:: 11/2016

Herz-Kreislauferkrankungen führen mittlerweile seltener zum Tod

Die Sterblichkeit nach Todesursachen im Vergleich zu den 1980er-Jahren

Der Anstieg der Lebenserwartung in Baden-Württemberg seit den 1980er-Jahren ist darauf zurückzuführen, dass bei vielen Todesursachen die Sterblichkeit – in unterschiedlichem Ausmaß – gesunken ist. Der Rückgang der Sterblichkeit in einigen Altersgruppen wird durch spezifische Todesursachenkomplexe geprägt. Besonders markant wird dies bei der Säuglingssterblichkeit, der Sterblichkeit durch Unfälle bei Kindern und Jugendlichen sowie der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauferkrankungen bei älteren Menschen. Für wenige Todesursachen war ein Anstieg der Sterblichkeit zu beobachten.

Der medizinische Fortschritt in Diagnostik und Behandlung, verbesserte Sicherheitssysteme beispielsweise in der Fahrzeugtechnik, Maßnahmen der Unfallvermeidung sowie der glückliche Umstand, dass das Land seit Langem von Kriegen und größeren Naturkatastrophen verschont geblieben ist, lassen die Lebenserwartung der Baden-Württemberger seit Jahrzehnten ansteigen. Anfang der 1980er-Jahre betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt für Jungen knapp 72 Jahre, für Mädchen gut 78 Jahre. Rund 35 Jahre später kann ein in Baden-Württemberg geborener Junge auf ein um 7,6 Jahre längeres Leben hoffen, ein neugeborenes Mädchen auf ein um 5,8 Jahre längeres Leben. Laut aktueller Sterbetafel 2012/14 beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt für Jungen nun gut 79 Jahre, für Mädchen fast 84 Jahre.1

Der vorliegende Beitrag betrachtet das Thema der gestiegenen Lebenserwartung aus der Perspektive der Todesursachenstatistik. Die gestiegene Lebenserwartung ist das Spiegelbild des geringeren Risikos, an den im Verlauf des Lebens auftretenden Krankheiten oder Verletzungen zu sterben. Im Folgenden wird untersucht, welche Krankheiten bzw. Gruppen von Krankheiten heute deutlich seltener zum Tode führen als vor 35 Jahren und welche Todesursachen möglicherweise häufiger auftreten, weil mehr Menschen ein hohes Alter erreichen.

Sterblichkeit in allen Altersgruppen gesunken

Die Kurve der Sterblichkeit nach Altersgruppen2 zeigt am aktuellen Rand den gleichen typischen Verlauf wie Anfang der 1980er-Jahre. Auch heute noch unterliegen die Geburt und die Lebensmonate bis zur Vollendung des 1. Lebensjahres einem erhöhten Sterberisiko. Danach sinkt das Sterberisiko deutlich ab. Am niedrigsten ist die Sterblichkeit im Kindes- und frühen Jugendalter. In den folgenden Altersgruppen zwischen 15 und 25 Jahren steigt das Sterberisiko, bedingt durch Unfälle vor allem der männlichen Bevölkerung, deutlich an. Der anschließende, zunächst langsame Anstieg in den folgenden Altersgruppen wird durch die im Lebensverlauf erworbenen Krankheiten bestimmt. Eine Sterberate von 1 000 Sterbefällen je 100 000 Gleichaltrige – dies entspricht vereinfacht einer Wahrscheinlichkeit von 1 %, vor Erreichen des nächsten Lebensjahres zu sterben – wurde im Jahresdurchschnitt 2012/14 bei Männern in der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen, bei Frauen in der Altersgruppe der 65- bis 70-Jährigen erreicht bzw. überschritten. Grundsätzlich ist die Sterblichkeit der Männer in allen Altersgruppen höher als die Sterblichkeit der Frauen.

