Die Alltagsmobilität von Familien in Baden-Württemberg: Kinder und Jugendliche
Aufgrund des sozialen Wandels kindlicher Lebenswelten sind Kinder und Jugendliche immer seltener eigenständig unterwegs. Der daraus resultierende Bewegungsmangel und die gesundheitlichen Folgen sowie Probleme durch sogenannte »Eltern-Taxis« stehen im Fokus der Debatte um das Mobilitätsverhalten von unter 18-Jährigen. Anhand der Daten der bundesweiten Erhebung »Mobilität in Deutschland (MID)« des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur liefert der vorliegende Artikel einen kurzen Überblick über die wichtigsten Kennzahlen der Mobilität von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg. Es zeigt sich, dass unter 18-Jährige vor allem zu Ausbildungs- und Freizeitzwecken unterwegs sind und die Verkehrsmittelwahl auf Schulwegen vor allem vom Alter, aber auch von der Länge des Weges abhängt. Auf Freizeitwegen dominiert in allen Altersgruppen die Mitfahrt in einem Auto. Im Sinne der Verkehrswende dürfte es sich lohnen, das Mobilitätsverhalten von Kindern in den Blick zu nehmen, da davon auszugehen ist, dass sich durch Sozialisation in der Kindheit erlebtes Verkehrsverhalten im Erwachsenenalter fortsetzt.
Mobilitätsverhalten von Kindern und Jugendlichen
Die Mobilität1 von Kindern und Jugendlichen hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Der kindliche und jugendliche Alltag findet heutzutage nicht mehr nur im direkten Umfeld statt, sondern ist meist innerhalb und zwischen Kommunen verteilt. Längere Schulwege durch die freie Schulwahl, die Institutionalisierung und Spezialisierung von kindlichen Freizeitaktivitäten sowie eine am Auto ausgerichtete Siedlungs- und Verkehrspolitik sind unter anderem für diese Entwicklung verantwortlich.2 Die Beziehung zwischen Kindern und motorisiertem Verkehr ist dabei durchaus ambivalent. Zum einen sind Kinder und Jugendliche durch den Autoverkehr in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt und ihre selbstständige Mobilität hat im Zeitverlauf abgenommen.3 Zum anderen erzeugen sie aber Autoverkehr, da sie zur Gestaltung ihres Alltages von elterlichen Fahrdiensten abhängig sind. Gerade Familien mit Kindern sind die Bevölkerungsgruppe, die am meisten mit dem Auto unterwegs ist.4
Das gegenwärtige Mobilitätsverhalten von Kindern und Jugendlichen geht mit Entwicklungen einher, die im öffentlichen Diskurs kritisch betrachtet werden. So führen eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten zu einem generellen Bewegungsmangel, der gesundheitliche Probleme, insbesondere Übergewicht, und motorische Defizite nach sich ziehen kann. Durch den Wegfall eigenständiger Mobilität ist zudem von einer verzögerten kognitiven Entwicklung, was den Orientierungssinn, die Erfassung der eigenen Umwelt und die Fähigkeit der Selbstständigkeit anbelangt, auszugehen. Dazu kommen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene negative ökologische Folgen der vermehrten Autonutzung und Probleme der Verkehrssicherheit vor Schulen und Kindergärten aufgrund sogenannter »Eltern-Taxis«.5
Im Folgenden soll anhand der Daten der Mobilität in Deutschland Erhebung (MID)6 aus dem Jahr 2017 ein Überblick über das Mobilitätsverhalten von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg gegeben werden. Detaillierte Wegedaten erlauben es dabei, die Mobilität von unter 18-Jährigen in verschiedenen Bereichen des Alltags zu betrachten und Einflussgrößen auf ihr Mobilitätsverhalten zu erfassen.
