nationalität die Ausgangsbasis für die Bevölkerungsfortschreibung. In Deutschland wird diese unter anderem für die Wahlkreiseinteilungen, die Besoldung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und vor allem für die Berechnung finanzieller Zuweisungen für die Kommunen sowie für die Stimmenzahl der Länder im Bundesrat und zum Bund-Länder-Finanzausgleich herangezogen.
Grundlagen für die Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl
Rechtliche Legitimation erhält die Vorgabe der EU in Deutschland durch das Zensusvorbereitungsgesetz (ZensVorbG2) 2022 und Zensusgesetzes (ZensG) 2022. Letzteres legt die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung des Zensus 2022 fest. Es regelt darüber hinaus den Erhebungsweg, die Einrichtung von kommunalen Erhebungsstellen, die Auskunftspflicht, die Qualitätssicherung und die Maßnahmen zum Datenschutz sowie die Veröffentlichung der Ergebnisse.3 Die Ermittlung der Einwohnerzahl ist als zentrale Aufgabe des Zensus im Gesetz definiert und erfolgte zum Stichtag 15. Mai 2022. Der ursprüngliche Stichtag, der 15. Mai 2021, wurde in Deutschland aufgrund der Auswirkungen der Coronapandemie um 1 Jahr verschoben.
Zur Umsetzung des EU-weiten Zensus hat sich Deutschland – wie bereits beim Zensus 2011 – für eine registergestützte Methode entschieden. Das bedeutet, dass bereits vorhandene Verwaltungsregister (Vermessungsdaten und Daten der Meldebehörden) als Datenquellen genutzt werden. Weitere Informationen, die als Grundlage für die Korrektur der Melderegister zur Ermittlung der Einwohnerzahl verwendet werden, werden aus der Personenerhebung (Haushaltebefragung an sogenannten Normalanschriften und Befragung an Anschriften mit Sonderbereichen) gewonnen.4 Das Verknüpfen der Ergebnisse der Personenerhebung mit den Ergebnissen der Befragung von Eigentümerinnen und Eigentümern im Zuge der Gebäude und Wohnungszählung erlaubt im letzten Schritt der Haushaltegenerierung die statistische Bildung von Haushalten und Familien (siehe Übersicht).
Die Verfahrensschritte hin zur Ermittlung der Einwohnerzahl
Baden-Württemberg bleibt auch nach dem Zensus 2022 nach Einwohnerinnen und Einwohnern das drittgrößte Bundesland Deutschlands. Die Korrektur der Einwohnerzahl in Baden-Württemberg fällt mit –1,2 % im bundesweiten Vergleich geringer aus als im Bundesschnitt (–1,6 %).5 Ursächlich dafür sind die in der Regel guten Befragungsergebnisse und die in den meisten Fällen gut geführten Melderegister der Gemeinden. Letztere stellen die Basis für alle Modellschritte des Zensus 2022. Dennoch können nicht alle melderechtlichen Erfassungen von Zu- und Fortzügen lückenlos erfolgen. Manche Personen waren zum Stichtag 15. Mai des Zensus 2022 an ihrem Wohnort gar nicht gemeldet, andere standen zwar im Melderegister, sind aber bereits umgezogen oder verstorben. Beim Zensus 2022 waren vor diesem Hintergrund insbesondere zwei Ereignisse relevant: Zum einen die Situation aufgrund der Coronapandemie und die Fluchtbewegungen aufgrund der Kriege in Syrien und der Ukraine. Wanderungsbewegungen konnte demnach nicht in allen Fällen stichtagsgenau in den kommunalen Melderegistern abgebildet werden.6
Datengrundlage bei der Ermittlung der Einwohnerzahlen
Nach den Vorschriften des ZensVorbG 2022 und des ZensG 2022 wurden die Angaben in den Melderegistern von den kommunalen Stellen an die Statistischen Ämter der Länder übermittelt. Die Datensätze sind dabei eindeutig den Kommunen zugeordnet und enthalten neben der Anschrift, dem Namen sowie weiteren Hilfsmerkmalen Informationen darüber, ob die betreffenden Personen mit alleiniger Haupt- oder Nebenwohnung an der jeweiligen Anschrift in der Gemeinde gemeldet sind. Abzüge der Melderegister erhielt das Statistische Landesamt Baden-Württemberg zu unterschiedlichen Stichtagen:
- 07.02.2021: Grundlage für die Stichprobenziehung (MR.VE)
- 14.11.2021: Grundlage für die Nachziehung der Stichprobe (MR.V2)
- 15.05.2022: Berichtszeitpunkt des Zensusstichtags (MR.Z1)
- 14.08.2022: Berücksichtigung aller stichtagsrelevanten Meldungen (MR.Z2)
Gerade die letzte Datenlieferung zum 14. August 2022 war notwendig, um auch die Zu- und Fortzüge, Geburten und Sterbefälle bei der Berechnung der Einwohnerzahl zum Stichtag 15. Mai 2022 berücksichtigen zu können. Wie zuvor beschrieben, sind nicht zwangsläufig alle Angaben aus den Registern präzise und aktuell. Die Ermittlung der Einwohnerzahlen erfolgte deshalb nicht in Form einer einfachen Auszählung aus den Melderegistern; vielmehr sah der Zensus 2022 eine Reihe von ergänzenden und korrigierenden Maßnahmen vor.
