Soziodemografische Muster atypischer Beschäftigung
Häufigkeit atypischer Beschäftigungsverhältnisse im Zusammenhang mit Alter, Geschlecht und Migrationsstatus abhängig Beschäftigter
Erwerbstätigkeit dient der Finanzierung des eigenen Lebensunterhaltes. Ein hinreichend hohes und sicheres Erwerbseinkommen ist mithin essenziell für ein unabhängiges Leben mit sozialer Teilhabe und materieller Sicherheit. Sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse können diese Funktionen häufig nicht erfüllen. Diese Beschäftigungsformen sind unter bestimmten, aus unterschiedlichen Gründen am Arbeitsmarkt benachteiligten Bevölkerungsgruppen besonders stark verbreitet. Dieser Beitrag beleuchtet anhand aktueller Zahlen des Mikrozensus, wie verbreitet atypische Beschäftigungsverhältnisse unter den abhängig Beschäftigten sind. Im Fokus steht dabei die Differenzierung nach den soziodemografischen Merkmalen Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund. Hierbei kann gezeigt werden, dass die Faktoren Geschlecht und Migrationshintergrund den Anteil atypisch beschäftigter Personen je nach Altersklasse in unterschiedlicher Weise beeinflussen.
Atypische Beschäftigung in Baden-Württemberg
Unter dem Begriff atypische Beschäftigungsverhältnisse werden abhängige Beschäftigungen zusammengefasst, die durch eines oder mehrere der folgenden Merkmale charakterisiert sind: Teilzeitbeschäftigung mit 20 oder weniger Arbeitsstunden pro Woche, geringfügige oder befristete Beschäftigung sowie Zeitarbeitsverhältnisse. Atypische Erwerbstätigkeiten sind oft durch mehrere dieser Merkmale charakterisiert. Schaubild 1 zeigt die Anteile der unterschiedlichen Arten atypischer Beschäftigungsverhältnisse unter den atypisch Beschäftigten in Baden-Württemberg 2021.1 Demnach ist Teilzeit die dominierende Form atypischer Beschäftigung. Mit 63 % sind die meisten atypischen Beschäftigungsverhältnisse Teilzeiterwerbstätigkeiten.
Eine eher untergeordnete Rolle spielen hingegen Arbeitsverhältnisse mit Zeitarbeitsfirmen. Nur rund 12 % der atypisch Beschäftigten sind über eine Zeitarbeitsfirma angestellt.
Insgesamt ist der Anteil der atypisch Beschäftigten in Baden-Württemberg rückläufig. Von 2012 bis 2019 ist er von 26,4 % auf 23,6 % gesunken. Für 2021 wurde ein weiterer Rückgang auf 22,7 % festgestellt. Diese Angaben, wie auch alle weiteren, beziehen sich auf den Anteil der atypisch Beschäftigten an den abhängig beschäftigten Kernerwerbstätigen. Das sind alle Erwerbstätigen im Alter von 15 bis unter 65 Jahren ohne Personen in Bildung oder Ausbildung und ohne Personen im freiwilligen Wehrdienst oder Bundesfreiwilligendienst. Damit sind Selbstständige ebenfalls ausgeschlossen, da die Definition für atypische Beschäftigung auf Arbeitsverträgen basiert und deshalb auf Selbstständige nicht angewandt werden kann.
Im Folgenden wird herausgearbeitet, wie verbreitet atypische Beschäftigung in den Altersklassen der abhängig Beschäftigten ist, wenn diese nach Geschlecht und Migrationsstatus differenziert werden. Um den Einfluss dieser soziodemografischen Merkmale isoliert sichtbar machen zu können, werden bei der geschlechterdifferenzierten Analyse zunächst die Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund ausgeschlossen. Anschließend werden ohne Berücksichtigung des Geschlechts die Anteile der atypisch Beschäftigten in Abhängigkeit vom Migrationsstatus betrachtet, bevor zum Schluss alle Merkmale zusammengeführt werden.