Die wichtigsten Kennzahlen
Die Mobilitätsquote7 von unter 18-Jährigen in Baden-Württemberg beläuft sich auf 88 %. Damit ist sie minimal höher als die Mobilitätsquote der Gesamtbevölkerung des Landes (86,6 %). Im Bundesländervergleich ist die Mobilitätsquote von Kindern und Jugendlichen nur in Thüringen höher (89,9 %). Schlusslicht bildet mit 83,4 % das Saarland. Die Mobilitätsquote von Kindergarten- und Grundschulkindern8 ist mit 90,7 % bzw. 89,5 % am höchsten. Am wenigsten mobil sind demnach mit je 83 % Kleinkinder unter 3 Jahren und Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren.
Kinder aller Altersgruppen legen pro Tag im Schnitt 2,9 Wege zurück.9 Die durchschnittliche Tagesstrecke beträgt 26 Kilometer (km), wobei Grundschulkinder mit 21,9 km die kürzeste Tagesstrecke zurücklegen und Jugendliche von 15 bis 17 Jahren mit 32 km die längste.10 Verhältnismäßig lang ist die Tagesstrecke von Kindern unter 6 Jahren (27,8 km). Entsprechend variiert auch die für die Mobilität aufgewendete Zeit nach Altersgruppen. Kinder unter 6 Jahren sind im Schnitt 68 Minuten am Tag unterwegs, dies entspricht dem Gesamtdurchschnitt aller unter 18-Jährigen. Grundschulkinder sind im Mittel 60 Minuten, 10- bis 14-Jährige 68 Minuten und Jugendliche ab 15 Jahren 77 Minuten unterwegs. Bei Jugendlichen treten leichte Geschlechterunterschiede auf. 10- bis 14-jährige Jungen sind mit 72 Minuten länger unterwegs als gleichaltrige Mädchen (65 Minuten). 15- bis 17-jährige Mädchen hingegen sind mit 81,7 Minuten im Schnitt fast 10 Minuten länger unterwegs als Jungen der gleichen Altersgruppe.11 Die durchschnittliche tägliche Unterwegszeit für Kinder in städtischen Gebieten12 ist mit 75 Minuten etwas höher als die der Kinder in ländlichen Regionen (67 Minuten).
Die knappe Mehrheit (50,8 %) der Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg lebt in Haushalten mit zwei Autos, 38 % in Haushalten mit einem Auto und nur etwa 6 % in Haushalten ohne Auto.13 Die Anzahl der Autos ist abhängig vom ökonomischen Status.14 Ein Großteil der Kinder, die in einem Haushalt mit eher niedrigem Status lebt (46,1 %), hat Eltern mit nur einem Auto. Die Mehrheit der Kinder aus einem Haushalt mit hohem Status hat Eltern mit zwei oder mehr Autos (61,7 %). In den Altersgruppen ab 6 Jahren haben je mehr als 90 % ein Fahrrad zu Verfügung, Grundschulkinder zu 95 %.
Kinder sind vor allem zu Ausbildungs- und Freizeitzwecken mobil
Wie in Schaubild 1 zu erkennen ist, sind Kinder und Jugendliche ab 3 Jahren im Schnitt größtenteils zu Freizeitzwecken (36 % bis 46 % der Wege) unterwegs oder, um ihre Ausbildungsstätte bzw. in älteren Altersgruppen auch Arbeitsstätte (34 % bis 39 % der Wege) aufzusuchen. Für Kinder unter 3 Jahren machen Begleitungen den größten Anteil ihrer Wege aus (42,8 %), man spricht in ihrem Fall von »begleitender Mobilität«15. Auch der Anteil der Begleitungswege 3- bis 5-jähriger Kinder liegt noch bei rund 20 %. Der relative hohe Anteil an Begleitungswegen dürfte auch die überdurchschnittliche Tagesstrecke von Kindern unter 6 Jahren erklären. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei Wegen mit den Zwecken Einkauf oder Erledigung bei Kindern unter 10 Jahren ebenfalls hauptsächlich um Begleitungswege handelt. Im Falle von Jugendlichen hingegen dürfte es sich um persönliche Belange handeln. Knapp ein Fünftel der Wege 15- bis 17-Jähriger dienen dem Einkauf oder Erledigungen.
