:: 8/2016

Restschuldbefreiung: Möglichkeit eines finanziellen Neubeginns

Verbraucherinsolvenzverfahren seit 1999

Mit der Ablösung der Konkursordnung durch die Insolvenzordnung im Jahr 1999 hat der Gesetzgeber ein spezielles Verbraucherinsolvenzverfahren geschaffen. Ziel war es, Privatpersonen mit Hilfe einer Restschuldbefreiung einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermög­lichen, ohne dabei die Gerichte übermäßig zu belasten. Mit der Insolvenzordnung wurde den Schuldnern unter Auflagen eine Restschuldbefreiung in Aussicht gestellt und damit ein Anreiz zur schnelleren Schuldentilgung geschaffen, was wiederum den Gläubigern zugute kommt.

Die Entwicklung der Verbraucherinsolvenzverfahren seit 1999 und der Weg der zahlungsunfähigen Verbraucher in ein schuldenfreies Leben wird mit der Insolvenzstatistik nachgezeichnet.

Hauptursache für insolvente Verbraucher: Arbeitslosigkeit

Nicht nur Unternehmen geraten in Zahlungsschwierigkeiten, sondern auch Privatpersonen und ganze Haushalte. Die Gründe, warum private Schuldner ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können, sind unterschiedlich und individuell. So führen Verpflichtungen aus Kreditkäufen oder Ratenkäufe, die man in guten Jahren oder in der Erwartung eines steigenden Einkommens einging, bei unerwarteten Änderungen der Lebenssituation wie Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit oder Tod des Hauptverdieners schnell in die Schuldenfalle.

Nach den Ergebnissen der Überschuldungsstatistik1 war im Jahr 2013 bei 23,6 % der überschuldeten Personen die Arbeitslosigkeit der Hauptauslöser für die Zahlungsunfähigkeit, bei knapp 14 % Trennung, Scheidung, Tod des Partners, bei rund 11 % Erkrankung, Sucht oder Unfall. Von gut einem Zehntel wird eine unwirtschaftliche Haushaltsführung als Grund für die Überschuldung angegeben.

In nur 8 % der Fälle wird die gescheiterte Selbstständigkeit als Grund für die schwierige, wirtschaftliche Situation genannt. Seltener führten Zahlungsverpflichtung aus Bürgschaft, Übernahme oder Mithaftung und gescheiterte Immobilienfinanzierung in die Überschuldung.

Ein Ausweg aus der Schuldenfalle: Verbraucherinsolvenzverfahren

Kommt ein Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach, werden die Gläubiger versuchen, ihre Ansprüche zwangsweise durchzusetzen. Dabei ist der Schuldner gesetzlich dazu verpflichtet, Angaben zu seinen Vermögenswerten zu machen und die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser an Eides statt zu versichern (umgangssprachlich wird häufig noch der veraltete Begriff »Offenbarungseid« genutzt). Bei einem Schuldtitel wie einer Vollstreckung bleiben die Schulden 30 Jahre pfändbar. Die Aussicht, dass dem Schuldner unter Umständen für »den Rest seines Lebens« nur der nicht pfändbare Teil seines Einkommens verbleibt, unabhängig davon, was er tut und wie viel er arbeitet, wird ihn eher nicht dazu motivieren, sich um eine Befriedigung der gegen ihn bestehenden Forderungen zu bemühen. Dies bedeutete für viele Gläubiger, dass sie vergeblich auf die Begleichung ihrer Forderungen warteten.

Um die für beide Seiten unbefriedigende Situa­tion zu entschärfen, hat der Gesetzgeber 1999 die bis dahin geltenden Regelungen der Konkurs- und Vergleichsordnung und der Gesamtvollstreckungsordnung durch die neue, einheitliche Insolvenzordnung ersetzt.2 Mit der Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der häufig damit verbundenen Restschuldbefreiung haben nun redliche Schuldner die Möglichkeit nach Durchführung eines Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens eine endgültige Schuldenbereinigung zu erhalten.3

Für die Gläubiger bringt dieses Verfahren den Vorteil, dass der Schuldner verpflichtet ist, seine gegenwärtigen und zukünftigen pfändbaren Einkommen maximal bis zu 6 Jahren zur Begleichung seiner Schulden abzutreten.

Vor einem Insolvenzantrag sieht die Insolvenzordnung zwingend vor, dass der Schuldner versucht, sich mit seinen Gläubigern außergerichtlich auf einen Schuldenbereinigungsplan zu verständigen. Wie oft solche außergerichtlichen Verhandlungen erfolgreich verlaufen, darüber kann die Statistik keine Auskunft geben, denn das Insolvenzstatistikgesetz sieht nicht vor, dass dieser Sachverhalt bei der Befragung der Amtsgerichte durch die Statistischen Landesämter erhoben wird.

Aus der amtlichen Statistik stehen Informationen zur Verfügung über Verfahren, die eröffnet oder mangels Masse abgewiesen worden sind oder bei denen ein gerichtlicher Schuldenbereinigungsplan angenommen worden ist. Darüber hinaus werden seit 2016 auch Daten aus der jährlichen Statistik über beendete Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung veröffentlicht.

