Unser täglich Brot– ein steter Quell der Lebensfreude
Die Auslagen der Bäckereien im Land sind an Vielfalt kaum zu überbieten: hier das herzhafte Bauernbrot, dort der leckere Obstkuchen und dazwischen die noch warme, frisch duftende Brezel. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Gaumenfreuden ist Weizenmehl, das zumeist aus heimischem Winterweizen gewonnen wird. Winterweizen stellt zwar höhere Ansprüche an den Standort als die anderen Getreidearten, verfügt aber unter den hiesigen Bedingungen über das bei weitem größte Ertragspotenzial.
Folgerichtig wird Winterweizen in Baden-Württemberg auf einer Fläche von rund 210 000 Hektar (ha) oder etwa einem Viertel des gesamten Ackerlandes angebaut. Auf den Plätzen zwei, drei und vier folgen Winter- und Sommergerste (100 000 ha bzw. 83 000 ha) sowie Hafer (31 000 ha).
2005/06: ein Jahr mit extremen Witterungsbedingungen
Die Wintersaaten konnten im Herbst 2005 zumeist problemlos ausgebracht werden. Bedingt durch die Trockenheit im Oktober und November hatten sich die Kulturen gebietsweise aber sehr ungleich entwickelt. Es folgte ein langer Winter und ein Frühjahr, das den Namen kaum verdiente. Die Vegetation kam nur sehr zögerlich wieder in Gang. Die im Mai über mehrere Wochen vorherrschende nasskalte Witterung war der weiteren Entwicklung der Kulturen ebenso wenig förderlich wie die trockene Kälteperiode im Juni. Und schließlich ließen die hochsommerlichen Temperaturen im Juli Erinnerungen an den Jahrhundertsommer 2003 wach werden.
Aber offensichtlich brachten die lokalen Wärmegewitter genügend Niederschläge mit, um Getreide und Winterraps bei Laune zu halten, zumal die Grundwasserspeicher als Folge des langen Winters gut gefüllt waren. Dennoch kam es verbreitet zum Phänomen der Notreife: die Körner bildeten sich schneller, blieben dadurch kleiner als üblich und reiften in kürzester Zeit ab. Die Landwirte mussten dann überaus früh mit der Ernte beginnen.
Druschtermin entscheidet über Qualität des Erntegutes
Nach der Hitze kam der große Regen. Pünktlich zum Monatswechsel Juli/August hatte Petrus den Mähdreschern eine Zwangspause verordnet. Wohl dem, der seine Felder da bereits gedroschen hatte. Denn die häufigen Schauer ließen ein Abtrocknen der bis dahin noch nicht geernteten Bestände nicht zu; dann konnten die aufgeweichten Böden mit schweren Maschinen kaum befahren werden. Da eine abermalige grundlegende Wetteränderung nicht eintrat, kam die Getreideernte im Land fortan nur noch sehr schleppend voran.
Und mit jedem Tag, den das Getreide auf dem Feld verblieb, verschärfte sich die Auswuchsproblematik zusehends: die Getreidekörner keimten noch auf dem Halm. Dabei wurde Stärke abgebaut mit der Konsequenz, dass der Winterweizen dann nicht mehr zur Vermahlung geeignet war und allenfalls noch über den Futtertrog verwertet werden konnte. Jede dritte Winterweizenprobe bei der Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE)1 wies zumindest Spuren von Auswuchs auf. Hinzu kam mancherorts so extremer Pilzbefall, der ein vormals wertvolles Nahrungsmittel vollends zum Abfall degradierte.
Unterm Strich bleibt eine zweigeteilte Ernte festzuhalten: vor dem Regen überwiegend gute bis hervorragende Weizenqualität, geerntet bei Feuchtigkeitsgehalten von teilweise deutlich unter 14 %, sodass eine Nachtrocknung in diesen Fällen nicht erforderlich war, und danach fortschreitender Qualitätsabfall. Wie die Untersuchungen auf ausgewählte Qualitätsmerkmale im Rahmen der Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung zeigten, wiesen die untersuchten Winterweizenproben dennoch durchweg hohe Gehalte an Rohprotein auf (siehe i-Punkt) bei allerdings nicht ganz so guter Qualität. Und trotzdem erbrachten die Backversuche hervorragende Ergebnisse. Dass sich das Mehl der diesjährigen Ernte so überraschend gut verarbeiten lässt, führt Dr. Klaus Munzing vom Institut für Getreide-, Kartoffel- und Stärketechnologie an der Bundesforschungsanstalt (BfEL) in Detmold auf eine veränderte Eiweißzusammensetzung zurück: »Gerät der Weizen unter Hitzestress, wird mehr Gliadin (sorgt für weichen Teig) als Glutamin (bewirkt Festigkeit) gebildet.«2 Die geänderte Eiweißzusammensetzung hatte im Jahr 2006 bessere Verarbeitungseigenschaften zur Folge als vermutet.
