:: 3/2004

Kinderlosigkeit in Baden-Württemberg

Die Anteile der Personen, die ohne Kinder im Haushalt leben, haben in den letzten 20 Jahren zugenommen. Frauen und Männer verschieben heute die Geburt von Kindern eher auf ein höheres Alter. Rund ein Viertel der Frauen bleibt endgültig kinderlos. Kinderlose Frauen und Männer leben häufiger in großen Städten, leben eher allein und weisen eine höhere Bildung auf.

Der Geburtenrückgang rückt bei der Diskussion um die Umstrukturierung der Sozialsysteme und bei der Planung der Infrastruktur der Kommunen in den letzten Jahren in den Mittelpunkt des Interesses. Auch in Baden-Württemberg geht seit Beginn der 90er-Jahre die Zahl der Kinder kontinuierlich zurück. Dies lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass immer weniger junge Frauen und Männer Eltern werden. Der Anteil an Personen, die heute endgültig kinderlos bleiben, kann am besten aufgrund des Anteils der Frauen im Alter zwischen 35 und 45, die ohne Kinder im Haushalt leben, geschätzt werden (siehe i-Punkt).

Die geringsten Anteile an kinderlosen Frauen gibt es in der Altersgruppe der 35- bis unter 45-Jährigen. Dies war auch vor 20 Jahren bereits so. In diesem Alter haben die meisten Frauen ihre Familiengründung abgeschlossen und die Kinder leben am häufigsten noch im elterlichen Haushalt. Der Anteil kinderloser Frauen in dieser Altersgruppe ist von 17 % im Jahr 1982 auf 24 % im Jahr 2002 gestiegen (Schaubild 1).

Die Gründe, weshalb Paare keine Kinder bekommen, sind vielfältig. Ein Teil der Paare ist ungewollt kinderlos, ein anderer Teil entscheidet sich bewusst dafür, keine Kinder zu bekommen, und wiederum ein anderer Teil schiebt die Entscheidung auf, teilweise so lange, bis eine Schwangerschaft nicht mehr eintritt und ein endgültiger Verzicht daraus wird. Die heutige moderne Gesellschaft bietet jungen Menschen viele Optionen. Eine Familie zu gründen ist nur eine Option, die anscheinend zunehmend an Attraktivität verliert. Durch die Entscheidung für ein Kind schränken vor allem Frauen langfristig ihre anderen Optionen ein, die sich erst in den letzten Jahrzehnten durch ihre verstärkte Beteiligung an Bildung und Erwerbstätigkeit erweitert haben. Dazu zählen Einkommensmöglichkeiten, berufliche Weiterentwicklung, der Aufbau einer (privaten) Altersvorsorge, aber auch die eigene Zeitverwendung.

Wandel der Lebensformen führt zu höherer Kinderlosigkeit

Zunehmende Kinderlosigkeit kann auch die Folge veränderter Lebensformen sein, beispielsweise, wenn weniger Menschen mit einem Partner zusammenleben. Der Mikrozensus gibt Auskunft über die verschiedenen Lebensformen. Unterschieden werden: Ehepaare, nicht eheliche Lebensgemeinschaften, allein Erziehende und allein stehende Personen. Die 35- bis 45-Jährigen sind heute seltener verheiratet als noch vor 20 Jahren. In 72 % aller Lebensformen leben verheiratete Partner zusammen, vor 20 Jahren waren es noch 86 %. Dagegen nahm der Anteil allein Erziehender geringfügig, nicht eheliche Lebensgemeinschaften moderat und allein stehende Personen stark zu.

Von den Ehepaaren, bei denen die Ehefrau zwischen 35 und 45 Jahren alt ist, leben nur 12 % ohne Kinder im Haushalt (Schaubild 2). Dieser Anteil ist in den letzten 20 Jahren fast unverändert geblieben und verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen der Eheschließung und der Geburt von Kindern. Die meisten kinderlosen Frauen leben ohne Partner und waren nie verheiratet. 83 % dieser Frauen leben ohne Kinder im Haushalt.

Die Anteile der nicht ehelichen Lebensgemeinschaften an allen Lebensformen nimmt in der Altersgruppe der 35- bis 45-Jährigen in den letzten Jahren zu. In etwas mehr als der Hälfte leben keine Kinder im Haushalt.

Besser gebildete Frauen sind eher kinderlos

Es zeigt sich ein ausgeprägter Zusammenhang zwischen der Bildung und dem Zusammenleben mit Kindern im Haushalt. Je höher die Bildung, desto größer ist der Anteil der kinderlosen Frauen. Die Spanne reicht von einem Anteil von 20 % kinderloser Frauen mit Hauptschulabschluss ohne Berufsausbildung bis zu einem Anteil von 36 % kinderloser Hochschulabsolventinnen (Schaubild 3). Bei näherer Betrachtung lassen sich zwei Gruppen herausarbeiten: Frauen mit und ohne Abitur. Rund 20 % der Frauen ohne Abitur sind kinderlos. Dagegen lebt fast ein Drittel der Abiturientinnen ohne Kinder im Haushalt. Die Gruppen unterscheiden sich jedoch nicht nur in der Größe der Anteile kinderloser Frauen. Werden kinderlose Frauen nach Bildungsabschlüssen im Alter zwischen 35 und 45 Jahren in zwei Altersgruppen differenziert, zeigt sich, dass bei Frauen mit Abitur der Anteil Kinderloser im Alter zwischen 40 und 45 Jahren um 5 Prozentpunkte geringer ist als im Alter zwischen 35 bis 40 Jahren. Er beträgt rund 29 %.

