:: 12/2009

Der demografische Wandel

Auswirkungen auf die künftige Entwicklung der Erwerbspersonenzahl in Baden-Württemberg

Die zukünftige Entwicklung der Bevölkerung und deren Altersstruktur hat Folgen für praktisch alle gesellschaftlichen Bereiche. Neben den Konsequenzen für die Kinderbetreuung und den Bildungsbereich, das Gesundheitswesen und die Rentenversicherung stehen auch die Auswirkungen für die Erwerbspersonenzahl und -struktur im Blickpunkt des Interesses. Je nachdem, ob künftig ein steigendes oder sinkendes Arbeitskräfteangebot zu erwarten ist, können sich mehr oder weniger starke Be- oder Entlastungswirkungen für die Arbeitsmärkte ergeben – und diese Wirkungen können in den einzelnen Teilräumen sehr unterschiedlich ausfallen.

Um diese Entwicklungen abschätzen zu können, wurden seitens der amtlichen Statistik auch Vorausrechnungen zur künftigen Erwerbspersonenzahl in den 16 Bundesländern bis zum Jahr 2030 durchgeführt.1 Die sich hieraus ergebenden Trends für Baden-Württemberg sollen im vorliegenden Beitrag skizziert werden. Demnach könnte die Erwerbspersonenzahl im Südwesten noch bis 2015 ansteigen und erst um das Jahr 2025 unter das aktuelle Niveau absinken. Dies impliziert aber einen moderaten Anstieg der Erwerbsbeteiligung insbesondere bei den älteren Erwerbspersonen. Unabhängig von der weiteren Entwicklung der Erwerbsbeteiligung werden die Erwerbspersonen im Schnitt älter werden.

In Baden-Württemberg gab es im Jahr 2005 – dem Basisjahr der Vorausrechnung – ca. 5,7 Mill. Erwerbspersonen2, darunter waren 45 % Frauen. Die Erwerbsquote der Frauen betrug 55 %, die der Männer 70 %. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern liegt damit die Erwerbsbeteiligung der Männer mit an der Spitze; die der Frauen rangiert auf dem 5. Platz.

Bei konstanter Erwerbsbeteiligung bereits nach 2010 Rückgang der Erwerbspersonenzahl

Die künftige Entwicklung der Erwerbspersonenzahl ist von drei Faktoren abhängig: Von der Entwicklung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, von deren alterstruktureller Zusammensetzung und vom künftigen Trend bei der Erwerbsbeteiligung.

Wird – in einer ersten Variante – für die Zukunft eine Konstanz der derzeitigen Erwerbsbeteiligung unterstellt, so wird sich die Erwerbspersonenzahl entsprechend der zu erwartenden Veränderung der Bevölkerungszahl im erwerbsfähigen Alter verändern. Hierzu wurde auf die Ergebnisse der 11. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Bundes und der Länder zurückgegriffen.3 Da dieser Vorausberechnung das Basisjahr 2005 zugrunde liegt, wurde dieses Jahr auch als Startjahr für die Erwerbspersonenvorausberechnung gewählt.

Die Erwerbspersonenzahl in Baden-Württemberg wird unter diesen Annahmen – der sogenannten Status-quo-Variante – nur noch bis 2010 geringfügig ansteigen und danach stetig zurückgehen. Im Jahr 2030 könnte die Zahl der Erwerbspersonen um gut 11 % niedriger liegen als 2005 (Schaubild 1).

Eine Konstanz der Erwerbsbeteiligung ist aber eher unwahrscheinlich. Vielmehr ist zu erwarten, dass die altersspezifischen Erwerbsquoten insbesondere aus folgenden Gründen in den nächsten Jahren ansteigen werden:

