:: 3/2004

Repräsentativ für Baden-Württemberg?

Die Suche nach der »typischen« Gemeinde des Landes

Wann ist eine Gemeinde typisch für das Land? Um sich einer Antwort auf diese Frage zu nähern, sind insgesamt 18 Strukturindikatoren gebildet und für die 1 111 Kommunen Baden-Württembergs berechnet worden. Danach sind Herrenberg, Öhringen, Hockenheim, Radolfzell und Markdorf diejenigen Städte, die dem Land am ähnlichsten sind. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass dieses Ergebnis von der Auswahl der zugrunde gelegten Indikatoren und dem gewählten Verfahren mitbestimmt wird.

Baden-Württemberg ist vielfältig – und das nicht nur in landschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht. Die Vielfalt betrifft auch die Struktur seiner Gemeinden: Einer Vielzahl kleinerer Kommunen – etwa 850 der insgesamt 1 111 Gemeinden haben weniger als 10 000 Einwohner – stehen immerhin neun Großstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern gegenüber. Die Spannweite bei der Einwohnerzahl reicht von etwa 100 Personen (Böllen im Landkreis Lörrach) bis zu ca. 590 000 in der Landeshauptstadt Stuttgart. Immerhin 88 Kommunen sind Große Kreisstädte mit in der Regel mehr als 20 000 Einwohnern und übernehmen damit teilweise Aufgaben der Landkreise.

Wann ist eine Gemeinde typisch für das Land?

Gibt es trotz dieser Vielfalt Gemeinden, die als repräsentativ für das Land angesehen werden können, also Kommunen, in denen sich diese Vielfalt widerspiegelt? Doch was ist repräsentativ, was ist typisch für Baden-Württemberg? Eine Annäherung an die Thematik wird versucht, indem eine Gemeinde gedanklich »durchwandert« und mit dem Landesdurchschnitt verglichen wird: Wie hoch ist die Siedlungsdichte in der Gemeinde? Wird die Kommune durch Einfamilien- oder Mehrfamilienhäuser geprägt? Wie groß sind die Haushalte (Familien) in den Wohnungen und wie hoch ist deren Motorisierungsgrad? Wie alt ist die Bevölkerung; ist eine mögliche Überalterung auf eine zu geringe Geburtenzahl zurückzuführen? Durch welches Bildungsverhalten ist die Bevölkerung geprägt? Finden die Erwerbstätigen ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot vor Ort oder müssen sie längere Wege in Kauf nehmen? Sind die ansässigen Arbeitsplätze eher im Dienstleistungs- oder (immer noch) im Produzierenden Gewerbe angesiedelt? Führt das fehlende Arbeitsplatzangebot oder eine Wohnungsknappheit zu einem Wegzug der Bevölkerung? Und schließlich: Wie sehen die finanziellen Rahmenbedingungen in der Gemeinde aus: Über welche Kaufkraft verfügen die Bürger und wie sieht es mit der Steuerkraft in der Kommune selbst aus?

Auf der Basis solcher und ähnlicher Fragestellungen wurden mithilfe der Daten aus dem Landesinformationssystem Baden-Württemberg insgesamt 18 Strukturmerkmale zu folgenden Bereichen gebildet:

  • Bevölkerungs- und Haushaltsstruktur
  • Siedlungs- und Wohnungsstruktur
  • Wirtschafts- und Erwerbsstruktur, Wohlstand
  • Sonstige Verhaltensweisen
  • Kommunalfinanzen.

Es wurden fünf Gemeinden gefunden, die dem Land am ähnlichsten sind:

  • Herrenberg im Landkreis Böblingen
  • Öhringen im Hohenlohekreis
  • Hockenheim im Rhein-Neckar-Kreis
  • Radolfzell am Bodensee im Landkreis Konstanz
  • Markdorf im Bodenseekreis.

Wie diese ermittelt wurden, ist im i-Punkt beschrieben.

Gemeinsamkeiten der »repräsentativen« Gemeinden

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen fünf Städten? Auffällig ist, dass es sich – von einer Ausnahme (Markdorf) abgesehen – um Große Kreisstädte zwischen 20 000 und 31 000 Einwohnern handelt. Die Gemeindegröße scheint damit eine wichtige Bestimmungsgröße dafür zu sein, ob eine Gemeinde hinsichtlich der untersuchten Indikatoren als

»repräsentativ« für das Land anzusehen ist. Aber auch was die Funktionalität nach dem Landesentwicklungsplan (LEP) angeht, sind Gemeinsamkeiten festzustellen: Herrenberg, Öhringen und Radolfzell sind im Landesentwicklungsplan als Mittelzentren ausgewiesen, das heißt, sie sollen als »Standorte eines vielfältigen Angebots an höherwertigen Einrichtungen und Arbeitsplätzen so entwickelt werden, dass sie den gehobenen spezialisierten Bedarf decken können.«1 Hockenheim und Markdorf sind nach den jeweiligen Regionalplänen Unterzentren. Im Folgenden werden diese fünf Städte kurz vorgestellt.

Markdorf wurde im Jahr 817 erstmals urkundlich erwähnt. Die Stadtrechte besitzt die mit gut 12 000 Einwohnern fünftgrößte Kommune des Bodenseekreises seit dem Jahr 1250. In landschaftlich attraktiver Lage nur wenige Kilometer vom Bodensee entfernt und direkt an der früheren südbadischen Grenze zu Südwürttemberg-Hohenzollern gelegen, hat diese sogar Eingang in den Ortsnamen – Maracdorf – das Dorf an der Grenze – gefunden.2 Markdorf besteht seit der Gemeindegebietsreform aus drei ehemals selbstständigen Gemeinden. Nach wie vor bedeutend ist hier die Landwirtschaft mit den Sonderkulturen Obst- und Weinbau.

