:: 16. 7. 2024

Doppelinterview: Einblicke in die Ausländerbehörde Pforzheim

Dass viele Ausländerbehörden überlastet sind, ist kein Geheimnis. Auch in Pforzheim war die Situation der letzten Jahre in der Abteilung Migration und Flüchtlinge (Ausländerbehörde) gelinde gesagt herausfordernd! Doch mit dem Tiefpunkt vor zwei Jahren kam auch der Aufbruch hin zur Verbesserung: Diverse Maßnahmen wurden seitdem ergriffen und ermöglichten so eine Entspannung der immer noch schwierigen Lage.

Eine der neuesten Maßnahmen war die Teilnahme am Projekt „Integrationsmacher: innen – Integration durch Zusammenarbeit“. Das halbjährige Programm der Lokalprojekte gGmbH wurde von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert und ermöglichte fünf Kommunen unter Einsatz digitaler Werkzeuge Lösungen für die lokale Integrationsarbeit zu erarbeiten und umzusetzen. Jürgen Beck hat als Amtsleiter den Zuschlag an Land gezogen und begleitete das Projekt von Herbst 2023 bis in den März 2024.

Herr Beck, das Förderprogramm formuliert das Ziel die lokale Integrationsarbeit zu fördern. Warum haben Sie sich als Amt für öffentliche Ordnung und nicht das Jugend- und Sozialamt, in dem auch die Integrationsmanagenden angesiedelt sind, beworben? Wo findet bei Ihnen Integrationsarbeit statt?

Jürgen Beck: Ich kann natürlich nicht sagen, warum sich andere Ämter nicht beworben haben, aber ich kann sagen warum wir uns beworben haben: Pforzheim hat den größten Ausländeranteil in ganz Baden-Württemberg und den viertgrößten in Deutschland. Das prägt die Stadtgesellschaft und mit ihr die Behörden, wie auch die Ausländerbehörde. Integration ist nichts, was sich auf ein bestimmtes Amt oder einen bestimmten Bereich begrenzen lässt. Integration betrifft ganz viele Bereiche der Gesellschaft. Auch wenn es zunächst etwas ungewöhnlich klingen mag, ist die Ausländerbehörde meines Erachtens nach ein ganz wichtiger Baustein der Integration und des Ankommens. Und unsere erfolgreiche Bewerbung gibt uns damit ja auch Recht.

Die Teilnahme am Projekt ist eine von vielen Maßnahmen mit der Sie seit zwei Jahren versuchen den Herausforderungen in der Ausländerbehörde zu begegnen. Welche Ausgangslage hat Sie dazu bewogen, sich jenen Herausforderungen zu widmen?

Jürgen Beck: Migration und Einwanderung sind komplexe Themen, die politisch entschieden werden. Die Umsetzung dieser Entscheidungen findet allerdings dann vor Ort in den Ausländerbehörden statt. Für die Mitarbeitenden ergeben sich dadurch massive Herausforderungen, denn das Ausländerrecht hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv erweitert und verkompliziert. Und mit ihm die zugehörigen Verwaltungsabläufe. Komplexe Ermessens- und Ausnahmeregelungen verkomplizieren einzelne Verfahren enorm. Dazu kommt, dass die Anzahl dieser Verfahren angestiegen ist – explodiert kann man sagen! Was jedoch lange nicht im selben Maße angestiegen ist, waren die zuständigen Mitarbeitenden. Massive Rückstände haben sich gebildet. Das führte nicht nur bei Klientinnen und Klienten, sondern auch bei Mitarbeitenden zu Frust. Und das zeigte sich in letzter Instanz, in Zeiten von Fachkräftemangel, in der Abwanderung von Mitarbeitenden. Dieses Problem war vor zwei Jahren enorm, da hat die Hälfte der Mitarbeitenden die Ausländerbehörde verlassen.