  • Der Einstieg in das Berufsleben wird aufgrund der Verkürzung der Gymnasialzeit und der Straffung der Studienzeiten durch Bachelor- bzw. Masterstudiengänge künftig früher erfolgen.
  • Das Renteneintrittsalter soll stufenweise angehoben werden.
  • Die Erwerbsquoten der Frauen werden sich – wie bereits in der Vergangenheit – tendenziell weiter an die (höheren Werte) der Männer angleichen.4
  • Um diese sich abzeichnenden Entwicklungen bei der Erwerbsbeteiligung zu berücksichtigen, wurden neben der Status-quo-Variante noch zwei weitere Varianten gerechnet, die von steigenden Erwerbsquoten während des Vorausrechnungszeitraums ausgehen:
  • In der sogenannten Primärvariante wurde eine Anpassung der Erwerbsquoten an das Niveau in denjenigen EU-Staaten vorgenommen, die derzeit eine höhere Erwerbsbeteiligung aufweisen (vgl. i-Punkt Seite 9). Diese Variante wird als Primärvariante bezeichnet, weil bei ihr – aus heutiger Sicht – die größte Eintrittswahrscheinlichkeit der drei Varianten vermutet wird.
  • In der sogenannten Maximalvariante wird gegenüber der Primärvariante zusätzlich unterstellt, dass sich bis zum Jahr 2030 die Erwerbsbeteiligung der Frauen vollständig an die der Männer angleichen wird. Das Eintreffen dieser Variante ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, sodass sie als Modellrechnung zu bewerten ist.

Die Annahme einer steigenden Erwerbsbeteiligung in einzelnen Altersgruppen bedeutet allerdings nicht, dass die Erwerbsquote der Gesamtbevölkerung zunehmen wird. Im Gegenteil: Die Erwerbsbevölkerung wird im Vorausrechnungszeitraum aufgrund ihrer Altersstruktur stetig älter (s. u.), wodurch der Anteil älterer Erwerbspersonen mit einer relativ geringen Erwerbsbeteiligung ein immer größeres Gewicht erhält. Damit sinkt im Zeitablauf – rein rechnerisch – die Erwerbsquote insgesamt, da diese als Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung im Alter von 15 und mehr Jahren definiert ist.

Für Baden-Württemberg bedeutet dies, dass die Erwerbsquote der Männer insgesamt von derzeit 70 % auf rund 65 % bis 2030 zurückgehen wird. Bei den Frauen könnte der Rückgang um etwas mehr als 2 Prozentpunkte auf dann gut 52 % ausfallen (Tabelle).

Bei steigender Erwerbsbeteiligung wird die Erwerbspersonenzahl frühestens 2025 sinken

Unter der Annahme steigender altersspezifischer Erwerbsquoten entsprechend der Primärvariante würde die Erwerbspersonenzahl in Baden-Württemberg noch bis 2015 um ca. 180 000 auf 5,88 Mill. ansteigen und erst um das Jahr 2025 unter das aktuelle Niveau absinken. Im Jahr 2030 läge die Erwerbspersonenzahl um etwa 280 000 oder um 5 % niedriger als im Ausgangsjahr. Lediglich in Hamburg und Hessen wäre die Entwicklung günstiger (Schaubild 2).

Unter der Annahme der Maximalvariante, wonach sich die altersgruppenspezifischen Erwerbsquoten der Frauen vollständig an die der Männer angleichen werden, wird sich die Erwerbspersonenzahl bis 2020 sogar auf knapp 6,1 Mill. erhöhen. Und auch im Jahr 2030 läge die Erwerbspersonenzahl mit 5,85 Mill. noch um annähernd 150 000 höher als im Basisjahr.5

Erwerbspersonen werden immer älter

Der Altersdurchschnitt der Erwerbspersonen in Baden-Württemberg wird künftig zunehmen. Sowohl bei konstanter als auch bei steigender Erwerbsbeteiligung ergibt sich ein sinkender Anteil der unter 50-jährigen Erwerbspersonen und ein entsprechend steigender Anteil an älteren, über 50-jährigen Erwerbspersonen.

Während im Basisjahr 2005 die Erwerbspersonen in Baden-Württemberg zu knapp 26 % aus 50-jährigen und älteren Personen bestand, wird dieser Anteil bis 2020 auf gut 35 % (Status-quo- sowie Primärvariante) bzw. sogar auf etwas mehr als 36 % (Maximalvariante) ansteigen (Schaubild 3). Bis zum Jahr 2030 ist zwar nach allen Rechenvarianten wieder ein leichter Rückgang des Anteils der älteren Erwerbspersonen zu erwarten, allerdings wird das Ausgangsniveau des Jahres 2005 bei Weitem nicht mehr erreicht.