Seit dem Beginn der 1980er-Jahre ist die Sterblichkeit in allen Altersgruppen gesunken. Am stärksten waren die Rückgänge mit rund 70 % in den unteren Altersgruppen beider Geschlechter: unter 1-Jährige, 1- bis unter 15-Jährige, 15- bis unter 20-Jährige sowie bei den unter 25-jährigen Männern. Deutliche Rückgänge zwischen 30 % und 60 % waren aber auch in allen anderen Altersgruppen zu verzeichnen. Auffällig ist, dass sich vor allen in den unteren und mittleren Altersgruppen die Übersterblichkeit der Männer deutlich verringert hat.

Untersuchung durch Klassifikationswechsel eingeschränkt

Eine Untersuchung der Todesursachen über 35 Jahre sieht sich mit dem Problem wechselnder Fassungen des Klassifikationssystems ICD konfrontiert, mit dem die mittelbare Todesursache festgestellt und verschlüsselt wird (siehe i-Punkt). Dem lässt sich zumindest teilweise begegnen, indem nur die Todesursachen der sogenannten European Short List betrachtet werden. Die European Short List bietet eine begrenzte Zahl von Diagnosen (18 Kapitel und 46 Gruppen) an, für die unabhängig vom Wechsel des internationalen Diagnoseklassifikationssystems von ICD-9 auf ICD-10 im Jahr 1997 eine durchgehende Betrachtung von 1980 bis 2014 möglich ist.3

Deutliche Rückgänge bei den Haupttodesursachen

Schaubild 2 gibt einen ersten Überblick über die veränderte Sterblichkeit nach Todesursachen. Die altersstandardisierte Gesamtsterblichkeit4 ist zwischen 1980/82 und 2012/14 von 1 667 auf 994 Sterbefälle je 100 000 Einwohner gesunken. Großen Einfluss auf diese Entwicklung hatten hierbei mit einem Rückgang der Sterblichkeit um fast 56 % die Krankheiten des Kreislaufsystems, die gleichzeitig die häufigste Todesursache sind. Auch beim zweit- und dritthäufigsten Todesursachenkomplex, den Neubildungen und den Krankheiten des Atmungssystems, sind mit – 30 % und – 53 % deutliche Rückgänge zu verzeichnen. Auf die Veränderung der Sterblichkeit durch die häufigsten Todesursachen wird später noch differenzierter eingegangen.

Sehr starke Rückgänge der Sterblichkeit sind außerdem bei den Todesursachen »Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben« sowie »Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien« zu beobachten. Diese Todesursachen beziehen sich fast ausschließlich auf das Säuglingsalter und erscheinen daher in Schaubild 2 nur als sehr kleine Balken. Der starke Rückgang der Säuglingssterblichkeit wird im kommenden Abschnitt gesondert untersucht.

Säuglingssterblichkeit sinkt auf ein Drittel

Die häufigste Ursache für den Tod von Säuglingen sind Krankheiten und Zustände mit Ursprung in der Perinatalperiode5. Hierzu gehören beispielsweise Schädigungen der Feten durch mütterliche Faktoren und durch Komplikationen bei Schwangerschaft und Entbindung sowie Störungen in Zusammenhang mit der Schwangerschaftsdauer und dem fetalen Wachstum. Die Sterberaten aufgrund dieser Todesursachen sanken zwischen 1980/82 und 2012/14 von 3,8 auf 1,4 Sterbefälle je 1 000 Lebendgeborene bei weiblichen Säuglingen und von 4,6 auf 1,5 Sterbefälle je 1 000 Lebendgeborene bei männlichen Säuglingen. Diese Entwicklung hat den größten Anteil am Rückgang der Säuglingssterblichkeit. Sie ist das Resultat von verbesserter Qualität der Früherkennung, der medizinischen Versorgung von Risikozuständen während der Schwangerschaft und der Versorgung von Frühgeborenen. 6

Aber auch bei anderen typischen Todesursachen von Säuglingen waren wesentliche Rückgänge der Sterblichkeit zu beobachten. So sanken die Sterberaten der zweithäufigsten Todesursache bei Säuglingen »Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien« um mehr als 60 %. Rückgänge der Sterberate von mehr als 70 % waren bei Säuglingssterbefällen durch »Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht anders klassifiziert sind« zu verzeichnen. In diese Kategorie fällt vor allem die Todesursache »plötzlicher Kindstod«.