Mähdrescher ernten 16,2 Millionen Dezitonnen Winterweizen
Anders als von vielen nach der hochsommerlichen Trockenperiode erwartet, fiel die diesjährige Ernte von Winterweizen mit 16,2 Millionen Dezitonnen (Mill. dt) überaus respektabel aus. Sie liegt immerhin rund 10 % sowohl über dem Vorjahresergebnis als auch dem langjährigen Mittel 2000/2005. Es ist nach dem Rekord von 2004 (17,0 Mill. dt) die zweitgrößte Winterweizenernte in der baden-württembergischen Geschichte. Dies ist einerseits der im Vergleich zu den Vorjahren (2000/2005:214 000 ha) größeren Anbaufläche, andererseits dem mit 73,5 dt/ha dritthöchsten Flächenertrag (2004: 77,7 dt/ha; 1996: 73,8 dt/ha) zu verdanken
Sowohl bei der Erntemenge als auch beim Ertrag zeigen sich – von den üblichen witterungsbedingten Schwankungen abgesehen – deutliche Unterschiede zwischen den Jahren 1990 bis 1995 und später. Die Ertragszuwächse werden in Fachkreisen mit einer neuen Generation an Pflanzenschutzmitteln und damit neueren Erkenntnissen in der Bestandsführung in Verbindung gebracht. Sie sind aber auch Ausdruck züchterischer Bemühungen, die bei Winterweizen zu einem breiten Sortenangebot für alle Standorte und Produktionsziele führen.
Derzeit dominiert im heimischen Weizenanbau unangefochten der B(Brot)-Weizen »Dekan«. Seit 2001 im Sortenspektrum vertreten, wird er heute auf jedem dritten Winterweizenfeld im Land angebaut. Dekan ist ein kurzstrohiger, gut standfester Backweizen mit mittleren Qualitätsmerkmalen. Er bringt einen relativ hohen Körnerertrag bei gleichzeitig nur geringer Anfälligkeit für Pflanzenkrankheiten (Ausnahme: Braunrost3). Auf Platz 2 der Hitliste (14 %) folgt mit »Tommi« eine ertragstarke Qualitätsweizensorte mit etwas späterer Abreife. Tommi ist ebenfalls kurzstrohig und standfest und hat eine gute Blattgesundheit (Ausnahme: DTR4). Von den anderen Sorten – immerhin wurden fast 50 Winterweizensorten bei der Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung 2006 registriert – schaffte nur noch »Cubus« den Sprung über die 5 %-Marke
Die Änderungen innerhalb des Sortenspektrums hatten zwangsläufig Verschiebungen zwischen den einzelnen Qualitätsgruppen zur Folge. Der Zuordnung einer Weizensorte zu einer Qualitätsgruppe geht eine Beschreibung der für Mahl- und Backeignung wichtige Eigenschaften voraus.5 Weiterhin werden unter dem Begriff »EU-Weizen« alle Weizensorten zusammengefasst, die nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Land der Europäischen Union zugelassen worden sind. Mit der Klassifikation soll der Landwirtschaft eine marktgerechte Weizenproduktion und dem Erfassungshandel und der Verarbeitung eine auf den jeweiligen Verwendungszweck ausgerichtete Sortenwahl ermöglicht werden.
In der Anbaupräferenz ist in den letzten 10 bis 15 Jahren eine Stärkung des mittleren Qualitätsbereiches (A- und B-Weizen) zu verzeichnen. Unbekannte Sorten – dahinter dürfte sich zumeist der Nachbau von selbst erzeugtem Saatgut für Futterzwecke verbergen – und C-Weizen sind kaum mehr im Sortenspektrum zu finden. Und auch die EU-Weizen haben sich hierzulande kaum durchsetzen können. Damit fristet die Futterweizenproduktion in Baden-Württemberg nur noch ein Nischendasein. Insofern spiegeln sich hierin die seit vielen Jahren rückläufigen Tierbestände wider. Andererseits wurde aber auch der Anbau von E-Weizen zurückgedrängt. Offensichtlich stehen die heutigen A-Weizen-Sorten für Qualitätsmerkmale, wie man sie früher nur von den E-Weizen-Sorten kannte.
Schlussbemerkung
Sicher, auch andere Wirtschaftszweige wie etwa die Bau- oder die Tourismusbranche sind vom Wetter abhängig. Dass die Landwirtschaft aber den Launen des Himmels besonders ausgeliefert ist, wurde dieses Jahr wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Diesen Wetterkapriolen gilt es durch kluge Anbauentscheidungen und Bestandsführung die Spitzen zu nehmen.