:: 3/2009

Lebenssituationen von Migranten in Baden-Württemberg

Im Rahmen des Mikrozensus, der größten amtlichen Haushaltsbefragung in Deutschland, wird seit 2005 auch ein etwaiger Migrationshintergrund der Bevölkerung erhoben. Damit wurde eine wesentliche Datenlücke geschlossen, denn zuvor konnte die amtliche Statistik im Hinblick auf die Lebenssituation von Migranten lediglich Daten über Ausländer bereitstellen. Mit den jüngsten Ergebnissen des Mikrozensus 2007 bestätigt sich, dass in Baden-Württemberg die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund doppelt so groß ist wie die der Ausländer.

Der vorliegende Beitrag stellt anhand von Ergebnissen des Mikrozensus 2007 ausgewählte Informationen über die Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund dar: Dabei zeigt sich, dass sowohl im Hinblick auf die Bildungs- und Arbeitsmarktbeteiligung als auch hinsichtlich der Einkommenssituation ein starkes Gefälle zwischen Baden-Württembergern mit und ohne Migrationshintergrund besteht. Als besonders problematisch dürfte die Tatsache zu werten sein, dass auch die junge Generation der Migranten erhebliche Bildungsdefizite aufweist. Nicht nur mit Blick auf die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Gesellschaft, sondern auch in Bezug auf die demografische Alterung der Gesellschaft und die daraus resultierenden Herausforderungen für Gesellschaft und Wirtschaft zeigt sich erheblicher Handlungsbedarf.

Baden-Württemberg hat unter den Flächenländern den höchsten Migrantenanteil…

Nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2007 leben in Deutschland gut 15 Mill. Menschen mit Migrationshintergrund. Der Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland liegt somit bei knapp 19 %. In Baden-Württemberg liegt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung dagegen mit gut 25 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Im Vergleich aller Bundesländer weisen zwar Hamburg und Bremen mit jeweils rund 26 % vor Baden-Württemberg den höchsten Anteil an Personen mit Migrationshintergrund auf. Unter den Flächenländern verfügt allerdings Baden-Württemberg über den höchsten Bevölkerungsanteil an Menschen mit Migrationshintergrund und liegt noch vor Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern.

Darüber hinaus zeigt sich ein ausgeprägtes Ost-Westgefälle: So finden sich in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) mit insgesamt knapp 5 % die geringsten Anteile dieser Bevölkerungsgruppe. Aber auch unter den alten Bundesländern streut der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung sehr stark. So weist Schleswig-Holstein mit 13 % nur einen halb so hohen Migrantenanteil wie Baden-Württemberg auf.

… Migrantenanteil in Stuttgart bei über 37 %

Unter den 12 Regionen Baden-Württembergs weist die Region Stuttgart den höchsten Bevölkerungsanteil an Menschen mit Migrationshintergrund auf. Rund 31 % der Einwohner der die Landkreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg, Rems-Murr sowie die Landeshauptstadt Stuttgart umfassenden Region sind Migranten. Allein in Stuttgart haben über 37 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Ebenfalls überdurchschnittlich hohe Migrantenanteile sind in den Regionen Neckar-Alb (rund 28 %), Nordschwarzwald (gut 27 %) und Rhein-Neckar (knapp 26 %) anzutreffen.

Den geringsten Migrantenanteil von allen baden-württembergischen Regionen weisen dagegen die Regionen Bodensee-Oberschwaben und Südlicher Oberrhein mit jeweils rund 19 % auf. Das bedeutet, dass in keiner Region Baden-Württembergs ein unter dem Bundesdurchschnitt liegender Migrantenanteil ermittelt wurde.

Migranten: Geringere Qualifikation, schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt

Wesentlich für die Lebenssituation, die Chancengleichheit und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen ist ihre schulische und berufliche Qualifikation. Hierbei zeigen sich große Unterschiede zwischen Baden-Württembergern mit und ohne Migrationshintergrund. Unter den Migranten im Alter von 25 bis unter 65 Jahren hat ein sehr hoher Anteil, nämlich rund 39 %, keine Berufsausbildung vorzuweisen. Von den Baden-Württembergern dieser Altersgruppe ohne Migrationshintergrund trifft dies nur auf etwa 11 % zu. Entsprechend sind Migranten bei allen Ausbildungsabschlüssen stark unterrepräsentiert.

