Die Preisdynamik im Bekleidungssektor
Männer mussten tiefer in die Tasche greifen während Frauen sich über Schnäppchen freuen konnten
Der kalendarische Sommer war noch nicht ganz vorbei, schon stellten die ersten Bekleidungsgeschäfte in ihren Schaufenstern die neuesten Modetrends für Herbst und Winter aus. Wobei mit den Temperaturen vielerorts auch die Preise scheinbar gleichermaßen zu sinken begannen. Denn kaum hatte die Saison begonnen, warben die ersten Einzelhändler auf roten Plakaten mit der Aufschrift »Midsaisonsale« und versprachen Rabatte in Höhe von bis zu 70 %. Dabei steigen auch im Textilhandel die Kosten für den Wareneinkauf sowie für die Löhne und Gehälter der Mitarbeiter inflationsbereinigt an. Warum verzichten also einzelne Unternehmen so früh auf ihre Gewinnspannen und mit welchen möglichen Folgen? Gehen diese Rabattaktionen mit vorherigen Preiserhöhungen einher und sind alle Warengruppen gleichermaßen betroffen? In dem nachfolgenden Artikel sollen genau diese Fragen auf Basis des Verbraucherpreisindex näher beleuchtet werden
Die Methodik der Preiserhebung
Während jeder Konsument ganz individuell und subjektiv anhand seiner persönlichen Erfahrungen den angegebenen Eurobetrag auf einem Etikett als günstig, angemessen oder zu hoch interpretiert, ist es die Aufgabe der amtlichen Statistiker, Teuerungsraten anhand objektiver Kriterien und verbindlicher Standards neutral zu bemessen.
Der für die Messung der Inflation bekannteste Index – der Verbraucherpreisindex (VPI) – setzt sich dabei aus etwa 600 verschiedenen Gruppen von Waren und Dienstleistungen zusammen, die in Deutschland von privaten Haushalten für Konsumzwecke gekauft werden. Festgelegt und in ihrer Verbrauchsbedeutung gewichtet werden diese im sogenannten »Statistischen Warenkorb«. Das gleiche Verfahren wird zur Ermittlung der Preisindizes für die einzelnen Produktgruppen angewendet und weist – vor allem für ein so sehr der Mode und damit dem stetigen Wandel unterworfenem Segment wie das der Bekleidung und Schuhe – Besonderheiten auf. Während bei anderen Preisindizes die einzelnen Preisrepräsentanten in ihren Merkmalen von Konstanz geprägt sind, ändert sich das Erscheinungsbild bei Textilien und Schuhen ständig. So verändert sich zum Beispiel bei vielen Nahrungsmitteln maximal die Verpackungsgestaltung oder Füllmenge, wobei das Produkt, beispielsweise Basmatireis, gleich bleibt. Ganz im Gegensatz zur Bekleidung. Eine Damenjeanshose gleicht selten dem Vorjahresmodell. Vielmehr unterscheidet sie sich im Mischverhältnis des Gewebes, im Schnitt, bis hin zu Applikationen gänzlich. Die Liste erscheint endlos. Hinzu kommt ein halbjähriger Saisonwechsel, der eine kurze Verweildauer im Sortiment für viele Produkte zur Folge hat. Um dennoch eine Vergleichbarkeit der Preise zu gewährleisten, werden die Bekleidungsartikel in allen Einzelheiten bis hin zur Anzahl der Knöpfe und Taschen von den geschulten und erfahrenen Preisermittlern beschrieben, um bei Bedarf ein gleichwertiges Ersatzprodukt aufnehmen zu können. Durch die turnusmäßige Überarbeitung des Warenkorbes auf das neue Basisjahr 2010 wurde zusätzlich auf ein saisonales Erhebungskonzept umgestellt, um so qualitative Einflüsse wie beispielsweise verbesserte Materialeigenschaften in der Preismessung zu minimieren. Die Folge ist ein zweimal jährlicher, sprunghafter Anstieg des Preisindex für Bekleidung und Schuhe (Schaubild 1).
