Der Traktor
Ein Indikator für die Technisierung in der Landwirtschaft
Mehr als 4 Jahrtausende wurden in der Landwirtschaft menschliche und tierische Kräfte benötigt, um die sehr schwere Arbeit bewältigen zu können. Durch die bahnbrechende Erfindung der Dampfmaschine kam es zu einer ersten Mechanisierungswelle. So wurden Dampfmaschinen im 19. Jahrhundert in der Landwirtschaft vor allem dazu verwendet, Dreschmaschinen anzutreiben oder auf großen Ackerflächen Dampfpflüge zu ziehen. Aber erst durch die Erfindung und den Einsatz des Traktors konnte sich die Landwirtschaft technisch deutlich weiter entwickeln.
Von mühseliger Handarbeit …
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand die Arbeit in der Landwirtschaft noch weitgehend auf der Handarbeitsstufe. Deutschland und seine Länder waren zu dieser Zeit agrarisch geprägt. Etwa 60 % der Gesamtbevölkerung lebte und arbeitete in bäuerlichen Haushalten. Mehr als die Hälfte dieser Bauern bewirtschaftete Parzellenbetriebe, die nicht größer als 2 Hektar waren. Die meisten zu verrichtenden Arbeiten in der Landwirtschaft wurden seinerzeit mit der Hand erledigt. Als größere Hilfsmittel gab es nur ganz wenige Geräte wie Pflüge, Eggen oder Walzen. Das reife Getreide wurde mit immensem Arbeitsaufwand mit Sensen geschnitten. Als Zug- und Transporthilfen setzte man Ochsen-, Kuh- oder Pferdegespanne ein. Da die meisten Tätigkeiten in der Landwirtschaft in früheren Zeiten von Hand gemacht werden mussten, war dies auch der wichtigste Grund, warum so viele Menschen in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt waren.
Mit der bahnbrechenden Erfindung der Dampfmaschine wurde die Mechanisierung der Landwirtschaft erstmals vorangetrieben. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in großen Betrieben Nord- und Ostdeutschlands Dampfpflüge und Lokomobile eingesetzt. Bei den kleinparzellierten Betrieben Württembergs und Badens war dieser Einsatz nicht wirtschaftlich. Bereits um 1885 arbeiteten in den USA mehrere Firmen an der Entwicklung eines Traktors, der statt mit Dampf mit Diesel oder Benzin betrieben werden sollte. Damit war der neu konzipierte Traktor um vieles leichter und beweglicher als sein dampfbetriebener Konkurrent. Als eigentlicher Erfinder des Traktors gilt John Charter, der 1889 den ersten Traktor entwickelte.
… zur Geburtsstunde des Traktors
Das Jahr 1902 gilt als das eigentliche Geburtsjahr der Traktorindustrie in den USA und somit auch weltweit. In Iowa wurde ein Unternehmen gegründet, das sich ausschließlich auf die Traktorherstellung spezialisierte. Bereits 1909 wurden in den USA jährlich 2 000 Traktoren hergestellt. Die Produktionszahlen nahmen in den nächsten Jahren stetig zu. Die Gründe für diese rapide Traktorentwicklung in Amerika liegen in der dünnen Besiedelung und den im Vergleich zu Europa riesigen Anbaugebieten, die nur mit technischen Hilfsmitteln wie dem Traktor effektiv bewirtschaftet werden konnten.
In Deutschland bestand zu dieser Zeit kein vergleichbarer Bedarf an landwirtschaftlichen Zugmaschinen. Vereinzelt kam es auf den großen Flächengütern Ostdeutschlands zum Einsatz von Traktoren, diese waren alle aus den USA importiert. Nur weniger als 1 % aller Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland verwendeten im Jahr 1925 bereits einen Traktor. In Baden verzeichnen die Statistiken des Deutschen Reiches für dieses Jahr 143 und für Württemberg 129 landwirtschaftliche Schlepper. Diese Zahlen erfuhren auch in den nächsten Jahren keine nennenswerten Steigerungen.
Eine nennenswerte Zunahme an Traktoren setzte in Deutschland erst mit der Verwendung von Dieselmotoren ein. Die Firma Lanz in Mannheim konnte hier mit ihrem ersten Typ des »Lanz Bulldogs« Erfolge verbuchen. Dieser Typ war mit einem Glühkopfmotor ausgestattet. Auch andere deutsche Traktorenhersteller sorgten in den 1930er-Jahren für Innovationen. So statteten die Continentalwerke in Hannover die landwirtschaftlichen Zugmaschinen mit Luftreifen aus. Ende der 1930er-Jahre wurde in Deutschland schließlich die Zapfwelle normiert. Diese beiden Neuerungen machten den Traktor zur bäuerlichen Universalmaschine.
Der Siegeszug des Traktors
1945 zum Ende des Zweiten Weltkrieges gab es in Deutschland noch etwa 70 000 Traktoren. Ein Großteil davon war defekt. Passende Ersatzteile wurden noch nicht hergestellt. Viele Landwirte waren in dieser Zeit gezwungen, stark zu improvisieren, um ihre Traktoren einsatzfähig zu halten. Mit dem Beginn des Wirtschaftswunders ab 1950 begann auch für die Landmaschinenindustrie eine Zeit des Booms. Firmen wie Kramer, Porsche, Stihl, Lanz oder Allgaier stellten in Baden-Württemberg Traktoren her.
Die Technisierung von landwirtschaftlichen Betrieben mit Traktoren in dieser Zeit war notwendig, weil viele landwirtschaftliche Arbeitskräfte in andere Wirtschaftsbereiche abwanderten. Der Technisierungsprozess begann durch die Vollmotorisierung der Betriebe. Pferde- und sonstige Gespanne verschwanden immer mehr von der Bildfläche. Die Traktoren übernahmen die Zugarbeit und können somit als ein signifikanter Indikator der Technisierung der Landwirtschaft bezeichnet werden. Dieser Prozess spielte sich im Wesentlichen zwischen 1950 und 1970 ab. Innerhalb eines Jahrzehnts – zwischen 1950 und 1960 – wuchs der Bestand an Traktoren in landwirtschaftlichen Betrieben Baden-Württembergs um mehr als 130 000 Stück. Gut 18 % aller in der deutschen Landwirtschaft eingesetzten Traktoren standen auf einem baden-württembergischen Bauernhof. Dieser Trend hielt an und erreichte seinen Höchststand im Jahre 1986, als in Baden-Württemberg 204 000 Traktoren in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Die Nachfrage nach Zugmaschinen in der Landwirtschaft ist ungebrochen. Alleine im Jahr 2014 wurden mehr als 5 400 Traktoren in Baden-Württemberg neu zugelassen, bundesweit waren es im gleichen Zeitraum fast 42 000 Stück.
Die Zukunft
Der Einsatz von Traktoren und die damit verbundene Vollmotorisierung war nur ein erster Schritt beim Strukturwandel der Landwirtschaft. Es folgten die Vollmechanisierung und Vollautomatisierung in vielen landwirtschaftlichen Betrieben. Diese Maßnahmen erforderten erhebliche Finanzmittel und machten die Landwirtschaft zu einem der kapitalintensivsten Wirtschaftszweige. Wohin die Entwicklung mittelfristig gehen wird, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Sicher dagegen ist, dass der Traktor als Hilfsmittel in landwirtschaftlichen Betrieben auch zukünftig seinen Platz behaupten wird.