:: 2/2016

Wahlverhalten in Baden-Württemberg im langfristigen Vergleich

Seit 1952 wird die Zusammensetzung des baden-württembergischen Landtags in regelmäßigen Abständen durch Wahlen bestimmt. Die Wahl des 16. Landtags findet am 13. März 2016 statt. Von 8 bis 18 Uhr sind die Wählerinnen und Wähler dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Während bei der letzten Landtagswahl (2011) erstmals eine grün-rote Mehrheit die Macht übernahm, war in den Jahrzehnten davor vor allem die CDU in Regierungsverantwortung. Das Wahlverhalten der Baden‑Württembergerinnen und Baden‑Württemberger bei der Landtagswahl 2011 tritt somit im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen besonders hervor. Wie hat sich in diesem Zusammenhang die Zusammensetzung der Wählerschaft der Parteien verändert? Können neue Entwicklungstrends für die Wahlbeteiligung von Frauen und Männern, jüngeren und älteren Wählerinnen und Wählern festgestellt werden? Als Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen kann die durch das Statistische Landesamt seit 1964 bei Landtagswahlen erhobene Repräsentative Wahlstatistik herangezogen werden. Diese ermöglicht – im Gegensatz zu den Wahlanalysen von Meinungsforschungsinstituten – die Betrachtung des tatsächlichen Wahlverhaltens.

Wahlbeteiligung1 2011 erstmals seit 1988 wieder gestiegen

Nicht nur aufgrund der veränderten Machtverhältnisse im Landtag sticht die Landtagswahl 2011 im historischen Vergleich hervor, sondern auch aufgrund der erstmals seit Jahren gestiegenen Wahlbeteiligung. Seit der historisch hohen Wahlbeteiligung im Jahr 1972 (80 %) nahm der Anteil der Wahlberechtigten, die sich tatsächlich für einen Urnengang entscheiden, kontinuierlich ab. Einzige Ausnahme bildete bisher das Jahr 1988, in dem die Wahlbeteiligung im Vergleich zur vorangegangenen Landtagswahl um minimale 0,6 Prozentpunkte zulegen und damit einen Wert von 71,8 % erreichen konnte. Mit der Wahl zum 15. Landtag im Jahr 2011 stieg die Wahlbeteiligung auf 66,3 %, was einer Zunahme von insgesamt 12,9 Prozentpunkten im Vergleich zur Landtagswahl 2006 (53,4 %) entspricht. Ob sich in diesem Verhalten der Wählerinnen und Wähler eine Trendwende abzeichnet oder ob es sich um einen einmaligen Ausreißer handelt, bleibt abzuwarten.

Frauen fast immer mit niedrigerer Wahlbeteiligung als Männer

Durch die Daten der Repräsentativen Wahlstatistik kann das unterschiedliche Wahlverhalten von Männern und Frauen betrachtet und der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich diese beiden Bevölkerungsgruppen in ihrem Wahlverhalten unterscheiden. Eine seit Jahren feststellbare Tendenz ist die unterschiedlich hohe Wahlbeteiligung von Männern und Frauen. Während im Jahr 1964 70,6 % der männlichen Wahlberechtigten ihr Stimme abgaben, machten nur 64,9 % der Wählerinnen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Obwohl bei der letzten Landtagswahl (nach einem jahrelangen Abwärtstrend) die Wahlbeteiligung in beiden Gruppen deutlich zunahm, blieben die Baden‑Württembergerinnen weiterhin den Wahlurnen häufiger fern als ihre männlichen Landesgenossen. So lag die Wahlbeteiligung der Frauen bei der Landtagswahl 2011 mit 61,4 % auf einem niedrigeren Niveau als die der Männer mit 63,7 %.