Die im Durchschnitt geringere berufliche Qualifikation von Migranten hat offensichtlich unmittelbaren Einfluss auf deren Erwerbsbeteiligung und Arbeitsmarktchancen. So sind die Baden-Württemberger mit Migrationshintergrund wesentlich seltener berufstätig als Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund. Von Letzteren gehen im erwerbsfähigen Alter rund 76 % einer Erwerbstätigkeit nach, von den Migranten jedoch nur 66 %. Deutliche Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung zeigen sich bei Männern (Erwerbstätigenquote von Männern ohne Migrationshintergrund: gut 81 %, mit Migrationshintergrund knapp 74 %) ebenso wie bei den Frauen (rund 70 %, bzw. 58 %).

Auch die Erwerbslosenquoten (das heißt der Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen) von Personen mit und ohne Migrationshintergrund in Baden-Württemberg zeigen, dass diese beiden Bevölkerungsgruppen nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. So waren 2007 von den Erwerbspersonen ohne Migrationshintergrund knapp 4 % ohne Arbeit, bei den Migranten lag die Erwerbslosenquote mit nahezu 9 % hingegen mehr als doppelt so hoch. Als eine Ursache für die höhere Erwerbslosigkeit der rund 2,7 Mill. Menschen mit Migrationshintergrund kann sicherlich die im Durchschnitt schlechtere formale berufliche Qualifikation angesehen werden.

Rund 7 % der Migranten leben überwiegend von staatlichen Transfereinkommen

Das im Durchschnitt geringere berufliche Ausbildungsniveau der Migranten führt nicht nur zu geringeren Arbeitsmarktchancen, es hat auch eine durchschnittlich schlechtere finanzielle Situation bzw. eine höhere Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen zur Folge. Im Rahmen des Mikrozensus 2007 gaben gut 7 % der Personen mit Migrationshintergrund an, ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Arbeitslosengeld, Hartz IV und ähnlichen Transferleistungen zu bestreiten. Der entsprechende Anteil bei den Personen ohne Migrationshintergrund lag bei lediglich rund 3 %. Demgegenüber leben etwa 40 % der Migranten überwiegend von ihrem Erwerbseinkommen, das waren gut 4 Prozentpunkte weniger als bei den Personen ohne Migrationshintergrund. Ein vergleichsweise hoher Anteil der Migranten (rund 40 %) ist auf Unterhalt durch Angehörige angewiesen. Bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund ist dies nur bei gut 28 % der Fall. Hier dürfte der größere Kinderanteil aber auch die geringere Erwerbsbeteiligung von Migranten eine Rolle spielen. Da der Anteil der Senioren unter den Migranten relativ klein ist, fällt hier der Anteil der Rentenbezieher mit rund 12 % wesentlich kleiner aus als unter den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund (knapp 24 %).

Ein Drittel der Migrantenhaushalte hat weniger als 1 300 Euro monatliches Nettoeinkommen

Aufgrund der geringeren Erwerbsbeteiligung und der deutlich höheren Erwerbslosigkeit verfügen Migrantenhaushalte im Durchschnitt über geringere Haushaltseinkommen. So musste 2007 nahezu ein Drittel der Haushalte, deren Haupteinkommensbezieher einen Migrationshintergrund hat, mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 1 300 Euro auskommen. Bei Haushalten, deren Haupteinkommensbezieher keinen Migrationshintergrund hatten, lag der vergleichbare Anteil lediglich bei rund 23 %. Unter den Beziehern höherer Haushaltsnettoeinkommen sind hingegen die Migrantenhaushalte deutlich seltener vertreten. Lediglich knapp 15 % der Haushalte mit Migrationshintergrund des Haupteinkommensbeziehers verfügten über ein Nettoeinkommen von mindestens 3 200 Euro im Monat. Von den Haushalten, deren Haupteinkommensbezieher keinen Migrationshintergrund aufweist, befanden sich hingegen deutlich mehr, nämlich fast 25 % in dieser Einkommensgruppe.

Dieses Einkommensgefälle wird zusätzlich noch dadurch verschärft, dass die Haushalte von Migranten im Durchschnitt deutlich größer sind als die von Personen ohne Migrationshintergrund. Denn die durchschnittliche Haushaltsgröße bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund lag im Jahr 2007 bei 2,1 Personen pro Haushalt, während es in den Haushalten von Baden-Württembergern mit Migrationshintergrund 2,5 Personen waren.