Am stärksten sank mit einem Rückgang um 94 % bei weiblichen und 88 % bei männlichen Säuglingen die Sterblichkeit aufgrund äußerer Ur­sachen. Im Durchschnitt der Jahre 2012/14 lag die Sterberate weiblicher und männlicher Säuglinge bei 0 bzw. 0,1. »Äußere Ursachen« als Todesursache von Säuglingen sind in der Regel Unfälle. Anfang der 1980er-Jahre waren dies meist Sterbefälle durch »mechanisches Ersticken«7 – eine Todesursache, die heute kaum noch auftritt. An dieser Stelle wird die Bedeutung von Aufklärung und Prävention zur Verminderung der Sterblichkeit besonders anschaulich.

Insgesamt sank das Sterberisiko bei weiblichen Säuglingen seit den 1980er-Jahren um 67 %, bei männlichen Säuglingen um 70 %. Damit hat sich der Unterschied in der Sterblichkeit weiblicher und männlicher Säuglinge zwar etwas verringert. Dennoch hatten auch im Durchschnitt der Jahre 2012/14 männliche Säuglinge mit 3,3 Sterbefällen je 1 000 Lebendgeborene8 ein leicht höheres Sterberisiko als weibliche Säuglinge mit 2,9 Sterbefällen je 1 000 Lebendgeborene.

Rückgang der Sterblichkeit nach Todesursachen und Altersgruppen

Eingangs waren Krankheiten des Kreislaufsystems, Neubildungen, Krankheiten des Atmungssystems, Krankheiten des Verdauungssystems und äußere Ursachen als die Todesursachen mit der größten Bedeutung für den Rückgang der Sterblichkeit identifiziert worden. Dies gilt zunächst pauschal über alle Altersgruppen und ohne Unterscheidung nach Geschlecht. Da Krankheiten je nach Alter und teilweise auch je nach Geschlecht unterschiedlich häufig auftreten, variiert auch deren Bedeutung als Todesursache. Im Folgenden wird daher gefragt, welche Todesursachen in den Altersgruppen besondere Bedeutung für den Rückgang der Sterblichkeit von Männern und Frauen hatten.

Krankheiten des Kreislaufsystems …

Zu den Krankheiten des Kreislaufsystems zählen Herzkrankheiten, Krankheiten in Verbindung mit Bluthochdruck sowie Krankheiten der Venen und Arterien. Zu den wesentlichen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht und Bluthochdruck. Sie lassen sich heute durch Verhaltensänderungen und medikamentöse Therapien entscheidend beeinflussen. Auch die Akutversorgung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat sich erheblich weiter entwickelt.9

Anhand der European Shortlist lässt sich die Entwicklung der Sterblichkeit durch Erkrankungen des Kreislaufsystems seit den 1980er-Jahren für die Gruppe der ischämischen Herzkrankheiten, beispielsweise Angina pectoris und Herzinfarkt, und die Gruppe der zerebrovaskuläre Krankheiten, wie Schlaganfall und Hirninfarkt verfolgen. Beide Krankheitsgruppen zusammen stehen derzeit für 60 % bzw. 50 % der männlichen bzw. weiblichen Sterbefälle durch Krankheiten des Kreislaufsystems.

… beeinflussen Sterblichkeit vor allem im höheren Lebensalter

Die Sterblichkeit durch Krankheiten des Kreislaufsystems ist seit den 1980er-Jahren in fast allen Altersgruppen um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Am stärksten sind die Rückgänge der Sterblichkeit bei älteren Menschen. Gleichzeitig sind Krankheiten des Kreislaufsystems ab dem mittleren Lebensalter die häufigste bzw. die zweithäufigste Todesursache. Daher prägt der Rückgang der Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern ab 55 Jahren und bei Frauen ab 60 Jahren wesentlich den Rückgang der Gesamtsterblichkeit.