Gesetzesänderungen zeigen Wirkung

Seit 1999 haben in Baden-Württemberg weit über 108 000 Verbraucher ein Insolvenzverfahren beantragt. Unmittelbar nach Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens wurde die Möglichkeit der Entschuldung von Verbrauchern zunächst eher verhalten angenommen.

So wurden im 1. Jahr nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung lediglich 382 Verbraucherinsolvenzverfahren beantragt. Davon wurde mehr als ein Drittel mangels Masse abgewiesen. In den beiden darauffolgenden Jahren konnte zwar ein erheblicher Anstieg der beantragten Verfahren festgestellt werden, die Zahl der mangels Masse abgewiesenen Fälle blieb jedoch hoch. Eine wesentliche Ursache hierfür ist wohl in der damals gängigen Praxis der meisten Insolvenzgerichte zu sehen, die bei masselosen Verfahren einen Verfahrenskostenvorschuss forderten und Prozesskostenhilfe ablehnten.

Dieses für mittellose Schuldner schwer zu überwindende Hindernis wurde mit dem Einführen der Stundungsregelung in die Insolvenzordnung zum 1. Dezember 2001 beseitigt. Ab dem Jahr 2002 nahm die Zahl der beantragten Verfahren massiv zu und erreichte 2010 ihren vorläufigen Höhepunkt mit 10 766 Verbraucherinsolvenzverfahren. Damit hat sich die Zahl der pro Jahr beantragten Insolvenzverfahren in 12 Jahren fast verdreißigfacht.

Gleichzeitig gingen mit der Alternative, dass der Schuldner einen Stundungsantrag stellen kann, die wegen mangels Masse abgewiesenen Verfahren drastisch zurück. Wurden 2001 noch fast 15 % der Verfahren mangels Masse abgewiesen, waren es 2002 nur noch 2,2 % und seit 2003 liegt der Anteil immer deutlich unter 1 %.

Nach einer ca. 5-jährigen Einführungsphase, in der der Bekanntheitsgrad der Entschuldungsmöglichkeit für redliche Schuldner zunahm und damit auch der Beratungsbedarf der betroffenen Personen, folgte eine Phase, in der »eine Bugwelle« von überschuldeten Verbrauchern, die eine Restschuldbefreiung anstrebten, abge­arbeitet werden musste.

Seit 2011 sinkt die Zahl der beantragten Verbraucherinsolvenzen kontinuierlich. Ob dieser Rückgang mit dem am 19. Juni 2013 in Kraft getretenen »Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrecht« in Verbindung steht, bleibt abzuwarten. Das Gesetz sieht vor, dass bei Insolvenzanträgen, die nach dem 30. Juni 2014 eingereicht werden, unter bestimmten Bedingungen das Restschuldbefreiungsverfahren bereits nach 3 Jahren statt wie bisher nach 5 Jahren beendet werden kann. Für das Jahr 2015 lag die Zahl der beantragten Verbraucherinsolvenzverfahren erneut unter dem Vorjahresergebnis. Auch für das 1. Quartal 2016 lässt sich keine Zunahme feststellen, die darauf schließen lässt, dass Verbraucher das Einreichen ihres Insolvenzantrags auf die Zeit nach dem 30. Juni 2014 verschoben haben.

Gerichtlicher Schuldenbereinigungsplan

Wenn sich der Schuldner und seine Gläubiger nicht außergerichtlich auf einen Schuldenbereinigungsplan verständigen können, bleibt dem Schuldner nur der Weg einen Antrag auf Er­öffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens zu stellen und die Restschuldbefreiung zu beantragen.

Im ersten Schritt wird das Gericht nochmals versuchen, eine gütliche Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen. Das Gericht hat eine bessere Handhabe, eine Einigung herbeizuführen, als das bei einer außergerichtlichen Regulierung der Fall ist. So sind die Gläubiger gezwungen, aktiv an dem Verfahren mitzuwirken; das Schweigen eines Gläubigers gilt beispielsweise als Zustimmung. Auch kann das Gericht die Zustimmung eines ablehnenden Gläubigers ersetzen, wenn dieser Gläubiger durch den Schuldenbereinigungsplan nicht schlechter gestellt wird als bei Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens.4

Über 6 200 mal wurde seit 1999 ein Schuldenbereinigungsplan angenommen. Zwischen 2005 und 2015 schwankt der Anteil der angenommenen Schuldenbereinigungspläne an den Verfahren insgesamt zwischen 6,5 % (Maximalwert 2005) und 4,1 % (Minimalwert 2011). Da der angenommene Schuldenbereinigungsplan wie ein gerichtlicher Vergleich wirkt, sind nur noch die im Plan festgelegten Verbindlichkeiten zu begleichen und nicht mehr die ursprünglichen. Werden jedoch Gläubiger vergessen, dann bestehen deren Forderungen unvermindert weiter.

