Allein Erziehende – Vielfalt einer Familienform
Das Bild, das die Öffentlichkeit von allein Erziehenden hat: allein erziehende junge Mutter mit Kleinkind in ökonomisch schwierigen Verhältnissen, trifft nur auf eine Minderheit der Familien zu. Allein Erziehende sind in der Regel schon älter, und auch ihre Kinder sind oft schon volljährig. Die ökonomische Situation dieser »älteren« Familien entspricht eher dem Durchschnitt aller Lebensformen.1
Immer mehr allein erziehende Mütter und Väter
In Baden-Württemberg leben 296 000 allein erziehende Frauen und Männer, rund 50 000 mehr als 1996. Allein Erziehende und ihre Kinder bilden damit eine beachtliche Minderheit. In den derzeit 1,7 Millionen Familien erziehen 18 % der Eltern ihre Kinder allein.2 Das heißt, die allein erziehenden Frauen und Männer wohnen nicht mit einem Partner oder mit einer Partnerin zusammen. Dieser Anteil ist eher als eine Untergrenze anzusehen. Tatsächlich dürften wesentlich mehr Eltern während der Erziehung ihrer Kinder wenigstens eine Phase durchleben, in der sie mit keinem Partner zusammenleben. Dies kann unmittelbar nach der Geburt des Kindes sein oder infolge von Trennungen und Scheidung mitten in oder am Ende der aktiven Erziehungszeit. Sie leben heute mit einem Partner zusammen oder allein. Mit anderen Worten: Auch bei zahlreichen Ehepaaren und nicht ehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern gibt es Mütter und Väter, die irgendwann einmal Kinder allein erzogen haben. Obwohl die Zahl der allein erziehenden Väter seit Jahren steigt, sind es überwiegend Frauen, die weit gehend ohne Partner ihre Kinder erziehen.
Allein Erziehende sind immer häufiger geschieden,
Die meisten allein Erziehenden sind geschieden (41 %) oder leben verheiratet getrennt vom Partner oder der Partnerin (13 %). Eine vergleichsweise große Gruppe stellen die Verwitweten (28 %). Ledige allein Erziehende sind demgegenüber eher selten (18 %). In den letzten Jahren ist der Anteil der Geschiedenen gestiegen, gleichzeitig ist der Anteil der Verwitweten, aber auch Ledigen zurückgegangen.
... sind eher älter als jünger und haben oft schon ältere Kinder
Ein Drittel ist im Alter zwischen 35 und 44 Jahren, weitere 25 % im Alter zwischen 45 und 54 Jahren; 27 % sind älter. Nur etwa 15 % sind 34 Jahre und jünger. Gegenüber 1996 ist ein Rückgang der jungen allein Erziehenden zu beobachten (Schaubild 1).
Nur eine Minderheit der allein Erziehenden hat Kinder unter 3 Jahren: 7 % bzw. 21 000. Fast die Hälfte der allein Erziehenden hat volljährige Kinder, ein weiteres Drittel hat Kinder im schulpflichtigen Alter (Schaubild 2). Gegenüber 1996 hat besonders der Anteil der allein Erziehenden mit älteren Kindern zugenommen. Dass allein Erziehende überwiegend ältere Kinder haben, zeigt auch die Altersstruktur der Kinder. Nur 5 % der Kinder sind unter drei Jahren. In Baden-Württemberg sind das 22 000 Kinder von insgesamt 426 000 Kindern und Jugendlichen, die bei allein erziehenden Müttern und Vätern leben. Die Mehrheit der Kinder ist schon älter, also entweder volljährig (40 %) oder zwischen 15 und 17 Jahren (14 %). Weitere 8 % sind zwischen 3 und 6 Jahren und 33 % zwischen 6 und 15 Jahren. Gegenüber 1996 hat sich die Altersstruktur der Kinder nicht geändert.
