Familienfreundliche Angebote für Beschäftigte – Was keiner kennt, bringt keinen Nutzen
Immer mehr Unternehmen messen Familienfreundlichkeit eine hohe Bedeutung zu. Oftmals sind unternehmensinterne Maßnahmen noch zu unbekannt. Das Kompetenzzentrum Beruf & Familie Baden-Württemberg (siehe i-Punkt) unterstützt Unternehmen und Institutionen darin, ihre Angebote bekannter zu machen. Unternehmen mit familienfreundlichen Angeboten gelingt es leichter, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Wichtig ist auch der Austausch zwischen Unternehmensvertretern, um den allgemeinen Kenntnisstand über familienfreundliche Maßnahmen zu erhöhen.
Familienfreundlichkeit wurde im Unternehmensmonitor 2006 von Geschäftsführern und Personalverantwortlichen deutscher Unternehmen deutlich häufiger als wichtig eingeschätzt als noch 2003 (Anstieg von 46,5 % auf 71,7 %). Zudem werden verstärkt auch Maßnahmen auf diesem Feld angeboten.1 Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass eine zukunftsfähige Personalpolitik der Unternehmen und Betriebe in Zeiten zurückgehender Erwerbspersonenzahlen und eines Fachkräftemangels die familiären Bedingungen der Beschäftigten mit einbeziehen muss, um im Wettbewerb um Fachkräfte zu bestehen. Die Arbeitgeber stehen neben der Bereitstellung von familienfreundlichen Maßnahmen gleichzeitig vor der Herausforderung, die Angebote auch bekannt zu machen. Um hier einen deutlichen Zugewinn zu erreichen, sind verschiedene Facetten von Bedeutung:
- die betriebsinterne Kommunikation über die Maßnahmen,
- die externe Kommunikation gegenüber potenziellen Bewerbern,
- die betriebsübergreifende Kommunikation, die zur Grundlage für Kooperationen werden kann und
- die externe Kommunikation gegenüber Kunden, auf die aber im Folgenden nicht näher eingegangen wird.
Praxisbeispiele familienbewusster Maßnahmen in Unternehmen und Institutionen zeigen, dass die Angebote nur dann von Nutzen sind, wenn die Beschäftigten sie kennen. So hat die Mercedes-Benz Bank, Stuttgart, festgestellt, dass immer wieder Werbung erforderlich ist, ansonsten gerät das Angebot vielleicht in Vergessenheit oder neue Einsteiger sind nicht informiert. Die Erfahrungen der Techniker Krankenkasse, Stuttgart, weisen darauf hin, dass sogar allein das Vorhandensein einer möglichen Notfallbetreuung von Kindern und Angehörigen eine Beruhigung für die Mitarbeiter sein kann, weil sie darauf vertrauen können, dass sie im Fall der Fälle Unterstützung finden.
Die Wahrnehmung familienfreundlicher Angebote ist bei Unternehmensvertretern und Arbeitnehmern sehr unterschiedlich. So beschreiben zum Beispiel laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 60 % der Arbeitgeber, dass sie neue Beschäftigte auf die Angebote hinweisen, aber nur 15 % der Arbeitnehmer geben an, dass sie bei ihrem Eintritt ins Unternehmen Informationen erhalten. 