Nächste Stufe: Das Insolvenzverfahren

Können sich die Parteien nicht auf einen Schuldenbereinigungsplan einigen, nimmt das Gericht das Verfahren über den Eröffnungsantrag wieder auf. Während 1999 nur knapp die Hälfte der beantragten Verfahren eröffnet wurde, sind dies seit 2005 regelmäßig deutlich über 90 % der Verfahren.

Die Amtsgerichte ermitteln zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Insolvenzantrag auch die voraussichtlichen Forderungen. Hierbei handelt es sich um – teilweise geschätzte – Verbindlichkeiten, von denen die Gerichte in Kenntnis gesetzt wurden. In diesem Betrag sind auch die durch Absonderungsrechte gesicherten, bevorrechtigten Forderungen enthalten.

Die durchschnittliche Forderungshöhe je Verbraucherinsolvenzverfahren im Land lag 2001 bei über 464 600 Euro. Seither nahm sie nahezu kontinuierlich ab und erreichte 2015 ihren vorläufigen Tiefstand mit rund 57 100 Euro.

Die Abwicklung der Verfahren

Bisher lagen zur Abwicklung der Verfahren nur sehr eingeschränkt Informationen vor. Mit dem Inkrafttreten des neuen Insolvenzstatistikgesetzes zum 1. Januar 2013 verbesserte sich die Datenlage erheblich. Die neue Statistik über beendete Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung gibt neben der Abwicklung des eröffneten Verfahrens auch Aufschluss über die Entscheidung des Restschuldbefreiungsverfahrens.

Erstmalig können statistische Aussagen über die im Jahr 2009 eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren, die bis zum 31. Dezember 2013 beendet wurden, getroffen werden. Von den im Jahr 2009 eröffneten 9 500 Verfahren waren nach 4 Jahren knapp 9 250 Verfahren abgeschlossen, also rund 97 %.

Bei diesen beendeten Verbraucherinsolvenzverfahren summierten sich die Forderungen auf 533 Mill. Euro. Diesen Forderungen stand lediglich ein zur Verteilung verfügbarer Betrag in Höhe von 10,4 Mill. Euro gegenüber. So ergaben sich für die Gläubiger Verluste in Höhe von über 523 Mill. Euro.

Letzte Stufe: Das Restschuldbefreiungsverfahren

Hat der Insolvenzverwalter das pfändbare Vermögen und Einkommen an die Gläubiger verteilt, wird das Insolvenzverfahren aufgehoben, und es schließt sich, wenn ein Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt wurde, die sogenannte Wohlverhaltensphase an.

Für die Dauer dieser Wohlverhaltensphase, die grundsätzlich 6 Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet, wird das pfändbare Einkommen des Schuldners an einen Treuhänder abgeführt und von diesem an die Gläubiger verteilt.5 Bei 8 937 insolventen Verbrauchern, deren Verfahren 2009 eröffnet und bis 2013 beendet wurde, wurde eine Restschuldbefreiung angekündigt bzw. als zulässig anerkannt. Die Höhe der Forderungen an diesen Personenkreis lag bei 532 Mill. Euro. Hier werden die Gläubiger auf bis zu 513 Mill. Euro verzichten müssen.

Mit dem Jahr 2015 ist für die Verbraucher, die 2009 ein Insolvenzverfahren beantragt hatten, die Wohlverhaltensphase abgelaufen. Die ersten Meldungen zur Entscheidung über Restschuldbefreiung dieser Verfahren liegen bereits vor oder werden derzeit von den auskunftspflichtigen Insolvenzverwaltern, Sachwaltern und Treuhändern an die Statistischen Landesämter zur Aufbereitung und Auswertung übermittelt. Ab Anfang 2017 sind Informationen darüber verfügbar. Dann ist ersichtlich, wie viele der redlichen Schuldner ihr Ziel erreicht haben und in ein schuldenfreies Leben starten können. Es kann aber auch aufgezeigt werden, wie vielen Schuldnern die Restschuldbefreiung versagt wurde und warum.

1 Die Überschuldungsstatistik ermöglicht Aussagen über die Zusammensetzung des überschuldeten Personenkreises, über die Ur­sachen der Verschuldung sowie über die Höhe der durchschnittlichen Schul­den. Zur Überschuldungsstatistik siehe zum Beispiel Statistisches Bundesamt: Statistik zur Überschuldung privater Personen, 2013, Wies­baden 2014, Erscheinung jährlich.

2 Angele, Jürgen: Insolvenzen 1999 bis 2001 nach dem neuen Insolvenzrecht, in: Wirtschaft und Statistik 6/2002.

3 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 2014: Restschuldbefreiung – eine Chance für redliche Schuldner.

4 Henning, Kai: Der Verbraucherschuldner in der Insolvenz, in: Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht 2015, Kapitel 16, S.1433–1557.

5 Hinweisblatt zu den Formularen für das Verbraucherinsolvenzverfahren und das Restschuldbefreiungsverfahren, Amtliche Fassung 7/2014.