Die im Durchschnitt geringeren Einkommen der Migranten, von denen jedoch gleichzeitig mehr Personen leben müssen, dürfte dazu führen, dass das Armutsrisiko von Migranten deutlich höher ist als das der Menschen ohne Migrationshintergrund: So gilt in Baden-Württemberg jede fünfte Migrantenfamilie als »armutsgefährdet«, von den Familien ohne Migrationshintergrund rund 8 %.1

Bei jungen Migranten ist die Hauptschule der häufigste Schulabschluss

Bildung und Arbeitsmarktbeteiligung sind in unserer Gesellschaft maßgebliche Faktoren für die soziale Lage der Menschen. Menschen mit Migrationshintergrund haben häufiger keine Berufsausbildung, sie sind seltener berufstätig und in weitaus höherem Maße mit Erwerbslosigkeit konfrontiert als Personen ohne Migrationshintergrund. In der Folge haben Migranten im Durchschnitt eine schlechtere Einkommenslage und sind häufiger von staatlichen Transferleistungen abhängig. In dieser Situation dürfte vielfach die nachfolgende Generation als Hoffnungsträger gelten. Allerdings zeigen sich auch in der jungen Migrantengeneration deutliche Bildungsdefizite.

Bei den jungen Menschen ohne Migrationshintergrund im Alter von 25 bis unter 35 Jahren ist das Abitur der häufigste Schulabschluss (rund 44 %), bei den Migranten im Landes ist es hingegen der Hauptschulabschluss (knapp 41 %). Besonders eklatant sind die Unterschiede bei denjenigen, die über keinen Schulabschluss verfügen. Dies trifft nur noch auf rund 1 % der jungen Menschen ohne Migrationshintergrund zu, ist jedoch noch bei mehr als 6 % der gleichaltrigen Migranten der Fall.

Da die jungen Migranten in Baden-Württemberg im Durchschnitt ein geringeres Niveau bei den formalen allgemeinen Schulabschlüssen haben, bleibt zwangsläufig auch das Niveau der beruflichen Bildung junger Menschen mit Migrationshintergrund beträchtlich hinter dem ihrer Altersgenossen ohne Migrationshintergrund zurück. Wie die Ergebnisse des Mikrozensus 2007 zeigen, hat ein sehr hoher Anteil der 25- bis unter 35-jährigen Migranten, nämlich beachtliche 32 %, keinen beruflichen Ausbildungsabschluss. Bei den gleichaltrigen Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund traf dies auf lediglich 8 % zu. Auch bei allen anderen qualifizierten Ausbildungsabschlüssen sind die 25- bis unter 35-Jährigen mit Migrationshintergrund gegenüber den Personen ohne Migrationshintergrund unterrepräsentiert.

Junge Migranten – ein wichtiges Potenzial für die Gesellschaft

Die Ursachen für die schlechtere schulische und berufliche Qualifikation von jungen Migranten dürften unter anderem in den häufig bestehenden Sprachproblemen der Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen sein, aber auch in der Tatsache, dass in Deutschland der Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Bildung in hohem Maße vom Bildungsniveau der Eltern abhängt. Die schlechtere schulische und berufliche Qualifikation stellt jedoch nicht nur häufig die Vorstufe für eine soziale Schieflage, sondern auch eine Erschwernis für die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund in die Gesellschaft dar. Außerdem zeigen Studien über die Folgen des demografischen Wandels für Wirtschaft und Arbeitsmarkt, dass zukünftig relativ wenige junge Menschen den Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt bilden werden. Da unter den jungen Menschen sehr viele einen Migrationshintergrund haben (in Baden-Württemberg mehr als jeder dritte Jugendliche unter 15 Jahren), werden es die jungen Menschen mit Migrationshintergrund sein, die einen beträchtlichen Teil der zukünftigen gesellschaftlichen Aufgaben werden schultern müssen. Die bestmögliche schulische und berufliche Ausbildung dieser Generation ist deshalb von hoher Bedeutung. Die jungen Migranten sind ein wichtiges Potenzial, auf das Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen sind.

1 Als armutsgefährdet gelten laut OECD jene Haushalte bzw. Personen, deren verfügbares Einkommen weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens beträgt.