Ein kleiner aber feiner Unterschied
Geschlechtsspezifisches Wahlverhalten und Einstellungsmuster von Frauen und Männern am Beispiel der Bundestagswahlen in Stuttgart
Immer wieder hat die Wahlforschung in Studien nachgewiesen, dass Bildung und Beruf das Wahlverhalten deutlich mehr als das Geschlecht erklärt. In dem Maße, wie sich die Sozial- und Bildungsstruktur der Frauen denjenigen der Männer angeglichen hat, verschwanden auch die Unterschiede im politischen Verhalten.1 Und dennoch gibt es auch heute noch Unterschiede im Verhalten der Geschlechter bei Wahlen – in der Wahlbeteiligung, bei der Stimmabgabe, in den politisch-ideologischen Einstellungen und bei der Neigung zur Parteitreue. Im Folgenden soll dies am Beispiel der Bundestagswahlen in Stuttgart aufgezeigt werden.
Wahlbeteiligung
Nach wie vor weisen Männer eine höhere Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen als Frauen auf; nur bei einer einzigen Bundestagswahl überhaupt, nämlich 2002, waren die geschlechtsspezifischen Vorzeichen bei der Beteiligung umgekehrt. Seit den 1970er-Jahren sind die Unterschiede aber mit rund einem Prozentpunkt marginalisiert. Zuletzt sank der Beteiligungsvorsprung der Männer von 1,4 Prozentpunkten 2009 auf 0,8 Prozentpunkte 2013 und aktuell auf 0,7 Prozentpunkte 2017.
Aufschlussreich ist die Aufschlüsselung der Wahlbeteiligung der Geschlechter nach Altersgruppen. Während Frauen bei früheren Bundestagswahlen (2005 bis 2013) hauptsächlich im mittleren und älteren Alterssegment von 35 bis unter 70 Jahre wahleifriger als Männer waren, wendete sich dieses Blatt bei der Bundestagswahl 2017, als nunmehr die Frauen auch bei den jüngeren Jahrgängen den Männern in Sachen Wahlinteresse voraus waren.
Der Grund, weshalb Frauen in der Wahlbeteiligung dann überhaupt noch hinter den Männern hinterherhinken, liegt einzig und allein an den 70-Jährigen und älteren. In jener quantitativ sehr stark besetzten Altersklasse lässt das Wahlinteresse der Frauen eklatant stärker nach als das der Männer, deren Beteiligungsquote um 6,4 Prozentpunkte (2013: 5,5 Prozentpunkte) höher liegt als die der gleichaltrigen Frauen im Alter 70+. In diesem Altersabschnitt sind Frauen weitaus öfter alleinstehend und leben dann gesellschaftlich zurückgezogen, was sich letztlich auch im Wahlinteresse niederschlägt.
Wahlverhalten
Größer als die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Wahlbeteiligung sind die Unterschiede von Mann und Frau bei der Stimmabgabe. Vorneweg ist erwähnenswert, dass rein quantitativ mehr Frauen als Männer bei der letzten Bundestagswahl in Stuttgart gewählt haben. Das Verhältnis Frauen zu Männer bei der Wahlteilnahme belief sich auf 52:48 und resultiert aus der höheren Zahl der weiblichen Wahlberechtigten in der Grundgesamtheit.
Schon bei den Wahlen in der Weimarer Republik zeigte sich, dass Frauen eher christlich-konservative Parteien wählen und gegenüber rechts- und linksextremen Parteien sehr viel zurückhaltender agieren. 2 Auch in der jungen Bundesrepublik setzte sich dieser Trend fort: die CDU mit einem klaren Frauenüberschuss von bis zu 10 Prozentpunkten3, die SPD spiegelbildlich dazu mit einem Defizit.
Mit der Bundestagswahl 1972 wendete sich dieser Trend: Der Frauenüberschuss bei der CDU schrumpfte erheblich, 19804 fiel der Stimmenanteil bei Frauen in Stuttgart sogar einmal hinter den der Männer zurück. Seit Beginn der Ära Angela Merkel5 hat die CDU, zunächst zur Bundestagswahl 2005 noch zögerlich, dann aber mit Nachdruck, fast wieder ihre alte »Frauenstärke« erreicht.
Für die SPD brachte die Bundestagswahl 1972 erstmals eine starke Reduzierung ihres Frauenmalus, die Partei mobilisierte fortan fast so viele Frauen wie Männer, bei einzelnen Bundestagswahlen in Stuttgart (1980 bis 1987 sowie 2002 und 2005) wurde gar ein leichter Frauenüberschuss erzielt.
