:: 1/2007

Keine Beschlagnahme statistischer Einzeldaten in Strafverfahren

Beschluss des Landgerichts Hannover vom 3. August 2006, AZ 33 QS 133/04

Das Landgericht Hannover hat in einer für die amtliche Statistik bedeutsamen Entscheidung festgestellt, dass statistische Einzeldaten regelmäßig nicht als Beweismittel in einem Strafverfahren beschlagnahmt werden dürfen und dass die Durchsuchung der Diensträume eines statistischen Amtes mit diesem Ziel rechtswidrig ist. Das Landgericht hat sich dabei mit der bislang gerichtlich nicht geklärten Frage auseinandergesetzt, ob die statistische Geheimhaltung der in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren allgemein geltenden Auskunftsverpflichtung von Behörden gegenüber der Staatsanwaltschaft entgegensteht. Im Ergebnis bejaht es diese Frage und stellt fest, dass die Mitarbeiter der amtlichen Statistik nicht verpflichtet sind, Auskunft über geheimhaltungsbedürftige statistische Einzeldaten zu erteilen oder Unterlagen herauszugeben, die solche Einzeldaten enthalten. Die Anordnung der Beschlagnahme und Durchsuchung der Amtsräume umgeht das Recht, Auskünfte zu verweigern und ist deshalb rechtswidrig.

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg führte ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Beschuldigte wegen des Verdachts auf Betrug durch. Das Ermittlungsverfahren hatte ein Zeuge in Gang gebracht, der behauptete, von den Beschuldigten über die Höhe der bisher erzielten Umsätze eines von ihm gepachteten bzw. gemieteten Hotel- und Gaststättenbetriebes getäuscht worden zu sein. Der Zeuge machte dabei insbesondere geltend, die von den Beschuldigten bei den Vertragsverhandlungen angegebenen Übernachtungszahlen stimmten nicht mit den in der fraglichen Zeitspanne im Rahmen der Beherbergungsstatistik an das Niedersächsische Landesamt für Statistik gemeldeten Zahlen überein. Nachdem ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft Oldenburg zur Übermittlung der fraglichen Daten beim Niedersächsischen Landesamt für Statistik erfolglos geblieben war, erwirkte sie beim Amtsgericht Hannover einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss. Dieser wurde kurze Zeit darauf unter Zuhilfenahme von Polizeikräften vollzogen. Gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss legte das Niedersächsische Landesamt für Statistik Beschwerde ein.

Beschlagnahme nur bei behördlicher Auskunftsverpflichtung möglich

Die Staatsanwaltschaft ist grundsätzlich befugt, im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens von allen Behörden Auskünfte zu verlangen; § 161 der Strafprozessordnung (StPO). Die Behörden sind dabei der Staatsanwaltschaft gegenüber zur Auskunft verpflichtet. Verweigert die Behörde die Auskunftserteilung kann die Staatsanwaltschaft die gerichtliche Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme beantragen. Hat die Behörde dagegen ein Recht zur Auskunftsverweigerung und zur Verweigerung der Aktenvorlage, darf die Staatsanwaltschaft dieses Recht nicht durch Beantragung der Durchsuchung der Diensträume und die Beschlagnahme der Unterlagen unterlaufen.

Statistische Geheimhaltung schränkt behördliche Auskunftsverpflichtung ein

Soweit besondere bereichsspezifische Geheimhaltungsvorschriften bestehen, schränken diese, soweit sie reichen, die allgemeine Auskunftsverpflichtung von Behörden ein. Durchbrechungen der statistischen Geheimhaltung sieht § 16 Abs. 1 Bundesstatistikgesetzes (BStatG) nur vor, wenn einer der in Abs. 1 Satz 2 aufgezählten Ausnahmefälle (vgl. i‑Punkt) vorliegt oder eine besondere Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt. Da die im BStatG selbst enthaltenen Ausnahmefälle bei staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht einschlägig sind, kommt es entscheidend darauf an, ob die Vorschrift des § 161 StPO eine das Statistikgeheimnis durchbrechende besondere Rechtsvorschrift im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 1 BStatG darstellt. Dies ist nach Ansicht des Landgerichts Hannover aus folgenden Gründen nicht der Fall:

  • Bereits der Gesetzesbegründung zu § 16 BStatG ist zu entnehmen, dass weitere, über die vom Bundesstatistikgesetz selbst vorgesehenen Ausnahmen von der statistischen Geheimhaltung hinausgehende Übermittlungsregelungen oder Auskunftsverpflichtungen nur durch ein Gesetz zugelassen werden dürfen, mit dem eine Bundesstatistik angeordnet wird.
  • Für die Richtigkeit dieser Auslegung können auch die in landesrechtlichen Vorschriften zur statistischen Geheimhaltung enthaltenen Rechtsgedanken mittelbar herangezogen werden. So sieht § 7 des niedersächsischen Statistikgesetzes (NdsStatG) (gleiches gilt für § 14 des Baden‑Württembergischen Landesstatistikgesetzes) ausdrücklich vor, dass statistische Einzelangaben geheim zu halten sind, soweit nicht ein eine Statistik anordnendes Gesetz etwas anderes bestimmt. In Anbetracht der Bedeutung der statistischen Geheimhaltung für den Schutz des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht erkennbar, warum der Geheimhaltungsschutz aus § 16 Abs. 1 BStatG leichter – nämlich schon auf Grundlage einer allgemeinen Verfahrensvorschrift wie § 161 StPO – zu durchbrechen sein sollte, als das die parallelen landesrechtlichen Vorschriften vorsehen.
  • In anderen besonderen Geheimhaltungsvorschriften, wie dem in § 30 der Abgabenordnung (AO) normierten Steuergeheimnis oder dem in § 35 des Sozialgesetzbuches I (SGB I) verankerten Sozialgeheimnis, sind Ausnahmen ausdrücklich vorgesehen. Ermittelt die Staatsanwaltschaft etwa wegen besonders schwerwiegender Straftaten, sind die zuständigen Behörden zur Übermittlung oder Offenbarung von Kenntnissen, die dem Steuer- oder Sozialgeheimnis unterfallen, verpflichtet. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine solche Ausnahmevorschrift nicht in das BStatG aufgenommen hat, zeigt, dass eine Durchbrechung des Statistikgeheimnisses durch die allgemeine Norm des § 161 StPO nicht zulässig sein soll.

Hieraus folgt, dass es für die Zulässigkeit der Weitergabe der im Rahmen einer statistischen Erhebung gewonnenen Daten an strafrechtliche Ermittlungsbehörden allein darauf ankommt, ob das jeweils einschlägige Statistikgesetz eine solche Regelung enthält. In der Regel ist in diesen Gesetzen – wie auch im hier herangezogenen Beherbergungsstatistikgesetz – eine Regelung zur Durchbrechung des Statistikgeheimnisses zugunsten der Staatsanwaltschaft nicht vorgesehen, sodass es insgesamt an der Durchsetzbarkeit des staatsanwaltlichen Auskunftsverlangens fehlt. Eine Durchsuchung von Diensträumen mit dem Ziel der Beschlagnahme von Unterlagen, die geheim zu haltende Einzeldaten enthalten, darf daher nicht vorgenommen werden.