Verkehrsmittel auf Ausbildungswegen variieren mit dem Alter
Der durchschnittliche Weg zur Bildungseinrichtung in Baden-Württemberg ist 5,7 km lang und die Kinder brauchen dafür im Schnitt 20 Minuten. Grundschülerinnen und Grundschüler haben im Mittel einen 3,4 km langen Schulweg und brauchen dafür rund 15 Minuten. 10- bis 14-Jährige haben einen Weg von 5,6 km, für den sie etwa 24 Minuten benötigen, und über 14-Jährige haben mit 12 km den weitesten Weg, für den sie im Schnitt knapp 30 Minuten aufwenden. Je nach Alter gelangen Kinder und Jugendliche auf unterschiedliche Art zu ihrer Bildungseinrichtung. Der Modal Split, also die Differenzierung der zurückgelegten Wege nach Verkehrsmitteln, ist in Schaubild 2 dargestellt.
Kinder unter 6 Jahren werden hauptsächlich mit dem Auto zur Kindertagesstätte oder in den Kindergarten gefahren. Bei den 0- bis 2-Jährigen werden 63 % aller Wege zur Kinderbetreuungseinrichtungen mit dem Auto zurückgelegt, bei den 3- bis 5-Jährigen 46 % der Wege. Etwas mehr als ein Drittel der Wege zum Kindergarten werden zu Fuß gegangen und weitere 15 % mit dem Fahrrad gefahren. Ab der Grundschule verändert sich das Hauptverkehrsmittel für den Weg zur Bildungsstätte. Die Mehrheit der Schulwege (51,6 %) wird zu Fuß bestritten. Mitfahrten im Auto belaufen sich auf 22 % und Wege mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPV) auf 18,1 %. Ab der weiterführenden Schule nimmt der Anteil der Schülerinnen und Schüler zu, die den ÖPV für den Schulweg nutzen. In den Altersgruppen »10 bis 14 Jahre« und »15 bis 17 Jahre« werden je rund 45 % der Schulwege mit Bus oder Bahn zurückgelegt. Dies ist vor allem auf längere Wege aufgrund der freien Schulwahl und Spezialisierungen der weiterführenden Schulen sowie zunehmende Schulschließungen in ländlichen Gebieten zurückzuführen.16 Zudem fahren ab 10 Jahren mehr Kinder und Jugendliche mit dem Fahrrad in die Schule (20,8 % bzw. 23,8 % der Wege). Nur eine Minderheit der 10- bis 14-Jährigen wird in die Schule gefahren, lediglich 10,1 % der Schulwege werden als Mitfahrende in einem Auto bestritten. Etwas höher ist mit 14,6 % der Anteil bei den 15- bis 17-Jährigen, wobei hier zusätzlich 4 % der Wege selbstständig mit dem Auto zurückgelegt werden. Der Modal Split für die Ausbildungswege aller Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg entspricht dem Gesamtdeutschlands. In Baden-Württemberg weisen nur Grundschülerinnen und Grundschüler etwas häufiger Schulwege zu Fuß auf als im Bundesdurchschnitt (46,2 %).