2 Auch in punkto Wahrnehmung konkreter Angebote gibt es deutliche Unterschiede. Bei vielen Angeboten beträgt der Prozentsatz derjenigen Arbeitnehmer, denen die Angebote bekannt sind, nur ein Drittel des Wertes für die Nennungen der Arbeitgeber. Nur für die Teilzeitangebote und die flexiblen Arbeitszeiten sind die Abstände geringer, betragen aber auch noch 50 % bzw. ein Drittel. Die Personalverantwortlichen unterschätzen möglicherweise auch die Bedeutung von Familienfreundlichkeit als Push- und Pullfaktoren für einen Arbeitgeberwechsel. So glauben nur 33 % der Personalverantwortlichen in kleinen Unternehmen und 40 % in allen anderen Unternehmen, dass für Mitarbeiter die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei der Wahl des Arbeitgebers eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie das Gehalt spielt. Dagegen stimmen 54 % der Beschäftigten mit Kindern dieser Aussage uneingeschränkt und weitere 38 % teilweise zu.3
Unternehmen verschiedenster Größenklassen zeigen, wie es ihnen gelingt, mit unterschiedlichen Medien ihre verschiedenen Beschäftigtengruppen zu erreichen. Die Lösung kann wie bei der reca norm, Kupferzell – einem Unternehmen des Direktvertriebs mit verschiedenen Standorten und steigenden Mitarbeiterzahlen – in einer Mitarbeiterzeitschrift liegen oder wie bei der SAP, Walldorf, auch auf die besonderen Bedürfnisse von Beschäftigten, die aus dem Ausland nach Deutschland zuwandern, zugeschnitten sein. Ein anderes Beispiel: Bei der AFRISO-EUREO-INDEX GmbH wird den Beschäftigten in der Produktion zu Informationszwecken der Zugriff auf die Intra- und Internetseiten durch einen freizugänglichen PC in der Produktionshalle ermöglicht.4
Gelingt es nicht, bei den Beschäftigten einen guten Kenntnisstand über die Angebote zu erreichen, kann es sogar dazu kommen, dass Angebote aufgrund ihrer geringen Nutzung zurückgefahren werden. Das hätte zur Folge, dass Kosten als Fehlinvestitionen verbucht werden müssten, ein Imageschaden durch den Angebotsrückbau entstünde und das Thema familiengerechte Weiterentwicklung in Zukunft als gescheitert gelten könnte.5
Um Fach- und Führungskräfte wird noch selten mit familienfreundlichen Leistungen geworben
In der genannten Studie wurde außerdem festgestellt, dass Unternehmen »bislang Familienfreundlichkeit noch wenig oder gar nicht als Argument im Personalmarketing« nutzen und zwar insbesondere dann nicht, wenn sie um erfahrene Fach- und Führungskräfte werben. Dementsprechend kritisch wird von der Studie die Ausrichtung des Personalmarketings auf Berufsanfänger gesehen, weil das Thema Familienfreundlichkeit beim Berufseinstieg aufgrund der Lebensphase von untergeordneter Bedeutung sei, ab dem nächsten Karriereschritt nach 2 bis 5 Jahren aber eine Bedeutungszunahme zu erwarten wäre.6
Eine mangelnde Positionierung als familienfreundlicher Betrieb nach außen, also gegenüber potenziellen Bewerbern oder Kunden, kann konträr zu den tatsächlichen Bedingungen stehen. Oft deshalb, weil sie selbstverständlich erscheinen und nicht hinterfragt werden, weil der Betrieb geprägt ist durch ein gutes Betriebsklima, hohe Kontaktdichte und die Berücksichtigung individueller Bedingungen. Umso wichtiger ist es, gute Beispiele wie die der Unternehmen TERRAPLAN und MORE services bekannt zu machen (zum Beispiel im Portal www.familienfreundlicher-betrieb.de) (i-Punkt). Beide Betriebe zeigen in kleinsten Teams mit weniger als 10 Beschäftigten das Zusammenspiel von einem guten Betriebsklima, intensivem Austausch, individuellen Lösungen und einem Zugewinn an Flexibilität, die für die jeweilige Arbeit existenziell ist.
