Der Gesundheitssektor in der Region Ostwürttemberg
Das Gut »Gesundheit« hat einen hohen Stellenwert. Allein die Tatsache, dass sich die Ausgaben für Gesundheitsgüter und -dienstleistungen in Baden-Württemberg auf rund 30 Mrd. Euro pro Jahr belaufen, belegt dies eindrucksvoll. Diese Summe entspricht einem Zehntel der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Das ökonomische Potenzial dieses Marktes hat zur Herausbildung eines vielseitigen Gesundheitssektors geführt. Pflegeheime, Rettungsdienste sowie die pharmazeutische und medizintechnische Vorleistungsindustrie gehören ebenso zu diesem Wirtschaftsbereich wie Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser. Von überragender Bedeutung ist die Beschäftigungswirkung des Gesundheitssektors. Sie soll im Folgenden am Beispiel der Region Ostwürttemberg beschrieben werden.
In Ostwürttemberg dürfte sich das Volumen des Gesundheitsmarktes auf rund 1,2 Mrd. Euro belaufen. Wie im ganzen Land, so wird auch in dieser Region lediglich für das Bedürfnis »Wohnen« mehr ausgegeben als für das Streben nach Gesundheit. Die Aufwendungen für die übrigen Bedürfnisse, etwa Mobilität oder Ernährung, fallen demgegenüber erheblich geringer aus (Schaubild 1). Der Gesundheitsmarkt besitzt jedoch nicht nur ein großes Volumen, er hat sich in der Vergangenheit in der Region auch dynamisch entwickelt. So sind die Gesundheitsausgaben zwischen 1990 und 2003 mit einem nominalen Plus von 70 % erheblich stärker gestiegen als die gesamten privaten Konsumausgaben. Beim privaten Konsum dürfte die Steigerungsrate in diesem Zeitraum deutlich unter 50 % gelegen haben.
Einen homogenen Gesundheitsmarkt gibt es natürlich nicht. Vielmehr setzt er sich aus einer Vielzahl verschiedener Teilmärkte zusammen, wobei die Dienstleistungsmärkte dominieren. Drei Viertel der gesamten Gesundheitsausgaben werden für Dienstleistungen aufgewendet. Dabei stehen die ärztlichen Leistungen an erster Stelle, aber auch die nicht ärztlichen pflegerischen und therapeutischen Dienstleistungen spielen eine wichtige Rolle. Ihr Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben liegt nur wenig unter dem der ärztlichen Leistungen und anders als bei diesen sind die Ausgaben für nicht ärztliche Dienstleistungen seit 1990 sogar überproportional gestiegen. Abgeschlagen gegenüber den Dienstleistungen folgen die materiellen Gesundheitsgüter, die so genannten »Waren«. Lediglich ein Viertel der Gesundheitsausgaben in der Region Ostwürttemberg werden für Waren wie Medikamente, medizinische Apparate oder Hilfsmittel getätigt.
Rund 25 000 Erwerbstätige im ostwürttembergischen Gesundheitssektor
Gesundheitsausgaben entfalten eine erhebliche Beschäftigungswirkung. In Ostwürttemberg dürften 2003 geschätzte 25 000 Personen im Gesundheitssektor tätig gewesen sein. Das entspräche immerhin einem Anteil von 12 % an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen in der Region. Ein weiterer wichtiger Indikator für den Umfang der Beschäftigung im Gesundheitssektor bildet die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Sie lag 2003 im ostwürttembergischen Gesundheitssektor bei über 18 000, wobei die Differenz zur Erwerbstätigenzahl vor allem darauf zurückzuführen ist, dass der Anteil der Selbstständigen im Gesundheitssektor sehr hoch ist. Diese werden, da nicht sozialversicherungspflichtig, in der Beschäftigtenzahl nicht berücksichtigt. Die Bedeutung des Gesundheitssektors für die Region Ostwürttemberg zeigt sich insbesondere darin, dass die Beschäftigtenzahl dieses Wirtschaftsbereichs jeweils über den Vergleichswerten für die beiden Paradebranchen der regionalen Industrie, dem Maschinenbau und dem Bereich »Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik«, liegt.
Bei der Beschäftigung ist die Dominanz der Dienstleistungssparten noch stärker ausgeprägt als bei den Gesundheitsausgaben. Selbst in Ostwürttemberg, wo auf die pharmazeutische und medizintechnische Industrie ein überdurchschnittlich hoher Beschäftigungsanteil innerhalb des Gesundheitssektors entfällt, belief sich die Zahl der Beschäftigten in den Dienstleistungsbereichen 2003 auf knapp 17 000, was einem Anteil von 86 % entspricht. Fast 14 000 davon waren im Wirtschaftszweig »Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen« tätig, zu dem unter anderem Arzt- und Zahnarztpraxen, Krankenhäuser sowie Alten- und Pflegeheime gehören.