Wie die Sterblichkeit durch Erkrankungen des Kreislaufsystems insgesamt, ging im Untersuchungszeitraum auch die Sterblichkeit durch ischämische Herzkrankheiten und zerebrovaskuläre Krankheiten bei Frauen und Männern in allen Altersgruppen zurück.

Entwicklung der Sterblichkeit bei Krebs uneinheitlich

Neubildungen, meist bösartige Neubildungen, sind derzeit in Baden-Württemberg wie in Deutschland die zweithäufigste Todesursache. Anhand der European Shortlist lassen sich 18 bzw. 16 Krebsarten als Todesursachen von Frauen bzw. Männern unterscheiden. Die häufigste zum Tode führende Krebsart bei Frauen ist Brustkrebs, bei Männern Lungenkrebs. Für einige Tumorarten gibt es seit Jahren Programme zur Früherkennung, die langfristig zum Rückgang der Sterblichkeit führen sollten. Daneben sind die lebensstilbedingten Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht und Bewegungsmangel bekannt. Ihre Verminderung trägt zur Vermeidung von Krebserkrankungen bei.10

Die Sterblichkeit durch Neubildungen insgesamt ist seit den 1980er-Jahren in Baden-Württemberg in allen Altersgruppen deutlich zurückgegangen – wie Schaubild 4 zeigt, allerdings meist schwächer als die Sterblichkeit durch Kreislauferkrankungen. Am stärksten sank die Sterblichkeit aufgrund von Neubildungen bei den unter 50-Jährigen. Dabei war der Rückgang der Sterblichkeit bei Männern zumeist stärker als bei Frauen.

Anders als bei der Todesursache Kreislauferkrankungen, wo die untersuchten Gruppen der ischämischen Herzkrankheiten und zerebrovaskulären Krankheiten für beide Geschlechter und alle Altersgruppen nur Rückgänge der Sterblichkeit zeigten, stellt sich das Bild für die Gruppen innerhalb der Neubildungen wesentlich differenzierter dar. Die Sterblichkeitsziffern entwickeln sich je nach Krebsart, Geschlecht und teilweise auch je nach Altersgruppe unterschiedlich.

Rückgänge unter anderem bei Magen- und Darmkrebs

Bei vielen Krebsarten ist seit den 1980er-Jahren ein Rückgang der Sterblichkeit in fast allen Altersgruppen sowohl bei Männern als auch bei Frauen zu beobachten.11 Dies sind bösartige Neubildungen in Darm, Magen, Brustdrüse, Niere und Harnblase. Auch die Sterblichkeit durch Krebs der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane ist gesunken. In der Summe sank die Sterblichkeit durch diese Krebsarten zwischen 1980/82 und 2012/14 bei Männern um 50 % und bei Frauen um 38 %.

Höhere Sterblichkeit von Männern und Frauen durch drei Krebsarten

Ein Anstieg der Sterblichkeit bei Männern und Frauen ist für das bösartige Melanom der Haut (Männer + 24 %, Frauen + 13 %), bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes (Männer und Frauen jeweils + 21 %) und bösartige Neubildungen des Pankreas (Männer + 8 %, Frauen + 20 %) zu verzeichnen. Während Sterbefälle durch Hautkrebs nach wie vor nur etwas mehr als 1 % der Sterbefälle durch Neubildungen ausmachen, sind bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes mit 9 % bzw. 8 % der Sterbefälle im Durchschnitt der Jahre 2012/14 nun die dritthäufigste Todesursache unter den in der European Shortlist verzeichneten Neubildungen. Auf Pankreaskrebs entfielen 2012/14 bei Männern 6,4 % und bei Frauen 8 % der Sterbefälle mit der Todesursache Neubildungen.

Auffällig ist, dass der Anstieg der Sterblichkeit durch diese drei Tumorarten allein auf die höheren Altersgruppen zurückgeht, während die (niedrige) Sterblichkeit in den jüngeren Altersgruppen gesunken ist.