Parallel wird zudem für die jeweils betrachtete Bevölkerungsgruppe untersucht, welche der für eine atypische Beschäftigung charakteristischen Erwerbsformen für sie besonders bedeutsam ist.
Ist dauerhafte atypische Beschäftigung weiblich?
Für Männer und Frauen ist atypische Beschäftigung sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht von sehr unterschiedlicher Bedeutung. In quantitativer Hinsicht zeigt sich zum einen, dass der Anteil der atypisch Beschäftigten unter den abhängig beschäftigten Männern ohne Migrationshintergrund wesentlich kleiner ist als unter den abhängig beschäftigten Frauen ohne Migrationshintergrund. Während bei den Männern insgesamt 10 % in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, sind es bei den Frauen 31,3 %.
Zum anderen zeigt die Verteilung über die Altersklassen fundamentale Unterschiede (Schaubild 2). Junge Frauen und Männer im Alter von 15 bis unter 25 Jahren arbeiten zwar noch zu ähnlich großen Teilen in atypischer Beschäftigung, in den älteren Altersgruppen gehen die Anteile jedoch deutlich auseinander. Bei den männlichen abhängig Beschäftigten fällt der Anteil atypischer Beschäftigung in den höheren Altersklassen stark ab und erreicht mit knapp 7 % bei den 45- bis unter 55-Jährigen seinen Tiefststand.
Bei den Frauen hingegen sinkt der Anteil atypischer Beschäftigung zunächst nur leicht von rund 29 % auf 23,6 % bei den 25- bis unter 35-Jährigen und steigt dann wieder steil an auf 37,6 % bei den 35- bis unter 45-Jährigen. In den weiteren Altersgruppen verbleibt der Anteil atypischer Beschäftigung mit etwa 32 % auf vergleichsweise hohem Niveau.
Die bei Männern und Frauen stark unterschiedlichen Verteilungen in den Altersklassen lassen einen geschlechterspezifischen beschäftigungsbiografischen Interpretationsansatz als naheliegend erscheinen. Demnach sind Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger noch in etwa gleichem Maße in atypischer Beschäftigung. Während die meisten Männer jedoch mit zunehmenden Alter schnell in Normalarbeitsverhältnisse wechseln, bleibt der Anteil atypischer Beschäftigung bei den Frauen in allen Altersklassen hoch. Ursache dafür könnte die Übernahme von Erziehungsaufgaben nach der Geburt eines Kindes sein.
Dafür sprechen die Ergebnisse der geschlechterspezifischen Auswertungen nach den verschiedenen Arten atypischer Beschäftigung (Schaubild 3). Deutlich zu erkennen ist, dass bei den Frauen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen die Teilzeitarbeit die dominierende Form ist. Über 80 % gaben an, weniger als 20 Stunden in der Woche im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit zu arbeiten. Bei Männern hingegen sind befristet Beschäftigungsverhältnisse die häufigste Form atypischer Beschäftigung. Fast jeder zweite atypisch beschäftigte Mann arbeitet demnach in einem befristeten Arbeitsverhältnis.
Diese These wird durch weitere Auswertungen untermauert, in denen die abhängig beschäftigten Frauen nach Müttern mit Kindern im Haushalt einerseits und nach Frauen ohne Kinder im Haushalt andererseits unterschieden werden. Selbige Unterscheidung nach Vätern mit Kindern im Haushalt und Männern ohne Kinder im Haushalt wurde ebenfalls vorgenommen (Schaubild 4). Betrachtet werden hier nur Männer und Frauen im Alter von 25 bis unter 45 Jahren, da in dieser Altersgruppe die Betreuung von Kindern eine besonders große Rolle spielt.