In diesem Punkt schöpfen Unternehmen und Institutionen, die ihre Angebote nicht kommunizieren ihr Potenzial nicht aus. Möglicherweise geschieht dies, weil sie wie 45 % der Arbeitgeber kleiner und mittlerer Unternehmen befürchten, mit einer Familienorientierung »geringer motivierte und eher am Privatleben orientierte« Mitarbeiter anzuziehen. 7 In einer Paneluntersuchung (2005/06 und 2006/07) von 61 Unternehmen, die sich vom audit berufundfamilie zertifizieren ließen, konnten gut 43 % im Zeitverlauf feststellen, dass es ihnen damit leichter gelingt, Personal zu rekrutieren.8 Beispiele für gezielte Personalgewinnung: FAHRION Engineering wirbt speziell um Techniker und Ingenieure im Alter bis zu 65 Jahren und die Südwürttembergischen Zentren für Psychiatrie stellen bei Stellenausschreibungen für Assistenz- und Fachärzte unter anderem die familienbewusste Personalpolitik in den Kliniken heraus. Die Situation des einzelnen Mitarbeiters im Bewerbungsgespräch zu besprechen und die Rahmenbedingungen abzusprechen, ist nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nur zulässig, wenn der Bewerber selber dieses Thema anspricht. Laut der Studie der Gesellschaft für Konsumforschung haben aber Bewerber nicht selten große Bedenken, dieses Thema anzusprechen. Der Aussage »Wenn ich mich in einer Bewerbungssituation nach familienfreundlichen Angeboten erkundige, verringert dies meine Chancen, eine Stelle zu bekommen« stimmten Befragte mit Kindern unter 18 Jahren zu 26 % voll und zu 48 % zum Teil zu.
Letztendlich unterstreicht dies die Wichtigkeit, dass Arbeitgeber familienfreundliche Bedingungen zu einem Bestandteil ihrer Unternehmenskultur machen, ihre Mitarbeiter, insbesondere die Führungskräfte, dafür sensibilisieren und die Angebote bedarfsgerecht entwickeln. Sie können zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht immer erwarten, dass die Beschäftigten vorausschauend im Bewerbungsgespräch ihre Bedürfnisse mit Blick auf ihre Familiensituation artikulieren. Aber sie können ein solches Herangehen unterstützen, indem sie in Stellenausschreibungen auf ihre grundsätzliche Einstellung zur Familienfreundlichkeit verweisen.
Kooperationen unterstützen die Weiterentwicklung der Familienfreundlichkeit
Netzwerke für Unternehmensvertreter stärken die Kommunikationsbeziehungen zwischen Betrieben und Institutionen – und zwar auch über Betriebs- und Branchenzugehörigkeit hinweg. Diese werden in Baden-Württemberg unter anderem von der FamilienForschung mit ihren Beratungs- und Moderationsleistungen unterstützt. Die FamilienForschung führt im Rahmen des Kompetenzzentrums Beruf & Familie hierzu »Werkstätten« durch. Die bisher durchgeführten Veranstaltungen haben gezeigt, dass der lokale Erfahrungsaustausch einen wichtigen Zugewinn bedeutet, weil sich der Kenntnisstand über die örtlichen Angebote und Bedarfe erweitert und dieses Wissen zur Grundlage für gemeinsame Projekte werden kann. Die Unternehmen können in Kooperation Themen bearbeiten, deren Umfang für das einzelne Unternehmen nicht tragbar wäre.
Kooperationen können insbesondere auch für Problemfelder von Interesse sein, für die bisher deutlich weniger Lösungsmodelle vorliegen. Neben den bereits »etablierten« Themen wie Arbeitszeitmodelle oder Kinderbetreuung gibt es Bereiche für die modellhaft erst Instrumente entwickelt werden müssen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn das Augenmerk nicht länger nur auf die Lebensphase mit Kindern gerichtet wird, sondern zunehmend die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflegeaufgaben ins Blickfeld gerät. Daneben sind Lösungsansätze für besondere betriebliche Rahmenbedingungen wie die Arbeit im Schichtdienst gefragt. Die Vereinbarkeit wurde in der Vergangenheit in engem Zusammenhang mit dem Fachkräftebedarf und der Erwerbsbeteiligung von hoch qualifizierten Frauen diskutiert. Das Blickfeld wird im Zuge der Verbreiterung des Fachkräftemangels aber auch auf andere Berufsfelder und ihre besonderen Bedingungen gerichtet. Arbeitsbereiche wie Krankenhäuser und Pflegeheime, der Einzelhandel aber auch die öffentliche Verwaltung, in denen Frauen stark repräsentiert sind, bieten sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen für eine gelingende Vereinbarkeit von Beruf und Familienaufgaben. Im Zuge der Ausweitung der Diskussion werden auch Männer gezielt zu Adressaten familiengerechter Lösungen.9