Zunächst wurden die Personeninformationen auf Anschriftenebene in einen Gesamtdatenbestand (Referenzdatenbestand)7 zusammengeführt und um die Personen bereinigt, die nach Vorgabe des ZensG 2022 bei der Ermittlung der Einwohnerzahl nicht zählungsrelevant waren. Hierzu gehörten freiwillige Meldungen – beispielsweise von Personen im diplomatischen Dienst oder Angehörigen ausländischer Streitkräfte – sowie Personen ohne Wohnsitz, die an Verwaltungsadressen gemeldet sind. Ebenso erfolgte die Bereinigung durch den Abzug von Personen, die in einer Gemeinde nur mit einem Zweit- oder Nebenwohnsitz gemeldet waren. Im Zuge dieser Zusammenführung, auch Konsolidierung auf den Stichtag genannt, bestand die Möglichkeit den Datenbestand, um technische8 und temporäre9 Dubletten zu bereinigen. Dies war erforderlich, um in den weiteren Prozessschritten der Ermittlung der Einwohnerzahl im Zensus keine Personen mehrfach zu bereinigen.
Korrekturen durch das Verfahren der Mehrfachfallprüfung
Als erster Korrekturschritt des Zensus erfolgte eine Bereinigung innerhalb der von den Melderegistern übernommenen Daten durch eine Mehrfachfallprüfung. Bei der dezentralen Führung der Melderegister in Deutschland ist nicht auszuschließen, dass Personen in verschiedenen Gemeinden gleichzeitig mit mehr als einer alleinigen Wohnung oder Hauptwohnung (sogenannte Dublette) oder ausschließlich mit (einer oder mehreren) Nebenwohnung(en) gemeldet sind. Im Zuge der Mehrfachfallprüfung wurden solche unzulässigen Dubletten (Personen), die ausschließlich mit Nebenwohnungen gemeldet waren, ausgesteuert. Dies gelang durch eine maschinelle Prüfung anhand der Merkmale der jeweils betroffenen Personen, wie Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort in Verbindung mit Informationen zu Anschriften und verzeigerten10 Familienangehörigen. Es wurden nur eindeutige Mehrfachfälle bereinigt: Handelte es sich bei zwei oder mehr Datensätzen um Dubletten beziehungsweise Mehrfachfälle, war der aktuellere Datensatz zählungsrelevant und die älteren Datensätze wurden mit einem Löschkennzeichen gekennzeichnet und damit nicht gezählt. Zur Ermittlung des aktuellsten Datensatzes wurde zum Beispiel das Datum der Anmeldung eines Wohnungsstatuswechsels (siehe i-Punkt: »Wohnstatusfestlegung im Zensus 2022«) oder die letzte Familienstandänderung betrachtet.
Damit niemand doppelt gezählt wurde oder verloren ging, wurden Fehlbestände (Untererfassungen in den Melderegistern) an Sonderbereichen nach Vorliegen aller primär statistisch erhobenen Befunde einem erneuten Abgleich unterzogen. Lagen für eine dieser Personen mehrere Datensätze an verschiedenen Anschriften vor, wurde der Wohnungsstatus (Alleinige Wohnung, Hauptwohnung, Nebenwohnung) nach einer festdefinierten Regelung für jede dieser Personen festgelegt. Fehlbestände, die über die Haushaltebefragung festgestellt wurden, erfuhren hingegen keine erneute Mehrfachfallprüfung.
