Bier
Noch vor 60 Jahren gab es in Baden-Württemberg mehr als 400 Brauereien. Viele von ihnen sind in der Zwischenzeit vom Markt verschwunden und mit ihnen ihre spezifischen Geschmacksvarianten. Die heute noch auf dem Markt angebotenen vielen Biersorten werden alle mit den vier Grundzutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe gebraut und erfreuen sich auch im Weinland Baden-Württemberg nach wie vor großer Beliebtheit. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es nahezu für jeden Geschmack ein entsprechendes Bier gibt.
Die Geschichte des Bieres
Die Geschichte des Bieres reicht in der Menschheitsgeschichte weit zurück, es ist eines der ältesten alkoholischen Getränke. Vermutlich seit der Zeit vor etwa 10 000 Jahren, als im Gebiet des nahen und mittleren Ostens Menschen begonnen haben, Getreide zu sammeln und zu Nahrungsmitteln zu verarbeiten, dürfte auch Bier hergestellt worden sein. Aus dem mesopotamischen Raum gibt es die frühesten Nachweise für Bier. So wurde in Godin Tepe im Iran der älteste nachgewiesene Überrest von Bier entdeckt, er ist auf die Zeit von 3500 – 2900 v. Chr. zu datieren. Bierähnliche Getränke werden auch in Mitteleuropa bereits für das 3. Jahrtausend v. Chr. nachgewiesen.
Ab dem frühen Mittelalter führten Klosterbrauereien einen geregelten Braubetrieb. Sie entwickelten sich im Laufe der Zeit zu Drehscheiben der Bierproduktion und des Bierhandels. Hierbei nahmen die Abteien St. Gallen und Weihenstephan eine Vorreiterrolle ein. Seit etwa dem Jahr 1500 war Bier für den städtischen Fiskus und die entstehenden Landessteuerbehörden auf Grund des verbreiteten hohen Konsums von großem Interesse. Der Verkauf und das Brauen des Bieres wurden an bestimmte Privilegien gebunden. Mit der Reglementierung wollten die Obrigkeiten vor allem dafür sorgen, dass in ihrem Herrschaftsgebiet kein fremdes Bier getrunken wurde, für das man keine Steuern bezahlen musste. Biergeld war in vielen Teilen des Deutschen Reiches im 16. Jahrhundert eine der wichtigsten Steuerquellen. Im Jahre 1516 wurde von Herzog Wilhelm IV. von Bayern das Reinheitsgebot zur Herstellung von Bier in Ingolstadt erlassen, das noch heute maßgeblich und nachhaltig die gesetzlichen Bestimmungen zur Bierherstellung in Deutschland bestimmt. Aus dem frühen Handwerk des Bierbrauens entwickelte sich im 19. Jahrhundert in Deutschland die Biergetränkeindustrie, die ihren Siegeszug den Erfindungen der Kältemaschine durch Carl von Linde und des Bierfilters durch Lorenz Albert Enziger zu verdanken hat. Sie machten es gemeinsam mit der Entwicklung moderner Abfülltechniken erst möglich, größere Biermengen länger zu konservieren und auch über weitere Strecken zu transportieren (Abbildung 1).
Es gibt wohl kaum ein zweites Land auf der Welt, in dem es eine größere Sortenvielfalt an Bier gibt als Deutschland. Bier wurde bis in das 16. Jahrhundert auch mit den Samen des Bilsenkrautes (hyoscyamus niger) versetzt, um seine Wirkung zu verstärken, was oftmals fatale Folgen hatte. Durch das bayerische Reinheitsgebot von 1516 durfte Bilsenkraut nicht mehr zur Bierbrauerei verwendet werden. So ist der Name der Biersorte Pils wohl auf eine Ableitung des Bilsenkrautes zurückzuführen. In verschiedenen historischen Quellen wird auch der Name der berühmten Bierstadt Pilsen in Zusammenhang mit dem Anbau dieser Pflanze gebracht.
