:: 3/2017

Die Eisenbahn im Großherzogtum Baden und im Königreich Württemberg

Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist eine Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. In Deutschland und somit auch in Baden-Württemberg hat die Schieneninfrastruktur mit den rasanten Veränderungen der letzten Jahrzehnte nicht immer Schritt gehalten. Um die Verkehrsinfrastruktur in Baden-Württemberg zukunftsfähig zu gestalten, gibt es derzeit zwei große Schienenprojekte. So wird die Strecke Karlsruhe – Basel aus- und zum Teil neu gebaut. Mit diesem Projekt soll die Kapazität durch Entmischung des Personen- und Güterverkehrs zwischen den beiden Städten erheblich gesteigert werden. Das Projekt ist Teil des neu konzipierten europäischen Schienenkorridors Rotterdam – Genua. Das zweite, in der Öffentlichkeit weitaus stärker wahrgenommene Projekt, ist die Neuordnung des Eisenbahnknotens Stuttgart – auch als Stuttgart 21 bezeichnet – in Verbindung mit der in Wendlingen anschließenden Neubaustrecke Stuttgart – Ulm. Das sind Aufgaben der unmittelbaren Zukunft in diesem Sektor. Die Pioniere des Eisenbahnwesens in Baden und Württemberg hatten ganz anders gelagerte Aufgaben. Sie standen vor der Herausforderung, die beiden Länder für das neue Verkehrsmittel Eisenbahn komplett zu erschließen.

Es begann in England

England nahm nicht nur die Vorreiterrolle in der Industrialisierung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts in Europa ein. Dort wurden auch die ersten Schritte in der Anlage eiserner Schienenwege und in der neuzeitlichen Nutzung der Dampfkraft vollzogen. Hier fuhren die weltweit ersten dampfbetriebenen Eisenbahnen. Mit der Erfindung der Dampfmaschine durch Thomas Newcomen um 1712 und ihrer Weiterentwicklung durch James Watt und Richard Trevithick ergaben sich bald Versuche, diese auch zum Antrieb von Fahrzeugen zu nutzen. Der für James Watts Firma arbeitende Techniker William Murdoch baute 1784 eine kleine fahrbare Dampfmaschine. Bereits 1769 gelang es Nicholas Cugnot und 1801 und 1803 auch Richard Trevithick, jeweils einen fahrbaren Dampfwagen zu bauen. Bald darauf baute Trevithick im Jahr 1804 eine selbstfahrende Zugmaschine für eine Bergwerks-Schienenbahn in Südwales. Damit war die erste Dampflokomotive geboren.

Am 7. Dezember 1835 nahm die erste mit Lokomotive betriebene Eisenbahn in Deutschland ihren Dienst auf. Sie gehörte zu der »Königlich privilegierten Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft« im Königreich Bayern und fuhr zwischen Nürnberg und Fürth. 1838 gab es in weiteren deutschen Ländern erste Eisenbahnstrecken, so in Preußen mit der Berlin-Potsdamer Eisenbahn auf einer 11 km langen Strecke, im Herzogtum Braunschweig mit einer Strecke zwischen Wolfenbüttel und Braunschweig, im Rheinland mit der Strecke zwischen Düsseldorf und Erkrath und 1839 in Hessen zwischen Frankfurt und Wiesbaden. Bis 1888 entstand so im gesamten Deutschen Reich ein Eisenbahnnetz mit einer Gesamtlänge von mehr 34 000 km.