Eine besonders deutliche Zunahme hat die Kinderlosigkeit unter Frauen mit abgeschlossenem Studium erfahren. Der Anteil der Frauen ohne Kinder mit Fachhochschul- und Hochschulabschluss lag 1982 noch bei 26 %. Bis zum Jahr 2002 stieg er auf 34 %. Jede dritte Frau mit Fachhochschul- bzw. Hochschulabschluss bleibt demnach heute kinderlos. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede bei der Kinderlosigkeit im Alter zwischen 35 und 40 und 40 bis 45 Jahren. 38 % der Fachhochschul- und Hochschulabsolventinnen leben im Alter bis 40 Jahren ohne Kinder im Haushalt. Dagegen beträgt der Anteil der 40- bis 45-Jährigen ohne Kinder 30 %. Bei Frauen ohne Studium sind die Anteile kinderloser Personen in der Altersgruppe der 35- bis 40- und 40- bis 45-Jährigen fast gleich. Dafür kann es zwei Erklärungen geben: Längere Ausbildungszeiten können dazu führen, dass bei einem größeren Anteil von Frauen mit Studium die Geburt von ersten Kindern über das Alter von 40 Jahren verschoben wird. Außerdem kann der höhere Anteil kinderloser Frauen mit Studium im Alter zwischen 35 und 40 Jahren der Ausdruck einer veränderten Lebensplanung ohne Kinder sein. Dies würde bedeuten, dass auch nur ein kleiner Teil dieser Gruppe später noch Kinder bekommen wird.

Höhere Kinderlosigkeit unter Akademikerinnen weist auf eine Unvereinbarkeit verschiedener Lebensbereiche hin. Aufgrund längerer Ausbildungszeiten, eventueller anschließender Arbeitsplatzsuche bzw. -unsicherheit verschiebt sich die Geburt eines Kindes bereits auf ein späteres Alter. Eine berufliche Weiterentwicklung ist für Frauen selten mit einer Familiengründung vereinbar. Die Entwicklung in den letzten 20 Jahren deutet darauf hin, dass kinderlose Hochschulabsolventinnen lediglich Vorgängerinnen für Frauen mit anderer Bildung waren. Die Anteile kinderloser Frauen mit anderer Bildung nähern sich den Anteilen kinderloser Hochschulabsolventinnen von vor 20 Jahren an. Ob sich diese Entwicklung weiter fortsetzt, bleibt abzuwarten. Wenn der Zusammenhang zwischen höherer Bildung und Kinderlosigkeit bestehen bleibt, ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahren aufgrund des steigenden Anteils an Abiturientinnen die absoluten Zahlen kinderloser Frauen weiter ansteigen.

Bevölkerung in großen Städten häufiger kinderlos

Die Größe einer Kommune beeinflusst ebenfalls das Zusammenleben mit Kindern im Haushalt: Je größer die Kommune, desto größer ist der Anteil an Frauen im Alter zwischen 35 und 45 Jahren, die ohne Kinder im Haushalt leben. In kleineren Gemeinden bis zu 10 000 Einwohnern leben unter 20 % der Frauen ohne Kinder im Haushalt. In Gemeinden und Städten bis zu 100 000 Einwohnern ist es ein Viertel und in Städten über 100 000 Einwohner ein Drittel der Frauen. Im Vergleich zu vor 20 Jahren hat in Kommunen aller Größen der Anteil an kinderlosen Frauen zugenommen. Bei der Zunahme der Kinderlosigkeit zeigt sich kein Unterschied zwischen kleinen und großen Gemeinden, lediglich das Ausgangsniveau ist ein anderes. Inzwischen ist die Kinderlosigkeit in kleineren Gemeinden bis zu 10 000 Einwohnern so hoch wie 20 Jahre zuvor in Kommunen bis zu 100 000 Einwohnern. In Kommunen bis zu 100 000 Einwohnern erreicht sie das Niveau von Großstädten von vor 20 Jahren.

Männer leben häufiger ohne Kinder

Viele Aussagen, die zuvor für Frauen getroffen wurden, gelten so auch für Männer. Allerdings leben Männer in jeder Altersgruppe häufiger ohne Kinder im Haushalt als Frauen (siehe i-Punkt). Der Anteil von Männern ohne Kinder im Haushalt hat in den letzten 20 Jahren stärker zugenommen als der Anteil kinderloser Frauen. Heute leben 70 % der Männer im Alter bis 35 Jahren ohne Kinder im Haushalt. In der Altersgruppe der 40- bis 45-Jährigen ist die Kinderlosigkeit bei den Männern am geringsten. Sie liegt heute bei 34 %, vor 20 Jahren lag sie bei 24 %.