Gegenläufige Entwicklung der Sterblichkeit bei Männern und Frauen

Auffällig ist der Anstieg der Sterblichkeit an bösartigen Neubildungen, die mit dem Rauchen als Risikofaktor in Verbindung gebracht werden, ausschließlich bei Frauen. Es handelt sich um bösartige Neubildungen des »Larynx (Kehlkopf), der Trachea (Luftröhre), der Bronchien und der Lunge«, »des Ösophagus (Speiseröhre)« sowie »der Lippe, der Mundhöhle und des Pharynx (Rachen)«. Insbesondere die Sterblichkeit an Lungenkrebs hat sich in 35 Jahren um den Faktor 2,5 erhöht und ist unter den Neubildungen bei Frauen mit 25 Sterbefällen je 100 000 Frauen zur zweithäufigsten Todesursache nach Brustkrebs (35 Sterbefälle je 100 000 Frauen) geworden. Die Sterblichkeit der Männer an der Todesursache Lungenkrebs lag 2012/14 mit 63 Sterbefällen je 100 000 zwar noch deutlich höher als bei Frauen, zeigt aber eine sinkende Tendenz.

Ein Anstieg der Häufigkeit des regelmäßigen Rauchens ist für Frauen in Deutschland seit den 1950er-Jahren nachzuweisen. Auf eine ähnliche Entwicklung in Baden-Württemberg deutet der seit 1995 zu beobachtende, stetige Anstieg des Anteils der regelmäßigen Raucherinnen ab dem Alter von 55 Jahren. Das Rauchverhalten der Männer hat sich in den letzten Jahrzehnten dagegen nicht systematisch verändert. Ein verändertes Rauchverhalten mit deutlichen Rückgängen der regelmäßigen Raucher und Raucherinnen zeigt sich in Baden-Württemberg erst ab 2005 bei den unter 40-Jährigen und konnte sich bis 2014 noch kaum in der Sterblichkeit niederschlagen.12

Für die Todesursache Bösartige Neubildung der Leber und der intraheptischen Gallengänge war zwischen 1980/82 und 2012/14 ein Anstieg der Sterblichkeit nur bei Männern um immerhin 59 % zu verzeichnen. Das Risiko für Frauen, an Leberkrebs zu sterben, sank dagegen leicht. Leberkrebs war 2012/14 bei Männern für 4,5 % und bei Frauen für 2,2 % der Sterbefälle durch Neubildungen verantwortlich.

Durchgehend geringere Sterblichkeit durch Krankheiten des Atmungssystems und Krankheiten des Verdauungssystems

Deutlich seltener als Krankheiten des Kreislaufsystems und als Neubildungen führen Krankheiten des Atmungssystems und Krankheiten des Verdauungssystems zum Tode. Sie waren Anfang der 1980er-Jahre in Baden-Württemberg die dritt- bzw. vierthäufigste Todesursache13. Die Sterblichkeit durch diese beiden Todesursachengruppen sank bei Männern und Frauen fast aller Altersgruppen merklich. Auffällig ist bei beiden Todesursachenkomplexen, dass die Sterblichkeit von Männern in den Altersgruppen zwischen 45 und 70 Jahren wesentlich stärker sank als die Sterblichkeit von Frauen in diesen Altersgruppen.

Zu den Krankheiten des Atmungssystems gehören unter anderem Lungenentzündung und chronische Krankheiten der unteren Atemwege wie zum Beispiel Asthma oder chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD). Für beide Erkrankungsgruppen ist ein allgemeiner Rückgang der Sterblichkeit bei Frauen und Männern zu beobachten. Zu den Krankheiten des Verdauungssystems gehören unter anderem Erkrankungen der Leber, die vor allem bei Männern einen erheblichen Teil der Sterblichkeit durch Erkrankungen des Verdauungssystems ausmachen. Auch hier war ein deutlicher Rückgang der Sterblichkeit zu beobachten.