Generell nutzen in ländlichen Gebieten mehr Schülerinnen und Schüler den ÖPV (ländliche Region: 35,7 % der Schulwege; städtische Region: 23 % der Schulwege). In Stadtregionen dominieren Schulwege zu Fuß oder mit dem Fahrrad (städtische Region: 53,5 % der Schulwege; ländliche Region: 39,1 % der Schulwege). Geschlechterunterschiede treten kaum auf. Mädchen gehen auf 33,9 % ihrer Schulwege zu Fuß und damit etwas häufiger als Jungen (28,5 % der Schulwege). Die Wohnlage17 hat vor allem einen Einfluss auf die Nutzung des Fahrrades und des ÖPVs. In einfachen Wohnlagen wird in 32,6 % zu 24 % (gute Wohnlage) der Fälle häufiger mit dem ÖPV in die Schule gefahren. In guten Wohnlagen mit 21,1 % zu 13,1 % (einfache Wohnlage) der Fälle hingegen häufiger mit dem Fahrrad. Der ökonomische Hintergrund hat keinen nennenswerten Einfluss darauf, ob ein Kind mit dem Auto zur Ausbildungsstätte gebracht wird. Allerdings weisen unter 18-Jährige, die in Haushalten mit niedrigem ökonomischen Hintergrund leben, mehr Wege mit dem ÖPV und weniger Schulwege zu Fuß oder dem Fahrrad auf als Kinder aus Haushalten mit mittlerem oder höherem ökonomischem Status. Dies dürfte aber in erster Linie in Zusammenhang mit der Wohnlage stehen.
Begleitung zur Ausbildung hängt vom Alter und Verkehrsmittel ab
Das Hauptverkehrsmittel hängt eng mit der Begleitung von Kindern und Jugendlichen auf ihren alltäglichen Wegen zusammen. Diese ist in Schaubild 3 dargestellt. Kindergartenkinder werden auf knapp 87 % ihrer Wege zum Kindergarten von mindestens einem Erwachsenen aus dem Haushalt begleitet. Nur auf 5 % der Wege dürfen sie alleine unterwegs sein. Grundschulkinder werden auf 32,1 % der Schulwege von erwachsenen Haushaltsmitgliedern begleitet. 28,1 % der Wege in die Schule werden alleine begangen und je rund ein Fünftel der Wege wird zusammen mit Geschwistern oder anderen Personen, wie beispielsweise Freundinnen und Freunden gegangen. Ab der weiterführenden Schule bestreiten Kinder und Jugendliche den Weg zur Schule größtenteils alleine oder gehen ihn mit anderen Personen, die nicht dem eigenen Haushalt angehören. Nur auf 12,9 % bzw. 14,8 % der Schulwege werden sie noch von Erwachsenen aus dem Haushalt begleitet. Das entspricht in etwa dem Anteil der Schulwege, den Kinder ab 10 Jahren als Mitfahrende im Auto bestreiten. Geschlechterunterschiede treten nur im Grundschulalter auf, hier werden Mädchen auf 34,3 % ihrer Wege von erwachsenen Haushaltsmitgliedern zur Schule begleitet (Jungen: 29,9 % der Schulwege). Betrachtet man nur die Schulwege, die ohne Auto zurückgelegt werden, so werden Grundschulkinder auf 16 % der Wege von Erwachsenen aus dem Haushalt begleitet. Die Mehrheit der Wege wird alleine (37 %), mit Geschwistern (24 %) oder Freundinnen und Freunden (23,1 %) begangen. Ab 10 Jahre bestreiten Kinder und Jugendliche, die nicht gefahren werden, 97 % bis 98 % der Schulwege ohne erwachsene Haushaltsmitglieder.