Der Zusammenhang zwischen Bildung und Kinderlosigkeit zeigt sich bei den Männern ebenso wie bei den Frauen. Ein Drittel der Männer ohne Abitur lebt im Alter zwischen 35 und 45 Jahren ohne Kinder im Haushalt. Bei den Männern mit Abitur sind es 38 %. Bei den Lebensformen zeigt sich die bekannte geschlechtsspezifische Aufteilung bei den getrennt lebenden, geschiedenen und verwitweten Personen, die nicht wieder mit einem Partner zusammenleben. Lediglich 28 % der Frauen, aber 83 % der Männer, die geschieden sind oder getrennt leben, leben ohne Kinder. Nahezu alle Männer, die nicht mit einer Partnerin in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft leben und auch früher nicht verheiratet waren, leben auch ohne Kinder im Haushalt. Die Lebensform dieser allein stehenden Männer hat in der Altersgruppe der 35- bis 45-Jährigen in den letzten 20 Jahren zugenommen. Der Anstieg der Kinderlosigkeit dürfte stark mit dem Anstieg dieser Personengruppe zusammenhängen.

Mehr Kinderbetreuung – weniger Kinderlose?

In der aktuellen Diskussion wird die unzureichende Kinderbetreuung für den gestiegenen Anteil an kinderlosen Frauen verantwortlich gemacht. Das Rezept scheint einfach: Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung würde die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet, und dann würden mehr Frauen sich für Kinder entscheiden. Dabei ist fraglich, inwieweit der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung dazu beitragen kann, die Entscheidung für ein Kind zu erleichtern.

Ausbildungsabschluss und Erwerbstätigkeit zählen für junge Frauen heute zum normalen Lebenslauf. Die Mehrheit der jungen Frauen ist heute in einem Alter, in dem die Entscheidung für ein Kind ansteht, erwerbstätig. Auf der anderen Seite finden sich sehr traditionell geprägte Vorstellungen von Familienformen, nach der eine Doppelorientierung auf Beruf und Familie nicht vereinbar sei. So stimmten beispielsweise im Allbus 20001 60 % der westdeutschen Frauen im Alter zwischen 15 und 39 Jahren der Feststellung zu, dass ein Kleinkind darunter leide, wenn seine Mutter berufstätig sei. Unter den 30- bis 40-jährigen Frauen liegt die Zustimmung noch höher. Um den Konflikt zwischen traditionellem Familienbild und Berufsorientierung zu lösen, verzichten Frauen bzw. Paare auf Kinder.2 Traditionelle Vorstellungen von der Rolle als Mutter verhindern heute also eher die Gründung einer Familie, anstatt sie zu fördern.

Einige Studien weisen darauf hin, dass Frauen in den alten Bundesländern die institutionelle Kinderbetreuung eher nicht in ihre Entscheidung für ein Kind mit einbeziehen. Dafür sprechen auch die Ergebnisse der vorangegangenen Analyse. Der Anteil kinderloser Personen wird umso größer, je größer eine Kommune ist. Mit der Größe der Kommune nimmt in aller Regel aber auch die Infrastruktur der Kinderbetreuung zu. In den alten Bundesländern scheint es vielmehr so, dass sich Frauen bisher eher auf die Unterstützung durch Verwandte verlassen. Die Nähe zu Verwandten, die Kinder betreuen können, ist vor allem in kleineren Kommunen gegeben. Dies weist eher darauf hin, dass nicht alleine die Rahmenbedingungen, sondern vielmehr die ihnen zugrunde liegenden Werte und Einstellungen die Entscheidungen für ein Kind beeinflussen. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass der Anteil kinderloser Frauen nicht sinken wird, wenn die Betreuungskapazitäten geringfügig ausgebaut würden.3 Vielmehr müsste ein deutliches Signal gesetzt werden, dass gleichzeitige Familien- und Erwerbstätigkeit vereinbar sind. Die Auswirkungen dürften allenfalls langfristig zu spüren sein, wenn aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen auch eine Bewusstseinsänderung eintritt und sich die Einstellung zur außerhäusigen Kinderbetreuung ändert.

1 Der Allbus ist die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften, die seit 1980 alle zwei Jahre Daten über Einstellungen und Verhaltensweisen erhebt. Er wird vom Zentralarchiv für empirische Sozialforschung (ZA) an der Universität zu Köln gemeinsam mit dem Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim erhoben, aufbereitet und zur Verfügung gestellt.

2 Onnen-Isemann, Corinna, in: Bien, Walter/Marbach, Jan H.: Partnerschaft und Familiengründung. Ergebnisse der dritten Welle des Familien-Survey. Opladen, 2003, S.131.

3 Hank, Karsten/Kreyenfeld, Michaela/ Spieß, C. Katharina: Kinderbetreuung und Fertilität in Deutschland, DIW Berlin, 2003, Diskussionspapiere 331, S. 20.