Geringere Sterblichkeit durch nicht natürliche Todesursachen …

Nicht natürliche Todesursachen, wie Unfälle oder Unfallfolgen, Selbsttötung und tätlicher Angriff, werden in der Statistik unter der Oberbegriff »äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität« zusammengefasst. Sie sind die häufigste Ursache für den Tod von Kindern und jungen Erwachsenen. Neben dem medizinisch-technischen Fortschritt wird der Rückgang der Sterblichkeit hier besonders durch verbesserte Sicherheitstechnik zum Beispiel im Fahrzeugbau sowie durch Maßnahmen zur Unfallverhütung und zur Suizidprävention beeinflusst.

Die Entwicklung der Sterblichkeit durch nicht natürliche Todesursachen seit den 1980er-Jahren wird wesentlich durch die Unfallarten Transportmittelunfall, Sturz sowie Suizid bestimmt. Auf diese drei Todesursachen entfielen am aktuellen Rand bei Frauen 68 %, bei Männern 73 % der Sterbefälle durch äußere Ursachen.

… da tödliche Unfälle und Suizide seltener geworden sind

Am deutlichsten war der Rückgang der Sterblichkeit bei Transportmittelunfällen auf etwa ein Viertel des Ausgangsniveaus. Dies ist der Hauptgrund für die verringerte Sterblichkeit durch äußere Ursachen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Stürze mit Todesfolge treten dagegen häufig bei hochbetagten Menschen auf.14 Die Sterblichkeit durch Stürze sank bei Frauen um 50 %, bei Männern dagegen nur um 13 %. Die Sterblichkeit durch Suizide sank bei Männern dagegen stärker als bei Frauen (– 40 % gegenüber – 32 %). Allerdings sterben Männer nach wie vor deutlich häufiger durch vorsätzliche Selbstbeschädigung als Frauen.15

In welchen Bereichen ist ein Anstieg der Sterberaten zu beobachten?

Nachdem bisher die wichtigsten Todesursachenkomplexe dargestellt wurden, die im Durchschnitt einen Rückgang der Sterblichkeit aufweisen, gilt nun die Aufmerksamkeit denjenigen Kapiteln der European Shortlist, für die seit den 1980er-Jahren ein Anstieg der Sterberaten zu beobachten war. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um

Psychische und Verhaltensstörungen,

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten,

Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane,

Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten.

Der Blick auf Schaubild 2 veranschaulicht, dass dies im Vergleich zu den Kapiteln mit Abnahme der Sterblichkeit eher »kleine« Todesursachen sind. Ausgehend von sehr niedrigen Fallzahlen ist die Zunahme der Sterblichkeit teilweise erheblich. Bei der Interpretation der Daten muss daher verstärkt darauf geachtet werden, ob die Entwicklung durch externe Effekte, beispielsweise durch Änderungen der Regeln bei der Feststellung der Todesursache oder eine verbesserte Diagnostik, beeinflusst wurde.

Demenz als Todesursache gewinnt an Bedeutung

Mit einem Anstieg um mehr als das 5 ½-fache seit Anfang der 1980er-Jahre zeigten »Physische und Verhaltensstörungen« im Betrachtungszeitraum den weitaus stärksten Anstieg der Sterblichkeit und erreichen damit am aktuellen Rand einen Anteil von fast 5 % der Gesamtsterblichkeit. Bestimmt wird diese Entwicklung durch die Todesursache »Demenz«. Da diese Todesursache nicht in der European Shortlist enthalten ist, muss die Betrachtung auf die Zeiträume 1980–1997 (ICD-9) und 1998–2014 (ICD-10) aufgeteilt werden:

Von 1980 bis 1997 stieg die Sterblichkeit durch »Psychiatrische Krankheiten« (ICD-9) um 37,5 %. Wesentlich für diesen Anstieg war die Gruppe der Organischen Psychosen, zu denen auch Demenz gehört.

1998 bis 2014 stieg der Sterblichkeit durch »Psychische und Verhaltensstörungen« (ICD-10) um 255 %. Auch hier war »Demenz« mit einer Zunahme von 3 auf 43 Sterbefälle je 100 000 bestimmend für die Zunahme.