Besonders deutlich wird dieser Unterschied bei einer Unterteilung der Wählerschaft nach dem Alter. Über fast alle Altersgruppen hinweg entscheiden sich die baden-württembergischen Frauen seit Jahren seltener für die Teilnahme an Landtagswahlen. Dabei wird dieser Effekt mit zunehmendem Alter tendenziell stärker. Beispielsweise gaben im Jahr 1964 von den mindestens 70 Jahre alten Wählerinnen lediglich 53,9 % ihre Stimme ab. Im Gegensatz dazu gingen von den männlichen Wahlberechtigten der gleichen Altersgruppe im selben Jahr 72,4 % zur Wahl – ein Unterschied von immerhin 18,5 Prozentpunkten. Bei der Landtagswahl 2011 lag diese Differenz bei 12,1 Prozentpunkten. Zwar kann vereinzelt für bestimmte Altersgruppen bei einigen Landtagswahlen eine höhere Wahlbeteiligung bei den weiblichen als bei den männlichen Wahlberechtigten festgestellt werden. Allerdings bewegen sich diese Unterschiede fast ausschließlich im Bereich von unter 1 Prozentpunkt. Lediglich bei der Landtagswahl 2011 überstieg der Anteil der Frauen im Alter von 35 bis 39 Jahren, die an der Wahl teilnahmen, den der Männer um 2,5 Prozentpunkte.

Obwohl bei der Landtagswahl 2011 nach wie vor eine niedrigere Wahlbeteiligung von Frauen festgestellt werden kann, ergibt der Zeitvergleich, dass sich die Werte der beiden Gruppen tendenziell immer weiter angenähert haben. Betrug der Abstand im Jahr 1964 noch 5,7 Prozentpunkte und bei der Landtagswahl 1992 noch 4,2 Prozentpunkte, lag im Jahr 2011 der Anteil der Männer, die sich für die Stimmabgabe entschieden haben, lediglich 2,3 Prozentpunkte über dem der Frauen.

Wahlbeteiligung je nach Alter teilweise sehr unterschiedlich

Wie bereits im Abschnitt zuvor deutlich wurde, hat nicht nur das Geschlecht, sondern auch das Alter einen Einfluss auf die Teilnahme an politischen Wahlen. Die bisher niedrigste Wahlbeteiligung kann bei der Landtagswahl 2006 in der Gruppe der 25- bis 29-Jährigen festgestellt werden. Lediglich 31,1 % der Wahlberechtigten dieser Altersgruppe gaben ihre Stimme ab, dicht gefolgt von den 21 bis 24 Jahre alten Wählerinnen und Wählern mit 31,6 %. Historisch betrachtet bleibt insbesondere die Gruppe der 21- bis 24-Jährigen am häufigsten den Wahlurnen fern. Von 1964 bis 2001 weist diese Gruppe konstant die niedrigste Wahlbeteiligung auf. Auch wenn 2011 mit einem Wert von 47 % wieder eine deutlich höhere Wahlteilnahme als bei den vorangegangenen Landtagswahlen erreicht wurde, bleibt diese Altersgruppe deutlich unter dem Landesdurchschnitt (62,5 %).

Im Gegensatz dazu nutzen von den Wahlberechtigten im Alter von 60 bis 69 Jahren traditionell die meisten Personen die Gelegenheit zur Stimmabgabe. Ihren höchsten Wert erreichte diese Gruppe dabei im Jahr 1976 mit einer Wahlbeteiligung von 82,8 %. Selbst der niedrigste Wert der Wahlbeteiligung in dieser Gruppe, welcher 2006 mit 64,2 % erreicht wurde, liegt nur knapp hinter dem besten Wert (1972: 65,1 %), den die Gruppe der 21- bis 24-Jährigen bisher erreichen konnte.

Dass in der höchsten Altersgruppe (70 Jahre und mehr) die Wahlbeteiligung wieder abnimmt, könnte auch damit zusammenhängen, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer aufweisen und dadurch in der Gruppe der über 70-Jährigen überrepräsentiert sind. Wie bereits festgestellt wurde, weisen Frauen insbesondere in den höheren Altersgruppen eine niedrigere Wahlbeteiligung auf als Männer. Es ist daher naheliegend, dass die niedrigere Wahlbeteiligung älterer Menschen nicht mit einem plötzlichen Desinteresse an Wahlen zusammenhängt, sondern vielmehr mit dem unterschiedlichen Wahlverhalten von Männern und Frauen erklärt werden könnte.

