Trotz Mangel an Arbeitskräften wird das Potenzial von Frauen im Ingenieurbereich nicht ausgeschöpft
Baden-Württemberg ist das Land der Auto- und Maschinenbauer. Doch genau in diesem Bereich werden die Fachkräfte schon heute knapp: Im Jahr 2007 fehlten hierzulande im Durchschnitt 13 260 Ingenieure1. Deutschlandweit fehlten mehr als 69 000 Ingenieure. Dieser Mangel könnte sich angesichts der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten ausweiten. Langfristig kann eine gezielte Zuwanderungs- und Bildungspolitik dieser Entwicklung entgegenwirken. Kurzfristig muss jedoch versucht werden, das vorhandene Potenzial an Fachkräften besser auszuschöpfen, was auch eine stärkere Integration von arbeitsmarktfernen Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel verheiratete Frauen und Mütter, bedeutet.
Am Gastwissenschaftlerarbeitsplatz des FDZ-Standorts Stuttgart (siehe i-Punkt) entstand in den vergangenen Monaten bei Professor Dr. Gerhard Wagenhals an der Universität Hohenheim die Diplomarbeit »Frauen als Stille Reserve im Ingenieurbereich – eine ökonometrische Analyse«, um das Potenzial an Arbeitskräften im Ingenieurbereich abzuschätzen.
Die Bevölkerung in Deutschland wird stetig älter, das Erwerbspersonenpotenzial wird in den kommenden Jahrzehnten zurückgehen. Vor diesem Hintergrund ist die Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit eine mögliche Maßnahme, um diese Entwicklung aufzufangen. Aufgabe der empirischen Forschung ist es nun, Politik und Wirtschaft dabei mit gesicherten Ergebnissen zu unterstützen. Zu diesem Zweck untersucht die vorliegende Arbeit, ob eine ausreichende Zahl an Ingenieurinnen existiert, um den Ingenieurmangel aufzufangen oder zumindest abzumildern.
Für eine bessere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt ist es von Bedeutung, welche Faktoren deren Erwerbstätigkeit bestimmen. Für die Politik sind diese Größen letztlich die entscheidenden Stellschrauben, um Frauen und insbesondere Ingenieurinnen wieder für eine Erwerbstätigkeit zu gewinnen. Und auch einzelne Unternehmen können sich im Wettbewerb um das beste Personal bei diesen Faktoren, wie zum Beispiel der Einrichtung eines Betriebskindergartens, profilieren.
Das Modell der Neuen Haushaltsökonomik
Zur Beschreibung der Erwerbstätigkeit von Frauen braucht es ein Modell, das Individuen vor dem Hintergrund ihrer sozialen Beziehungen bzw. ihres Haushaltszusammenhangs darstellt. Zu diesem Zweck beschreibt die Neue Haushaltsökonomik die Entscheidung über eine Erwerbstätigkeit als eine Frage der Zeitallokation. Neben den Optionen Erwerbstätigkeit und Freizeit müssen dabei außerdem die Arbeiten im Haushalt berücksichtigt werden. Ziel jedes Individuums ist die Maximierung des Gesamtnutzens seines Haushaltes2. Eine Spezialisierung der Haushaltsmitglieder auf verschiedene Bereiche ist aus ökonomischen Gründen effizient, da mit der Spezialisierung auch die Produktivität wächst. Die Ehepartner werden folglich die ihnen zur Verfügung stehende Zeit entsprechend ihrer Fähigkeiten zwischen Haushalt, Arbeitsstelle und Freizeit aufteilen. Die folgenden Berechnungen sollen nun zeigen, ob dieses allgemeine Modell auch auf den Ingenieurbereich übertragbar ist.
Daten des Mikrozensus 2006
Die vorliegende Untersuchung basiert auf dem Mikrozensus 2006. Zu diesem Zwecke wird der Datensatz gefiltert: Betrachtet werden lediglich Personen mit einem akademischen Abschluss in Ingenieurwissenschaften. Durch eine Altersobergrenze von 56 Jahren sind außerdem Ruheständler aus den Berechnungen weitestgehend ausgeschlossen.
Neben den Daten zu Ausbildung und Umfang der Erwerbstätigkeit sind im Mikrozensus außerdem Informationen über den soziografischen Hintergrund einer Person wie das Alter sowie ihren Haushaltszusammenhang, zum Beispiel Partner im Haushalt, Anzahl der ledigen Kinder unter 18 Jahren im Haushalt enthalten.
Eine deskriptive Auswertung des Mikrozensus 2006 zeigt, dass Frauen im Ingenieurbereich unterrepräsentiert sind. Nur 15 % der erfassten Ingenieure sind weiblich. Zudem arbeiten 35,5 % der Ingenieurinnen nicht oder nur in Teilzeit. Bei den männlichen Kollegen sind es nur knapp 7 %. Es bleibt also die Frage, was zu den unterschiedlichen Erwerbsmustern von Männern und Frauen mit gleicher Ausbildung führt. Im Folgenden werden die erfassten Ingenieure deshalb in drei Gruppen unterteilt: Männer sowie Frauen mit und ohne Partner im Haushalt.
Ökonometrischer Ansatz
Die abhängige Variable »Umfang der Erwerbstätigkeit« wird unterschieden in erstens »Nicht-Erwerb«, zweitens »Teilzeit« und drittens »Vollzeit«. Um den Einfluss der Haushalts- und soziografischen Variablen auf den ordinal skalierten Grad der Erwerbstätigkeit abzuschätzen, werden verschiedene »Ordered Response-Modelle« geschätzt. Neben »Ordered Probit-Modellen« finden auch seminonparametrische Schätzungen Verwendung. Die Ergebnisse der »Ordered Probit-Modelle« erweisen sich jedoch als am stabilsten und werden im Folgenden näher dargestellt (Tabelle 1). Eine kurze Darstellung der ökonometrischen Modelle findet sich außerdem im i-Punkt.