Verglichen mit den anderen vier »repräsentativen« Gemeinden fällt der hohe Motorisierungsgrad und die günstige Wohnflächenversorgung auf; traditionell immer noch stark vom Produzierenden Gewerbe geprägt, hat Markdorf den mit Abstand geringsten Schuldenstand.

Herrenberg, mit knapp 31 000 Einwohnern die viertgrößte Stadt des Landkreises Böblingen, liegt am Rande des Schönbuchs zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb. Urkundlich zum ersten Mal im Jahre 1228 erwähnt, hat sich die Kleinstadt mit ihrer historischen Altstadt zu einem modernen Zentrum der Region entwickelt. Die Stadt besteht seit der Gemeindegebietsreform aus acht ehemals selbstständigen Gemeinden und hat alle weiterführenden Schulen am Ort.

Rein statistisch betrachtet fällt der überdurchschnittliche öffentliche und private Wohlstand auf: Mit 731 Euro je Einwohner liegt die Steuerkraftmesszahl erheblich über dem der Vergleichsgemeinden. Und auch die Kaufkraft je Einwohner, das heißt diejenigen Geldmittel, die der Bevölkerung für Konsumzwecke zur Verfügung stehen, ist hier am höchsten – und dies, obwohl das Arbeitsplatzangebot geringer als im Landesdurchschnitt ist. Reizvoll gelegen und mit sehr guter Verkehrsanbindung ist Herrenberg vor allem als Wohnort gefragt.

Radolfzell am Bodensee wurde im Jahre 826 gegründet und erhielt im Jahr 1267 das Stadtrecht. Nach der Eingemeindung von sechs Dörfern wurde die heute mit knapp 30 000 Einwohnern nach Konstanz und Singen drittgrößte Stadt des Landkreises Konstanz im Jahr 1975 Große Kreisstadt. Direkt am landschaftlich reizvollen Untersee gelegen, ist die Stadt weit über das westliche Bodenseegebiet hinaus als Kur- und Therapiezentrum bekannt.

Radolfzell weist die höchsten Wanderungsgewinne der fünf Städte auf. Das heißt, die Stadt hat aufgrund der hohen Arbeitsplatzzentralität und dem dadurch bedingten sehr hohen Einpendlerüberschuss, aber auch aufgrund der Attraktivität als Altersruhesitz viele Einwohner durch Zuzug hinzugewonnen.

Hockenheim wurde im Jahre 769 erstmals urkundlich erwähnt. Im Mittelalter gehörte es lange Zeit zum Bistum Speyer, ehe es 1462 zur Kurpfalz kam. 1803 wurde Hockenheim

badisch und erhielt im Jahre 1895 die Stadtrechte. Seit dem 1. Januar 2001 ist Hockenheim Große Kreisstadt und mit gut 20 000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt im Rhein-Neckar-Kreis.

Weltbekannt ist die Stadt durch ihren »Hockenheimring«. Überregional bekannt ist sie aber auch für den Anbau der Sonderkulturen Spargel und Tabak. Hockenheim verfügt über alle weiterführenden Schulen sowie eine Berufs- und Sonderberufsfachschule.

Hockenheim ist deutlich stärker als die vier Vergleichsstädte vom Dienstleistungssektor geprägt. Insgesamt betrachtet ist aber das Arbeitsplatzangebot unterdurchschnittlich, was sich auch in einem erheblichen Auspendlerüberschuss widerspiegelt.

Öhringen ist mit knapp 23 000 Einwohnern die größte Stadt im Hohenlohekreis. Die historischen Wurzeln der Kommune gehen bis auf das Jahr 155 n. Chr. zurück. Im Jahr 2003 hat Öhringen, das zu Beginn der 70er-Jahre aus insgesamt zehn ehemals selbstständigen Gemeinden gebildet wurde, das 750-jährige Jubiläum als Stadt gefeiert. Landschaftlich schön gelegen, hat Öhringen mit seinem mittelalterlichen Marktplatz traditionell die Funktion als Schul- und Bildungsstandort.

Trotz der geringsten Steuerkraft der fünf Städte hat sich Öhringen – wie der Hohenlohekreis insgesamt – wirtschaftlich günstig entwickelt. Der Beschäftigtenbesatz liegt deutlich höher als in den anderen vier Kommunen, der Einpendlerüberschuss bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wird nur von der Stadt Radolfzell übertroffen.

Keine Gemeinde wie die andere

Mithilfe einer Auswertung aus dem Landesinformationssystem Baden-Württemberg wurden fünf Gemeinden »gefunden«, die als recht typisch für Baden-Württemberg angesehen werden können. Interessant ist dabei, dass sich diese Städte trotz aller Gemeinsamkeiten zum Teil deutlich unterscheiden – auch dies zeigt, dass es die repräsentative Gemeinde eigentlich nicht gibt.3 Dies ist wiederum ein Beleg dafür, wie vielfältig das Land und individuell seine Gemeinden doch sind.

1 Vgl. Landesentwicklungs-plan 2002, S. 21, hrsg. vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg.

2 Vgl. Winkler, Christiane: Markdorf – eine grenzenlose Stadt auf dem Weg nach Baden-Württemberg; Beiträge zur Geschichte der Stadt Markdorf, Band 4, 2002, S. 4.

3 Zu berücksichtigen ist außerdem, dass dieses Ergebnis von der Auswahl der zugrunde gelegten Indikatoren und dem gewählten Verfahren mitbestimmt wird.