Hopfen und Malz
Von den vier Zutaten, die zur Bierherstellung verwendet werden, sind die beiden wichtigsten Hopfen und Malz. Malz gibt dem Bier den Gehalt und die Fülle des Geschmacks. Malz ist nichts anderes als umgewandeltes Getreide. Vornehmlich nimmt man hierzu Sommergerste, bei manchen Bieren auch Weizen. Sowohl Sommergerste, aus der das Malz gewonnen wird, als auch Hopfen werden in Baden-Württemberg angebaut. In den letzten Jahren ist gerade bei Sommergerste ein deutlicher Flächenrückgang zu verzeichnen. 1952 wurde noch auf 125 600 Hektar (ha) Ackerfläche Sommergerste angebaut. Im Erntejahr 2009 betrug der Flächenanteil für den Anbau von Sommergerste im Land nur noch 72 200 ha. Nach einer alten Faustregel wird ungefähr die Hälfte der angebauten Sommergerste zur Bierherstellung verwendet.
Trotz dieses starken Flächenrückgangs ist für den gleichen Zeitraum eine bedeutende Ertragssteigerung zu verzeichnen. Der Ertrag an Sommergerste belief sich 1952 auf 22,1 Dezitonnen (dt) je ha und konnte bis zum Jahr 2009 auf 55,3 dt je ha gesteigert werden. In absoluten Zahlen konnte 1952 ein Ernteertrag von 2 654 800 dt und 3 993 900 dt Sommergerste 2009 verzeichnet werden. Diese enorme Ertragssteigerung ist wohl im Wesentlichen auf verbesserte Anbaumethoden zurückzuführen. Im Bundesvergleich lag Baden-Württemberg 2009 hinter Bayern an zweiter Stelle, was die Anbaufläche für Sommergerste anbelangt. Auch beim Durchschnittsertrag lag das Land im gleichen Erntejahr mit mehr als 3 dt über dem Bundesdurchschnitt von 51,7 dt je ha und rangierte mit dieser Ertragsmenge auf Platz zwei knapp hinter Schleswig-Holstein.
Der Hopfen, die zweite wichtige Komponente bei der Bierherstellung, gibt dem Bier das Aroma, die Eleganz und den frisch-herben Geschmack. Er sorgt außerdem für die Haltbarkeit des Getränks. Hopfen ist eine Schlingpflanze, von der für die Bierherstellung nur die Fruchtzapfen – Dolden genannt – verwendet werden. Seine Bedeutung erreichte der Hopfen dadurch, dass seine Bitterstoffe beim Brauen von Bier aufgrund ihrer bakteriziden Wirkung wesentlich zur Haltbarkeit des Gebräus beitrugen. Die ältesten schriftlich belegten Quellen zum Hopfenanbau datieren aus dem Jahr 736 n. Chr. und erwähnen den Ort Geisenfeld in der Hallertau. Beim Hopfenanbau verfügt Baden-Württemberg in der Gegend um Tettnang über ein sehr berühmtes Anbaugebiet, auf dem ein qualitativ sehr hochwertiger Hopfen angebaut wird (Abbildung 2).
Auf einer Anbaufläche von 1 200 ha wurde hier 2009 eine Menge von 16 332 dt Hopfen geerntet. Im bundesweiten Vergleich ist das Tettnanger Hopfenanbaugebiet nach der bayrischen Hallertau und dem Gebiet um Elbe und Saale das drittgrößte in Deutschland. Auf mehr als 18 000 ha Fläche wurde 2009 in Deutschland Hopfen angebaut. Weltweit sind dies gut 35 % der Gesamtanbaufläche für Hopfen. Damit ist Deutschland der größte Hopfenerzeuger der Welt. Weitere große Hopfenanbauländer sind die USA, Tschechien, China, Polen, Slowenien und die Ukraine. Rund 95 % des in Deutschland angebauten Hopfens werden vom Deutschen Hopfenwirtschaftsverband vermarktet und verarbeitet. Da Hopfen auch pharmakologische Eigenschaften besitzt, geht ein kleiner Teil des in Deutschland angebauten Hopfens an die pharmazeutische Industrie und wird dort zu Arzneimitteln weiter verarbeitet.
Herstellung und Verbrauch
Im Jahr 2009 bescherten 189 Brauereien, die mehr als 1 000 verschiedene Biere herstellten, Baden-Württemberg eine große Sortenvielfalt (Tabelle 1). Diese war früher allerdings noch wesentlich ausgeprägter. Seit 1950 herrscht ein regelrechtes Brauereisterben, konnte doch für dieses Jahr noch eine Zahl von 423 Brauereien in der amtlichen Statistik nachgewiesen werden (Tabelle 2). Der leichte Anstieg von 1995 bis 2009 um 15 neue Braustätten ist lediglich begründet durch die Neugründungen von kleinen Gasthofbrauereien. Die Gründe für das Aus zahlreicher mittelständischer und großer Brauereien sind vielfältig, wobei die Innovationen der Industrialisierung und im Verkehrswesen wesentliche auslösende Faktoren für das Brauereisterben waren.