Während mit 46,9 % rund jede zweite abhängig beschäftigte Frau mit einem oder mehreren Kindern im Haushalt in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis arbeitet, sind es bei abhängig beschäftigten Männern mit Kindern im Haushalt nur rund 7 %. Bei abhängig beschäftigten Frauen und Männern gleichen Alters ohne Kinder im Haushalt ist der Anteil atypisch beschäftigter hingegen mit rund 14 % beziehungsweise 11 % fast gleich groß. Die Ergebnisse stützen somit den Erklärungsansatz, der Familiengründung und vor allem Kinderbetreuung als vorrangig von Frauen ausgeübte Aufgabe in den Fokus nimmt. Atypische Beschäftigung ist damit in erster Linie nicht ein Phänomen weiblicher Erwerbstätiger, sondern von Müttern.
Ist atypische Beschäftigung vor allem ein Phänomen Erwerbstätiger mit Migrationshintergrund?
Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass abhängig Beschäftigte mit Migrationshintergrund insgesamt häufiger und auch in unterschiedlichen Formen atypisch beschäftigt sind. Diese Beobachtung wurde auch in früheren Jahren gemacht, sodass hier von insgesamt dauerhaft wirksamen Arbeitsmarkthürden für Erwerbstätige mit Migrationshintergrund ausgegangen werden kann.2 Eine wichtige weiterführende Frage ist jedoch, ob sich die auf der Makroebene dauerhaften Hürden im Laufe individueller Erwerbsbiographien reduzieren und somit auch Erwerbstätige mit Migrationshintergrund vermehrt in reguläre Beschäftigungsverhältnisse kommen. Hinweise darauf kann die Auswertung nach Altersgruppen liefern. Unter abhängig Beschäftigten mit Migrationshintergrund werden dabei all jene subsumiert, die selbst nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden oder bei denen mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.
Zunächst soll jedoch noch ein kurzer Blick auf die Formen der atypischen Beschäftigungsverhältnisse differenziert nach Migrationsstatus geworfen werden. Die größten Unterschiede zeigen sich hierbei bei befristeter Beschäftigung und Teilzeitbeschäftigung mit bis zu 20 Stunden in der Woche (Schaubild 5). Die Teilzeitbeschäftigung sticht dabei besonders heraus. Mit rund 68 % ist sie bei den abhängig Beschäftigten ohne Migrationshintergrund die mit weitem Abstand häufigste Form atypischer Beschäftigung. Bei den atypisch Beschäftigten mit Migrationshintergrund ist zwar ebenfalls Teilzeitbeschäftigung die dominierende Beschäftigungsform, mit rund 40 % sind jedoch auch verhältnismäßig viele in befristeten Beschäftigungen.
Im direkten Vergleich der Personen in abhängiger Beschäftigung mit und ohne Migrationshintergrund (Schaubild 6) ist deutlich zu sehen, dass Beschäftigte mit Migrationshintergrund deutlich häufiger in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Je nach betrachteter Altersgruppe trifft das auf rund 24 % bis 40 % der abhängig Erwerbstätigen zu. Bei den abhängig Erwerbstätigen ohne Migrationshintergrund sind hingegen rund 21 % bis 25 % atypisch beschäftigt.
Bemerkenswert ist, dass sich die Anteile in den höheren Altersklassen tendenziell aneinander angleichen. Während bei den jungen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen im Alter von 15 bis unter 25 Jahren diejenigen mit Migrationshintergrund zu 40 % atypisch beschäftigt sind, sind es bei denjenigen ohne Migrationshintergrund 25 %. Der Abstand von 15 Prozentpunkten schmilzt über die Altersklassen hinweg bis auf 3,8 Prozentpunkte ab. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass mit dem Migrationshintergrund verbundene Arbeitsmarkthürden im Laufe der Erwerbsbiografien abgebaut werden und gegenüber auch für Erwerbstätige ohne Migrationshintergrund wirksamen Prädiktoren atypischer Beschäftigung an Gewicht verlieren.