Das konnten wir glücklicherweise mit einem starken Willen und einigen Maßnahmen rückgängig machen. Durch viel Werbung, Mund-zu-Mund-Propaganda und der Öffnung hin zu Quereinsteigenden konnten wir den negativen Trend umkehren und die Stellen wiederbesetzen. Außerdem haben wir eine Dauerausschreibung auf unserer Webseite. Mit dem Mitarbeitenden-Segen kommt allerdings auch die Verantwortung ihnen gegenüber. Viele hatten noch keine Berührungspunkte mit dem Ausländerrecht und den Tätigkeiten in einer Behörde. Das erfordert ein gutes Onboarding und einen erfolgreichen Wissenstransfer. Das war ein wesentliches Thema, welches wir innerhalb des Projektes „Innovationsmacher: innen“ angegangen sind.

Darüber hinaus haben wir unser Prozessmanagement in den Blick genommen. Es braucht generell effiziente und gut ausgestaltete Prozesse in den Behörden. Es muss sichergestellt werden, dass so wenig Schleifen wie möglich gedreht werden Die Frage: Arbeiten wir so gut wie wir es irgendwie könnten? sollte sich jede Verwaltung gelegentlich stellen. Und das haben wir im Rahmen des Projektes ebenfalls gemacht.

Können Sie bitte umreißen was das Projekt „Integrationsmacher: innen“ war und aufzeigen, was sich dadurch bei Ihnen verändert hat?

Jürgen Beck: Gerne. Das Entscheidende bei diesem Projekt war, dass jede der fünf Kommunen von einem sogenannten „Macher“ unterstützt wurde. Das sind Personen aus der Wirtschaft, welche mit Expertise und frischem Blick, in unserem Fall auf die Prozesse in der Ausländerbehörde, schauen. Unser „Macher“ Dustin Savarin hat sich der Optimierung und Digitalisierung von jenen Prozessen gewidmet. Gemeinsam in einem ämterübergreifenden Projektteam gelang es ihm, über 50 Prozesse digital festzuhalten und eine Prozesslandkarte zu erstellen. Das erleichtert natürlich den Onboarding-Prozess und gewährleistet den Wissenstransfer. Wir sind natürlich noch nicht am Ende, aber das Projekt hat unglaublich geholfen diesen Vorgang ins Rollen zu bringen. Außerdem bildet diese Arbeit die Grundlage der anstehenden Digitalisierung des Amtes. Bis Ende des Jahres soll nämlich die Ausländerbehörde als erste große Einheit der Stadt mit über 40.000 Akten digitalisiert werden. Ohne das Projekt hätten wir diese wichtigen Schritte nicht oder zumindest nicht in dieser Zeit gehen können. Was auch richtig toll zu sehen war, war die Änderung des Mindsets von Mitarbeitenden Es kam zu einer richtigen Aufbruchstimmung in der Behörde, die zu viel Engagement im Projekt geführt hat.

Das Projekt klingt nach einer richtigen Bereicherung für die Mitarbeitenden. Was hat sich für die Klientinnen und Klienten geändert?

Jürgen Beck: Eine Prozesslandkarte und ähnliche interne Maßnahmen haben erstmal keinen direkten Einfluss auf die Klientinnen und Klienten und doch sind sie unverzichtbar und kommen ihnen zu Gute. Kompetente, wissende und auch gut gelaunte Mitarbeitende kommen allen zu Gute. Eine gute und rechtssichere Beratung ist das A und O für unsere Klientinnen und Klienten. Schließlich geht es auch um Existenzen von Menschen!

Eine große und direkt spürbare Verbesserung brachte die lange Zeit fehlende Telefonzentrale. Heute sorgen zwei Mitarbeitende am Telefon für eine deutlich verbesserte Erreichbarkeit. Und auch unser Terminvereinbarungssystem, welches in wenigen Wochen online gehen wird, verspricht Kundenfreundlichkeit! Anstelle von Anrufen oder Mailverkehr kann bald direkt ein Termin online mit Anliegen ausgemacht werden. Solche Modernisierungen helfen bereits die Überbelastung zu reduzieren und Prozesse zu beschleunigen.