Die Bedeutung von Bekleidung und Schuhen im statistischen Warenkorb
Die Bedeutung der Bekleidung und Schuhe für den statistischen Warenkorb hat sich seit Anfang der 1950er-Jahre von 13 % auf 5 % mehr als halbiert und stellt damit eine der kleinsten Abteilungen dar. Doch gerade zu Beginn einer Saison steigt der Bedarf an Textilien und das Interesse an Preisveränderungen bei den Verbrauchern an. Vor allem Familien mit Kindern, die schnell aus den Bekleidungsgrößen herauswachsen und jeden Winter und Sommer komplett neu eingekleidet werden müssen, sind besonders stark betroffen. Darum lohnt es sich, den Warenkorb für Bekleidung und Schuhe im Rahmen einer Sonderberechnung näher zu betrachten. Drei Viertel des Teilindex (76,1 %) entfallen auf Textilien, davon 56,3 % auf Damen-, 30,3 % auf Herren- und 10,6 % auf Kinderbekleidung sowie 2,8 % auf Accessoires. Das zweitgrößte Segment sind Schuhe mit 18,5 %, das sich wiederum in die Zielgruppen Damen (52,9 %), Herren (30,6 %) und Kinder (16,4 %) unterteilen lässt. Den kleinsten Anteil am Index für Bekleidung und Schuhe mit 5,4 % haben Stoffe, Kurzwaren und Dienstleistungen, wie beispielsweise die Reinigung von Kleidung oder die Reparatur von Schuhen (Schaubild 2).
Bekleidungspreise stark unter Druck
Während der Verbraucherpreisindex ab dem Basisjahr 2010 anfänglich rasch um 2,1 % anstieg, und danach ein kontinuierlich schrumpfendes Wachstum von schlussendlich noch 0,4 % vorweisen konnte, setzten die Preisänderungen für Schuhe diesen Verlauf nahezu ungebremst fort, auf 9,4 % innerhalb von 6 Jahren. Konträr dazu ist die Entwicklung der Preise für Bekleidungsartikel. Stiegen sie zu Beginn, wenngleich auf einem niedrigeren Niveau, noch proportional zum VPI, fielen sie 2015 sogar um 0,6 % unter ihren Vorjahreswert und konnten seitdem ihren Rückstand nicht gänzlich aufholen. Die Teuerungsrate 2016 für Bekleidung beträgt damit nur 4,2 % im Vergleich zu 6,8 % des Gesamtindex und dem Basisjahr 2010.
Ursachen für das Verharren des Bekleidungspreisindex seit 4 Jahren bei rund 4 % ist der Preisverfall bei Damenmode, der aufgrund seiner hohen Wägung einen größeren Einfluss als die gleichzeitige Verteuerung der Herren- und Kinderbekleidung hat. Grafisch bewegen sich die jeweiligen Kurven seit dem Jahr 2013 immer weiter auseinander mit einer maximalen Differenz von zuletzt 9,2 % im Jahr 2016 (Schaubild 3).
Gewinne und Verluste in der Damenbekleidung
Auch bei Damenbekleidung geht die Schere der Preisentwicklung immer weiter auseinander. Müssen die Konsumentinnen bei Sportbekleidung und Bademoden als auch in einem etwas geringeren Maße bei Unter- und Nachtwäsche sowie Strumpfwaren, jährliche Preiserhöhungen in Kauf nehmen, können sie bei Hosenanzügen, Kostümen und Kleidern sowie bei Oberteilen sparen. Lediglich Unterteile, also Röcke und Hosen, zeichnen sich seit 2013 durch ein konstantes Preisniveau von rund 2 % zum Basisjahr 2010 aus (Schaubild 4).
Betrachtet man den Teilindex für Unter- und Nachtwäsche sowie Strumpfwaren im Detail, konnten alle Produktgruppen die Inflationsrate übertrumpfen. Die rasante Preissteigerungsrate ist jedoch maßgeblich durch die Zuwächse für Damensocken und Strumpfhosen zu erklären. Diese sind, aufgrund ihres großen Anteils an Ganzjahresprodukten, die kaum Modetrends unterliegen, von Reduzierungen während des Schlussverkaufs in wesentlich geringerem Maße betroffen. Darum stiegen die Preise um 9,6 % im Jahr 2012 sowie jeweils um 4,1 % bzw. 6,6 % in den Jahren 2015 bzw. 2016. Insgesamt wuchs die Teuerungsrate für Damenstrumpfwaren in nur 6 Jahren auf 21,9 % an.