Multivariat18 zeigt sich, dass bestimmte Eigenschaften des Kindes und des Weges einen Einfluss darauf haben, ob ein Kind auf dem Kindergarten- oder Schulweg von einem Erwachsenen begleitet wird und ob der Weg mit dem Auto zurückgelegt wird. Neben dem Alter des Kindes als wichtigstes Merkmal ist sowohl die selbstständige Mobilität von Kindern und Jugendlichen als auch die Wahl von nicht motorisierten Fortbewegungsmitteln vor allem von der Länge des Kindergarten- oder Schulweges abhängig. Je länger der Weg ist, desto eher wird ein Kind gefahren und damit auch begleitet. Zudem spielt die Tageszeit eine Rolle. Auf Hinwegen ist es wahrscheinlicher, dass Kinder zur Schule oder in den Kindergarten gebracht werden, als dass sie auf den Rückwegen abgeholt werden. Dies dürfte zum einen mit den elterlichen Tagesabläufen zu tun haben, indem Kinder morgens auf dem Weg zur Arbeit mitgenommen werden, und zum anderen mit Sicherheitsüberlegungen.19 Eine gute Wohnlage verringert hingegen die Wahrscheinlichkeit der Begleitung durch ein erwachsenes Haushaltsmitglied. Das Aufwachsen in einem ländlichen Gebiet hingegen erhöht die Wahrscheinlichkeit, mit dem Auto in die Schule gebracht zu werden. Kinder von Alleinerziehenden haben eine geringere Wahrscheinlichkeit vom Elternteil in die Bildungsstätte begleitet und mit dem Auto gefahren zu werden.
Das Auto dominiert auf Freizeitwegen
Der durchschnittliche Weg zu einer Freizeitaktivität20 ist für Kinder und Jugendliche 11,4 km lang, für den sie 27 Minuten benötigen. Lediglich 3- bis 5-Jährige haben einen überdurchschnittlich langen Weg von knapp 17 km. Hinsichtlich des Modal Splits ergibt sich bei Wegen mit Freizeitzweck ein auffallend anderes Bild als bei den Kindergarten- und Schulwegen.
In allen Altersgruppen, bis auf bei den über 14-Jährigen, ist das Auto das Hauptverkehrsmittel (Schaubild 4). Öffentliche Verkehrsmittel spielen bei der Gestaltung der Freizeit kaum eine Rolle. Auf etwa 40 % ihrer Wege gehen Kindergarten- und Grundschulkinder zu Fuß oder nutzen das Fahrrad. Dieser Anteil steigt bei den über 10-Jährigen auf rund 50 % an. Der Modal Split für Baden-Württemberg entspricht größtenteils dem für Gesamtdeutschland. Lediglich Grundschulkinder legen auf Bundesebene etwas weniger Wege als Mitfahrende zurück (Gesamtdeutschland: 50,1 %). Gerade was die Freizeit anbelangt, wird in der Literatur von der zunehmenden »Verinselung kindlicher Lebensräume« gesprochen, worauf die hohen Anteile an Automitfahrten ein Hinweis sein können. Durch die Ausrichtung der Siedlungs- und Verkehrsplanung am motorisierten Individualverkehr sind Kinder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und ihre Freizeit wird oft auf verschiedene »Inseln« wie Sport- und Spielplätze oder Institutionen wie Sportvereine, Kunst- oder Musikschulen verlagert. Die Zwischenräume sind allerdings den Pkws und somit den Erwachsenen vorbehalten, weswegen viele Orte nicht alleine erreichbar sind und eine Abhängigkeit von elterlichen Fahrdiensten und generell vom Auto entsteht.21 Verstärkt werden könnte dieser Effekt noch durch die enger gewordene Taktung kindlicher Alltage und die verminderte zeitliche Flexibilität durch längere Schulzeiten und einer vermehrt organisierten Freizeitgestaltung in Vereinen und Organisationen.21
Mädchen werden im Schnitt auf 46,9 % ihrer Wege mit dem Auto zu Freizeitaktivitäten gefahren und damit etwas häufiger als Jungen (41,1 % der Freizeitwege). Jungen legen 19,2 % ihrer Freizeitwege mit dem Fahrrad zurück, Mädchen 14,7 % der Wege. In ländlichen Gebieten sind Kinder etwas häufiger auf ihren Freizeitwegen Mitfahrende im Auto als in der Stadt (ländliche Gebiete: 48,9 % der Freizeitwege; städtische Gebiete: 40,9 % der Freizeitwege). Kinder aus Haushalten mit hohem ökonomischen Status gelangen häufiger mit dem Fahrrad zu ihren Freizeitaktivitäten und seltener mit dem ÖPV als Kinder aus Haushalten mit mittlerem oder niedrigem Status. Multivariat betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit, zu einer Freizeitaktivität gefahren zu werden, für Mädchen höher als für Jungen und für Kinder in ländlichen Gebieten höher als für Kinder in städtischen Regionen. Zudem werden Kinder mit einem höheren ökonomischen Hintergrund eher gefahren als unter 18-Jährige mit einem mittleren oder niedrigeren ökonomischen Hintergrund. Die Länge des Weges erhöht ebenfalls die Wahrscheinlichkeit der Autonutzung, wohingegen mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit sinkt.