Ältere gewinnen zunehmend an Einflusspotenzial

Die Effekte des demografischen Wandels können auch in Bezug auf politische Wahlen festgestellt werden. Waren im Jahr 1984 noch 27,8 % der Wahlberechtigten jünger als 35 Jahre, gehörten bei der Landtagswahl 2011 nur noch 18 % der Wählerschaft dieser Gruppe an. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Wahlberechtigten im Alter von 60 und mehr Jahren von 27,4 % (1984) auf 37,3 % (2011). Es wird deutlich, dass sich die Gruppe der jüngeren und der älteren Wählerinnen und Wähler in ihrer Größe zunehmend auseinanderbewegen. Aufgrund des demografischen Wandels gewinnen die älteren Wählerinnen und Wähler daher zunehmend an Einflusspotenzial. In Kombination mit der tendenziell niedrigeren Wahlbeteiligung unter den jüngeren Wahlberechtigten verstärkt sich dieser Effekt noch weiter.

CDU trotz Einbußen ungebrochen stärkste Kraft

Mit der Wahl zum 15. Landtag im Jahr 2011 musste die CDU erstmals seit 58 Jahren ihre Regierungsverantwortung abgeben. Abgelöst wurde die schwarz-gelbe Koalition durch eine grün-rote Koalition aus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD. Dennoch blieb die CDU mit 39 % der abgegebenen Stimmen weiterhin die stärkste Kraft im baden-württembergischen Landtag. Ihr bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Baden‑Württemberg erzielte die Partei im Jahr 1976 mit 56,7 %. Die Wählerschaft der CDU setzt sich zu weiten Teilen aus der Gruppe der 60 Jahre und älteren zusammen. Weniger Rückhalt genießt die Partei hingegen bei jüngeren Wählerinnen und Wählern. So erhielt die Partei beispielsweise bei der Landtagswahl 2011 zwar 47,5 % ihrer Stimmen von den Wählerinnen und Wählern im Alter von mindestens 60 Jahren. Aus dem Lager der 18- bis 24-jährigen Wahlberechtigten kamen hingegen nur 5,8 % der CDU-Stimmen. Historisch betrachtet hat dieser Trend über die Jahre zugenommen.

DIE GRÜNEN mit jüngster Wählerschaft

Im Vergleich mit den anderen derzeit im Landtag vertretenen Parteien weisen die GRÜNEN die jüngste Wählerschaft auf. Die Partei erhielt bei den Landtagswahlen von 1984 bis 1996 die meisten ihrer Stimmen von den Wählerinnen und Wählern zwischen 25 und 34 Jahren. Auch die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen war innerhalb der GRÜNEN-Wählerschaft stärker vertreten als bei den anderen Parteien. Obwohl sich feststellen lässt, dass die Wählerinnen und Wähler der Partei tendenziell ebenfalls älter werden – 2011 machen die 45- bis 59-Jährigen mit 39 % den größten Anteil aus – kommen weiterhin überdurchschnittlich viele Stimmen aus den jüngeren Altersgruppen. Gleichzeitig erhalten die GRÜNEN von den Wahlberechtigten über 60 Jahren deutlich weniger Stimmen. Beispielsweise betrug der Anteil dieser Altersgruppe im Jahr 2011 an der Gesamtwählerschaft von Baden‑Württemberg 37,3 %, jedoch kamen nur 20,7 % der Stimmen für die GRÜNEN aus dieser Gruppe.

SPD- und FDP-Wählerschaft weisen ähnliche Altersstruktur auf

Auch wenn die Wählerschaft der SPD insgesamt etwas jünger als die der CDU ist, erhält die Partei seit einigen Jahren ebenfalls die meisten ihrer Stimmen aus dem Lager der mindestens 60 Jahre alten Wählerinnen und Wähler. So kamen bei der Landtagswahl 1980 lediglich 25,6 % der SPD-Stimmen aus dieser Gruppe. Bis 2011 stieg ihr Anteil jedoch deutlich auf 41,7 %. Den zweitgrößten Anteil ihrer Stimmen erhielt die Partei 2011 mit 29,8 % aus der Gruppe der 45- bis 59-Jährigen. Nochmals deutlich wird die zunehmende Alterung der SPD-Wählerschaft durch die Betrachtung der jüngeren Wählerinnen und Wähler. Sowohl im Jahr 1980 als auch 1992 betrug der Anteil der SPD-Wählerinnen und Wähler jeweils gut 28 %. Bei der Landtagswahl 2011 stammten noch lediglich 16,7 % der SPD-Stimmen aus dieser Altersgruppe.

