:: 10/2023

Konjunktur im Einzelhandel – Krisen hinterlassen deutliche Spuren

Coronapandemie, unterbrochene Lieferketten und Krieg in der Ukraine sowie steigende Lebenshaltungskosten: der Einzelhandel in Baden-Württemberg muss seit einigen Jahren immer neue Krisen bewältigen. Dabei konnten einige Branchen ihren Umsatz deutlich steigern, während andere konjunkturell stärker getroffen wurden. Im nachfolgenden Beitrag wird die konjunkturelle Entwicklung des Einzelhandels in den letzten Jahren vor Beginn der Pandemie bis einschließlich dem ersten Halbjahr 2023 betrachtet.

Einzelhandel 2020 noch robust, danach mit rückläufiger Tendenz

Der Einzelhandel in Baden-Württemberg zeigte sich seit 2015 insgesamt vergleichsweise robust gegen Krisen, allerdings gingen die realen Umsätze zuletzt merklich zurück. Von 2015 bis 2020, dem ersten Jahr der Pandemie, verzeichnete der baden-württembergische Einzelhandel sowohl real, also preisbereinigt, als auch nominal, das heißt ohne Preisbereinigung, durchgehend Zuwächse (Tabelle 1). Mit Fortbestehen der Pandemie und dem Einsetzen höherer Preissteigerungen, drifteten die Messzahlen der nominalen und der realen Umsätze jedoch spürbar auseinander (Schaubild 1).

Während sich die nominalen Umsätze weiterhin aufwärtsgerichtet entwickelten, nahmen die realen Umsätze nur bis 2020 zu. Im Jahr 2021 konnte das vergleichsweise hohe Niveau des realen Umsatzes von 2020 in nicht mehr gehalten werden und der Umsatz ging um –1,8 % zurück. In 2022 stagnierte der reale Umsatz auf dem Niveau von 2021, vorläufige Zahlen für das 1. Halbjahr 2023 weisen einen Umsatzrückgang von real –4,9 % gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum aus (Tabelle 1).

Die Zahl der tätigen Personen im Einzelhandel entwickelte sich weniger volatil und folgte mit ihrer aufwärtsgerichteten Entwicklung eher der nominalen Umsatzentwicklung, allerdings in geringerem Umfang und mit gewissem zeitlichen Verzug. Zuletzt wurde jedoch auch hier für das 1. Halbjahr 2023 ein leichter Rückgang von –0,3 % verzeichnet.

Preissteigerungen lassen nominale und reale Umsätze vor allem im Lebensmitteleinzelhandel auseinanderdriften

Bei einer getrennten Betrachtung des Einzelhandels mit Lebensmitteln sowie des Einzelhandels mit Nicht-Lebensmitteln fallen zunächst die typischen Saisonmuster auf (Schaubild 2 und Schaubild 3). Beide Einzelhandelsbereiche verzeichneten jeweils zum Jahresende, also mit dem Weihnachtsgeschäft, monatlich die höchsten Umsätze, gefolgt von einer entsprechend rückläufigen Umsatzentwicklung in den Monaten Januar und Februar.

Im Nicht-Lebensmitteleinzelhandel konnte im ersten Pandemiejahr 2020 noch ein leichter realer Umsatzzuwachs von 0,2 % erzielt werden (Tabelle 3). Im Folgejahr 2021 brachen die realen Umsätze gegenüber den jeweiligen Vorjahresmonaten jedoch um –29,2 % im Januar bzw. um –21,1 % im Februar 2021 ein.1 Trotz dieser starken Rückgänge verzeichnete der Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln im Gesamtjahr 2021 einen vergleichsweise moderaten Umsatzrückgang von real –1,9 %, im Folgejahr 2022 stiegen die Umsätze wieder um 2,5 %.

Im Lebensmitteleinzelhandel, der von Geschäftsschließungen im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung weitgehend verschont blieb, waren starke monatliche Einbrüche im zweitstelligen Prozentbereich nicht zu beobachten. Nach einer deutlichen Umsatzsteigerung in 2020 gegenüber dem Vorjahr von real 5,6 % ging der reale Umsatz im Gesamtjahr 2021 auf hohem Niveau um –1,6 % zurück. Der Rückgang setzte sich hier jedoch auch 2022 mit einem Minus von 3,5 % fort.