Die Koeffizienten der soziodemografischen Determinanten sind für Ingenieure und Ingenieurinnen hoch signifikant, das heißt es handelt sich nicht um Zufallsergebnisse. Für alle drei Personengruppen zeigt sich, dass die Erwerbstätigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt. Aus diesem Muster fallen lediglich Ingenieurinnen ohne Partner im Haushalt: Bis zum Alter von 30 Jahren schränken sie ihre Erwerbstätigkeit im Vergleich zur Altersgruppe 31 bis 45 Jahre ein. Unterschiede im Erwerbsverhalten bestehen auch zwischen Ost- und Westdeutschland: Während Ingenieurinnen im Westen in geringerem Umfang erwerbstätig sind als ihre Kolleginnen in Ostdeutschland, ist dieser Zusammenhang bei Ingenieuren umgekehrt. Männliche Ingenieure mit Wohnsitz in Westdeutschland arbeiten folglich häufiger Vollzeit.
Der Einfluss von Haushaltsvariablen auf die Frauenerwerbstätigkeit
Die Koeffizienten der Haushaltsvariablen zeigen das Muster, das im Sinne der Neuen Haushaltsökonomik vorhergesagt wird: Verglichen mit ledigen Frauen arbeiten verheiratete Ingenieurinnen weniger häufig, bei Männern hingegen sind verheiratete Ingenieure stärker erwerbstätig als ihre alleinstehenden Kollegen. Dieser umgekehrte Zusammenhang findet sich auch für die Anzahl der Kinder im Haushalt: Ingenieurinnen schränken ihre Erwerbstätigkeit ein, wenn mehr Kinder im Haushalt leben. Ihre männlichen Kollegen hingegen weiten ihre Erwerbstätigkeit mit steigender Kinderzahl aus. Auch das Alter des jüngsten Kindes hat Einfluss auf die Erwerbstätigkeit, da Kleinkinder viel Fürsorge und Pflege brauchen. Eine Betrachtung der durchschnittlichen marginalen Effekte zeigt, dass das Vorhandensein jüngster Kinder unter 6 Jahren die Erwerbstätigkeit für alle Ingenieure einschränkt, bei Frauen ohne Partner im Haushalt ist der Effekt jedoch um ein Vielfaches höher. Für Ingenieurshaushalte, deren jüngstes Kind zwischen 6 und 10 Jahren alt ist, verändert sich das Bild: Frauen ohne Partner und Männer erhöhen den Grad ihrer Erwerbstätigkeit wieder. Ingenieurinnen mit Partner im Haushalt behalten ihre eingeschränkte Erwerbstätigkeit bei.
Ein weiterer Einflussfaktor ist das Einkommen des Partners. Die Koeffizienten sind dabei sowohl für Ingenieurinnen als auch für Ingenieure hoch signifikant, also nicht zufallsbedingt. Doch auch hier unterscheidet sich die Richtung des Einflusses. Bei Ingenieurinnen zeigen die durchschnittlichen marginalen Effekte, dass Frauen, deren Partner Einkommen in den verschiedenen Einkommensklassen erwirtschaften, seltener Vollzeit arbeiten. Das Erwerbsverhalten von Männern wird hingegen je nach Höhe des Partner-Einkommens unterschiedlich beeinflusst. Ein Einkommen der Partnerin in den mittleren Einkommensklassen steigert die Häufigkeit einer Vollzeittätigkeit. In den Randgruppen mit geringem oder extrem hohem Einkommen der Partnerin wird die Vollzeittätigkeit seltener. Es wird damit die Annahme bestätigt, dass Frauen ihre Erwerbstätigkeit bei vollem Verdienst des Mannes bereitwilliger einschränken. Ihre männlichen Kollegen hingegen arbeiten auch Vollzeit, wenn ihre Partnerinnen voll verdienen.
Das Potenzial von Ingenieurinnen wird nicht ausgenutzt
Zur Abschätzung einer Stillen Reserve an Arbeitskräften werden nun auf Basis der Modelle individuelle Wahrscheinlichkeiten für den Grad der Erwerbstätigkeit prognostiziert, anschließend gemittelt und auf die Gesamtzahlen hochgerechnet. Die Ergebnisse dieser Hochrechnung erreichen quantitativ die Größenordnung der deskriptiven Hochrechnungen. Die Modelle zeigen nun aber Ursachen für das gezeigte Erwerbsverhalten und bestätigen die zugrunde liegenden Annahmen: Ingenieurinnen orientieren ihr Erwerbsverhalten stärker an der Familie als ihre männlichen Kollegen, und auch wenn Frauen im Ingenieurbereich eine Minderheit darstellen, bilden sie dennoch die größte homogene Gruppe an nicht oder nur teilweise genutzten Fachkräften.
Die Wiedereingliederung von Ehefrauen und Müttern mit ingenieurwissenschaftlichem Abschluss ist damit sowohl für Unternehmen als auch für die Politik ein Instrument zur kurzfristigen Bekämpfung des Fachkräftemangels. Dafür bedarf es jedoch eines verstärkten Einsatzes für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Mehr Angebote im Bereich der Kinderbetreuung vonseiten des Staates und flexiblere Gestaltungen der Arbeitszeiten im Unternehmen könnten Ingenieurinnen in ihren Beruf zurückkehren lassen. Da die Wirtschaft in Baden-Württemberg wesentlich auf gut ausgebildete Ingenieure und Fachkräfte angewiesen ist, stellt sich hier eine dringende Herausforderung für Wirtschaft und Politik.