Die Altersstruktur der FDP-Wählerschaft weist große Ähnlichkeit mit der Zusammensetzung der SPD-Wählerschaft auf. Bis zur Landtagswahl im Jahr 1996 kamen die meisten Stimmen für die FDP von den 45 bis 59 Jahre alten Wählerinnen und Wählern. Seit 2001 kommt der größte Anteil der FDP-Stimmen von den 60 Jahre und älteren (2011: 33,4 %; 2006: 35,6 %; 2011: 41,5 %). Im Gegensatz zur SPD schnitt die FDP bei den letzten beiden Wahlen allerdings im Segment der 18- bis 24-Jährigen schlechter ab (2006: 6,2 %; 2011: 5,9 %).

Parteipräferenzen von Männern und Frauen zunehmend ähnlicher

Das Wahlverhalten von Männern und Frauen unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich der grundsätzlichen Entscheidung, überhaupt an politischen Wahlen teilzunehmen. Die Unterschiede erstrecken sich darüber hinaus auch auf die letztendliche Wahlentscheidung, welcher Partei die eigene Stimme gegeben wird. Dieser Effekt kann allerdings nicht für alle Parteien im gleichen Ausmaß festgestellt werden.

Insbesondere im Falle der Stimmenabgabe für CDU und SPD zeigt sich bei der historischen Betrachtung ein deutlicher Einfluss des Geschlechts auf die Wahlentscheidung. Beispielsweise gab im Jahr 1968 rund jede zweite Wählerin (50,2 %) der CDU ihre Stimme. Auf der Seite der Wähler entschieden sich im selben Jahr hingegen lediglich 37,2 % für eine Wahl der CDU. Somit lag der Anteil der Frauen, die die CDU wählten, 13 Prozentpunkte über dem Anteil der Männer, die ebenfalls für die CDU stimmten. Über die Jahre haben sich Männer und Frauen bezüglich ihrer Wahlentscheidung für die CDU jedoch zunehmend angeglichen. Bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2011 betrug der Abstand nur noch 0,6 Prozentpunkte.

Im Falle der SPD kann lediglich für die Landtagswahlen von 1964 bis 1976 eine deutlich unterschiedliche Unterstützung von Männern und Frauen für die Partei festgestellt werden. In diesem Zeitraum lag der Anteil der Männer, die sich für eine Wahl der SPD entschieden, deutlich über dem der Frauen – der größte Abstand kann dabei mit 7,5 Prozentpunkten im Jahr 1964 festgestellt werden. Bei den folgenden Landtagswahlen verringerte sich dieser Abstand immer weiter und über die Jahre entschieden sich vereinzelt auch mehr Frauen als Männer für die Wahl der SPD. Der frühere Unterschied zwischen Wählerinnen und Wählern in ihrer Präferenz für die SPD besteht heute folglich nur noch in unbedeutendem Ausmaß.

In den Anfangsjahren der GRÜNEN wählte ein größerer Anteil der männlichen Wahlberechtigten im Vergleich zu den weiblichen Wahlberechtigten die Partei. Diese Unterschiede fielen allerdings eher gering aus (1980: 1,2 Prozentpunkte; 1984: 1 Prozentpunkt; 1988: 0,1 Prozentpunkte). Seit der Landtagswahl im Jahr 1992 liegt der Anteil der Frauen, die den GRÜNEN ihre Stimme geben, konstant über dem der männlichen Wahlberechtigten. Der deutlichste Abstand findet sich in diesem Zusammenhang bei der Landtagswahl im Jahr 2011 mit 3,9 Prozentpunkten.

Auch wenn sich tendenziell mehr Männer für die Wahl der FDP entscheiden als Frauen, kann insgesamt kein herausragender Effekt des Geschlechts auf die Wahlentscheidung für oder gegen die Partei identifiziert werden. Die größten Unterschiede zwischen Männern und Frauen in dieser Hinsicht liegen in den Jahren 1964 (1,9 Prozentpunkte) und 2006 (1,4 Prozentpunkte).

1 Die hier betrachteten Zahlen beziehen sich auf die Wahlbeteiligung der Wählerinnen und Wähler ohne Wahlschein.