Entsprechend der vermehrten Nutzung des Autos für Freizeitzwecke werden Kinder und Jugendliche auf ihren Freizeitwegen auch häufig von erwachsenen Haushaltsmitgliedern begleitet (Schaubild 5): Kindergartenkinder auf 91 % ihrer Wege, Grundschulkinder auf knapp 70 % der Wege. Auch 15- bis 17-Jährige werden so noch auf einem Drittel der Freizeitwege begleitet.
Fazit
Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg sind hauptsächlich mobil, um zur Kinderbetreuung bzw. zur Schule zu gelangen oder ihren Freizeitaktivitäten nachzugehen. Auffallend ist dabei, dass ein großer Anteil der unter 6-Jährigen mit dem Auto in die Kindertagesstätte oder den Kindergarten gebracht wird. Auch auf mehr als einem Fünftel der Schulwege von Grundschulkindern ist das Auto das Hauptfortbewegungsmittel. Die Mehrheit der Wege bestreiten Grundschülerinnen und Grundschüler allerdings zu Fuß. Ab der weiterführenden Schule nutzen unter 18-Jährige vor allem den ÖPV auf ihren Schulwegen. Für Wege zu Freizeitaktivitäten wird in allen Altersgruppen hauptsächlich auf das Auto zurückgegriffen. Der ÖPV spielt außer bei Jugendlichen ab 15 Jahren kaum eine Rolle, um eine Freizeitaktivität zu erreichen. Ob ein Kind auf seinem Weg begleitet wird, ist neben dem Alter maßgeblich davon abhängig, ob der Weg mit dem Auto zurückgelegt wird.
Neben den kurzfristigen gesundheitlichen, psychosozialen und ökologischen Folgen einer eingeschränkten selbstständigen Mobilität von Kindern und Jugendlichen und der vermehrten Abhängigkeit von elterlichen Fahrdiensten ist davon auszugehen, dass das in der Kindheit erlernte Verkehrsverhalten langfristig auf die eigene Mobilitätsbiografie wirkt.22 Wer als Kind selbstverständlich zu verschiedenen Orten gefahren wurde, dürfte auch als Erwachsener eher auf das Auto zurückgreifen. Wer hingegen früh lernt, selbstständig mit dem Fahrrad oder dem ÖPV unterwegs zu sein, dürfte auch in seinem Erwachsenenleben häufiger alternative Fortbewegungsmittel wählen.23 Im Sinne einer ökologischen Verkehrswende sollte daher das Mobilitätsverhalten von Kindern und Jugendlichen mehr in den Blick genommen und ihre eigenständige und nicht motorisierte Mobilität gefördert werden. Hierbei sollten auch kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse mitbedacht werden. Gerade die Allgegenwärtigkeit des Autos beginnt mit Spielzeugautos oft schon im Kinderzimmer und »Auto« gehört mit zu den häufigsten ersten Wörtern.24 Zudem ist nach wie vor selbstverständlich als symbolischer Akt des Erwachsenwerdens den Führerschein zu erwerben. So haben in Baden-Württemberg bereits knapp über 80 % der 18- bis 25-Jährigen einen Autoführerschein und die Gesamtquote liegt bei 91 %.