Der drastische Anstieg seit 1998 ist allerdings zu einem erheblichen Teil der Regeländerung16 im Jahr 2011 zuzuschreiben. Die Todesursache Demenz bekam den Vorrang, wenn auf der Todesbescheinigung bestimmte andere Krankheiten angegeben waren, die ebenfalls als Todesursache in Frage kamen.17 Der Anstieg der Sterblichkeit an »Psychischen und Verhaltensstörungen« ist insofern deutlich überhöht.

Höhere Sterblichkeit durch Diabetes, Alzheimer und Parkinson

Auch die Sterblichkeit durch »Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten« ist deutlich gestiegen. Dieser Anstieg wird im Wesentlichen durch Diabetes-Erkrankungen, auf die gut 75 % der Sterbefälle im Kapitel entfallen, verursacht. Die Sterberate lag 2012/14 mit 39 Sterbefällen je 100 000 um das 2 ½-Fache über dem Niveau von 1980/82. Allerdings konzentriert sich der Anstieg vor allem auf die erste Hälfte des Beobachtungszeitraums, was vermutlich auf eine mittlerweile frühere Diagnose der Krankheit und verbesserte Behandlungsmöglichkeiten zurückzuführen ist. Die drittstärkste Zunahme der Sterblichkeit zeigten seit 1980 »Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane«. Die altersstandardisierte Sterberate verdoppelte sich von 17 auf 34 Sterbefälle je 100 000 Einwohner. Von 1980 bis 1997 wird dieser Anstieg wesentlich durch die Todesursachen Parkinson und Alzheimer verursacht, seit 1998 nur noch durch Parkinson.

Die Sterblichkeit an »Bestimmten infektiösen und parasitären Krankheiten« ist mit + 40 % ebenfalls deutlich gestiegen. Diese Zunahme geht aber von einem sehr geringen Ausgangsniveau aus, sodass die Bedeutung dieser Todesursachengruppe für die Gesamtsterblichkeit nach wie vor gering ist. Sie liegt aktuell bei rund 2 % der Sterblichkeit. Die Identifizierung der Krankheiten, die hier den Anstieg der Sterblichkeit verursacht haben, ist aus zwei Gründen schwierig. Einmal unterliegt die Sterblichkeit an Infektionskrankheiten im Zeitablauf größeren Schwankungen. Zweitens sind durchgehende Zeitreihen in tiefer Gliederung wegen des ICD-Wechsels nicht möglich. Auffällig ist seit 2010 ein Anstieg der Sterblichkeit aufgrund infektiöser Darmkrankheiten von 2,3 auf 5 Sterbefälle je 100 000 Einwohner. Dieser Anstieg ist allerdings auf eine Änderung der Signierregeln im Jahr 2010 zurückzuführen, durch die Sterbefälle nicht mehr den Krankheiten des Verdauungssystems, sondern den infektiösen Krankheiten zugerechnet werden.18

Neubildungen in vielen Altersgruppen die häufigste Todesursache

Die Bedeutung der verschiedenen Todesursachen für die altersspezifische Sterblichkeit hat sich durch die in den vorausgegangenen Abschnitten beschriebenen Entwicklungen verschoben. Schaubild 5 zeigt dies, als Fazit dieses Beitrags, für die wichtigsten Todesursachen.19 Bei der Interpretation von Schaubild 5 sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass die einzelnen Säulen je nach Berichtszeitraum, Geschlecht und Altersgruppe ein anderes Niveau der Sterblichkeit repräsentieren.

Auffällig im Zeitvergleich der Sterblichkeit der Männer ist, dass am aktuellen Rand in den Altersgruppen zwischen 45 und 75 Jahren nicht mehr Erkrankungen des Kreislaufsystems, sondern Neubildungen die häufigste Todesursache darstellen. Auch im Zeitvergleich der Sterblichkeit der Frauen ist zu erkennen, dass die Bedeutung der Todesursache Neubildungen steigt, während der Anteil der Erkrankungen des Kreislaufsystems an der Sterblichkeit gesunken ist.