Mütter unterdurchschnittliche, Väter überdurchschnittliche Einkommen
Vergleicht man das monatliche Nettoeinkommen der Familien mit dem durchschnittlichen Einkommen von 1 904 Euro aller Lebensformen3, dann ist das durchschnittliche Nettoeinkommen allein erziehender Frauen mit 1 534 Euro unterdurchschnittlich und das allein erziehender Männer mit rund 1 960 Euro leicht überdurchschnittlich4 Die durchschnittlichen Nettoeinkommen von Ehepaaren und nicht ehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern betragen 2 835 Euro bzw. 2 516 Euro und liegen damit deutlich über dem durchschnittlichen Einkommen aller Lebensformen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass mit dem Nettoeinkommen von Paar-Familien in der Regel der Lebensunterhalt für mehr Personen bestritten werden muss als mit dem Nettoeinkommen von allein Erziehenden. Aussagekräftiger als das Nettoeinkommen ist deshalb das so genannte Pro-Kopf-Einkommen. Beim Pro-Kopf-Einkommen wird das Familiennettoeinkommen nicht durch die Zahl der Familienmitglieder geteilt, sondern durch ein bestimmtes Gewicht. Internationale Grundlage für die Berechnung dieses Gewichtes ist die »modifizierte OECD-Skala«. Sie geht davon aus, dass der Bedarf der ersten erwachsenen Person das Gewicht 1 bekommt, der zusätzliche Bedarf jeder weiteren Person bis 14 Jahren das Gewicht 0,3 und der von Personen über 14 Jahren das Gewicht von 0,5. Beispielsweise wird das Nettoeinkommen einer allein erziehenden Mutter mit einem Kind unter 10 Jahren durch 1,3 geteilt. Angesichts der durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen verringern sich zwar die Einkommensunterschiede etwa zwischen Ehepaaren mit Kindern und allein Erziehenden, aber sie bleiben dennoch sichtbar bestehen. Das belegen die so genannten Wohlstandspositionen. Sie veranschaulichen die Abweichungen der Einkommen zum Beispiel der allein Erziehenden vom durchschnittlichen Einkommen aller Lebensformen. Allein erziehende Frauen erzielen mit 76 % die niedrigste Wohlstandsposition aller Familienformen. Das heißt, sie verfügen im Durchschnitt nur über 76 % des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens aller Lebensformen, das gleich 100 gesetzt wird. Allein erziehende Männer erreichen 108 % und damit genauso viel wie Ehepaare mit Kindern. Leicht unterdurchschnittlich mit 98 % ist die Wohlstandsposition nicht ehelicher Lebensgemeinschaften mit Kindern.
Einkommenssituation allein erziehender Frauen sehr unterschiedlich
Die wirtschaftliche Situation allein Erziehender kann nicht über einen Kamm geschert werden. Je jünger die Frauen sind und je jünger ihre Kinder sind, desto niedriger sind ihre Wohlstandspositionen (Schaubild 3). So verfügen allein erziehende Frauen unter 35 Jahren nur über 61 % vom durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen aller Lebensformen. Bei allein erziehenden Frauen mit Kindern unter 3 Jahren liegt die Wohlstandsposition mit 51% noch niedriger. Umgekehrt bedeutet das: je älter die allein Erziehenden oder ihre Kinder sind, desto höher ist die Wohlstandsposition. Beispielsweise erreichen allein erziehende Frauen zwischen 45 und 54 Jahren mit 97 % eine nahezu durchschnittliche Wohlstandsposition. Allein erziehende Väter haben eher überdurchschnittliche Wohlstandspositionen. Das dürfte daran liegen, dass ihre Kinder schon älter sind und dass sie seltener als die Mütter die Erwerbstätigkeit unterbrochen haben.
Ein Viertel der allein erziehenden Frauen lebt in Einkommensarmut
Obwohl die Familieneinkommen besonders der allein erziehenden Frauen eher unterdurchschnittlich sind, ist allein erziehend nicht gleichbedeutend mit einer ökonomisch defizitären Lebenslage. Rund 26 % der allein erziehenden Frauen verfügen nur über ein so genanntes Niedrigeinkommen, das heißt weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens. Andererseits leben 74 % nicht in Einkommensarmut.