Die Anfänge in Baden …

Das Großherzogtum Baden war nach dem Herzogtum Braunschweig der zweite deutsche Staat, der den Bau und Betrieb von Eisenbahnen in die Hand nahm. Am 29. März 1838 beschloss die Badische Ständeversammlung drei Gesetze zum Bau der ersten Strecke zwischen Mannheim und der Schweizer Grenze bei Basel nebst einer Stichbahn nach Baden-Baden und einer Zweigstrecke nach Straßburg. Für die als Badische Hauptbahn bezeichnete Linie wurde in den Jahren 1840 bis 1863 das Schienennetz schrittweise fertig gestellt. Der erste Abschnitt zwischen Mannheim und Heidelberg mit einer Streckenlänge von knapp 19 km ging am 12. September 1840 in Betrieb. In Baden wurden alle Eisenbahnstrecken zunächst in 1 600 mm Breitspur gebaut. Baden war der einzige deutsche Staat, der dieses Format verwendete. Nachdem sich abzeichnete, dass alle deutschen Nachbarstaaten die Normalspur bevorzugten, wurde das Netz der Badischen Staatsbahn innerhalb des Jahres 1855 auf Normalspur 1 435 mm umgebaut. Besonders schwierig war die Verhandlung über eine Verbindung mit dem Königreich Württemberg, da beide Staaten direkt um den Verkehr zwischen Deutschland und den Alpenpässen in Konkurrenz standen. In einem Staatsvertrag vom 4. Dezember 1850 wurde vereinbart, dass Württemberg beim Bau der Linie Stuttgart – Bruchsal über badisches Territorium fahren durfte und Baden die teilweise in Württemberg liegende Verbindung Pforzheim – Mühlacker bauen und betreiben durfte.

In den nächsten Jahrzehnten erfuhr das badische Streckennetz umfangreiche Erweiterungen: die Neckartalbahn zwischen Neckargemünd und Jagstfeld, die Höllentalbahn zwischen Freiburg und Neustadt, die Umgehungsbahn am Hochrhein zwischen Weil am Rhein und Lörrach, die Wehratalbahn, die Wutachtalbahn und die strategische Bahn zwischen Graben-Neudorf und Roeschwoog im Elsass. Die vier letztgenannten Bahnstrecken wurden hauptsächlich aus militärischen Überlegungen gegenüber Frankreich gebaut. 1898 war das Streckennetz der Badischen Staatsbahn weitgehend fertiggestellt. In diesem Jahr umfasste das Netz eine Streckenlänge von 1 466 km. In den Folgejahren lag der Schwerpunkt der Bahnarbeiten im Großherzogtum Baden bei Ausbaumaßnahmen der Knotenbahnhöfe.

Die Ära der Badischen Staatsbahn endete mit der Gründung der Reichseisenbahn. Am 1. April 1920 ging die Badische Staatsbahn in den Besitz des Deutschen Reiches über. Die bisherige Bahnverwaltung in Karlsruhe wurde zur Reichsbahndirektion Karlsruhe. Damit ging ein frühes Stück deutscher Eisenbahngeschichte zu Ende.

… und in Württemberg

Im Königreich Württemberg gab es wie in vielen anderen deutschen Staaten bereits Jahrzehnte vor der Realisierung Überlegungen, die Verkehrserschließung des Landes durch ein Eisenbahnstreckennetz zu verbessern. Der Wille der Regierung und des Königs flossen in ein Gesetz vom 18. April 1843 ein, in dem der Streckenbau festgelegt wurde und gleichzeitig die Gründung der Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen stattfand. Das Gesetz sah ausdrücklich vor, dass der Bau von Nebenstrecken auch von Privatgesellschaften betrieben werden durfte. So konnten sich hier auch verschiedene Unternehmen etablieren.

Ab 1845 entwickelte sich im Königreich Württemberg zunächst die Zentralbahn von Stuttgart aus am Neckar entlang. Der erste in Betrieb genommene Abschnitt am 22. Oktober 1845 lag zwischen Cannstatt und Untertürkheim. Von Stuttgart aus wurden in den nächsten Jahren nach und nach die Ostbahn nach Ulm, von da aus die Südbahn nach Friedrichshafen am Bodensee, die Westbahn in das in Baden gelegene Bruchsal und die Nordbahn über Bietigheim nach Heilbronn realisiert.

Das größte Hindernis für den Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm war die ungünstige Topografie. Zwischen Geislingen und Ulm musste die Schwäbische Alb überquert werden. Nachdem verschiedene Alternativen geprüft und verworfen worden waren, entschied man sich letztendlich für eine kurze und steile Rampe bei Geislingen, die Geislinger Steige. Mit dem Bau der Eisenbahnrampe wurden Oberingenieur Michael Knoll und Oberbaurat Karl von Etzel betraut. An dem Bau wirkten etwa 3 000 Arbeiter mit. Er begann 1847. Die Strecke wurde 1850 eröffnet. Der Betrieb auf diesem Streckenabschnitt stellte die Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen vor eine große Herausforderung. Im Dampflok-Zeitalter musste fast jeder Zug mit zwei Lokomotiven versehen werden. Eine zog den Zug und die andere schob ihn vom Zugende her. Deshalb wurden die Bahnhöfe in Geislingen an der Steige sowie in Amstetten, dem ersten Bahnhof nach dem Albaufstieg, sehr groß dimensioniert. Für Wartung und Reparatur der bereitstehenden Schiebelokomotiven gab es in Geislingen ein örtliches Bahnbetriebswerk. Die GeislingerSteige galt im Zeitalter der Dampflokomotiven als steilste Hauptbahnstrecke Europas.