Beide Bereiche zeigten sich in den Hochzeiten der Krise vergleichsweise robust, stärkere Rückgänge werden dagegen erst am aktuellen Rand verzeichnet: im 1. Halbjahr 2023 ging der reale Umsatz im Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln um deutliche –4,3 % zurück, der Umsatz im Einzelhandel mit Lebensmitteln um –5,9 % gegenüber dem 1. Halbjahr 2022.

In beiden Bereichen ist zudem, wie auch im Einzelhandel insgesamt, die auseinanderdriftende Entwicklung der realen und nominalen Umsätze infolge von Preissteigerungen zu beobachten. Diese Entwicklung war im Bereich des Einzelhandels mit Lebensmitteln jedoch noch etwas ausgeprägter als im Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln. So betrug der maximale Unterschied zwischen dem realen und dem nominalen Umsatzindex im Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln im November und Dezember 2022 gut 20 Messzahlenpunkte. Seither ging die Differenz wieder leicht auf gut 18 Punkte zurück. Im Lebensmitteleinzelhandel lagen die beiden Messzahlenreihen dagegen im März 2023 über 36 Messzahlenpunkte auseinander, eine spürbare Annäherung ist hier aktuell, das heißt zum Stand Berichtsmonat Juni 2023, nicht zu erkennen.

Einzelhandel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren mit starken Umsatzeinbrüchen während der Pandemie

Innerhalb des Einzelhandels mit Nicht-Lebensmitteln folgte das Gros der Branchen grob demselben konjunkturellen Verlauf mit der Tendenz zu Umsatzspitzen zum Jahresende hin und besonders niedrigen Umsätzen zu Jahresanfang. Deutliche Abweichungen von diesem Muster gab es im Einzelhandel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren, der mit einem besonders stark ausgeprägten Umsatzrückgang im Zeitraum von April 2020 bis Januar 2022 erheblich höhere Umsatzeinbußen hatte als der Rest der Branche. Während der Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln 2020 noch ein leichtes Umsatzplus von real 0,2 % verzeichnete, brachen die Umsätze im Einzelhandel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren bereits um –24,6 % ein. Im Folgejahr gaben die Umsätze nochmals leicht um –3,2 % nach. In 2022 sowie im 1. Halbjahr 2023 stiegen die Umsätze zwar wieder etwas, im 1. Halbjahr 2023 folgte jedoch erneut ein Rückgang. Damit lagen die Umsätze im 1. Halbjahr 2023 noch um 6,9 % unter dem Wert des 1. Halbjahres 2019. Das Umsatzniveau der Vorpandemiezeit hat der Einzelhandel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren also noch immer nicht erreicht (Tabelle 2).

Fazit

Nachdem die Hochphase der Coronapandemie in Teilen des Einzelhandels zu extremen Umsatzentwicklungen führte, deutete sich in der Umsatzentwicklung 2022 eine Normalisierung der preisbereinigten Umsätze an. Mit dem zuletzt weiter sinkenden realen Umsatzniveau des 1. Halbjahres 2023 kommt die Frage auf, wie sich der Einzelhandel mittelfristig entwickeln wird. Denn im 1. Halbjahr 2023 lag das reale Umsatzniveau im Einzelhandel mit Lebensmitteln wie auch im Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln nicht nur unter den Werten des entsprechenden Vorjahreszeitraums, sondern auch unter den entsprechenden Werten des 1. Halbjahres 2019. Nominal zeigt sich der Umsatz nach wie vor stark.

Wie sich die dahinterliegenden Preissteigerungen künftig entwickeln, wird für den baden-württembergischen Einzelhandel weiterhin wichtig bleiben. Dabei sind nicht nur Preissteigerungen innerhalb des Einzelhandels relevant. Steigende Kosten zum Beispiel für Energie und Wohnen könnten im Winter zu einer Kaufzurückhaltung im Einzelhandel führen. Gleichzeitig könnten die verhältnismäßig guten Umsatzzahlen 2022 in Teilen vom Nachholeffekt der Pandemie-Jahre gestützt worden sein, der mit der Zeit ebenfalls nachlassen dürfte.

1 Veränderungsraten berechnet auf der Basis von Messzahlen.