Historische Volkszählungen
Census Populi im Imperium Romanum
Im Jahr 2011 wird es in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einen Zensus, eine Volks-, Gebäude- und Wohnungszählung geben. In Deutschland und somit auch in Baden-Württemberg ist der Stichtag der 9. Mai 2011. Mit diesem Zensus werden verlässliche Angaben über die Bevölkerungs- und Wohnsituation in unserem Land erhoben, die unverzichtbar sind für viele Planungen und Entscheidungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. So werden amtliche Einwohnerzahlen in vielen Gesetzen genutzt und bilden die Grundlage für zahlreiche Entscheidungen. Nach ihnen werden Wahlkreise eingeteilt, Bürgermeister und Landräte besoldet sowie im Länderfinanzausgleich und im kommunalen Finanzausgleich die Zahlungen vorgenommen. Bevölkerungsdaten bilden die Grundlage für den zukünftigen Bedarf an Kindergartenplätzen, Schulen, Krankenhäusern und Seniorenheimen. Informationen zum Angebot und der Nachfrage an Wohnraum dienen als Planungsgrundlage für den Wohnungsbau.
Gerade im Zusammenhang mit dem aktuell anstehenden Zensus, der einen hohen gesellschaftlichen Nutzen hat, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit, denn Volkszählungen können auf eine sehr lange Tradition zurückblicken sind aber in der Vergangenheit oft aus anderen Absichten durchgeführt worden. Historische Tonscherben geben Auskunft darüber, dass bereits 3800 v. Chr. eine Volkszählung im antiken Babylon stattfand. Statistische Ermittlungen von Bevölkerungszahlen fanden auch um 3050 v. Chr. in Ägypten statt. Weiterhin sind aus der Antike große Zählungen in Griechenland, in China und in Persien bekannt und mit Quellen belegt. Die wohl umfangreichsten Zählungen wurden in der Antike im Römischen Reich durchgeführt.
Der census im Römischen Reich
Im Römischen Reich – dem späteren Imperium Romanum – gab es seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. alle 5 Jahre Volkszählungen und Erhebungen über die Einkünfte der römischen Bürger. Für den Zensus und die Steuerschätzungen waren die censoren – altrömische Beamte – verantwortlich. Die Position der censoren war sehr einflussreich. Sie genossen hohes öffentliches Ansehen. Letztendlich legten sie die Höhe der Steuer fest, die jeder Bürger zu zahlen hatte, und waren dem Senat verantwortlich.
Einen historisch kritischen Überblick über die Volkszählungen im Römischen Reich gibt Frank Unruh in seinem kleinen Werk »… Dass alle Welt geschätzt würde«, das 2001 als Band 54 der Schriftenreihe des Limesmuseums Aalen im Theiss Verlag erschienen ist. In einem allgemeinen Kapitel zum römischen census beginnt Unruh mit der Analyse des Wortes censere, das mit den Bedeutungen begutachten, schätzen, taxieren und im speziellen Sinn »als sein Vermögen angeben« in der lateinischen Sprache versehen war. Der census war in Rom nach Unruh ein ursprünglich aufwändiger Prozess der Aufstellung von Bürgerlisten zur Vermögensschätzung, die zugleich der Musterung für das Heer diente, da dieses nach fünf Vermögensklassen gegliedert war und jeder anfangs für seine Ausrüstung selbst aufkommen musste. Der römische Historiker Titus Livius erwähnt den ersten census populi für das Jahr 435 v. Chr. Seit 366 v. Chr. waren mit der Durchführung des census jeweils zwei Magistrate, die censores, betraut. Sie mussten das Verfahren alle 5 Jahre durchführen. Jeder freie mündige Bürger hatte unter Eid über seine Familien- und Vermögensverhältnisse (professio censualis) Auskunft zu geben. Die angelegten Listen und Dokumente des census mussten wie bei bürokratischen Systemen üblich archiviert werden. Ab 78 v. Chr. wurden die Censuslisten im neu errichteten Staatsarchiv am Kapitol, dem tabalarium, gelagert. Seit Beginn der römischen Kaiserzeit wurde der census über die Grenzen Italiens ausgedehnt. Von nun an wurden auch in den römischen Provinzen statistische Daten erhoben und ausgewertet.
Der census in den römischen Provinzen…
Die Römer verbanden mit der Schaffung von Provinzen und der dort durchgeführten Erhebungen, dem sogenannten census provincialis, das Interesse, den Einzug von direkten Steuern aus dem materiellen Vermögen der Provinzbewohner zu betreiben. Inhaber des römischen Bürgerrechts, die in den Provinzen in Bürgerkolonien lebten, waren nicht davon betroffen. Sie wurden weiterhin vom census populi erfasst. Die Provinzialzählungen wurden zu unterschiedlichen Zeiten in den jeweiligen Provinzen vorgenommen. Der früheste, durch antike Zeugnisse belegte Provinzialzensus ist der, den Kaiser Augustus im Jahr 27. v. Chr. in Gallien vornehmen ließ. Der wohl berühmteste Provinzialzensus ist der in der Bibel im Evangelium des Lukas erwähnte census in Judäa. Wann dieser genau stattfand, lässt sich auf Grund der doch sehr unterschiedlichen und zum Teil sich widersprechenden Quellen nicht genau ermitteln. Es steht auf jeden Fall fest, dass er nicht im Jahre 0 durchgeführt wurde. Die vordringliche Absicht des Evangelisten Lukas war es wohl, die Geburt Christi mit einem bedeutsamen Ereignis in der Geschichte Judäas zu verknüpfen, um so diesem bedeutsamen religiösen Ereignis auch einen hohen weltlichen Stellenwert zuzuordnen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der von Lukas erwähnte census zwischen den Jahren 12 und 6 v. Chr. als Quirinius Statthalter in Syrien war durchgeführt wurde.
Im Zusammenhang mit den in den Provinzen durchgeführten Zählungen kam es bei der dort ansässigen Bevölkerung immer wieder zu Empörungen und Aufständen. So kam es im Jahre 6 n. Chr. in Judäa zu einem Aufstand, weil es nach Auffassung der dort lebenden jüdischen Bevölkerung ein Frevel war, wenn sie auf Grund des census provincialis Steuern an den Römischen Staat entrichten mussten und somit eine Hoheit neben Gott, dem Herrn des Volkes Israel, anerkannten. Auch in Gallien gab es bei dem zweiten dort durchgeführten census aus religiös motivierten Gründen Aufstände gegen die Herrschaft Roms.
…und in Germanien
Die Organisation der römischen Herrschaft in Germanien nach der Zeitenwende war nicht so weit fortgeschritten wie in Gallien oder anderen römischen Provinzen. Germanien war keine offizielle Provinz des römischen Reiches. Rom hatte sich durch militärische Unterwerfung lediglich Herrschaftsansprüche in Teilen des Landes gesichert. Ob in diesem Herrschaftsgebiet ein census durchgeführt wurde, ist nicht bekannt. Vielleicht wurde er für die folgenden Jahre ins Auge gefasst, um den Machtanspruch Roms in Germanien zu stabilisieren. So weit kam es aber nicht mehr, denn die Schlacht zwischen Römern und Germanen im Teutoburger Wald, die so vernichtend für die beteiligten römischen Legionen endete, destabilisierte den römischen Herrschaftsanspruch in Germanien nachhaltig.1