Nach Beendigung des Ausbaus der Hauptstrecken im Jahre 1854 kam es zu einer mehrjährigen Pause. Danach begann man die Stammstrecken durch den Bau der Oberen Neckartalbahn bis nach Horb, der Remstalbahn von Cannstatt bis nach Wasseralfingen, der Kocherbahn von Heilbronn nach Schwäbisch Hall und einiger anderen Strecken zu ergänzen. So hatte das Streckennetz in Normalspur für das gesamte Königreich Württemberg 1904 eine Länge von 1 857 km.

Die Reichsverfassung von 1919 beendete die Eigenständigkeit des Eisenbahnwesens in Württemberg. Durch einen Staatsvertrag mit dem Deutschen Reich ging die Württembergische Staatseisenbahn genau wie die Badische Staatsbahn am 1. April 1920 in das Eigentum des Deutschen Reiches über und bildete zusammen mit den anderen ehemaligen Staatsbahnen die Basis für die neu gegründete Deutsche Reichsbahn.

Auch ein Stück Industriegeschichte

Eng verbunden mit der Geschichte der der Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen ist die Historie der Maschinenfabrik Esslingen. Die Maschinenfabrik war ein Unternehmen zur Herstellung von Lokomotiven, Triebwagen, Straßenbahnen, Eisenbahnwagen, Rollböcken, Drehscheiben, Schiebebühnen und vielem anderen mehr.

Das Unternehmen wurde von Emil Keßler am 11. März 1846 in Stuttgart gegründet. Die Hauptmotivation zur Unternehmensgründung war eine Initiative des Königreichs Württemberg, eine vom damaligen Ausland unabhängige Eisenbahnindustrie zu schaffen. Keßler sah hier eine Zukunftschance. Er brachte einschlägige Erfahrung aus Karlsruhe mit, wo er seit 1837 Mitinhaber und ab 1842 Alleininhaber der Maschinenbau-Gesellschaft Karlsruhe war. Im Oktober 1847 lieferte die Maschinenfabrik Esslingen vertragsgemäß die erste Lokomotive aus. Die Maschinenfabrik arbeitete künftig eng mit der württembergischen Staatseisenbahn zusammen. Fast alle Neuentwicklungen der Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen wurden hier hergestellt. Weltweit einen besonderen Ruf erwarb sich die Maschinenfabrik durch den Bau ihrer Zahnradlokomotiven in vielen Ausprägungen. Der Bau einer Zahnradlokomotive beendete auch die Ära des Dampflokomotivbaus in Esslingen. Am 21. Oktober 1966 verließ als letzte eine für Indonesien gebaute Zahnrad-Dampflokomotive das Werk. Das Unternehmen ging 1965 zum größten Teil an die Daimler-Benz AG.

Und in der Zukunft?

Welche Einflüsse der absehbare technologische Fortschritt, gerade durch die Realisierung der beiden weiter oben genannten Großprojekte, im Mobilitätsbereich des Schienenverkehrs auf das Land Baden-Württemberg der Zukunft haben wird, und wie die Veränderung gestaltet werden kann, ist derzeit noch nicht endgültig absehbar. In diesem Zusammenhang sollte nie vergessen werden, dass die Grundlagen für den heutigen Fortschritt des Schienenverkehrs im 19. Jahrhundert von den Eisenbahnpionieren in Baden und Württemberg gelegt wurden. Sie schufen die Basis für unsere heutige Mobilität.

Anmerkung. Die Fakten dieses Beitrags basieren auf verschiedenen Wikipedia-Artikeln zur Eisenbahngeschichte.