Korrekturen durch die Personenerhebungen
Wie bereits im Verfahrensschritt der Mehrfachfallprüfung angerissen, fanden im Rahmen des Zensus, neben den oben beschriebenen maschinellen Verfahrensschritten (Konsolidierung und Mehrfachfallprüfung), auch primärstatische Erhebungen und damit verbundene Korrekturen der Melderegisterpersonendatensätze statt. Zwei primärstatistische Erhebungen mit dem Ziel der statistischen Registerkorrektur müssen dabei unterschieden werden: die Befragung an Anschriften mit Sonderbereichen (Wohnheime und Gemeinschaftsunterkünfte) und die Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis an Normalanschriften.11
Wurden die Auskunftspflichtigen in Wohnheimen direkt befragt, so fand die Befragung in Gemeinschaftsunterkünften über die Einrichtungsleitung statt. Nach primärstatistischer Erfassung aller Personen, wurden die als Fehlbestand an Sonderbereichen festgestellten Personen im Rahmen der Mehrfachfallprüfung erneut deutschlandweit mit den Melderegistern abgeglichen und danach der Wohnungsstatus (Hauptwohnsitz oder Nebenwohnsitz) festgelegt. Da an allen Anschriften mit Sonderbereichen die Angaben in Form einer Vollerhebung erfasst wurden, wurden die festgestellten Über- und Untererfassungen sowie die mit dem Melderegister paarigen Personen ausgezählt und flossen direkt in die Ermittlung der Einwohnerzahl ein.
Bei der Haushaltebefragung an Normalanschriften wurde auf eine Vollerhebung verzichtet. Stattdessen wurden nach einem mathematisch-statistischen Verfahren Anschriften zur Befragung je Gemeinde ausgewählt (sogenannte geschichtete Zufallsstichprobe). Diese Anschriften standen repräsentativ für alle Normalanschriften der Gemeinde. Um die Genauigkeit der Ergebnisse an diesen Stichprobenanschriften zu erhöhen, fand eine Einteilung der Stichprobenanschriften in sogenannten Schichten (Anschriftengrößenklassen) statt. Dadurch konnte nicht nur eine individuelle Berücksichtigung der Siedlungsstruktur einer Gemeinde für die Hochrechnung berücksichtigt werden, sondern auch eine Optimierung des Stichprobenauswahlsatzes erfolgen.12 Anders als noch beim letzten Zensus wurde – nicht zuletzt wegen des Bundesverfassungsgerichtsurteils aus dem Jahr 2018 – auch in kleineren Gemeinden mit einer Bevölkerung von unter 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern die Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis durchgeführt. Die Ergebnisse der persönlichen Befragungen wurden mit den Angaben in den Melderegistern abgeglichen, um die in den Melderegistern vorhandenen Über- und Untererfassungen sowie paarigen Personen zu identifizieren. Die anschließende Hochrechnung der Ergebnisse (siehe i-Punkt: »Näheres zur Hochrechnung«) strebte das vorab definierte Präzisionsziel (siehe i-Punkt: »Der Standardfehler als Präzisionsziel der Stichprobe«) an und lieferte den Beitrag zur Einwohnerzahl.
Im Endergebnis ergibt sich die Einwohnerzahl aus der Bereinigung des stichtagsbezogenen Melderegisterbestands, um die aus der Haushaltebefragung hochgerechneten Über- und Untererfassungen und der Verrechnung des Ergebnisses der Erhebung an Anschriften mit Sonderbereichen.
Ergebnis der Einwohnerzahlermittlung
Am 25. Juni 2024 wurden die Ergebnisse und damit auch die Einwohnerzahlen für jede Gemeinde in Baden-Württemberg und auch bundesweit veröffentlicht. Danach lebten am 15. Mai 2022 mehr als 11,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner in Baden-Württemberg.
Gegenüber den Ergebnissen des Zensus 2011 lebten damit am Zensus-Stichtag gut 600 000 Menschen mehr in Baden-Württemberg. Dieses Bevölkerungswachstum war allerdings nicht so stark wie durch die Bevölkerungsfortschreibung bislang ausgewiesen. Die bisher gültige Bevölkerungszahl stammt aus der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung, welche auf den Daten des vorherigen Zensus aus dem Jahr 2011 basiert. Im Ländervergleich fallen die Differenzen der fortgeschriebenen Einwohnerzahlen zum 30. Juni 2022 im Vergleich der Basis Zensus 2011 und Basis Zensus 2022 für Baden-Württemberg mit minus 1,1 % vergleichsweise gering aus. Der Bundesdurchschnitt liegt bei –1,5 %.