Auswirkungen auf die Systeme der sozialen Sicherung

Im Hinblick auf die Tragfähigkeit des Systems der sozialen Sicherung hat die Entwicklung des Anteils der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung eine zentrale Bedeutung. Dieses Verhältnis gibt Aufschluss darüber, wie viele Erwerbspersonen den nicht im Erwerbsleben stehenden Personen gegenüberstehen. Diese Nichterwerbspersonen müssen von den Erwerbstätigen in den Bereichen Alterssicherung, Gesundheitswesen und anderer sozialstaatlicher Leistungen mitgetragen werden.

Ausgehend von einem Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung von 53 % in Baden-Württemberg wird sich dieser Anteil auf Basis der Status-quo-Variante bis 2020 geringfügig auf knapp 52 % und danach deutlich auf nur noch 47 % verringern (Schaubild 4). Eine immer kleiner werdende Gruppe an Erwerbspersonen müsste somit die Lasten der sozialen Sicherungssysteme tragen.

Eine zunehmende Erwerbsbeteiligung gemäß der Primärvariante hätte hingegen zur Folge, dass zumindest bis zum Jahr 2020 die Lasten der sozialen Sicherungssysteme sogar auf mehr Schulter verteilt würden. Bis zum Jahr 2030 würde dann aber auch bei der Primärvariante der Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung auf 51 % zurückgehen. Bei der Maximalvariante würde dieser Anteil auch noch im Jahr 2030 über dem Ausgangsniveau liegen.

Ausblick: Arbeitskräfteangebot dürfte allenfalls langfristig knapp werden

Im Jahr 2008 ist die Bevölkerungszahl Baden-Württembergs erstmals seit 1984 – wenn auch nur geringfügig – zurückgegangen. In den nächsten Jahren dürfte sich der Bevölkerungsrückgang sogar noch verstärken. Denn zum einen wird die Altersstruktur der Bevölkerung – immer mehr ältere und immer weniger junge Menschen – zu einem steigenden Geburtendefizit führen; und zum anderen wird Baden-Württemberg aller Voraussicht nach nur noch von moderaten Wanderungsgewinnen profitieren, die das Geburtendefizit nicht mehr kompensieren können.

Dieser Trend wird dazu führen, dass auch die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter im Südwesten zurückgehen wird. Allerdings bedeutet dies nicht automatisch eine Abnahme der Erwerbspersonenzahl. Vielmehr dürfte die Erwerbsbeteiligung insbesondere der ganz jungen und der älteren Menschen weiter steigen. Unter diesen Bedingungen ist es eher unwahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit aus demografischen Gründen zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel kommen wird – besonders auch vor dem Hintergrund der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Auswirkungen auf die mittelfristige Arbeitskräftenachfrage jedoch noch nicht absehbar sind.

Allerdings liegt den vorgelegten Ergebnissen »nur« ein quantitativer Ansatz zugrunde. Die Thematik »Fachkräftemangel« wurde ausgeklammert. Zu erwarten ist, dass sich der internationale Wettbewerb vor dem Hintergrund der Globalisierung weiter verschärfen dürfte, sodass die entsprechende Qualifizierung der Arbeitskräfte weiter an Bedeutung gewinnen wird.

Die Erwerbsbevölkerung in Baden-Württemberg wird bis zum Jahr 2020 stetig älter. Im Hinblick auf die zukünftige internationale Konkurrenz- und Innovationsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschlands wird dies oftmals als Problem angesehen. Flexibilität, Kreativität und die Fähigkeit neue, innovative Konzepte zu entwickeln bzw. anzuwenden, werden gemeinhin eher den jüngeren Bevölkerungsgruppen zugeschrieben. Dennoch muss eine Alterung der Erwerbspersonen nicht zwingend Nachteile mit sich bringen. Zwar nimmt mit zunehmendem Alter die körperliche Leistungsfähigkeit ab, die aber in einer Wissensgesellschaft eine geringere Bedeutung hat. Dafür steigen mit zunehmendem Alter die Erfahrung, die Menschenkenntnis und das Organisationswissen. Es gilt diese Potenziale in Zukunft stärker zu nutzen. Immer wichtiger wird zudem eine verbesserte Fort- und Weiterbildung gerade im höheren beruflichen Alter und im Hinblick auf einen möglichen Fachkräftemangel.