Für allein Erziehende gilt generell: je jünger die Mütter oder ihre Kinder sind, desto häufiger leben sie in ökonomisch schwierigen Verhältnissen. Je älter die allein Erziehenden oder ihre Kinder sind, desto seltener ist Einkommensarmut. Mit rund 16 % sind allein erziehende Frauen zwischen 45 und 54 Jahren kaum häufiger in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen anzutreffen als alle Lebensformen. Seltener als bei allein erziehenden Frauen ist Einkommensarmut bei allein erziehenden Männern (Schaubild 4).
Allein erziehende Frauen leben in Deutschland wesentlich häufiger in ökonomisch schwierigen Verhältnissen als der Durchschnitt der Bevölkerung. International betrachtet, ist das keine Selbstverständlichkeit. In den alten EU-15-Staaten lassen sich drei Gruppen ausmachen: Ähnlich wie in Deutschland ist auch in Frankreich die Einkommensarmut bei allein Erziehenden überdurchschnittlich häufig. Beide Staaten zeichnen sich durch eine expansive Familienpolitik aus, die sich überwiegend auf finanzielle Hilfen stützt. Auch in allen südeuropäischen Staaten sowie in Großbritannien und Irland ist die Einkommensarmut bei allein Erziehenden wesentlich häufiger anzutreffen als bei anderen Lebensformen mit und ohne Kinder. Diese Staaten sind eher zurückhaltend in ihren familienpolitischen Leistungen. Völlig anders sieht die Situation in der dritten Gruppe aus. Es sind die skandinavischen Staaten: Dänemark und Schweden. Allein Erziehende leben dort kaum häufiger in Einkommensarmut als der Durchschnitt aller Lebensformen. Die beiden Staaten leisten viel für ihre Familien. Jedoch unterscheidet sich ihre expansive Familienpolitik von der Deutschlands, da sie vornehmlich Sach- statt Barleistungen anbieten. Darunter sind vor allem öffentliche Aufwendungen für Kinderbetreuung.
Vollzeiterwerbstätigkeit schützt nicht immer vor Einkommensarmut
Eine Erwerbsbeteiligung verbessert selbstverständlich die wirtschaftliche Situation einer Familie. Beispielsweise bei allein erziehenden Frauen mit Kindern zwischen 6 und 15 Jahren: Die nicht erwerbstätigen Mütter unter ihnen verfügen in der Regel nur über 45 % des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens aller Lebensformen.5 Sie nehmen damit eine sehr niedrige Wohlstandsposition ein. Die Wohlstandspositionen steigen mit der Erwerbsbeteiligung. Sie liegt bei teilzeiterwerbstätigen Müttern bei 64 % und bei vollzeiterwerbstätigen Müttern bei 80 %. Allerdings genügt bei allein Erziehenden oft selbst eine Vollzeiterwerbstätigkeit nicht aus, um eine wirtschaftlich schwierige Situation zu vermeiden. Zwar sinkt die Einkommensarmut zum Beispiel bei allein erziehenden Frauen mit Kindern zwischen 6 und unter 15 Jahren mit steigender Erwerbsbeteiligung deutlich von 56 % bei Nichterwerbstätigkeit auf 26 % bei Teilzeiterwerbstätigkeit und 11 % bei Vollzeiterwerbstätigkeit. Aber das bedeutet auch, dass jede neunte allein erziehende Mutter mit ihren Kindern zwischen 6 und unter 15 Jahren trotz Vollzeiterwerbstätigkeit in ökonomisch schwierigen Verhältnissen lebt. Die Amerikaner kennen dafür den Ausdruck »working poor«, das heißt, um finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen, genügt nicht das Einkommen eines Jobs, es bedarf mehrerer Jobs.