Großbrauereien mit modernen Anlagen zur industriellen Herstellung von Bier konnten sich gegenüber traditionellen stärker handwerklich orientierten Brauereien dauerhafte Kostenvorteile verschaffen. Die Ausweitung von Marktgebieten durch eine neu geschaffene Infrastruktur und moderne Verkehrsmittel führten zu einem Wettbewerbsvorteil einiger großer Brauereien, wodurch viele andere Brauereien ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren und aus dem Markt ausschieden beziehungsweise von Mitbewerbern übernommen wurden. Neuzeitliches Marketing zur Ausweitung des Verbreitungsgebietes ist ein weiterer Grund für das Wachstum einiger Großbrauereien. So wurden sogenannte »Fernsehbiere« zum Synonym einer sich weiter entwickelnden Konsumentenwelt. Die enorm hohen Marketinginvestitionen konnten sich viele Brauereien aus Kostengründen nicht leisten.
Was für Baden-Württemberg gilt, gilt bei den Brauereien in gleicher Weise auch für Deutschland. Im Deutschen Reich gab es im Jahr 1936 die beachtliche Zahl von 44 202 Brauereibetrieben, die fast 40 Mill. Hektoliter (hl) Bier herstellten (Tabelle 3). Blickt man auf die deutsche Brauereilandschaft des Jahres 2009, so sind es lediglich noch 1 327 betriebene Braustätten, die auf Grund der geänderten Rahmenbedingungen durch die industriellen Brauverfahren gut 102 Mill. hl Bier im Jahr 2007 brauten. Auch beim Bierausstoß befindet sich Baden-Württemberg in der bundesweiten Spitzengruppe. 2007 wurden hier 7 386 000 hl Bier gebraut; damit rangieren die baden-württembergischen Brauer hinter denen aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen auf Platz fünf aller Bundesländer.
Laut Ergebnissen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 wurden in den Haushalten Baden-Württembergs monatlich durchschnittlich 8,3 Liter (l) Bier getrunken, das entsprach einem Bierkonsum von 3,7 l pro Kopf und Monat. Bei differenzierter Betrachtung verschiedener Haushaltstypen zeigte sich, dass ein 2-Personen-Haushalt mit einem Bierkonsum von gut einem Kasten Bier monatlich, das waren rund 5,2 l pro Kopf, den relativ größten Bierdurst im deutschen Südwesten hatte.
Deutschlandweit wurden 86,1 Mill. hl Bier im Jahre 2009 konsumiert. In diese Menge sind auch Biermischungen, nicht aber alkoholfreie Biere und Malzgetränke eingeschlossen. Hieraus ergibt sich rein rechnerisch ein durchschnittlicher jährlicher Verbrauch von 121,4 l Bier je potenziellem Biertrinker (Personen im Alter von 15 Jahren und älter). Diese Menge entspricht exakt einer kleinen Flasche Bier von 0,33 l pro Tag.
Bei der Ausfuhr von Bier ist Baden-Württemberg Nettoexporteur. 2009 betrugen die Ausfuhren 74,6 Mill. Euro, die Einfuhren erreichten einen Wert von 23 Mill. Euro. Größte Abnehmer baden-württembergischer Biere sind Irland und Italien mit jeweils 18,9 Mill. Euro. Auf Platz drei liegt Frankreich mit 17,9 Mill. Euro. Den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Bier gibt es nach Angaben des Verbandes europäischer Brauereien bezogen auf das Jahr 2008 in Tschechien gefolgt von Deutschland, Österreich, Irland, Großbritannien und Belgien.
Bierkuriositäten
Über die Herkunft des deutschen Wortes Bier gibt es keine gesicherten sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse, es ist vermutlich eine Ableitung des lateinischen Wortes biber für Getränk. Bier enthält etwa 8 000 verschiedene Inhaltsstoffe und rangiert damit weit vor dem ebenfalls als Getränk sehr beliebten Wein, der ca. 1 200 verschiedene Inhaltsstoffe enthält. Auch in der Geschichte des Transportwesens nimmt Bier einen herausragenden Platz ein. So wurden zwei Fässer Bier 1836 als erste Fracht weltweit mit der Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth transportiert.