Energiebilanzen und CO2-Bilanzen der Bundesländer in Gefahr
Was wäre eigentlich, wenn es keine Energiebilanzen für die einzelnen Bundesländer mehr gäbe? Ganz sicher könnten fundierte Aussagen zum Energieverbrauch eines Bundeslandes nicht mehr getroffen werden. Für energiepolitische und energiewirtschaftliche Entscheidungen sowie für Prognosen zur Entwicklung des Energiebedarfs würde damit die Basis fehlen. Das gilt ebenso für Aussagen zur Energieeffizienz oder für die Bewertung der Umweltverträglichkeit der Energieversorgung, denn die Energiebilanz ist die Grundlage für die Berechnung der Treibhausgasemissionen. Vor dem Hintergrund der Energiewende mag dieses »Was–wäre–wenn–Szenario« abwegig erscheinen. Doch für die Energiebilanzen der Bundesländer wird sich diese Existenzfrage bald stellen, sollte es nicht gelingen, eine gesetzliche Grundlage für die Erhebung der erforderlichen regionalen Mineralöldaten zu schaffen.
Eine kontinuierliche und sichere Energieversorgung ist von zentraler Bedeutung für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Abhängigkeit Deutschlands von Energieimporten und die Erkenntnis, dass die Reduzierung von Treibhausgasemissionen notwendig ist, haben – ebenso wie die Einsicht in die Endlichkeit von Ressourcen – zu einem erheblichen Bedeutungsgewinn von Energie- und Umweltpolitik geführt. Durch Deutschlands Beschlüsse zur Energiewende haben diese Politikbereiche in den letzten Jahren nochmals an Gewicht gewonnen. Auch die Bundesländer haben sich eigene Energie- und Klimaschutzziele gesetzt und in eigenen Programmen oder Gesetzen festgeschrieben.1 Umso mehr sind die mit diesen Themen befassten politischen Akteure auf belastbare und kontinuierlich verfügbare Daten angewiesen, wie sie die Energie- und CO2-Bilanzen bieten. Auch den mit der Energie- und Umweltforschung beschäftigten wissenschaftlichen Instituten dienen die Bilanzen als eine wesentliche statistische Datenbasis für Analysen und Prognosen.
Basisdaten für Energie- und CO2-Bilanzen weggebrochen
Zentrale Datengrundlage für die Energiebilanzen von Bund und Ländern2 sind die amtlichen Energiestatistiken nach dem Energiestatistikgesetz (EnStatG). Bei der Formulierung des 2003 in Kraft getretenen EnStatG wurde allerdings auf Statistiken im Mineralölbereich verzichtet, da die Daten für die Bundesländer seit Beginn der 1980er-Jahre zuverlässig vom Mineralölwirtschaftsverband (MWV) auf freiwilliger Basis zur Verfügung gestellt wurden und auf Bundesebene die Ergebnisse aus den Statistiken des Mineralöldatengesetzes3 genutzt werden können. Seit dem Bilanzjahr 2011 ist es dem MWV jedoch nicht mehr möglich, Bundesländerdaten in ausreichender Qualität zur Verfügung zu stellen.4
Rund ein Drittel des Primärenergieverbrauchs und über 40 % des Endenergieverbrauchs5 in Baden-Württemberg entfallen auf Mineralöle.6 Mit dem Wegfall der Lieferungen durch den MWV fehlen somit existenzielle Basisdaten (zum Beispiel Rohöleinsatz, Flugbenzin- und Heizölverbrauch). Dies stellt die Energiebilanzen der Bundesländer vor die Existenzfrage, denn ohne diese Mineralöldaten ist eine vollständige Energiebilanzierung und damit auch die CO2-Bilanzerstellung nicht mehr möglich. Die Bilanzen sind jedoch Grundlage für das Monitoring aller Energie- und Klimaschutzvorhaben der Bundesländer. Quantitative Ziele wie beispielsweise die Steigerung der Energieeffizienz, die Reduzierung von Treibhausgasen oder auch wärmemarktbezogene Ziele könnten nicht mehr auf ihren Zielerreichungsgrad hin überprüft werden. Auch die in zunehmender Zahl entwickelten kommunalen Energie- und Klimaschutzprogramme nutzen die Energie- und CO2-Bilanzen der Länder und wären zukünftig ohne Basis.
