Nischenprodukt oder Landschaftspflege? Haltung von Schafen und Ziegen
Etwa eine Mrd. Schafe und ca. 750 Mill. Ziegen bevölkern nahezu alle Teile der Welt. Schafe und Ziegen sind die ersten von Menschen wirtschaftlich genutzten Haustiere. Der Anblick einer Ziegenherde hierzulande kommt aber heute nahezu einer Sensation gleich. Selbst Schafe kreuzen nur selten unsere Wege. Doch in der Landschaftspflege kommt ihnen eine wichtige Funktion zu. Und nicht zuletzt ist die Schafhaltung in manchem landwirtschaftlichen Betrieb ein wichtiger Produktionszweig und trägt entscheidend zum Betriebseinkommen bei.
Nach den Ergebnissen der Landwirtschaftlichen Gesamtrechnung steuerte die Tierhaltung 2009 mit 1,58 Mrd. Euro annähernd 54 % der gesamten Verkaufserlöse (2,94 Mrd. Euro) der baden-württembergischen Landwirtschaft bei. Dabei standen die Milchproduktion und die Fleischerzeugung (Rindern, Schweinen) eindeutig im Vordergrund. Aus der Haltung von Schafen und Ziegen kommen hierzulande nur etwa 1 % der Verkaufserlöse aus tierischer Produktion.
Im Vergleich zu anderen Bundesländern zählt Baden-Württemberg mit Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein zu den Schwerpunktgebieten der Schaf- und Ziegenhaltung. Die Verkaufserlöse in den genannten Ländern lagen 2009 jeweils bei rund 20 Mill. Euro. Schafe und Ziegen sind robust und genügsam und damit anpassungsfähig – sowohl in Bezug auf klimatische Bedingungen als auch das Nahrungsangebot. So werden Schafe in Schleswig-Holstein vorrangig auf Deichen gehalten, damit sie die Grasnarbe kurz halten und mit ihren Hufen den Boden festtreten. Sie sind damit ein wichtiger Faktor des Küsten- und Hochwasserschutzes.1 In den Binnenländern werden eher extensive Schafrassen in Wanderschäferei zur Landschaftspflege eingesetzt. Die Schafherden ziehen entsprechend der Vegetationszeit auf verschiedene Weidegebiete: im Sommer etwa auf die Streuobstwiesen, die Mager- und Trockenrasen der Schwäbischen Alb und des Schwarzwaldes. Im Herbst und Winter ziehen sich die Herden in klimatisch günstigere Gebiete im Rheintal, dem Bodenseeraum und im mittleren/oberen Neckartal einschließlich seiner Seitentäler zurück.2 Ohne die Schafe würden Wacholderheiden, Mager- und Trockenrasen sowie Hanglagen versteppen und verwalden. Insgesamt überwiegt in Baden-Württemberg wie im gesamten Bundesgebiet allerdings die standortgebundene Schafhaltung.
6,5 % aller landwirtschaftlichen Betriebe mit Schafen
Im Rahmen der Landwirtschaftszählung 20103 wurden 2 921 landwirtschaftliche Betriebe mit Schafen gezählt, die zusammen einen Bestand von knapp 250 000 Tieren halten. Dabei überwiegen in den landwirtschaftlichen Schafhaltungen bei einem Anteil von rund drei Vierteln kleinere Herden mit weniger als 50 Tieren. Dort finden sich jedoch nur 33 800 Tiere oder 13,6 % des gesamten Schafbestandes landwirtschaftlicher Betriebe in Baden-Württemberg. Umgekehrt entfallen auf die lediglich 139 Betriebe mit Herden größer als 500 Tiere – das sind 4,8 % der schafhaltenden Betriebe – mit 124 500 Tieren die Hälfte aller Schafe im Südwesten. Dabei handelt es sich ausschließlich um spezialisierte Schafhaltungen.
Stattdessen sind die kleineren Schafherden als Ergänzung zu anderen Tierhaltungszweigen insbesondere der Rinderhaltung zu sehen. Es ist zu vermuten, dass mit der Schafhaltung oftmals Restflächen von geringwertigem Grünland genutzt wird. Gemessen an den Großvieheinheiten (siehe i-Punkt) entfallen von den Viehbeständen in schafhaltenden Betrieben 30 % auf Schafe, 50 % auf Rinder, gut 10 % auf Schweine und der Rest auf Geflügel und Pferde. Bei den größeren Schafhaltungen handelt es sich um flächenstarke Betriebe. Dies gilt insbesondere bei einer Herdengröße zwischen 500 und 1 000 Tieren mit durchschnittlich 132 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche (ha LF) als auch in den noch größeren Beständen mit durchschnittlich 274 ha LF.