Auf die häufigste Todesursache im Kindes- und Jugendalter, äußere Ursachen von Mortalität und Morbidität, entfällt 2012/14 in den niedrigen Altersgruppen ein geringerer Anteil der Sterblichkeit als noch Anfang der 1980er-Jahre. Dennoch bleiben »äußere Ursachen« bei Männern zwischen 1 und 45 Jahren und Frauen zwischen 15 und 30 Jahren die häufigste Todesursache.

Im hohen Lebensalter, das 2012/14 aufgrund der geringeren Sterblichkeit prozentual mehr Menschen erreicht haben als vor 35 Jahren, erlangen nun zwei Todesursachenkomplexe etwas mehr Gewicht. Dies sind das Kapitel Psychische und Verhaltensstörungen, zu dem auch die Todesursache Demenz gehört, sowie das Kapitel Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane, das die Todesursache Parkinson beinhaltet.

1 www.statistik-bw.de/BevoelkGebiet/GeburtSterben/sterbetafel.jsp (Abruf: 06.10.2016).

2 Die Altersgruppe der 90-Jährigen und älteren wird in diesem Beitrag aus methodischen Gründen nicht dargestellt. Die Bevölkerungsfortschreibung hatte die Zahl der 90-Jährigen und älteren 1980/82 deutlich überschätzt. Demzufolge sind die Sterbeziffern so unterschätzt, dass ein aussagefähiger Vergleich mit 2012/14 nicht möglich ist.

3 Auf Einschränkungen der zeitlichen Vergleichbarkeit durch zwischenzeitliche Aktualisierungslisten der ICD wird jeweils spezifisch hingewiesen.

4 Altersstandardisiert anhand der Europabevölkerung 2013.

5 22. Schwangerschaftswoche bis 7. Tag nach der Geburt.

6 Gesundheit in Deutschland, Gesundheitsberichterstattung des Bundes gemeinsam getragen von RKI und destatis. Berlin, November 2015, S. 27.

7 Mechanische Behinderung der Atmung zum Beispiel durch Bettzeug.

8 Bei Säuglingen ist die Sterblichkeit als »Sterbefälle je 1 000 Lebendgeborene« definiert. In allen anderen Altersgruppen als »Sterbefälle je 100 000 der mittleren gleichaltrigen Bevölkerung«.

9 Gesundheit in Deutschland, a.a.O., S. 38.

10 Gesundheit in Deutschland, a.a.O., S. 52.

11 Zunahmen der Sterblichkeit waren bei bösartigen Neubildungen der Brustdrüse für Männer im Alter von 85 bis unter 90 Jahren sowie bei bösartigen Neubildungen der Niere für Frauen ab 85 Jahren/Männer ab 80 Jahren zu beobachten.

12 Hochstetter, Bernhard: »Zur Entwicklung des Rauchverhaltens in den letzten 20 Jahren«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2016«, S. 15–20.

13 Krankheiten des Atmungssystems bleiben auch im Durchschnitt der Jahre 2012 bis 2014 die dritthäufigste Todesursache, während die Sterblichkeit durch Krankheiten des Verdauungssystems geringfügig unter die Sterblichkeit durch äußere Ursachen sinkt.

14 Siehe Beispiel im i-Punkt.

15 Zur Sterblichkeit der Männer durch äußere Ursachen siehe: Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren (Hrsg.): Jungen- und Männergesundheit in Baden-Württemberg 2015, S. 41 ff und S. 57 ff.

16 Aktualisierungsliste zur ICD-10 der WHO, Übergang von der Version 2006 zur Version 2011 der ICD-10 – Band 2, S. 37 ff.

17 Zum Beispiel Mangelernährung, Kachexie, Marasmus.

18 Laut Aktualisierungsliste zur ICD-10-WHO 2011 wurde Gastroenteritis infektiösen Ursprungs ab 2010 nicht mehr im Kapitel »Krankheiten des Verdauungssystems« (K52.9) sondern im Kapitel »Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten« (A09) erfasst.

19 Dargestellt werden alle Kapitel der ESL, die bei der Betrachtung nach Altersgruppen und Geschlecht einmal zu den drei häufigsten Todesursachen gehörten.