Auf Bundesebene stehen die Mineralöldaten zur Verfügung, sodass hier kein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht. Dennoch ist der Bund mittelbar ebenfalls betroffen. Zur Erfüllung der Berichtspflichten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem UN-Klimasekretariat spielen die CO2-Bilanzen der Länder eine wichtige Rolle als anerkanntes Instrument zur Verifikation des nationalen Treibhausgasinventars.
Der MWV hat die Aufteilung des Mineralölverbrauchs auf die Bundesländer und Sektoren letztmalig für das Bilanzjahr 2010 bereitgestellt. Ab dem Bilanzjahr 2011 verwenden die Statistischen Landesämter Interimslösungen zur Schätzung des Mineralölverbrauchs, die sich an den bisherigen Verhältnissen und der Entwicklung auf Bundesebene orientieren. Diese Näherungslösungen sind zur kurzfristigen Überbrückung zwar geeignet, werden jedoch ohne Verifikation durch Erhebungen über die Zeit immer ungenauer. Darüber hinaus bergen sie die Gefahr, dass sich die bisher einheitliche Methodik gemäß den Vorgaben des Länderarbeitskreises Energiebilanzen (siehe i-Punkt) nicht aufrechterhalten lässt. Die methodischen Vorgehensweisen der Bundesländer werden sich über die Zeit immer weiter auseinander entwickeln. Weder die Vergleichbarkeit zum Bund noch zu den anderen Bundesländern wäre dann noch gegeben. Die Anwendung von Näherungslösungen ist daher auf Dauer keine geeignete Methode.
Gesetzliche Basis erforderlich
Die nachhaltige Sicherstellung einer kontinuierlichen, qualitativ hochwertigen und bundesweit vergleichbaren Mineralöldatenbasis für die Energiebilanzen der Länder lässt sich folglich nur über eine gesetzliche Fundierung des regionalen Datenbedarfs dauerhaft garantieren.7 Insbesondere das Energiestatistikgesetz, das sich derzeit im Novellierungsprozess befindet, bietet sich dafür an.
Der Länderarbeitskreis Energiebilanzen hat einen konkreten Vorschlag für die erforderlichen Gesetzesänderungen vorgelegt. Für die Ermittlung des Endenergieverbrauchs sieht dieser eine Absatzerhebung für den Energieträger Mineralöle vor, vergleichbar mit den seit Jahren existierenden Erhebungen im Strom- und Gasbereich.8 Um die Datenlücken in der Primär- und Umwandlungsbilanz zu schließen, ist zudem vorgesehen, die Unternehmen, die Erdöl fördern oder Erdölerzeugnisse herstellen und herstellen lassen, zu befragen. Mit Hilfe dieser Erhebungen wäre künftig die Erstellung der Energie- und CO2-Bilanzen für die Bundesländer weiter möglich und damit auch ein bundesweit vergleichbares und fundiertes Monitoring der in den Energie- und Klimaschutzprogrammen vorgesehenen Ziele und Maßnahmen.
Würde das Energiestatistikgesetz mit den erforderlichen Änderungen im Mineralölbereich im Januar 2016 in Kraft treten, könnten voraussichtlich im Jahr 2017 in den Bundesländern Energiebilanzen für das Jahr 2015 mit neuer Datenbasis im Mineralölbereich veröffentlicht werden. Für die Energiebilanzen 2013 und 2014 wären die Bundesländer aber weiter auf die oben beschriebenen Näherungslösungen angewiesen. Es ist somit an der Zeit, eine neue Balance zwischen Belastung der Wirtschaft und Personalressourcen in den statistischen Ämtern einerseits sowie Informationsqualität für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angesichts des Bedeutungsgewinns von Energie- und Klimafragen andererseits herzustellen.