Was ebenfalls besser wurde ist unsere Internetpräsenz. Die Webseite haben wir hinsichtlich der Bedürfnisse unserer Klientinnen und Klienten angepasst und modernisiert. Neben vereinfachter Sprache und neuen Farbkombinationen haben wir auch den „Anliegen-Finder“ benutzerfreundlicher gestaltet. In Gesprächen mit Multiplikatoren wie der Diakonie, der Caritas oder der Heliosklinik haben wir die Sichtweise der jeweiligen Klientel eingefangen und für die Umgestaltung der Webseite genutzt.

Das klingt nach einer gelungenen projektbezogenen Kooperation. Frau Bahadir, Sie kennen als Sachgebietsleiterin auch die tägliche Arbeit der Ausländerbehörde. Wie steht es hier um die Kooperation mit anderen Akteuren wie der Diakonie bei der auch Integrationsmanagende beschäftigt sind?

Neslihan Bahadir: Zur Förderung der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches finden bei uns regelmäßige Online-Meetings mit der Diakonie und der Heliosklinik statt. Im Rahmen dieser Meetings wird über komplizierte Einzelfälle, zum Beispiel bezüglich der Identitätsklärung, beraten. Auch besprechen wir Notfälle, wie einen drohenden Arbeitsplatzverlust eines Klienten.

Ferner nehmen wir auch auf wichtige gesetzliche Änderungen Bezug. Ein aktuelles Beispiel ist die Aufhebung der Erteilungsdauer für Qualifizierungsmaßnahmen in Deutschland oder auch der erleichterte Familiennachzug für Fachkräfte. Diese Meetings bieten eine wertvolle Gelegenheit, um Fachwissen auszutauschen und die Effizienz der Zusammenarbeit zu steigern.

Gibt es Beispiele wo die Zusammenarbeit mit den Integrationsmanagenden besonders gut funktioniert hat und gegebenenfalls positive Synergien entstanden sind?

Neslihan Bahadir: Ja, auf jeden Fall! Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung sind zahlreiche Neuregelungen in Kraft getreten. Durch den gegenseitigen Austausch konnten viele Missverständnisse aufgedeckt werden. Beispielsweise, dass nicht alle Neuregelungen bereits im März in Kraft getreten sind, sondern erst im Juli bzw. November.

Was auch wichtig für uns war, war den Integrationsmanagenden verständlich aufzuzeigen, dass der Spurwechsel, also der Wechsel aus dem Asylverfahren in eine Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken, nur in eingeschränktem Umfang möglich ist, das heißt, dass bestimmte gesetzliche Voraussetzungen vorliegen müssen. Dieses Wissen wurde beziehungsweise wird weiterhin von Integrationsmanagenden an Klientinnen und Klienten und Arbeitgebende weitergegeben. Das wiederum erleichtert unsere Arbeit.

Auch besprechen wir gemeinsam in schwierigen Einzelfällen bessere Aufenthaltsperspektiven. Zum Beispiel, welche Voraussetzungen ein jugendlicher Klient noch erfüllen muss, um eine Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche zu erlangen. Das kann dann natürlich sehr große und positive Auswirkungen für Klientinnen und Klienten haben.

Wo liegen die Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit den Integrationsmanagenden und wo sehen Sie Potenziale?

Neslihan Bahadir: Die Ausländerbehörde erfüllt eine Doppelfunktion: Einerseits ist sie eine zentrale Akteurin im Zuwanderungs- und Integrationsprozess, andererseits ist sie aber auch Ordnungsbehörde und der Einwanderungskontrolle und Gefahrenabwehr verpflichtet. Sie befindet sich also in einem Spannungsfeld.

Die Integrationsmanagenden befinden sich nicht in diesem Spannungsfeld. Sie können sich daher voll und ganz ihrem Integrationsauftrag widmen. Dadurch sind sie auch sehr nah an den Klientinnen und Klienten und können individuelle Integrations- und Servicebedürfnisse herausarbeiten. Ihr Feedback ist für uns insofern sehr wichtig und daher auch ein zentrales Element bei der Evaluierung unserer Prozesse und Maßnahmen.

Eine gelungene Integration schafft bessere Aufenthaltsperspektiven und ist zudem für die Fachkräftegewinnung und vor allem für den Erhalt derer sehr wichtig.

Vielen Dank Ihnen beiden!