Ähnlicher Einfluss des Geschlechts bei abhängig Beschäftigten mit Migrationshintergrund
Wird bei den abhängig Beschäftigten mit Migrationshintergrund nun ebenfalls nach Geschlecht differenziert, zeigen sich auf höherem Niveau die gleichen Verteilungsmuster wie bei den abhängig beschäftigten Männern und Frauen ohne Migrationshintergrund (Schaubild 7). Allerdings ist das Muster der Verteilung über die Altersklassen bei den männlichen abhängig Beschäftigten mit Migrationshintergrund deutlich stärker ausgeprägt, bei den weiblichen dafür etwas schwächer als bei den Erwerbstätigen ohne Migrationshintergrund.
Der Anteil atypisch Beschäftigter ist auch hier bei den Männern in der jüngsten Altersklasse der 15- bis unter 25-Jährigen mit 41 % am höchsten und fällt dann stark ab. Seinen niedrigsten Stand erreicht er mit knapp 12 % in der Altersklasse der 55- bis unter 65-Jährigen. Die Differenz zwischen der Altersgruppe mit dem höchsten und dem niedrigsten Anteil atypischer Beschäftigung beträgt damit fast 30 Prozentpunkte, während der Unterschied bei den männlichen abhängig Beschäftigten ohne Migrationshintergrund mit rund 16 Prozentpunkten deutlich geringer ausfällt.
Auch bei den abhängig beschäftigten Frauen mit Migrationshintergrund zeigt sich der gleiche charakteristische Verlauf wie bei denen ohne Migrationshintergrund. Nach einem leichten Rückgang zwischen den 15- bis unter 25-Jährigen und den 25- bis unter 35-Jährigen, steigt der Anteil bei den 35- bis unter 45-Jährigen deutlich an und verbleibt dann bei knapp unter 40 %. Er liegt damit auf deutlich höherem Niveau als bei den Frauen ohne Migrationshintergrund.
Geschlecht und Migrationshintergrund: ungleiche Faktoren atypischer Beschäftigung
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Migrationsstatus und das Geschlecht in unterschiedlicher Weise mit dem Anteil atypischer Beschäftigung in Zusammenhang stehen. Der Migrationshintergrund hat einen starken positiven Niveau-Effekt auf den Anteil atypischer Beschäftigung, beeinflusst aber kaum das Verteilungsmuster über die Altersklassen.
Das Geschlecht hingegen hat zusätzlich zu einem Niveau-Effekt auch einen stark die Verteilung über die Altersklassen prägenden Effekt und deutet damit auf den für Männer und Frauen unterschiedlichen erwerbsbiografischen Charakter atypischer Beschäftigung. Diese ist für Männer primär eine Phase zu Beginn des Erwerbslebens, während Frauen oft dauerhaft in atypischen Beschäftigungsverhältnissen bleiben. Dabei muss jedoch betont werden, dass hinter der Variable Geschlecht eigentlich Eltern- und hier insbesondere Mutterschaft steht und dass der Effekt des Geschlechtes somit auf verbreitete Muster familiärerer Arbeitsteilung verweist, wie die nach Elternschaft differenzierte Auswertung der Anteile atypischer Beschäftigung unter Männern und Frauen gezeigt hat.
Dieser Befund scheint vom Migrationshintergrund weitgehend unbeeinflusst zu bestehen. Wie die Werte in der Tabelle zeigen, erzeugt die Differenzierung nach Elternschaft unabhängig vom Migrationshintergrund charakteristische geschlechtsspezifische Verteilungsmuster: Sowohl bei den abhängig erwerbstätigen Frauen mit Migrationshintergrund und Kindern im Haushalt als auch bei denen ohne Migrationshintergrund geht etwa die Hälfte einer atypischen Beschäftigung nach. Bei den Männern mit Migrationshintergrund und Kindern im Haushalt sind es hingegen nur 15 %, bei denen ohne Migrationshintergrund und mit Kindern sogar nur 7 %. Bei den abhängig Beschäftigten ohne Kinder im Haushalt liegen die Anteile der atypisch beschäftigten Männer und Frauen hingegen sehr nah beieinander, unabhängig davon, ob diese einen Migrationshintergrund haben.