Neben Anzügen und Kleidern mit einem Minus von 5 %, erzielten Oberteile die größten Verluste in der Damenmode, die aufgrund ihres hohen Wägungsanteiles eine wesentlich höhere Bedeutung für die Konsumentinnen und infolgedessen für die Einzelhändler haben. So sind die Preise für Jacken und Mäntel um 8,5 %, für Pullover, Strickjacken und Twinsets sogar um 17,6 % im Zeitraum von 2010 bis 2016 gefallen.
Auch bei Unterteilen für Damen zeigen sich sinkende Preise. Mit 10,4 % sind Röcke am stärksten betroffen, Stoffhosen mit immerhin noch 3 %.
Die Suche nach den Ursachen
Nun könnte man argumentieren, dass die betroffenen Damensegmente mit Pullovern, Strickjacken, Freizeitjacken und Mänteln besonders kalte, die mit Kleidern und Röcken besonders warme Temperaturen benötigen, um Bedarf bei den Kundinnen zu wecken. Folglich müssten diese Artikel in vergleichsweise warmen Wintern oder verregneten Sommern frühzeitig und stark reduziert werden, um zusätzliche Kaufanreize zu schaffen und die Lager für die kommende Saison zu räumen.
Da aber das Wetter eine vom Geschlecht unabhängige Größe, und zudem nur eine saisonale Einflussgröße ist, müssten folglich die Änderungsraten in den Damen- sowie Herrenabteilungen im Jahresdurchschnitt gleich verlaufen. Stattdessen konnten bei Herrenpullovern und Strickjacken Zuwächse von 7,2 %; bei Jacken und Mänteln sogar von 7,9 % erzielt werden. Auch bei weiteren Produkten wie Shirts und Blusen bzw. Hemden, Stoff- und Freizeithosen wurden in den untersuchten Herrenabteilungen von Jahr zu Jahr höhere Durchschnittspreise verlangt als in den Damenabteilungen. Damit deuten die Daten auf zusätzliche Einflussgrößen hin, die zwischen den einzelnen Bekleidungssegmenten unterschiedlich ausgeprägt sind (Schaubild 5).
Es könnte beispielsweise sein, dass modische Aspekte wesentlich mehr in die Gestaltung von Kleidung für Damen, als in die für Herren einfließen. In Folge dessen steigt einerseits das Risiko für diese Segmente, auf den falschen Trend gesetzt zu haben und diese Fehlentscheidungen durch hohe Preisabschriften zu bezahlen. Andererseits sorgen immer kürzere Planungs- und Produktionsprozesse bei gleichzeitig immer kürzeren Lieferzyklen zu einem schnelleren Transfer von Laufstegtrends in den Verkauf und zu dem Phänomen der »Fast Fashion«.1 Die damit einhergehende ständige Veränderung der Produkte und Präsentationen auf den Verkaufsflächen und in den Schaufenstern können bei der »richtigen« Auswahl von Trends also auch zu einer höheren Attraktivität des Sortiments sowie einem Anstieg der Kaufanreize bei den Kundinnen und Kunden und folglich für geringere Abschriften bei den Einzelhändlern führen.
Unabhängig davon begründen Einzelhändler sinkende Preise oft mit einem tendenziell eher schrumpfenden statt wachsenden Umsatz aufgrund des demografischen Wandels und einer Sättigung des Marktes. Bei einem gleichzeitigen Anstieg an Konkurrentinnen und Konkurrenten kann dies zu einem verstärkten Preiskampf unter den Mitbewerberinnen und Mitbewerbern führen. So hat sich die Anzahl an Unternehmen, die ihre Bekleidung oder Schuhe über das Internet vertreiben von 2010 bis 2015 mehr als verdoppelt, von einst 177 auf 400 Betriebe in Baden-Württemberg2, während der stationäre Handel mit einem Plus von nur 2 % im Vergleich dazu annähernd konstant geblieben ist. Damit stieg der Anteil des Onlinehandels an der kompletten Branche von 3,1 % auf 6,7 %.