Neben dem Gesichtspunkt der Landschaftspflege, der beispielsweise über MEKA4 finanziell entgolten wird, ist die hiesige Schafhaltung fast ausschließlich auf die Produktion von Lammfleisch ausgelegt. Wolle, Fell oder Milch fallen allenfalls als Nebenprodukte an. Schlachtkörpergewichte von 17 bis 20 kg werden am meisten nachgefragt. Sie liefern optimale Teilstückgrößen. Schwerere Schlachtkörper sind dagegen problematisch in der Vermarktung.
Kennzeichen eines Lamms, das für die Vermarktung optimal geeignet ist, sind:
- Gesundheit und Vitalität
- hohe Ausschlachtung (mindestens 48 %)
- gute Ausfleischung bei optimaler Fettabdeckung
- gut ausgeprägte Teilstücke
- Alter höchstens 6 Monate
- Gewicht männlicher Lämmer höchstens 43 kg, weiblicher Lämmer 38 kg
Grundlage jeder Schafhaltung sind damit die Muttertiere; insgesamt rund 173 000 Tiere im Land. Darunter finden sich nur 2 300 Milch-, aber stattliche 170 000 andere Mutterschafe. 70 600 Schafe sind jünger als 1 Jahr. Die regionalen Produktionsschwerpunkte liegen auf der Schwäbischen Alb ausgehend von den Landkreisen Reutlingen und Zollernalb bis zum Ostalbkreis und Heidenheim. Hinzu kommen Ertragsgrenzlagen in den Landkreisen Esslingen, Göppingen und Schwäbisch Hall.
Ein Exot auf dem Bauernhof: die Ziege
Erstmals seit vielen Jahren war die Erfassung von Ziegen bei der Landwirtschaftszählung 2010 wieder Teil des agrarstatistischen Erhebungsprogramms. Ganze 25 200 Tiere wurden zum Stichtag 1. März 2010 in landwirtschaftlichen Betrieben gezählt; durchschnittlich also rund 10 Tiere je Halter. Es steht zu vermuten, dass zudem einige Tausend Tiere in Baden-Württemberg außerhalb landwirtschaftlicher Betriebe als Hobby gehalten werden.
Wie Schafe sind auch die Ziegen sehr gute Landschaftspfleger. Sie wirken einer fortschreitenden Verbuschung entgegen, erhalten so Artenvielfalt und Landschaftsbild. Besonders die bewegliche Oberlippe ermöglicht den Verbiss von Dornenhecken. Durch Schälen der Rinde werden auch große Büsche zurückgedrängt.5 Angesichts ihrer Kletterfähigkeit können auch unzugängliche, steile Bereiche gepflegt werden. Eine effiziente Landschaftspflegeleistung durch die Ziege setzt aber voraus, dass der Verbraucher auch deren Produkte wie Milch, Käse und Fleisch nachfragt. Ziegenmilch ist ein hochwertiges Nahrungsmittel, durch fein verteilte Fettkügelchen sehr bekömmlich und zudem durch ziegenspezifische Eiweiße eine Alternative für viele Kuhmilchallergiker. Das Fleisch junger Ziegenlämmer ist fettarm, das Fleisch älterer Tiere ist ideal für die Herstellung von Salami oder Schinken.
Selbstversorgungsgrad von 33 % weist auf Marktchancen hin
Im vergangen Jahr wurden in Baden-Württemberg insgesamt 177 000 Schafe, darunter 157 700 Lämmer, und 6 550 Ziegen geschlachtet. Der Vergleich mit den Bestandszahlen legt nahe, dass die Tiere fast ausschließlich von heimischen Betrieben stammen. Im Wesentlichen wird die Fleischproduktion im Land von den gewerblichen Schlachtungen bestimmt. Die gewerbliche Fleischproduktion erbrachte 2010 bei Lämmern eine Schlachtmenge von 2 700 Tonnen (t), bei übrigen Schafen von 400 t sowie bei Ziegen von 100 t. Im Vergleich hierzu sind die Hausschlachtungen nur von untergeordneter Bedeutung. Bei Lämmern (155 t), übrigen Schafen (95 t) und Ziegen (18 t) ist ihr Anteil in Relation zur Situation im Rinder- und Schweinebereich jedoch ungleich größer. Hintergrund dürften die Sitten und Gebräuche ausländischer Bevölkerungsgruppen sein.
Bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 10,76 Mill. stehen damit jedem Baden-Württemberger durchschnittlich 320 Gramm an Schaf- und Ziegenfleisch zur Verfügung. Bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von schätzungsweise 1 Kilogramm liegt der Selbstversorgungsgrad damit bei rund einem Drittel. Marktchancen für Neueinsteiger sind damit zumindest theoretisch vorhanden.