Zwischen 1999 und 2003 ist in Ostwürttemberg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Gesundheitssektor um 8 % gestiegen. Insbesondere für Frauen hat der Gesundheitssektor in den letzten Jahren gute Beschäftigungschancen geboten. So lag im Jahr 2003 die Zahl der weiblichen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei über 14 000 und hat sich damit gegenüber 1999 um 13 % erhöht. In den übrigen Dienstleistungsbranchen hat die Zahl der beschäftigten Frauen dagegen nur leicht zugenommen, in der gesamten Industrie (ohne pharmazeutische und medizintechnische Industrie) ist sie sogar deutlich gesunken (Schaubild 2).
Allerdings expandierte die Beschäftigung von Frauen nicht in allen Bereichen des Gesundheitssektors gleichermaßen. Am stärksten nahm die Zahl der weiblichen Beschäftigten mit einem Plus von über 1 300 im Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen zu, was einer Steigerungsrate von knapp 14 % entspricht. Lediglich in der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie wurde mit einem Plus von 16 % eine noch höhere Zunahme erreicht. Allerdings sind dort mit etwas über 1 000 Frauen weniger als 10 % der weiblichen Beschäftigten des ostwürttembergischen Gesundheitssektors tätig. Dagegen beläuft sich der Anteil des Bereichs »Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen«, in dem 11 000 Frauen arbeiten, auf rund 75 %.
Demografische Alterung dürfte Pflegebedarf stark erhöhen
Die zukünftige Entwicklung des Gesundheitssektors wird in erheblichem Umfang durch die demografische Alterung bestimmt. Die Zahl der 60-Jährigen und Älteren im Land wird unter realistischen Annahmen von derzeit 2,4 Mill. auf 3,4 Mill. im Jahr 2025 wachsen, wobei die Zahl der Hochbetagten, also der 85-Jährigen und Älteren, besonders stark steigen dürfte. Dies wird zu einer beträchtlichen Zunahme der Zahl der Pflegebedürftigen führen. Auf Landesebene könnte die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2020 um die Hälfte zunehmen und bis 2040 dürfte sich die Zahl sogar verdoppeln.1 Der Bedarf an Pflegeleistungen wird dadurch in der Zukunft stark steigen und es ist davon auszugehen, dass sich der überproportionale Anstieg der Aufwendungen für pflegerische Leistungen, der schon in den letzten Jahren zu beobachten war, fortsetzt und zu einer Beschäftigungsexpansion in diesem Bereich führt. Dies setzt jedoch voraus, dass die Finanzierung des steigenden Bedarfs an Pflegeleistungen gewährleistet wird. Ohne eine weiter zunehmende Eigenbeteiligung der Haushalte an allen Arten von Gesundheitsleistungen dürfte dies kaum zu bewerkstelligen sein.
Die Eigenbeteiligungen sind Teil der im Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten »Ausgaben für Gesundheitspflege« der privaten Haushalte. Dazu zählen neben den Eigenbeteiligungen auch alle anderen Haushaltsausgaben für Medikamente, Verbände, Zahnersatz, therapeutische Geräte sowie für Dienste von Krankenhäusern und Sanatorien. Im Durchschnitt gab ein baden-württembergischer Haushalt im Jahr 2003 knapp 90 Euro im Monat direkt für Güter- und Dienstleistungen im Gesundheitsbereich aus, was einem Anteil von knapp 4 % an den gesamten monatlichen Konsumausgaben der Haushalte entsprach. Noch Anfang der 90er-Jahre hatte der Anteil knapp 3 % betragen. Dies weist darauf hin, dass die Belastung der Haushalte durch die direkten Gesundheitsausgaben schon seit geraumer Zeit wächst. Dieser Trend dürfte sich in der Zukunft noch verstärken, weil sich die Zahl der älteren Haushalte – gemessen am Alter des Haushaltsvorstandes – deutlich erhöhen wird und diese Haushalte erheblich mehr direkte Gesundheitsausgaben tätigen als der Durchschnittshaushalt. So beliefen sich die Ausgaben für Gesundheitspflege bei den Haushalten in der Kategorie »65 Jahre und älter« im Jahr 2003 auf knapp 110 Euro im Monat (Schaubild 3) und erreichte damit einen Anteil von knapp 6 % an den durchschnittlichen monatlichen Haushaltsausgaben.
Es lässt sich nur schwer einschätzen, ob der Gesundheitssektor durch die Zunahme der direkten Gesundheitsausgaben der Haushalte in der Zukunft zusätzliche Impulse erhalten wird. Die steigende Belastung könnte sogar dazu führen, dass die Haushalte ihre Gesundheitsausgaben verstärkt auf notwendige Leistungen beschränken. Ergänzende Gesundheitsleistungen im Wellness- und Freizeitbereich, von denen man sich zur Zeit noch eine hohe Beschäftigungsausweitung für die Zukunft verspricht, könnten dann gegenüber den »klassischen« Gesundheitsleistungen wie etwa ärztlichen Behandlungen das Nachsehen haben.