Auch wenn die Anzahl an Mitbewerberinnen und Mitbewerbern innerhalb eines Bekleidungssegmentes gleich bleibt, können Preise aufgrund struktureller Veränderungen überproportional sinken oder steigen. Beispielsweise führt die Vertikalisierung dazu, dass Modemarken den Verkauf ihrer Waren nicht mehr nur dem Einzelhandel überlassen, sondern durch die Eröffnung eigener Ladenlokale selbst in die Hand nehmen. Zwar bleibt die Anzahl der Einzelhandelsunternehmen dadurch unverändert, doch der damit einhergehende Verdrängungsprozess von kleinen und mittelständischen Unternehmen sorgt für eine Konzentrierung der Markt- und Preisgestaltungsmacht auf immer weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Infolgedessen können Einsparungen im Wareneinkauf zur Steigerung von Gewinnspannen genutzt oder aber direkt an die Kunden in Form von sinkenden Endverbraucherpreisen weitergegeben werden. Eine Umfrage, die im Frühjahr 2017 unter den Mitgliedern des Textileinzelhandelsverbandes (BTE) durchgeführt wurde, legt Letzteres nahe. So sei das größte Problem der Branche die »zu frühe[n] und umfangreiche[n] Preisreduzierungen«3, gefolgt von der Konkurrenz aus dem Internet. Die Folge sei ein »ruinöse[r] Preiswettbewerb zu Lasten des stationären Fachhandels«4 (Tabelle 1).
Bekleidung – zwischen Saisonauftakt und Schlussverkauf
Allgemein sind Bekleidungstextilien über alle Abteilungen hinweg saisonalen Schwankungen unterworfen. Im Frühjahr von März bis April sowie im Herbst von September bis Dezember sind sie am teuersten, während des Schlussverkaufes in den Monaten Januar und Februar sowie Juli und August am günstigsten, wobei das Erreichen des jeweiligen Minimums bzw. Maximums innerhalb dieser Zeiträume von Jahr zu Jahr unterschiedlich ist. Auch die Höhe der Auf- und Abschläge auf die Preise unterscheiden sich je Zielgruppe. So haben in den vergangenen 6 Jahren mit einer durchschnittlichen Preiserhöhung von 10,1 % bei einer Rabatthöhe von 9,4 % die Kinderabteilungen die größten Preiszuwächse (0,7 %) verbuchen können. Gefolgt von Herrentextilien mit einem durchschnittlichen Plus von 0,5 % je Saison. In den Damenabteilungen wiegen sich die Preisaufschläge zu Beginn mit den Rabatten zum Ende des Halbjahres mit einer positiven Differenz von 0,1 % annähernd auf. Aufgrund der Erhebungsrichtlinien des VPI, wurden Rabatte, die nur für einen begrenzten Kundenkreis gelten oder an Mindestabnahmemengen bzw. Mindesteinkaufspreise gekoppelt sind, nicht in der Preisstatistik berücksichtigt. Vermutlich übertreffen somit die tatsächlich gewährten Rabatte im Einzelhandel die gemessenen Werte und führen infolgedessen zu einer geringeren Gewinnspanne in knapp kalkulierenden Abteilungen wie der Damenbekleidung.
Berücksichtigt man weiterhin die überproportional gestiegenen Importpreise5 im gleichen Zeitraum für Wirkwaren aus Baumwolle um 13,8 %, aus Wolle sogar um 27,1 % und die ebenfalls gestiegenen Tariflöhne6 im Einzelhandel um 13,7 % wird deutlich, wie schwer der Kostendruck auf den Schultern der Einzelhändlerinnen und -händler wiegt. Klar ist auch, dass der Bekleidungseinzelhandel aufgrund dieser Entwicklungen in einer schwierigen Lage ist. Die Folgen könnten auf Dauer steigende Endverbraucherpreise und ein Ende der Rabattschlachten sein.