Die GRÜNEN begannen, trotz des höchsten Frauenanteils in politischen Funktionen von allen Parteien und dem hohen Stellenwert der Frauenpolitik im Parteiprogramm, nicht mit einem Frauenbonus. Bis 1990 war bei Bundestagswahlen der Zuspruch bei den Männern größer; erst seit 2002 konnte man zunehmend mehr Frauen als Männer zur Stimmabgabe mobilisieren (Spitzenwert 2009). Die FDP hingegen war seit jeher eine Partei mit einem Männerbonus; lediglich 1980 und 1987 wies die Stuttgarter Repräsentativstatistik einen minimalen Frauenüberschuss nach.
Anhand der Verteilung der Zweitstimmenanteile bei dieser Bundestagswahl kann man erkennen, dass sich Frauen noch heute in deutlicher Zurückhaltung gegenüber Parteien an den Rändern des Parteienspektrums, insbesondere des rechten Randes, üben.
Politisch-ideologische Orientierung
Die politisch-ideologische Orientierung von Frauen lässt sich noch exakter einordnen, wenn man diese mittels einer Links-Rechts-Skala misst; eine solche Frage ist in der Wahltagsbefragung des Statistischen Amtes regelmäßig integriert. Bei dieser Selbsteinschätzung der Wählerinnen und Wähler spiegelt sich wider, dass sich Frauen eher weiter links auf der Links-Rechts-Skala einordnen (Frauen: 4,3; Männer: 4,7). Mit Ausnahme der Linkspartei (Frauen: 2,8; Männer: 2,6) zieht sich dieses Muster auch bei allen Parteien durch. Die gravierendsten Unterschiede treten bei der CDU, der FDP und der AfD auf, während die ideologische Selbsteinschätzung der Wähler der SPD und der GRÜNEN kaum zwischen den Geschlechtern variiert. In Schaubild 5 sind die Verteilungen der Selbsteinschätzungen der jeweiligen Parteiwähler nach dem Geschlecht dargestellt.
Parteitreue
Seit jeher lassen sich Frauen durch ein stabileres und parteitreueres Wahlverhalten charakterisieren. Das drückt sich zum einen bei der Splittingquote (Vergabe der Erst- und der Zweitstimme an unterschiedliche Parteien) aus. Lange Zeit wiesen Frauen einen um 1 bis 2 Prozentpunkte niedrigeren Splittinganteil auf. Erstmals ließen nun bei dieser Bundestagswahl 2017 Frauen eine stärkere Neigung zu einem differenzierteren Stimmabgabeverhalten als die Männer erkennen. Der Überhang in der Frauensplittingquote ist aber mit 0,6 Prozentpunkten sehr überschaubar.
Noch deutlicher kommen die geschlechtsspezifischen Unterschiede in diesem Punkt bei den Stammwählerquoten (»wähle immer die gleiche Partei«) zum Ausdruck, die auf der Basis der Wahltagsbefragung berechnet werden können. So bezeichneten sich bei dieser Bundestagswahl 36 % der Frauen, aber nur 31 % der Männer als Stammwähler einer Partei. Abgesehen von der Altersgruppe 25 bis unter 35 Jahren und den 70-Jährigen und älteren sind die Stammwähleranteile bei Frauen in allen anderen Altersklassen fast durchweg erheblich höher als bei Männern.
Auch die Werte der Bundestagswahlen 2013 (Frauen: 42 %; Männer: 40 %) und 2009 (Frauen: 44 %; Männer: 38 %) untermauern das tendenziell parteiloyalere Verhalten der Wählerinnen.
Zusammenfassung
In mancherlei Hinsicht haben sich tradierte Unterschiede im Wahlverhalten zwischen Frauen und Männern bis in die heutige Zeit erhalten oder erfuhren, wie der Frauenbonus bei der CDU, eine Reaktivierung.
Politisch-ideologisch ordnen sich Frauen eher weiter links auf der Links-Rechts-Skala ein als Männer – das gilt verstärkt für Wählerinnen der CDU, der FDP und der AfD.
Frauen sind auch durch ein parteitreueres Wahlverhalten zu charakterisieren; ihre Parteiwechselbereitschaft ist eindeutig geringer ausgeprägt als bei Männern.
Bei der Wahlbeteiligung sind die Unterschiede freilich nicht nur auf ein Minimum (zuletzt 0,7 Prozentpunkte) zusammengeschrumpft. Dass überhaupt noch ein Wahlbeteiligungsdefizit der Frauen existiert, liegt einzig daran, dass sich Frauen im fortgeschrittenen Alter (meist nach dem Tod des Partners) verstärkt aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Sonst wäre die Partizipation der Frauen bei Wahlen längst höher als die der Männer.
Wir danken Herrn Thomas Schwarz für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck.